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Anmaßende Sprechregelungen

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Vor ein paar Jahren verkündete die Bundesagentur für Arbeit eine kleine Sensation: Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte sie wieder fast eine Million offener Stellen melden. Eine magische Zahl. Aber was der Minister unter einem Stellenangebot versteht, ist nicht auch für alle Arbeitsuchenden ein Stellenangebot. Nur zwei Drittel der Angebote waren tatsächlich zur Vermittlung gemeldet. Und wiederum die Hälfte davon waren keine normalen Vollzeitstellen, sondern wurden zusätzlich vom Staat gefördert. Kurz: Aushilfen, 400-EURO-Jobs, 1-EURO-Jobs und dergleichen. Das war eine Erfolgsmeldung, die zu zwei Dritteln aus PR besteht.

Was ein Stellenangebot ist, bestimmt im öffentlichen Sprachgebrauch der Arbeitsminister. Er beansprucht die Deutungshoheit für den Begriff und kratzt dabei alles zusammen, was statistisch den Erfolg seiner Arbeit untermauert. Ein Angebot ist nicht dasselbe wie ein faires oder gar ein gutes Angebot. Was aus der Sicht dessen, der eine Arbeit sucht, von der man leben kann, ein Stellenangebot ist, spielt keine Rolle. Der öffentliche Raum ist voll von solchen Sprachregelungen. Und die lassen es meines Erachtens sehr an Ehrlichkeit fehlen. So schön es ist, wenn wieder mehr Menschen in Deutschland erwerbstätig sind, so hässlich finde ich die maßlose Übertreibung, als die sich das Ganze bei näherem Hinsehen entpuppt. Sie ist im Kern unehrlich.

Ein Beispiel aus der Landespolitik Baden-Württemberg: Im April 2007 hielt Günther Oettinger, damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg und bekanntlich Christdemokrat, eine Rede am Sarg seines verstorbenen Vor-Vor-Vorgängers Hans Filbinger in Freiburg. Filbinger hatte 1978 zurücktreten müssen, weil seine Mitwirkung an Todesurteilen gegen Deserteure im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden war. Statt etwas zu bedauern, hatte Filbinger uneinsichtig erklärt: „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein“. Dieser Landespolitiker war Oettingers parteipolitischer Ziehvater gewesen, und den wollte er nun mit guten Gefühlen verabschieden. Also nannte er ihn einen „Gegner des Nationalsozialismus“. Nach heftiger Kritik auch in der eigenen Partei musste sich Oettinger von diesen umstrittenen Aussagen distanzieren. Er rettete seinen Kopf, aber er tat nichts gegen die „guten Gefühle“, die er anscheinend immer noch mit seinem historischen Vorbild verbindet.

Viel schlimmer aber ist aus meiner Sicht, dass hier ein mächtiger Politiker versucht hat, mit Halbwahrheiten das Bild der Geschichte zu verändern. Er wollte Macht auch über die Köpfe und das Denken seiner Mitbürger. Deshalb haben sie ihm den Kopf zurechtgerückt. Das hat dieses Mal sogar funktioniert. Aber solche Versuche der Geschichtsfälschung gibt es immer wieder – von allen Seiten. Dass Gerhard Schröder in seinen letzten Monaten als Bundeskanzler noch den ehemaligen KGB-Chef Wladimir Putin als einen „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hat, war ein ähnlicher Fall. Sprachregelungen dieser Art werden entweder übernommen oder nicht. Manchmal lässt sie auch jemand wie einen Versuchsballon steigen und wartet ab, ob sie sich mehr oder weniger geräuschlos durchsetzen.

Mit das Schlimmste, was einem sprachlich und philosophisch sensiblen Menschen passieren kann, der auch noch großen Respekt vor Religionen hat, ist eine Sprachregelung aus der Welt des Islam: Der so genannte „Heilige Krieg“ ist nicht nur ein unerträglicher Euphemismus und eine problematische Übersetzung aus dem Arabischen. Ein „heiliger Krieg“ ist auch ein Widerspruch in sich selbst – sozusagen eine Kriegserklärung an alles, was uns oder den Muslimen heilig ist. Es ist eine Sprachregelung, die ins Klischee vom „Krieg der Kulturen“ passt. Sie macht die Verständigung schwer, wenn nicht gar unmöglich. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass dies beabsichtigt ist.

Im öffentlichen Sprachgebrauch hat diese schlimme Sprachregelung sich bereits durchgesetzt. Ein echter sprachlicher Supergau! Dabei bedeutet das Wort „Dschihad“ zunächst einmal "Anstrengung", und die Definition dieses aktiven "Kampfes" gegen das Böse ist auch unter Muslimen absolut umstritten. Die Unehrlichkeit im Sprachgebrauch liegt darin, mit Floskeln wie "heiliger Krieg" Klarheit vorzutäuschen, wo es keine gibt. Angesichts dieser unheiligen Allianz der Worte sollten Christen und Muslime gemeinsam protestieren.


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