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Bewegung

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Kinder toben gern herum; die Freude an der Bewegung gehört offenbar zu den ursprünglichen Dingen im Leben. Aber dann kommt eine lange Zeit, in der wir erzogen werden, still zu sitzen. „Setz dich auf den Hosenboden“ – das war ein viel gehörter und sehr verhasster Satz in meiner Kindheit. Doch irgendwann trägt diese Erziehung Früchte. Sogar der Hund muss lernen: „Sitz!“ Nach dem Lernen kommt das Arbeiten, und da sitzen immer mehr Menschen erst recht. Von morgens bis abends. Einen letzten Rest der alten Bewegungsfreude, im Mangel, im Nicht-Können, enthält die umgangssprachliche Formulierung, dass einer „gesessen hat“. In der Haft, das sagt die Sprache mit deutlicher Wehmut, gibt es die Freiheit der Bewegung nicht, und folglich auch kaum die Freude daran.

Ich übe eine sitzende Tätigkeit aus. Vielleicht fällt mir gerade deswegen ein geflügeltes Wort ein, das im Rundfunk kursiert: „Der Sender hat unseren Kopf gemietet, aber nicht unseren Hintern“.

Mir gefällt dieser Satz nicht zuletzt deshalb, weil er so beweglich und vielseitig ist, auch vieldeutig und frech. Im Kern sagt er: Arbeit ist mehr als das Absitzen von Zeit. Scherz beiseite: Ganze Heerscharen von Angestellten joggen, machen Jazzgymnastik, besuchen Tanzkurse, bevölkern Fitness-Studios und Schwimmbäder. Dahinter steckt nicht nur Gesundheitsbewusstein, eine Mode oder Geschäftssinn, sondern auch der elementare Wunsch nach Bewegung. Manche fühlen den so unbändig, dass sie zu unchristlich früher Stunde aufstehen. Ich habe den Verdacht, dass man das mit allen Appellen an die Vernunft nicht erreichen könnte.

Bei mir ginge das jedenfalls nicht. Wie war das noch: Schnell wie ein Windhund, zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl…? Auch im Spaß wiederhole ich solche Parolen aus der Nazizeit nicht gern. Meine Abneigung gegen jeden Drill sitzt tief. Ich mache lieber lange, ausgedehnte Spaziergänge und Wanderungen, bei jedem Wetter, mit weit ausholenden, kräftigen Schritten. Der Kopf wird klar, die Lunge weitet sich, die Beine sind dankbar für die Bewegung. Der Mensch ist zum Laufen geboren. Ganz gleich, was man tut und wie man sich bewegt: „Die Bewegung des Leibes und der Glieder ist dem Leibe und der Seele gesund“, wussten schon die Gebrüder Grimm.

Dabei geht es nicht um sportliche Höchstleistungen. Es ist die Freude an der ungebundenen, spielerischen Bewegung, die mich und andere treibt. Wäre es anders, könnte ich mir auch nicht vorstellen, warum gerade so viele ältere Menschen sich mit einem Genuss bewegen, der früher als würdelos gegolten hätte. Ein ziemlich dummes Sprichwort darüber ist „Tanz und Spiel will ein Ziel“. Das Wesen von Tanz und Spiel ist doch gerade in Tanz und Spiel selbst zu suchen! Das Freie, das Zweckfreie, macht ja den tiefsten Grund der Freude daran aus, das Einfache, das Archaische.

Die Bewegung ist uns in die Wiege gelegt – auch das Wort „Wiege“ ist noch darin enthalten. Auch der „Weg“ und das Schwingen der Waage. Wenn ich andere Menschen frage, warum sie sich gern bewegen, bekommt ich die verschiedensten Antworten. Zwei Dinge kommen aber fast immer dabei vor: Der Spaß am freien Spiel und ein gutes, oft neues Körpergefühl durch das Beherrschen oder Überwinden von Widerständen. Das kann Kraft bedeuten, Sicherheit, aber auch Grazie, Schönheit, Ebenmaß, Ästhetik.

Alle großen Dinge sind einfach. Aber nicht alle einfachen Dinge sind leicht zu erklären. Vielleicht kann man sich auch mit dem Genuss begnügen, den sie bringen. Der russische Schriftsteller Vissarion Belinski hat schon im vorigen Jahrhundert geschrieben: „Alles Vernünftige hat seinen Ausgangspunkt und sein Ziel: Die Bewegung ist die Äußerung des Lebens, das Ziel ist der Sinn des Lebens.“

Die körperliche Bestätigung dafür, dass ich lebe, gehört einfach zu meiner Lebensfreude. Wer das versteht, begreift auch, warum Menschen sogar im Rollstuhl Sport treiben. Leben ist Bewegung. Wer sich nicht mehr bewegt, ist tot.

Bautz!

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