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1. Begriffsklärungen: Fremd, andersAndersheit, ausländischausländisch 1.1. Die Relationalität des Fremden

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Die Beschäftigung mit der Figur des Fremden gehört seit mehreren Jahrzehnten zum unverzichtbaren Bestandteil gegenwärtiger kultureller, sozialer sowie politischer DiskurseDiskurs und Debatten. PhänomenePhänomen wie MigrationMigration, KulturtransferKulturtransfer und globale MedialitätMedialität im Bereich von KommunikationKommunikation und InformationInformation, die allesamt ein verändertes Verhältnis von FremdheitFremdheit und HeimatHeimat implizieren, halten diese Aktualität wach. All die hier erwähnten soziokulturellen Veränderungen führen dazu, dass die Fremdheit im ‚traditionellen‘ exotischen Sinne, wie wir sie aus den ethnographischen Diskursen der NeuzeitNeuzeit kennen, im Rückzug begriffen sein könnte oder, wie ich an anderer Stelle schrieb, zum raren Gut geworden ist, während in der ‚eigenenEigentum‘ KulturKultur Fremdheit auf paradoxe Weise wächst.1 NichtsNichts spricht selbst in einer für Mode und Trends so anfälligen Kultur dafür, dass sich dies bald ändern wird. Es scheint, als ob mit der sich verändernden Figur des Fremden jene kulturelle DynamikDynamik beschrieben wird, die heute Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschungen ist: Migration, TransferTransfer, inter- und transkulturelletranskulturell Beziehung in einer global gewordenen WeltWelt.

Zu dieser Entwicklung gehört auch, dass die Bedeutungen des Fremden wie auch des Eigenen im WandelWandel begriffen sind. Oft erweist sich das Fremde nämlich verdeckt als Teil des Eigenen: Dieser Ansatz wird von verschiedensten Denktraditionen – von der PsychoanalysePsychoanalyse über die PhänomenologiePhänomenologie bis zu den Cultural StudiesCultural Studies – verfolgt und verändert sowohl unser Verständnis jenes scheinbar so vertrackten Fremden, das sich dadurch bestimmt, dass es sich uns entzieht, als auch unsere Vorstellung des uns scheinbar so Vertrauten, dass sich durch die Amalgamierung mit FremdheitFremdheit plötzlich in ein Vexierbild unserer selbst verwandelt. In jedem Fall scheint es nicht angebracht, Fremdes und Eigenes, oder auch Fremde und HeimatHeimat als binäre Oppositionen zu begreifen, sondern als Pole einer unaufkündbaren RelationRelation und damit als Teil des kulturellen Prozesses, der sich Georg SimmelSimmel, Georg zufolge durch Wechselwirkungen wie VerbindenVerbinden und TrennenTrennen, durch EinschlussEinschluss und AusschlussAusschluss bestimmt.2 Mit diesem Verweis wird gleichzeitig deutlich, wie LiminalitätLiminalität und AlteritätAlterität miteinander verwoben sind. Denn ohne jene ausschließenden wie verbindenden Grenzformationen und -konstruktionen, ohne die Abhängigkeitsbeziehung von Fremdem und Eigenem, von ÖffnungÖffnung und SchließungSchließung und von wechselseitigem AustauschAustausch sind PhänomenePhänomen des Alteritären nicht denkbar. Was vom einzelnen aus betrachtet jenseits einer bestimmten, oftmals unsichtbaren GrenzeGrenze angesiedelt ist, das ist eben das Fremde, das jedoch so beweglich und veränderlich ist wie all jene GrenzprozedurenGrenzprozeduren, die SicherheitSicherheit und VerbindungVerbindung ermöglichen: vom persönlichen Augenschein über Öffnungsmodalitäten und Identitätsnachweise bis zu zeitlichen Beschränkungen, die Grenze zu überschreiten. Mit Simmel lassen sie sich als ein SystemSystem von Öffnungen und Schließungen ansehen. Der deutschedeutsch Philosoph und SoziologeSoziologe hat dieses Wechselspiel als charakteristisch für das Phänomen KulturKultur überhaupt gesehen. Simmel beschreibt den MenschenMensch kulturanthropologisch als „das verbindende Wesen […], das immer trennen muß und ohne zu trennen nicht verbinden kann […]“.3 Was ‚fremdfremd‘ und was ‚eigenEigenheit‘ ist, das ist in höchstem Maße kontextabhängig, das heißt von den jeweiligen Mustern des Teilens und Zusammenführens bestimmt. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung davon abhängig, wo ich mich befinde. Wenn ich mich etwa auf einem anderen Erdteil befinde, dann schmilzt meine binneneuropäische sprachliche oder ethnischeEthnie DifferenzDifferenz womöglich sehr schnell zusammen. Oder andersAndersheit ausgedrückt: Die Figur des Fremden widersetzt sich jedweder SubstanzialisierungSubstanzialisierung. Jeder und jede von uns kann in einer bestimmten Situation, Beziehung oder Konstellation zum Fremden bzw. zur Fremden werden. Kulturwissenschaftlich betrachtet, unterliegen Phänomene wie NäheNähe und DistanzDistanz kulturellen Gegebenheiten, die sich ungeachtet mannigfaltiger Festlegungsversuche nicht ein für allemal fixieren lassen.

Der französische Philosoph François JullienJullien, François hat in diesem Zusammenhang die komplexe Struktur eines dialektischenDialektik Umschlages von FremdheitFremdheit und ‚EigenheitEigenheit‘ am Beispiel des PhänomensPhänomen der IntimitätIntimität herausgearbeitet. Er unterscheidet zwei Bedeutungen des französischen Wortes intimeintim: den Abschluss des/der Einzelnen vor seiner/ihrer Umgebung und die VerbindungVerbindung mit einem anderen MenschenMensch, mit dem man einen gemeinsamen intimen ‚Raum‘ stiftet. Die ÖffnungÖffnung hin zum Anderen erfolgt aber genau in jener Zone, in die sich das IndividuumIndividuum zurückzieht.4

Theorien des Fremden

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