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Einfache Dinge Brot

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Wenn die Frauen in dem kleinen Dorf Benningen am Neckar ihr Backofenfest feiern, bekommen wir ein ganz besonderes Brot. Wir haben Freunde dort, und die sind Mitglieder in einem Verein, der eigens gegründet wurde, um das alte Backhaus im Dorf wieder herzurichten. Gemeinsam haben sie das geschafft, und gemeinsam backen sie jetzt auch wieder – auf die gute alte Art und Weise, wie das früher auf dem Land immer üblich war.

Wenn wir einen dieser großen, dunkelbraunen Laibe mit der dicken Kruste aufschneiden, duftet es wunderbar. So ein Brot, das kann ich mit jedem Bissen schmecken, hält Leib und Seele zusammen. Was da in Benningen gepflegt wird, ist nicht bloß Nostalgie, sondern eine große sinnliche Erfahrung – und die Ehrfurcht vor dem Brot.

„Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ – dieser Satz aus dem Alten Testament ist die bitterste Folge der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies. Was für eine Geschichte hat das Brot seitdem gesehen! „Und sie erkannten einander am Brotbrechen“: Für die Christen ist Brot etwas Heiliges. Das Sakrament des Abendmahls, geheimnisvolles Zeichen für den unsterblichen Leib Jesu Christi, ist ein sichtbarer Ausdruck für den unsichtbaren Glauben an ein ewiges Leben. Zum Passahfest, in Erinnerung an die Flucht aus Ägypten, essen die Juden jedes Jahr Matzen, das ungesäuerte Brot, das haltbare, einfache Brot für die Reise. Das Brot ist Leben.

Brot für die Welt: Engagierte Menschen geben sich viel Mühe, um diese einfache, aus Mehl im Ofen gebackene Speise aus der alltäglichen Gleichgültigkeit herauszulösen. Wir sind ja meistens so satt, dass das Herstellen echter Aufmerksamkeit für ein drängendes Problem eine schwere Arbeit sein kann. Wir vergessen entsetzlich schnell; sogar die ausgemergelten Kindergesichter aus Äthiopien, Somalia oder dem Sudan, deren glasige Augen nicht einmal mehr um Brot bitten können. Die flehend ausgestreckten Hände verzweifelter Mütter mit vertrockneten Brüsten: Bilder, die uns fast täglich ins Wohnzimmer flimmern. Denken wir noch darüber nach? Ich ertappe mich dabei, wie ich diese Bilder beiseite dränge, wegschiebe. Es gibt ja so viel Wichtiges zu tun, was mich bedrängt und was mir viel näher ist. Gleichgültigkeit ist auch eine Schutzmauer gegen das Elend der Welt.

Dabei bin ich im christlichen Glauben erzogen worden und weiß: Das Brot brechen, heißt teilen. Goethe hat geschrieben: „Wer nie sein Brot mit Tränen aß, / wer nie die kummervollen Nächte / auf seinem Bette weinend saß, / der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte“.

Zuckerbrot und Peitsche: Überfluss hier, Leid und Tod dort. Die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus aus dem Neuen Testament fällt mir ein, der die Krümel vom Tisch des Reichen erbat. Die Demütigung, das Leiden ums tägliche Brot. Welche Hungerhilfe füttert die Armee, die Bauern von ihren Äckern vertreibt? Hunger als Waffe, auch das ist so alt wie die Geschichte des Brotes. Hunger tut weh.

Mich schmerzen heute noch Bilder wie das Butterbrot im Papierkorb oder das verdorbene Saatgut im Straßengraben. Und trotzdem vergesse ich oft das Kleingeld für die „Aktion Restpfennig“, wenn ich eilig beim Bäcker bezahle. Dabei wäre echte Solidarität doch wohl etwas anderes als das Bekämpfen der Vergesslichkeit bei Pfennigbeträgen.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“: Was bedeutet mir als Christ dieser Satz aus dem Vaterunser? Was bedeutet Brot überhaupt für mich? Ich hatte auch schon Angst ums tägliche Brot; aber wir haben diesen Begriff doch sehr ausgedehnt. Inzwischen gehört das Dach überm Kopf selbstverständlich dazu, vielleicht auch das Auto, der Fernseher und der Urlaub. Es fehlt oft nicht viel, und wir machen eine Blasphemie daraus, eine Gotteslästerung. Aus dem berechtigten Kampf ums tägliche Brot, den der Bauer vielleicht einmal gegen Dürre, Flut und Hagel führt, wird der erbitterte Konkurrenzkampf des modernen Höhlenmenschen in einer Wohlstands- und Ellenbogengesellschaft. Wie stehe ich dazu?

Die Dritte Welt und deren Probleme sind weniger weit weg als der Denkverzicht einer globalisierten Supermarktgesellschaft nahe legt. Durch welche Art von Geschäftemacherei entsteht anderswo Hunger? Wie unmoralisch ist die Existenz von Butter- oder Schweinebergen? Wer verdient wie viel an Lebensmittelexporten, die den Bauern irgendwo in Afrika oder Lateinamerika Konkurrenz machen? Wem nehme ich das Brot weg, wenn ich ein „Schnäppchen“ mache? Wer zahlt für mein Billigangebot? Jede Arbeit ist ihren Lohn wert. Darf ich da aus Billiglohnländern und Billigladenketten kaufen? Welches Brot ist blutig, weil jemand auch in meinem angeblichen Interesse Geld mit Waffen macht? Auch solche Fragen stellt mir das Brot aus dem Backhaus von Benningen.


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