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1.2. FormenForm des Alteritären

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Diesem Buch liegt die Kernthese zugrunde, dass sich der Begriff des ‚Fremden‘ ebenso wie jener der ‚KulturKultur‘, mit dem er auf unkündbare Weise verbunden ist, nicht eindeutig definieren lässt. In diesem Zusammenhang wird im vorliegenden Werk auf verschiedene Bedeutungsschattierungen eingegangen, die für die KulturanalyseKulturanalyse von außerordentlichem Belang sind.

FremdheitFremdheit und EigenheitEigenheit funktionieren in diesem Verständnis nicht länger im Sinn eines Gegensatzes oder einer Gegenüberstellung, bleiben doch beide Termini stets aufeinander verwiesen. Im vorliegenden Buch wird deshalb der Begriff der AlteritätAlterität, der die Verknüpfung von Fremdheit und Eigenheit als Prozess und ErfahrungErfahrung in eins fasst, in den Vordergrund gerückt. Das von dem lateinischenlateinisch Adjektiv ‚alter‘ abgeleitete Substantiv, das sich auch als AndersheitAndersheit bezeichnen lässt, beschreibt die abstrakteste und zugleich philosophische FormForm von ‚Fremdheit‘, eine Form, die noch ganz ohne Prädikat auskommt. Die Alterität umfasst alle Formen eines Außerhalbs meiner SelbstSelbst, wobei dieses Andere auch durch die KonstitutionKonstitution und KonstruktionKonstruktion dieses Außerhalbs bestimmt wird. So lässt sich mit der PsychoanalysePsychoanalyse fragen, ob das ‚UnbewussteUnbewusste‘ etwas (in) mir Fremdes ist.

AlteritätAlterität umfasst also verschiedene, sich überlagernde Phänomenlagen. Ich möchte provisorisch drei benennen. Viele europäische SprachenSprache kennen diese Unterscheidungen und Nuancen, die keineswegs trennscharf sind und sich immer wieder irritierend überlagern. Aber in den germanischengermanisch wie in den romanischenromanisch und slawischenslawisch Sprachen wird, wie unscharf auch immer, zwischen dem/der AusländerAusländer (the foreigner), dem/der Fremden (the stranger) und dem/der Anderen (the other) unterschieden. Im Titel eines berühmten Lieds von Frank SinatraSinatra, Frank, ‚Strangers in the Night‘, lassen sich die strangers, die Fremden, nicht durch die Ausländer (foreigners) oder gar durch die Anderen (others) substituieren. Das LiebespaarLiebespaar, das hier besungen wird, ist einander so verheißungsvoll fremdfremd und unbekanntunbekannt wie dem männlichenmännlich lyrischen Ich die NachtNacht und die damit verbundenen KonnotationenKonnotation: ErosEros, DunkelheitDunkelheit, Unbewusstes, IntimitätIntimität, GrenzüberschreitungGrenzüberschreitung. Die beiden begegnen einander als Fremde an einem unbekannten OrtOrt.1

Im Begriff der Fremden schwingt ein Moment mit, wonach diese aus der Perspektive der Einheimischen als unbekanntunbekannt wahrgenommen werden. Sie lassen sich nicht wirklich einordnen, sie beinhalten ein Moment der Störung, wohl auch deshalb, weil sie sich innerhalb des ‚eigenenEigentum‘ Raums der ‚anderen‘ befinden. Im Deutschen wie in anderen SprachenSprache ist das Fremde mit dem Unbekannten (im TschechischenTschechisch ist der Unbekannte neznámy, im KroatischenKroatisch neznanac)2, ja sogar mit dem UnheimlichenUnheimliche, das verschwägert. Das Beunruhigende am Fremden ist also nicht nur, dass es nicht ‚zu uns‘ gehört, sondern, dass man nicht weiß, wohin es überhaupt gehört. Insofern negiert das Fremde den vertrauten Zustand der ‚HeimatHeimat‘.

Ungleich stärker als die beiden anderen Phänomenlagen von AndersheitAndersheit trägt das Fremde auch das Moment der IrritationIrritation und der FurchtFurcht mit bzw. in sich, das etwa durch die Betrachtung und Wahrnehmung von BehinderungBehinderung, KrankheitKrankheit oder deviantem AussehenAussehen (GesichtGesicht, KörperKörper, HaarfarbeHaarfarbe) ausgelöst wird. Diese FremdheitFremdheit ist asymmetrischAsymmetrie: Der kulturell ‚normalenormal‘ MenschMensch wehrt das als abweichend wahrgenommene Gegenüber ab, möchte ihm nicht gleichen und hat AngstAngst, er/sie könnte auch so krank oder entstellt werden wie das Vis-à-vis. Für den als befremdlich stigmatisierten Menschen kommt zur Last des ‚unheimlichenunheimlich‘, fremdenfremd LeidensLeiden oder der AbweichungAbweichung einer wie auch immer gearteter NormNorm, jene sozio-kulturelle MarginalisierungMarginalisierung, die sich durch die negative FixierungFixierung von Krankheit, Behinderung und physischer Devianz ergibt. Nirgends tritt der radikale AusschlussmechanismusAusschlussmechanismus so drastisch zutage wie in diesem Fall. Es ist kein Zufall, dass sich der RassismusRassismus jedweder Couleur an körperlicher DifferenzDifferenz entzündet hat.

Ausländisch – das Adjektiv klingt im Gegensatz zu ‚andersAndersheit‘ und ‚fremdfremd‘ etwas holprig – hat demgegenüber eine klare liminale und häufig nationalstaatlichenationalstaatlich Zuordnung: Der AusländerAusländer bzw. die Ausländerin befindet sich, symbolisch markiert, auf der anderen Seite. Im TschechischenTschechisch kommt diese KonnotationKonnotation sehr schön zum Ausdruck: ‚zahraniční‘ bedeutet nämlich ‚hinter der GrenzeGrenze‘. Der Ausländer befindet sich jenseits des eigenenEigentum Raumes. Das heißt aber auch, dass er durch die GrenzziehungGrenzziehung explizit markiert ist.3 Auf jeden Fall gehört der ausländischeausländisch MenschMensch nicht zur jeweils ‚eigenen‘ heimischen nationalennational und regionalenregional GemeinschaftGemeinschaft, nicht, weil man ihn oder sie nicht kennt, sondern gerade, weil man ihn oder sie zu kennen glaubt und weil er/sie sich von uns sichtbar wie hörbar unterscheidet. Im Gegensatz zum Fremden, der, wie Georg SimmelSimmel, Georg und Alfred SchützSchütz, Alfred gezeigt haben, Teil eines kulturellen SystemsSystem ist und darin, vom SündenbockSündenbock bis zum SchiedsrichterSchiedsrichter, eine Rolle einnehmen kann, bleibt der Ausländer, dessen Aufenthalt im ‚eigenen‘ kulturellen RaumRaum (kulturell) nicht nur zeitlichen Restriktionen unterliegt, außerhalbAußerhalb eines gegebenen kulturellen Systems. Der ausländische Mensch, zum Beispiel der Nachbar eines angrenzenden Staates, hat zumindest ein Prädikat, er ist, etwa im Tschechischen, ein Deutscher, ein němec, nämlich jemand, der nicht die eigene – ‚unsere‘ – SpracheSprache spricht.

An dieser Stelle ist ein Seitenblick auf Figuren von ‚ausländischerausländisch‘ AlteritätAlterität erhellend, wie sie zum kulturellen Alltag gehören. Der modernemodern TouristTourist ist ein zeitweiliger Besucher eines anderen Landes, einer anderen KulturKultur. Er ist ein AusländerAusländer, der sich zeitlich befristet, unter bestimmten Auflagen und womöglich auch örtlich beschränkt in einem fremdenfremd Land aufhält. Für eine kurze ZeitZeit wird der Ausländer zum Fremden in einem bestimmten Land, in einem AuslandAusland. Er ist nicht zuletzt willkommen, weil er für diesen Aufenthalt bezahlt.

Der GastGast wiederum, dessen kulturelle Existenz mit dem PhänomenPhänomen der Gabe und des GeschenksGeschenk verwandt ist, kommt auf eine EinladungEinladung in ein anderes Land bzw. in eine andere Region. Zur LogikLogik der Gabe gehört indes, dass diese nicht nur angenommen, sondern erwidert wird.4 Insofern etabliert die Figur der GastfreundschaftGastfreundschaft eine interkulturelleinterkulturell Beziehung zwischen dem jeweiligen In- und dem jeweiligen AuslandAusland. Als offizieller Repräsentant des jeweils anderen Landes kann er sich an einem bestimmten extraterritorialen OrtOrt aufhalten, etwa in einer Botschaft.

Die dramatischste Figur unserer Tage ist indes der FlüchtlingFlüchtling (im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention), jener fluchtsuchende MenschMensch, der aus unterschiedlichsten Gründen vom AuslandAusland her kommend, die GrenzenGrenze zu einem anderen Land überschreitet. Es kann die Absicht bestehen, in diesem neuem Aufenthaltsort zu bleiben. Anders als der klassische AusländerAusländer, TouristTourist, GastGast oder DiplomatDiplomat, ist sein Aufenthalt also nicht zeitlich begrenzt. Das Telos seines Ankommens ist, einen Platz in einem für ihn bis dato unbekanntenunbekannt kulturellen RaumRaum (kulturell) zu finden. SelbstSelbst wenn dies gelingt, wird er wohl bis zu einem gewissen Grad ein Fremder bleiben, auch wenn er jenen Pass erhält, der ihm bescheinigt, kein Ausländer mehr zu sein.

Noch komplizierter erweist sich die abstrakte Kategorie des Anderen, für die das TschechischeTschechisch – neben jiny (das sich auf das Neutrum ‚andersAndersheit‘ bezieht) – das Wort druhy, das KroatischeKroatisch das verwandte drugo verwendet, das in der Nebenbedeutung der/die/das zweite als KonnotationKonnotation in sich trägt. Das heißt der Andere hängt damit zusammen, dass ich nicht allein auf dieser WeltWelt bin. Dieser Andere ist aber keineswegs, wie noch zu zeigen sein wird, irgendein kulturell Fremder, sondern ergibt sich daraus, dass er ein Zweiter/eine Zweite/ein Zweites ist, der/die/das mir gegenübertritt. Er/sie/es ist übrigens, um an dieser Stelle die geschlechtliche DifferenzDifferenz ins SpielSpiel zu bringen, nicht unbedingt sexuell markiert. Diese ZweiheitZweiheit, diese DualitätDualität der Andersartigkeit, ist geradezu dadurch bestimmt, dass in ihr und in dem durch sie geschaffenen Zwiespalt die konkrete symbolische Bestimmung als Eigenschaft nicht existiert. Deshalb ist es, dem feministischen Einspruch und Impuls folgend, problematisch, diesem unbestimmten Pronomen eine männlichemännlich Markierung – ‚der andere‘ – zu geben. Aber die männliche durch eine weiblicheweiblich zu substituieren oder ihr diese zur Seite zu stellen, würde diesem subtilen Sachverhalt der AlteritätAlterität als Zwiespalt nicht gerecht, sondern suggerierte höchst missverständlich und irreführend, dass Alterität maßgeblich mit der Dualität von MännlichkeitMännlichkeit und WeiblichkeitWeiblichkeit einhergeht. Dies ist, aus der Perspektive dieses Buches, nicht der Fall. Dennoch kann der/die/das Andere etwas sein, das weder im herkömmlichen Sinn unbekanntunbekannt noch ausländischausländisch und exterritorialExterritorialität, das heißt Teil einer anderen KulturKultur, sein muss.

In dem kurzen Versuch, die drei relativen Unterscheidungen fremdfremd, andersAndersheit und ausländischausländisch voneinander abzugrenzen und zugleich miteinander zu verbinden, wird deutlich, dass die Zuschreibung von FremdheitFremdheit immer die Tendenz in sich trägt, diesem oder dieser Fremden den Status des/der (gleichberechtigten und respektierten) Anderen abzusprechen. Das gilt für sexistische wie für rassistische DiskurseDiskurs fast gleichermaßen. Den/die oder das Andere zu respektieren inkludiert einen Akt wechselseitiger AnerkennungAnerkennung, bei dem weder eine positive noch einer negative Differenzsetzung eine Rolle spielen. Einem MenschenMensch5 wegen seines GeschlechtsGeschlecht, seiner sexuellen Orientierung, seiner spezifischen SpracheSprache, seiner jeweiligen ReligionReligion oder seiner unverkennbaren HautfarbeHautfarbe besondere Zuwendung zu erweisen, ihn also positiv zu diskriminieren, widerspricht einer generellen Respektierung. In dieser steht Anerkennung in keiner AbhängigkeitAbhängigkeit von solchen kulturellen und ‚natürlichen‘ Eigenschaften und ist von keinem exklusiven Verhältnis abhängig.

Die AlteritätAlterität als radikale AndersheitAndersheit beinhaltet, wie in den Kapiteln über die Philosophie Bernhard WaldenfelsWaldenfels, Bernhard’ und Emmanuel LévinasLévinas, Emmanuel’ gezeigt wird, eine unmissverständliche ethischeEthik Option und Herausforderung. Sie schließt nicht nur eine AnerkennungAnerkennung des Anderen als Anderer meiner selbst ein, sondern akzeptiert auch den existential-ontologischenOntologie Sachverhalt von dessen VorgängigkeitVorgängigkeit gegenüber meinem SelbstSelbst. Sie basiert auf einem komplexen EinschlussEinschluss (→ Kapitel 4).

Demgegenüber sind die beiden anderen Phänomenlagen, jene des (unbekanntenunbekannt) Fremden und des exterritorialenExterritorialität Anderen, immer schon von einer FormForm dauerhaften AusschlussesAusschluss und potentieller Diskriminierung begleitet. Freilich besteht auch hier die Möglichkeit einer Korrektur. So läuft die psychoanalytische Denkfigur, wie sie Julia KristevaKristeva, Julia entwickelt hat, darauf hinaus, das Unbekannte in uns, das UnbewussteUnbewusste, zu akzeptieren und damit potentiell auch das Fremde außerhalbAußerhalb unserer selbst (→ Kapitel 3).

Die sexuelle DifferenzDifferenz, um kurz auf sie zu sprechen zu kommen, lässt sich dieser Argumentation zufolge ausschließlich vor dem Hintergrund des alteritärenAlterität PhänomensPhänomen der FremdheitFremdheit / UnbekanntheitUnbekanntheit analysieren und begreifen. Die Alterität des Anders-SeinSeins im Sinne der ZweiheitZweiheit übersteigt die sexuelle Differenz, weil die abstrakte RelationRelation der AndersheitAndersheit auf kein Prädikat, so auch nicht auf die Zuschreibung des Geschlechtlichen (männlichmännlich, weiblichweiblich, ‚hybridHybrid‘ bzw. ‚transgendertransgender‘) bezogen ist. Die Alterität des Ausländischen wiederum ist für die geschlechtlichen Differenzen nur dann von Belang, wenn sexuelle und kulturelle Andersheit miteinander ge- und verkoppelt sind. Es mag zudem OrteOrt geben, an denen sich Frauen, metaphorisch gesprochen, in einem männlichen ‚AuslandAusland‘ befinden. Damit ist gemeint, dass es ethnologisch gesprochen in allen KulturenKultur spezifische und exklusive ‚subkulturelle‘ Orte, Räume und Treffpunkte der beiden GeschlechterGeschlecht gibt. Illustrativ ist in diesem Zusammenhang der im Post-68er FeminismusFeminismus einflussreiche MythosMythos vom fremdenfremd Volk der Frauen, den Amazonen, in dem der Unterschied der sexuellen und der ethnischenEthnie Differenz enggeführt bzw. sistiert wird. Aber dabei handelt es sich ganz offenkundig nicht um eine kulturgeschichtliche Tatsache, sondern um ein ganz besonderes gegenweltliches, ja phantasmatisches NarrativNarrativ, das der GegenwartGegenwart entzogen bleibt oder eine negativ besetzte männliche AngstAngst-UtopieUtopie darstellt.6

Natürlich besteht zwischen diesen drei sich überlappenden Alteritätsphänomenen – AndersheitAndersheit (ZweiheitZweiheit), FremdheitFremdheit (UnbekanntheitUnbekanntheit) und Ausländisch-SeinSein (ExterritorialitätExterritorialität) – ein innerer und unkündbarer Zusammenhang, alle drei sind relational und beziehen sich auf etwas, das sich als widerständig oder irritierend erweist und das sich nicht aus der WeltWelt schaffen lässt. Der Status des Ausländischen und des Fremden kann sich ändern oder kann sogar verschwinden. Das PhänomenPhänomen jener AlteritätAlterität, die vielleicht den mir allernächsten MenschenMensch betrifft, bleibt jedoch grundsätzlich bestehen, auch wenn diese Beziehung in einem WandelWandel begriffen sein und sich verschieben mag. Die Alterität ist philosophisch gesprochen die ontologischeOntologie Voraussetzung für eine EthikEthik, die nicht einfach Anwendung von bestimmten NormenNorm und Werten ist, sondern sich im Sinne eines SubjektSubjekt-Subjekt-Verhältnisses fassen lässt, das philosophisch basal ist. In der Begegnung mit dem Anderen vollzieht sich jenes Moment der Annahme des Fremden und Anderen, das zugleich SelbstSelbst-Annahme bedeutet (→ Kapitel 4.5).

In seinem Buch Soi-même comme un autre (Das SelbstSelbst als ein Anderer) diskutiert der französische Philosoph Paul RicœurRicœur, Paul nicht nur die komplizierten RelationenRelation zwischen Selbst und (geschlechtsneutral) Anderem, sondern differenziert auch zwischen zwei Aspekten von IdentitätIdentität. Während Identität, im Sinne des lateinischenlateinisch Wortes idem, gleich, mit Beständigkeit in Raum und ZeitZeit verbunden ist, impliziert Identität im Sinne des lateinischen Wortes ipse, selbst, keineswegs einen unveränderlichen Kern von Persönlichkeit.7 Einerseits existiert Identität als ‚SelbigkeitSelbigkeit‘ (englisch: sameness, französisch: mêmeté), andererseits als SelbstheitSelbstheit (englisch: selfhood, französisch: ipseité). Das Wort même, das der Idem-Identität zugrunde liegt, wird als Gegensatz zu „andersAndersheit, verschieden, unterschieden, unterschiedlich, ungleich“ verwendet.8 Mit der Selbstheit (ipse) kommt, wie Ricœur schreibt, die „DialektikDialektik […] des Selbst und des Anderen“ ins SpielSpiel.9 Im Einklang mit dem Titel des Buches kommt der Philosoph zu dem Schluss, dass die „Andersheit“ die „Selbstheit“ konstituiert.10 Während ipse auf die FrageFrage Wer? bezogen ist, referiert idem auf die Frage Was? Selbigkeit ist, wie Ricœur schreibt, eine relationale Größe, während der zweite Aspekt von Identität qualitativer NaturNatur ist und auf die „größtmögliche Ähnlichkeit“ bezogen ist. Ricœur ergänzt jene qualitative bzw. prädikative Identität durch ein Prinzip der Beständigkeit und erläutert das am Beispiel eines Werkzeugs, dessen Struktur erhalten bleibt, auch wenn im Laufe der Zeit alle einzelnen Teile durch neue ersetzt worden sind.11

Im Sinne einer „DialektikDialektik“ von IdentitätIdentität und AlteritätAlterität gibt es demnach zwei nicht voneinander abzuleitende FormenForm von Identität, die, wie RicœurRicœur, Paul zeigt, durch narrative KonstruktionenKonstruktion miteinander verbunden sind. Es ist nämlich das NarrativNarrativ, das die Beständigkeit im WandelWandel und damit KontinuitätKontinuität generiert und garantiert. In der narrativen Konstruktion von Identität überlappen sich die beiden Aspekte von Identität.12 Das bedeutet indes, dass Identität wie Alterität das Ergebnis ein und derselben kulturellen DynamikDynamik darstellen, die ohne die Kulturtechnik des ErzählensErzählen undenkbar ist. Zugleich aber gibt es zwei Grundformen von Alterität: AndersheitAndersheit als Pendant (OppositionOpposition und Komplement) zur SelbstheitSelbstheit und FremdheitFremdheit wäre demnach Nicht-Selbstheit, Fremdheit als Gegenstück zur ‚SelbigkeitSelbigkeit‘ hingegen Nicht-Selbigkeit.

Die dritte Phänomenlage der AlteritätAlterität, die ExterritorialitätExterritorialität, das ‚Ausländische‘, die man natürlich auch als eine Sonderform der FremdheitFremdheit behandeln könnte, hat eine unverkennbar qualitative Bestimmung und gehört demnach zum Aspekt der IdentitätIdentität im engeren Sinne, der Idem-Identität. Aber das Ausländische hat eine unmissverständliche räumliche Dimension, die übrigens nicht konstant sein muss. Sie hängt ganz offensichtlich mit der Äquivokation des Wortes ‚sein‘ zusammen, die im Spanischen insofern aufgelöst wird, als dieses zwischen ser (sein) und estar (sich befinden) unterscheidet. Was zum Beispiel ÖsterreichÖsterreich ist und wo sich – je nach Perspektive – dieses In- bzw. AuslandAusland befindet, das hat sich binnen hundert Jahren dramatisch verändert, vom Imperium über den ‚angeschlossenen‘ Teil DeutschlandsDeutschland bis zur Zweiten Republik. Weil der exterritoriale Aspekt von Alterität räumlich ist, ist es naheliegend, diesen mit der FrageFrage Wo? zu verbinden. Wie der hübsche DialogDialog von Karl ValentinValentin, Karl sinnfällig macht, ist Fremdheit zentral auf den jeweiligen raum-zeitlichen Kontext bezogen. In diesem rein formalen Sinne sind wir allesamt potentiell Fremde in der von Valentin formulierten Tautologie: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“

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