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Luft

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„O blaue Luft nach trüben Tagen“: Diesen Ur-Genuss, den der Dichter Ludwig Uhland beschrieb, kennen wir alle. Als Mitteleuropäer muss man heutzutage aber in die Berge oder ans Meer, sonst ist es so eine Sache mit dem Genuss. Wer Kinder mit Asthma oder Pseudokrupp hat, kann ein Lied davon singen, falls ihm nicht die Luft wegbleibt.

Zwei Sprichwörter zum Thema haben mich nachdenklich gemacht: „Die Luft kann einem niemand verbieten“, und „Von Luft und Liebe kann man nicht leben“. Beide stimmen so, wie Sprichwörter halt auch nach Jahrhunderten noch stimmen; beide haben aber inzwischen auch eine zweite, eine neue Bedeutung. Mir kann zwar niemand die Luft verbieten, aber es kann unmöglich sein, reine, gesunde Luft zu atmen. Den Arbeitsplatz kann sich kaum jemand aussuchen, und die Wohnlage ohne Smogt oder Feinstaub ist ebenfalls eine Frage des Geldbeutels. Da gibt es viel Ungerechtigkeit. Ich finde es schlimm, wenn die Luft im Normalfall schon so verdreckt ist, dass die Leute nur noch auf Krankenschein in Luftkurorte kommen. Zwar kann man von Luft und Liebe nicht leben. Aber dass die Menschen deshalb ohne Luft und Liebe leben könnten, will doch niemand behaupten.

Es sind Kleinigkeiten, an denen ich merke, was Luft für mich bedeutet. Seit wir umgezogen sind, kann ich ab und zu einfach eine Tür öffnen und stehe im Garten: Luft! Ein Garten ist etwas Herrliches, das mir vorher viele Jahre lang gefehlt hat. Dass einer „nach Luft ringt“ oder es ihm „den Atem verschlägt“, dass ein Mensch seelisch an den Verhältnissen „erstickt“, in denen er lebt, das kennen wir. Aber manchmal nehme ich solche Ausdrücke auch ganz wörtlich. Kennen Sie nicht auch das Gefühl, bei einem Hustenanfall keine Luft mehr zu bekommen? Man lebt im wahrsten Sinn des Wortes auf, wenn das vorbei ist.

Wenn ich nach einer Bergwanderung auf dem Gipfel stand, fand ich es irgendwie geradezu sündhaft, in dieser wunderbaren reinen Luft zu rauchen. Ich habe lange Zeit Zigaretten geraucht und finde immer noch, dass eine Pfeife ein Genuss sein kann, aber in solchen Augenblicken passt kein Rauchen. Und wenn wir schon beim Rauchen sind: Ich finde es zwar mittelalterlich, wenn man Raucher diskriminiert und ihnen das Leben überall schwer macht; aber haben wir das nicht teilweise auch Zeiten zu verdanken, wo wir Raucher rücksichtslos und egoistisch anderen praktisch überall die Luft verpestet haben? Das Klima vergiften – das wäre ein Thema für sich.

Ich bin ein Schreibtischarbeiter; doch das sind ja ziemlich viele Zeitgenossen. Immer wenn ich besonders viel zu arbeiten habe, muss ich zuerst raus an die frische Luft. Ich muss meinen Kopf auslüften. Vielleicht hilft das Gehen auch beim Verfertigen der Gedanken vor dem Sprechen oder Schreiben. Jedenfalls tut mir die frische Luft ausgesprochen gut; sie hilft, Gedanken zu finden, zu ordnen und sich setzen zu lassen, weil das Gehirn mehr Sauerstoff bekommt.

Merkwürdig genug: Ohne dieses unsichtbare, aber allgegenwärtige Gasgemisch aus etwa 78 Prozent Stickstoff, 21 Prozent Sauerstoff und ein paar Resten anderer Gase plus etwas Wasserdampf geht ja gar nichts. Wirklich lebenswichtig sind ja „nur“ die 21 Prozent Sauerstoff. Doch wann denken wir schon einmal darüber nach? Nichts ist selbstverständlicher als das Atmen. Aber wenn es aufhört, ist man tot. Und wenn es aus irgend einem Grund schwer wird, merken wir erst, wie wichtig es ist.

Vor ein paar Jahren hatte ich mir einen Virus eingefangen und bekam eine Lungenentzündung. Ganz plötzlich, von einem Augenblick auf den anderen, konnte ich nicht mehr richtig einatmen. Bei jedem tiefen Atemzug fühlte ich einen scharfen Stich in der Brust. Da bekam ich es ganz schön mit der Angst.

Ist es nicht ein phantastisches Gefühl, zu spüren, wie sich dieLungen füllen? Ich habe beschlossen, mich öfter daran zu freuen. Deswegen ist mir auch sehr daran gelegen, dass unsere Luft nicht zu einer Müllkippe für unbekömmliche Gase wird, an denen erst die Wälder sterben und dann wir selbst.


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