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3.3. Fremde sind wir uns selbst: Julia KristevaKristeva, Julia

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Was als unheimlichunheimlich auftritt, erweist sich am Ende als das Andere meiner selbst, dem ich ausgeliefert bin. Diese Figur des verdrängten Eigenen findet sich im Titel des Buches der französischen Psychoanalytikerin, Feministin und Poststrukturalistin Julia KristevaKristeva, Julia Etrangers à nous-mêmes (Fremde sind wir uns selbst). Äußerer Anlass für ihr Buch war die bereits in den 1980er Jahren in FrankreichFrankreich aufflammende Fremdenfeindlichkeit, die zur Gründung von SOS Racisme führte, einer Einrichtung, die wiederum Pate für SOS Mitmensch in ÖsterreichÖsterreich stand. Darüber hinaus stellt Kristevas Abhandlung einen Kommentar zu Freuds Text über das UnheimlicheUnheimliche, das dar, und zwar genau vor dem Hintergrund einer kollektiven politischen AggressionAggression gegen Fremde, gegen ausländischeausländisch MenschenMensch, die im Falle Frankreichs zumeist aus den ehemaligen Kolonialgebieten nach Frankreich kommen.

Das hässliche oder auch das romantisch verklärte AntlitzAntlitz des Fremden ist laut KristevaKristeva, Julia verzerrtes Abbild des verdeckten Eigenen und ist demnach das Ergebnis der entstellenden ArbeitArbeit der ProjektionProjektion, die ihre Ursache in unserer eigenenEigentum GespaltenheitGespaltenheit hat. Mit dem französischen Psychoanalytiker Jacques LacanLacan, Jacques gesprochen manifestiert sich diese, wie bereits ausgeführt, in der Unterscheidung von einem JeJe und einem moimoi. Diese drückt sich beispielsweise in den Figuren der Ich-TeilungIch-Teilung oder Ich-VerdopplungIch-Verdopplung aus. Damit greift Lacan einen Befund auf, der, wie wir gesehen haben, in Freuds Abhandlung über das UnheimlicheUnheimliche, das mit dem Doppelgängertum verbunden ist.

Die Interpretation KristevasKristeva, Julia geht von Freuds TheseThese aus, „daß das archaische, narzißtische, noch nicht von der Außenwelt abgegrenzte Ich das in sich als bedrohlich oder unangenehm Empfundene aus sich heraus projiziert und daraus einen fremdenfremd, unheimlichenunheimlich, dämonischen DoppelgängerDoppelgänger macht“.1 In diesem Bereich ist auch das UnheimlicheUnheimliche, das angesiedelt: „Das Unheimliche, das BilderBild vom TodTod, von AutomatenAutomat, von Doppelgängern oder vom weiblichenweiblich GeschlechtGeschlecht auslöst […], ereignet sich, wenn „die GrenzeGrenze zwischen PhantasiePhantasie und WirklichkeitWirklichkeit verwischt wird.“2

Die Autorin zitiert einen Satz aus einem Gespräch eines KindesKind mit seinem Analytiker. „Ich bin gern ich, ich bin nicht gern ein anderer.“3 Das UnheimlicheUnheimliche, das erweist sich als „Königsweg“, der uns die Zurückweisung des Fremden in uns selbst begreifen lässt:

In der faszinierten Ablehnung, die der Fremde in uns hervorruft, steckt ein Moment jenes UnheimlichenUnheimliche, das […]. Der Fremde ist in uns selbst. Und wenn wir den Fremden fliehen oder bekämpfen, kämpfen wir gegen unser Unbewusstes – dieses ‚Uneigene‘ unseres nicht möglichen ‚Eigenen‘ […]. Freud […] lehrt, die FremdheitFremdheit in uns selbst aufzuspüren. Das ist vielleicht die einzige Art, sie draußen nicht zu verfolgen. Dem KosmopolitismusKosmopolitismus der Stoiker, der universalistischen IntegrationIntegration durch die ReligionReligion folgt bei Freud der Mut, uns selbst als desintegriert zu benennen, auf daß wir die Fremden nicht mehr integrieren und noch weniger verfolgen, sondern sie in dieses Unheimliche, diese Fremdheit aufnehmen, die ebenso ihre wie unsere ist.4

So hat also auch der Fremde ein NarrativNarrativ, das er mit allen Fremden, d.h. allen MenschenMensch dieser WeltWelt, teilt. Dass wir uns fremdfremd sind, erscheint dabei als eine condition humaine, der sich der psychoanalytische DiskursDiskurs auf paradoxe Weise stellt, hebt doch diese post-humanistische Einsicht die FremdheitFremdheit keineswegs auf. Das UnheimlicheUnheimliche, das steckt auch die GrenzenGrenze der von ihm geschaffenen Möglichkeit der SelbstSelbst-Einsicht. Zugleich begreift sich die PsychoanalysePsychoanalyse im Hinblick auf den Umgang mit dem Anderen und Unbekannten nicht nur als eine Lebenspraxis, sondern zugleich auch als eine EthikEthik. Denn die Einsicht, dass das Fremde ein Teil meiner selbst ist, eröffnet die Möglichkeit mit dem greifbaren, realen Fremden in einer offenen Weise umzugehen. Bei der Begegnung mit Fremden bin ich immer selbst im SpielSpiel. Von einer neuen PolitikPolitik des „KosmopolitismusKosmopolitismus“ spricht KristevaKristeva, Julia an einer Stelle, bei dem die „SolidaritätSolidarität der Menschen in dem Bewußtsein ihres Unbewußten gründet“.5 Der historische Kosmopolitismus gründet in der AufklärungAufklärung des 18. Jahrhunderts, jener, den Kristeva vorschlägt, in einer bestimmten FormForm eines transkulturellentranskulturell ModernismusModernismus, im RahmenRahmen dessen sich der Mensch seiner eigenenEigentum prinzipiellen Fremdheit in Gestalt seines eigenen Anderen, seines UnbewusstenUnbewusste, bewusst wird.

Was sowohl Freuds Text als auch KristevasKristeva, Julia Kommentar zu diesem interessanterweise nicht thematisieren, ist, dass beide teuflische Gestalten in Hoffmanns Erzählung Der SandmannSandmann tatsächlich kulturell Fremde sind. Von dem einen heißt es an einer Stelle, dass er nicht wirklich ein echter Deutscher sei,6 was ja auch durch den mittelalterlich anmutenden, lateinischenlateinisch Namen noch akzentuiert wird, während Coppola mit allen xenophoben Zuschreibungen belegt ist, die dem Fremden, hier dem Italiener, gelten: Er spricht ein lächerliches Deutsch, er ist aufgeblasen, marktschreierisch und hat, übrigens im Gegensatz zu Coppelius, betrügerische Merkmale.7 Coppelius’ Wiederkehr als Coppola trägt parodistische Züge. Kurzum, Coppola ist, wie übrigens auch sein ebenfalls italienischer Spalanzani, ein Hochstapler und Schwindler.8

Wie E.T.A. Hoffmann so bedient sich auch der österreichische Romancier Joseph RothRoth, Joseph der Figur eines dämonischen falschen MenschenMensch, eines nomadisierenden Fremden. In diesem Fall ist der teuflische Manipulator menschlicher Beziehungen ein Ungar, vermutlich ein ‚Zigeuner‘, namens Jenö Lakatos, der überall in der epischen WeltWelt des Autors Zwietracht und Unfrieden stiftet.9 In dieser Entstellung werden alle dunklen menschlichen Seiten auf den Anderen, den Fremden projiziert. So führt uns Hoffmanns Text, der letztendlich die Grundlage für Freuds und KristevasKristeva, Julia Reflexionen bildet, alle drei Dimensionen des Fremden und Alteritären (→ Kapitel 1) vor Augen: Er oder sie ist ein Anderer unserer selbst, ein DoppelgängerDoppelgänger, er ist ein Unbekannter (wir erfahren nichts über Coppelius und Coppola) und er gehört auch nicht zur vertrauten eigenenEigentum, ‚nationalennational‘ KulturKultur. Der Fremde ist ein AusländerAusländer, eben ein Italiener. XenophobieXenophobie ist in der Argumentation Kristevas der Tatsache zuzuschreiben, dass das UnbewussteUnbewusste keinen Platz in unserem Bewusstsein hat, aber auf paradoxe Weise doch haben könnte, als eine SpurSpur, als Symptom, als ProjektionProjektion.

Vergleicht man die Fremdheitskonzeption der PsychoanalysePsychoanalyse in der Traditionslinie von Freud zu KristevaKristeva, Julia etwa mit phänomenologischen Zugängen, so wird deutlich, dass das Andere hier nicht so sehr personal gedacht ist, sondern vielmehr eine sub- oder transpersonale InstanzInstanz darstellt. Diese Dimension kommt in Freuds Terminologie als das Es zum Ausdruck. Demgegenüber bevorzugt LacansLacan, Jacques Terminologie die IdeeIdee von einer VerdopplungVerdopplung und Aufspaltung des Ich in zwei Momente, ein bewusstes und ein unbewusstesunbewusst. Ein personales Format erhält das UnbewussteUnbewusste durch den Prozess der ProjektionProjektion auf den Fremden und Anderen. LévinasLévinas, Emmanuel phänomenologische Theorie des Alteritären bevorzugt eine transzendentale EthikEthik im Hinblick auf die Figur des Anderen (→ Kapitel 4), dessen VorgängigkeitVorgängigkeit ich anerkenne, während Freuds Ethik sich auf einem paradoxen Prozess der Selbsterkenntnis gründet. Dieser Vorgang gilt dem eigenenEigentum Fremden, das mir zwar ins Bewusstsein rücken kann, aber nie aufhört fremdfremd zu sein. In dieser Perspektive überschreitet die Psychoanalyse den klassischen HumanismusHumanismus und dessen Selbsterkenntnisappell.

Dem Triangel von FremdheitFremdheit, VertrautheitVertrautheit und Unheimlichkeit ist eine große Bedeutung beizumessen, spielt sich in ihm doch jenes Drama ab, in dem sich laut Freud zeigt,

[…] daß dies Ängstliche etwas wiederkehrendes Verdrängtes ist. Diese Art des Ängstlichen wäre eben das UnheimlicheUnheimliche, das […]. Wenn dies wirklich die geheime NaturNatur des Unheimlichen ist, so verstehen wir, daß der Sprachgebrauch das Heimliche in seinen Gegensatz, das Unheimliche übergehen läßt, denn dies Unheimliche ist wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist.10

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