Читать книгу Politische und Philosophische Analysen - Timo Schmitz - Страница 25

Der Philosophenkönig in Platons Politeia (472e-502c) kurz erklärt

Оглавление

Platon ist heute in der Politikwissenschaft als Erfinder der westlichen Expertokratie bekannt. Dies bedeutet, dass nicht jeder Politik betreiben darf, wenn er möchte, sondern nur ein jener in die Politik berufen werden kann, wenn er Experte ist. Durch seine Expertise soll er das Volk anleiten und weise führen. Ein solcher Experte ist für Platon nur der Philosoph, sodass jeder König oder Herrscher in einer anderen Form per se Philosoph sein oder die Philosophie verstanden haben muss. Diesen Herrscher bezeichnet er als Philosophenkönig (473d). Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass von den drei klassisch-politischen Werken Platons (i.e. die Politeia, der Politikos und die Nomoi) gerade die Politeia das unpolitischste Werk ist, da es Platon gar nicht um den Staat, sondern um die Seele, geht. Platon sagt, dass die Seele einfach zu abstrakt sei, um sie zu erklären und es daher einer Vereinfachung bedürfe, wofür er den Stadtstaat benutze. Insofern ist der Philosophenkönig eigentlich nur eine Analogie für die Vernunft, da er im Staat der Vernünftigste ist und die Vernunft als solche erkannt hat (siehe hierzu auch das Höhlengleichnis). Denn den Philosophenkönig zeichnet aus, dass er die Vernunft als Ganzes liebt (475b) und zwar ebenso, wie ein Liebender das Objekt seiner Begierde als Ganzes liebt und dem Rest keine Beachtung schenkt. So liebt der Philosophenkönig auch nur das Vernünftige, nicht aber das Unvernünftige. Und was macht ein Philosoph zum Philosophen? Er möchte von allen Wissenschaften kosten und wird dabei niemals satt (475c). Der Philosoph ist immer durstig nach Wissen (Wissbegierde) und lernt stets fleißig. Dabei ist er aber nur dann ein wahrer Philosoph, wenn er stets nach Wahrheit sucht (476e). Andere verwandte Verhaltensweisen dagegen sind nur dem Philosophen ähnlich. Der, der nach dem Schönen an sich strebt und es schließlich (im Denken) begreift, dem wird man zuschreiben, dass er Erkenntnis gefunden hat. Wer dagegen nur die Abbilder des Schönen sieht, hat sie nicht begriffen, sondern meint nur, dass er das Schöne kennt. Platon setzt hier damit den Grundstein für sein Liniengleichnis, indem er den Unterschied zwischen Erkenntnis und Meinung aufzeigt. Das Gleichnis habe ich bereits in einem eigenständigen Artikel analysiert, sodass ich hier nicht weiter darauf eingehe. Auch setzt Platon hier den Grundstein für seine Ideenlehre und die zwei Reiche, denn zum einen zeigt er das Denken auf, indem wahre Erkenntnis gefunden werden kann. Zum anderen gibt es das sinnlich-wahrnehmbare, was nur den Schein erweckt etwas Echtes zu sein, in Wahrheit aber nur Trug ist. Somit entspricht das Denken der Realität, das Meinen dagegen dem Traum. Denn auch im Traum denkt man, dass das gerade Geträumte echt ist, obwohl es sich nur um ein Abbild handelt (was verschwindet, sobald man aufwacht). Der Philosophenkönig hat also diesen Unterschied erkannt und lässt sich vom Traumhaften nicht beirren. Er ist ein Erkennender und als solcher erkennt er etwas, nämlich „das, was ist“ bzw. „das, was es gibt“ (477a). Die Nichtexistenz entspricht somit dem Nichterkennen des Erkennenden. Wenn der Philosoph das große Ganze der Wahrheit erkennt, so fällt ihm auch auf, dass das Schicksal eines einzelnen Menschen klein und unbedeutend ist und somit der Tod nichts Fürchterliches ist (486a). Deswegen definiert Platon Freiheit auch als der Zustand, kein Sklave zu sein. Kommt der Mensch dagegen in Sklaverei, so ist er nicht mehr frei und sollte den Tod vorziehen. Ein rechtschaffener Herrscher versklavt daher sein Volk nicht. Da der Philosophenkönig die Gerechtigkeit erkannt hat, kann er auch nie ungerecht handeln. An dieser Stelle muss man sich jedoch dem Gerechtigkeitsbild Platons widmen. Bei Paton ist Gerechtigkeit weder der Vorteil des Stärkeren noch der Vorteil des Schwächeren. Würde Gerechtigkeit immer dem Schwächeren nützen, kann der Staat sich nicht verteidigen und zerfällt (vgl. Steuermannsgleichnis). Würde ein Arzt dagegen seine Stärke für sich selbst ausnutzen, würde der Patient nicht davon profitieren. Deswegen hilft er dem Kranken (Schwachen) und ist somit gerecht. Damit definiert Platon die Gerechtigkeit als das Tun, was man zu tun bestimmt ist. Man handelt also ungerecht, wenn man etwas tut, was man seiner Natur nach nicht tun soll (also etwas Fremdartiges tut). Der Schuster ist gerecht, indem er Schuhe schustert. Würde er dagegen Zähne ziehen, würde er etwas seiner Schusternatur fremdartiges tun und wäre damit nicht gerecht. Möchte man also wissen, ob eine Seele philosophisch ist oder nicht, so muss man sie nur auf ihre Gerechtigkeit prüfen (486b).

Die Staaten, welche Platon auffand empfand er als unbrauchbar, da es ihnen an Philosophie mangele. Ferner noch, die Philosophen müssten sich wundern, wenn sie geehrt werden würden, denn sie werden ja gerade deswegen verachtet, weil die Abwesenheit der Philosophie herrscht. Ein guter Steuermann eines Schiffes braucht nicht die Schiffer zu fragen und so wenig braucht ein Herrscher die Einmischung des Volkes. Das Volk ist viel zu unfähig und wenn der Herrscher das Volk fragen muss, entpuppt sich also seine eigene Unfähigkeit. So wie ein guter Steuermann das Wissen hat, um sein Schiff zu lenken, so hat der gute Staat den Philosophenkönig. Die vorfindbare reale Staatenwelt sei dagegen eher wahrlos umhertreibend, während Schiffer um die Macht konkurrierten, die von der Kunst des Steuerns nichts verstünden und daher nicht zu gebrauchen seien (489b-c). Damit ist nicht die Philosophie für den Verfall der Philosophen schuld, sondern die Unwürdigen, wie z.B. die Sophisten, die materiellen Güter, wie Geld, sowie der Einfluss der Masse und deren Verdorbenheit bzw. die Entartung der Naturanlage. Die breite Masse ist nicht in der Lage wahrhaft zu erkennen, doch sorgt sie zu Zwang und tadelt, bestraft und tötet. Der Philosoph wird somit durch die Erziehung verdorben. Gelingt ihm trotzdem die Erkenntnis, muss er um sein Leben fürchten (s. Höhlengleichnis). Die Bedrohung durch die Masse zwingt den Philosophen mehr oder weniger in den Untergrund. Echte philosophische Meinungen sind in der Breite nicht möglich und können nicht mehr zum Diskurs gestellt werden, was dazu führt, dass die Philosophen sich abschotten, um frei zu räsonieren. Im Philosophenstaat dagegen würde der Philosophenkönig als Steuermann das Volk, welches nicht die passende Veranlagung besitzt, führen, und da der Philosophenkönig immer gerecht ist, kann der Staat niemals ungerecht handeln. Nur in einem solchen Staat wird der Mensch nach Platon ein Ende des Leidens erfahren und die Menschen werden zu tüchtigen Menschen heranerzogen, sodass sie die Gerechtigkeit erkennen und nach ihr handeln werden. Dabei muss ein solcher Staat notfalls mit Zwang errichtet werden.

Platons Führerideal ist in Deutschland gerade mit dem geschichtlichen Hintergrund des Nationalsozialismus stark in Verruf geraten. Kritiker wie Hannah Arendt sahen darin eine Lizenz zum Totalitarismus. In der Politikwissenschaft gibt es jedoch einen Wandel, in der Platon neu entdeckt wurde und im Zuge dessen Überlegungen angeregt wurden, wie man ihn in moderne und postmoderne Demokratietheorien einbinden kann. Heute sind Expertokratien (Platon) und Führerdemokratien (Max Weber/ Carl Schmitt) daher nicht zwangsläufig negativ besetzt, obgleich es faktisch kein Staat auf der Welt gibt, der sich auf ein expertokratisches Modell beruft. Anders dagegen sieht es mit Führerdemokratien aus, die hauptsächlich in Strong-State-Modellen vorkommen. Die bekannteste und größte Demokratie, die sich heutzutage diesem Modell bedient ist die Volksrepublik China. Sie hat auf diese Weise den Maoismus der 1970er-Jahre überwunden ohne dabei die zentrale Rolle der Kommunistischen Partei und deren stabilisierenden Faktor zu schwächen.

Veröffentlicht am 24. Juli 2019

Politische und Philosophische Analysen

Подняться наверх