Читать книгу Theorien des Fremden - Wolfgang Müller-Funk - Страница 15

3. Freuds Hoffmann-Lektüre und ihre SpurenSpur in Julia KristevasKristeva, Julia Theorie der FremdheitFremdheit 3.1. RomantikRomantik und PsychoanalysePsychoanalyse: Das Andere der VernunftVernunft

Оглавление

Die GespaltenheitGespaltenheit des SelbstSelbst infolge des Anderen ist ein Leitmotiv gegenwärtigen Denkens. Denn die Figur des Anderen lässt sich nicht nur als eine äußere InstanzInstanz begreifen, die mir gegenübertritt, sondern ist immer schon integraler Bestandteil unseres Selbst (→ Kapitel 2), was dann im Kontext der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie vor allem in der Alteritätsphilosophie von Emmanuel Lévinas zur Entwicklung einer transzendentalen EthikEthik geführt hat.

In der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie ist das Andere personal gedacht als eine Figur, die mir gegenübertritt und die in mich gleichsam eindringt. Von dieser Perspektive sind die verschiedenen Konzepte, wie sie historisch aus dem psychoanalytischen DiskursDiskurs entstanden sind, zu unterscheiden. Hier sind nämlich das Fremde und Andere zunächst nicht im Sinne einer personalen Konfiguration gedacht, sondern werden mit dem höchst paradoxen PhänomenPhänomen des UnbewusstenUnbewusste, das, was Freud auch das Es genannt hat, verknüpft. Dieses manifestiert sich in TraumTraum, LiteraturLiteratur, Kunst und Alltag.

Der französische Psychoanalytiker Jacques LacanLacan, Jacques hat sich eine Besonderheit der französischen SpracheSprache zunutze gemacht, um diese GespaltenheitGespaltenheit sprachlich plastisch zu machen. Bekanntlich finden sich im Französischen zwei Ausdrücke für Ich: JeJe und moimoi. Das Je ist, was ich im SpiegelSpiegel als ein Anderes wahrnehmen kann. Unmittelbar ist dabei nur die Ansicht des Spiegelbildes: Zu diesem (unbewusstenunbewusst) Ich habe ich also nur indirekten, niemals einen unmittelbaren Zugang. Dieser Zugang führt über das, was Lacan als das ImaginäreImaginäre bezeichnet, für das hier der Spiegel steht. Das Je bleibt also stets in einem perspektivischen Dunkel, nur das Andere wird sichtbar. Demgegenüber ist das Moi der sekundäre und tendenziell bewusste Aspekt der Ich-BildungBildung, der Prozess der Identifikation mit dem primären Ich (→ Kapitel 7).

HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich eindrucksvolles BildBild von dem leeren SelbstSelbst, das von den Albträumen der NachtNacht heimgesucht wird, ist ein exemplarisches Bild jener FremdheitFremdheit, die mit den unwillentlichen Manifestationen des UnbewusstenUnbewusste als des Anderen der VernunftVernunft verbunden ist. Unübersehbar hat die europäische RomantikRomantik wesentlichen Anteil an dieser Beschäftigung mit jenem fremdartigen Anderen, jenem Unbekannten, das uns plötzlich und uneingeladen aufsucht.

Es ist kein Zufall, dass sich Sigmund FreudFreud, Sigmund in seiner einflussreichen Studie über das UnheimlicheUnheimliche, das auf den Philosophen des romantischen Zeitalters, auf Friedrich Wilhelm Joseph SchellingSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph beruft, bei dem das UnbewussteUnbewusste eine prominente Rolle spielt, insofern nämlich als er in seiner idealistischen Philosophie die NaturNatur als das ‚Unbewusste‘ ansieht, das in Wissenschaft und Kunst ins Bewusstsein tritt. Schellings Philosophie löst diese AlteritätAlterität freilich dadurch auf, dass er am Ende eine spiegelartige IdentitätIdentität zwischen dem Unbewussten und dem Bewussten postuliert. Darin sind ihm Romantiker wie NovalisNovalis und E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A. nicht gefolgt, bleibt hier das Unbewusste die dunkel-nächtliche, andere Seite des täglichen Verstandeslebens. Der DualismusDualismus bleibt hier bestehen, auch wenn, wie zum Beispiel in Novalis Hymnen an die NachtNacht eine positive Umwertung, eine jubilatorische Annahme des Nächtlichen, Erotischen und – an dieser Stelle kommt auch der Gender-Aspekt zum Tragen – Weiblichen erfolgt: „Abwärts wende ich mich zu der heiligen, unaussprechlich geheimnisvollen Nacht.“1 Und an einer späteren Stelle heißt es im Gestus religiöser Verzückung:

Preis der Weltkönigin, der hohen Verkünderin heiliger Welten, der Pflegerin seliger LiebeLiebe – sie sendet mir dich – zarte Geliebte – liebliche Sonne der NachtNacht, – nun wach ich – denn ich bin Dein und Mein – du hast mir die Nacht zum LebenLeben verkündet – mich zum MenschenMensch gemacht – zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.2

Jene literarische und kulturelle BewegungBewegung, die das Fremde in Gestalt des Romantischen in sich trägt, ist auch deshalb eine RomantikRomantik, weil sie eine des Fremden ist, das in dem kunstvoll arrangierten Poem des NovalisNovalis ekstatischEkstase überhöht wird. Die positive Umdeutung ist untrennbar mit dem Unbekannten verbunden. Wenn das fremdefremd Andere zum Geheimnis wird, dann büßt es seinen Schrecken ein und wird zu einer EinladungEinladung in eine andere verheißungsvolle WeltWelt, die hier unübersehbar religiös und erotischErotik aufgeladen ist. Das Andere der VernunftVernunft ist das Leibliche, das Medium, das sich zum Anderen hin öffnet.

Aufschlussreich an der Textstelle ist, wie sich das fremdefremd Andere, die WeltWelt des nächtlich-UnbewusstenUnbewusste, mit der konfiguralen Person der Anderen, der romantisch überhöhten FrauFrau, verbindet. Diese erscheint hier nicht als Allegorie nächtlichen Schreckens, sondern nächtlicher Verheißung und Entzückung – ein Gegenbild zu FüsslisFüssli, Johann Heinrich Nachtmahr und zu HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Schreckensbild unserer inneren FremdheitFremdheit. Im BildBild der ewigen Brautnacht taucht – jenseits des erotischenErotik Versprechens und der Vermischung – noch ein anderes Motiv auf, nämlich die hier durch das ‚Medium‘ des Leiblichen vollzogene LiebeLiebe. Die Liebe ist deshalb eine ‚ErkenntnisErkenntnis‘ des Anderen, weil sie den Status des Fremden, des Unbewussten wie des Gegenübers, nachhaltig verändert, indem sie das Fremde und Andere zwar nicht ‚aufhebt‘, aber vertraut macht. Im Medium des literarischen Textes wird dieses Andere in seinen beiden Aspekten – Schrecken und Verheißung – gezeigt und bearbeitet. RomantikRomantik bedeutet demnach die Demonstration dieses unaufhebbar fremden Anderen im Medium der LiteraturLiteratur und anderer Künste sowie ihrer philosophischen Kommentierung. Demgegenüber beschreitet die PsychoanalysePsychoanalyse rund einhundert Jahre später einen anderen Weg, das Unbewusste zu ergründen. Sie versucht die SpurenSpur, die dieses ungeachtet aller ‚Verdrängungen‘ hinterlässt, (körperliche Symptome, TraumTraum), zu lesen.

Es ist eine romantische Erzählung, die die Brücke zur PsychoanalysePsychoanalyse des Fremden schlägt, nämlich Hoffmanns kunstvoller und vieldeutiger Text Der SandmannSandmann. Ihn macht Sigmund FreudFreud, Sigmund zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum UnheimlichenUnheimliche, das, während die LacanLacan, Jacques-Schülerin Julia KristevaKristeva, Julia insofern über Freud hinausgeht, als sie Hoffmanns Text und Freuds Kommentar in eine genuin psychoanalytische Theorie des Fremden integriert. Mit AdelbertChamisso, Adalbert von von Chamissos Erzählung des heimatlosen und unbekanntenunbekannt Peter Schlemihl betreten wir noch ein anderes romantisches Gelände. Aber insgesamt befinden wir uns in diesem Kapitel im Bereich jener zweiten Phänomenlage von AndersheitAndersheit, die konnotativ mit dem Fremdem, völlig Andersartigen, Unbekannten, Mysteriösen und Unheimlichen verquickt ist.

Theorien des Fremden

Подняться наверх