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Kritik am Krieg zur Umbruchzeit 1968 am Beispiel Wolf Vostells „Miss America“

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Das populäre Kunstwerk (PopArt) „Miss America“ von Wolf Vostell stammt aus dem Jahre 1968 und ist 100 x 120 cm groß. Es handelt sich um einen Siebdruck auf Leinwand. Im Gegensatz zu Andy Warhol, welcher seine PopArt-Werke der Glamourwelt widmete und glamouröse Stars wie Schauspieler und Filmdarsteller verkörperte, fokussiert sich Vostell auf Krieg und Gewalt. Das zentrale Motiv in Miss America ist der Vietnamkrieg. Es handelt sich dabei um den ersten Krieg, der schon während der Kriegsphase so ausführlich dokumentiert wurde, dass von einem „Fernsehkrieg“ geredet wurde. Denn die amerikanische Bevölkerung bekam erstmals unzensierte Bilder aus einem fernen Krieg über das Fernsehen direkt nach Hause geliefert. Das vorliegende Werk zeigt einen Polizeioffizier in Saigon (ein angeblicher Vietcong), der auf offener Straße hingerichtet wird. Die Vorlage stammt vom Kriegsjournalisten Eddy Adams.

Miss America besteht primär aus der Fotovorlage im Vordergrund und einer Frau im Hintergrund, wobei es sich vermutlich um ein Fotomodell handelt. Die PopArt ist collagenartig aufgebaut. Dennoch ist es sinnvoller hier von einer Decollage zu sprechen, da viele Elemente bewusst vom Künstler zerstört oder verwischt wurden. Denn das Motiv wirkt verwischt oder verblasst, die Frau wirkt ausgewaschen. Gleichzeitig führen die Verwischungen dazu, dass einzelne isolierte Elemente ineinander verfließen. Zudem wurden Farbflächen unabhängig von den Motiven auf das Werk drübergelegt. Das Motiv wird dadurch verunklärt, die Farben sind verlaufen. Es befindet sich in der Mitte eine blaue Farbfläche. An den Rändern sowie im oberen Teil sind gelbe Flächen und einzelne rote Spritzer. Es ist davon auszugehen, dass der Künstler hier nicht akkurat handelt und daher vieles spontan entstanden ist. Auf der linken Seite befinden sich zudem Textfragmente („dancing lights, near right“). Einige Verwischungen dienen als Hintergrund und sind daher nicht mehr richtig zu erkennen oder zu beschreiben. So legt Vostell in das Bild eine Wetterkarte ein, die noch am Rande durch das klare gelb-umkreiste „T“ wie „tief“, sowie verschiedene schwach-gelbe Kreise, zu erkennen ist. Daher ähnelt die Decollage dem Aufbau einer Fernsehnachrichtensendung, da viele kurze Bilder über den Bildschirm flimmern. Vostell fängt sie aus dem Sammelbecken von Informationen auf und stellt sie zusammen.

Der Vietnamkrieg wurde auf der ganzen Welt in Frage gestellt, nachdem viele grausame Bilder über die Fernsehbildschirme liefen, die Folter, Hass und Gewalt sowie amerikanische Kriegsverbrechen zeigten. Das Bild von Adams ist sehr besonders, da es zufälliger Weise zur gleichen Zeit geknipst wurde, als der General die Pistole abdrückte. Als 1975 der Vietnamkrieg zu Ende geht flieht der General, vermutlich zusammen mit anderen Kriegsverbrechern, inkognito in die USA, wo diese in der Anonymität sich neue Existenzen aufbauten.

Das Fotomodell soll „Miss America“ und damit den Titel des Bildes darstellen. Es handelt sich um eine schöne, glanzvolle Frau, die in einer „heilen Welt“ lebt, welches man an ihrer künstlichen Pose erkennen kann. Sie verkörpert somit den glitzerhaften amerikanischen Lifestyle. Die Schönheit dieses Lebens trügt jedoch, denn der Fuß der Frau steht im Krieg. Der Vietcong wird von den Beinen der Frau erdrückt bzw. unterdrückt, sodass sich sagen lässt, dass er von Amerika geknechtet wird. Miss America verkörpert, wie sich die Nation gerne sehen würde, was auch an der gold-gelben Fläche zu sehen ist, welche über die Frau gelegt wurde und den American Way of Life signalisiert, was auch durch das Textfragment charakterisiert wird. Dass dies nicht haltbar ist zeigt sich im unteren Teil, sodass Phantasie und Realität sich gegenüber stehen („Phantasie vs. Realität“). Amerika verschließt sich die Augen vor der Wahrheit, welches durch die blutrote Binde im Gesicht verkörpert wird. Der rote Schleier löscht zudem das Gesicht teilweise aus, sodass eine Pauschalisierung stattfindet. Jeder könnte in der Haut dieser Frau stecken und wegschauen. Zudem wird der Kopf des südvietnamesischen Generals nicht gezeigt, sodass jeder auf den Vietcong schießen könnte und somit auch jeder sein Mörder sein könnte. Die Wetterkarte symbolisiert den Aufstieg und Fall einer Nation. In diesem Fall wird der Fall Amerikas prophezeit, oder zumindest seine Unterlegenheit demonstriert, da die Niederlage des Vietnamkriegs sich 1968 zwar klar andeutete, jedoch noch nicht feststand.

Wolf Vostell stellt mit seiner Decollage den Krieg an den Pranger und erhebt mit seiner Kunst den Anspruch auf Protest und Kritik. Die Decollage „Miss America“ hängt im Museum Ludwig in Köln. Dadurch, dass sie im Museum hängt, gerät sie nicht in Vergessenheit, sodass der Zuschauer auch heute noch damit konfrontiert wird. Es handelt sich um ein zeitgeschichtliches Dokument, welches jedoch an Radikalität verliert, da es nur noch dem Bildungsbürgertum, als typische Museumsgänger, zugänglich ist. Zudem geht mit der Zeit das Verständnis des Bildes weg, da es oft nur in seiner Historie betrachtet wird, ohne dass der Betrachter sich einen aktuellen Bezug bewusst macht oder hervorruft.

Vostell ist 1932 in Leverkusen geboren und gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer, Environmentinstallateure und Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er widmete sich vor allem gesellschaftlichen Themen und erhob den Anspruch, dass Kunst einen kritischen Hintergrund bringen solle und ggf. auch anklagen oder anmahnen soll. Vostell gilt als Mitbegründer der Decollage, die er durch seine Verwischungstechniken maßgeblich geprägt hat. Die Zerstörung von Materialien bis in die Unbrauchbarkeit galt als kritisch-provokativer Akt in den 1960er-Jahren. Bereits seit den 1950er-Jahren engagierte sich Vostell mit der Kriegskritik und stellte bereits den Koreakrieg in ein kritisches Licht. Später widmete sich Vostell auch innenpolitischen Fragen der Bundesrepublik, u.a. dem Wirtschaftswunder und den Studentenrevolten. Ab 1958 integrierte er das Fernsehen in seine Werke mit ein und nutzte auch Methodiken des Fernsehens. 1998 verstarb Vostell in Berlin.

Veröffentlicht am 8. September 2019

Politische und Philosophische Analysen

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