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Joseph Ratzinger als Kollege und Mentor

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Neben Hans Küng war Joseph Ratzinger (*1927), der spätere Papst Benedikt XVI., Zweitbetreuer von Hasenhüttls Habilitationsschrift. Ratzinger war 1966 auf Bitten Küngs von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster auf den zweiten dogmatischen Lehrstuhl in Tübingen berufen worden. Küng erinnert sich an Ratzingers Berufung: „Meine Begründung für die Berufung Ratzingers: Er sei der einzige Kandidat im deutschen Sprachraum, der alle von mir angeführten Kriterien für diesen Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte erfülle; er möge deshalb nicht mit der vorgeschriebenen Dreierliste, sondern, wie in Ausnahmefällen möglich, als einziger Kandidat Senat und Ministerium vorgeschlagen werden“ |28|(Küng 2007, S. 28f.). Küng schreibt in seinem Gutachten: „Das außerordentlich reiche Werk dieses heute 38jährigen Gelehrten, die Spannweite, Gründlichkeit und Ausdauer seines Schaffens, das für die Zukunft noch vieles erwarten lässt, die Eigenständigkeit seiner Forschungsrichtung, welche die Arbeit des zweiten Dogmatikers glücklich ergänzt, aber auch sein großer Lehrerfolg in Bonn und Münster sowie die angenehmen menschlichen Eigenschaften, die eine fruchtbare Zusammenarbeit mit allen Kollegen erwarten lassen, dies alles bildete die Grundlage für die Entscheidung der Fakultät, Joseph Ratzinger dem Großen Senat unico loco für die Besetzung des Lehrstuhles für Dogmatik vorzuschlagen. Seine Berufung nach Tübingen würde auch für die Universität in jeder Hinsicht einen großen Gewinn bedeuten“. Küng bestätigte 2007 – nach allem, was ihm selbst inzwischen durch das kirchliche Lehramt zugefügt worden war – sein damaliges Urteil: „Ich kann noch heute zu diesen Worten stehen“ (Küng 2007, S. 29).

Gotthold Hasenhüttl betonte vielmals, wie stark er von Ratzinger in dessen Tübinger Zeit gefördert wurde. Auch privat gab es zahlreiche Kontakte. Hasenhüttl fuhr Ratzinger, der nie einen Führerschein hatte, zum Beispiel zum Kultusministerium nach Stuttgart, als dieser über die Rahmenbedingungen seines Lehrstuhls in Tübingen verhandelte. Es gab private Einladungen und gemeinsame Essen. Hasenhüttl erinnert sich in einem Interview: „Er hat mir früher sehr geholfen und mich auch bei kirchenkritischen Publikationen durchaus unterstützt (…) Er hat meine Habilitation sehr gefördert und als Dekan dafür gesorgt, dass ich trotz kirchenkritischer Äußerungen eine Dozentenstelle bekam (…) Er ist ein sehr intelligenter Mensch und ein sehr guter Prediger; manches, was er schrieb, ist ganz vorzüglich und eine Relativierung der kirchlichen Hierarchie“ (Spiegel Online, 18. April 2005). Trotzdem erkennt er bei Ratzinger eine grundlegende Ambivalenz: „Er weiß sehr viel, das steht außer Frage. Aber er war schon Mitte der sechziger Jahre, als er in Tübingen lehrte, stockkonservativ. Aus dieser Haltung heraus kann er sehr liebenswürdig und entgegenkommend sein, aber das ändert nichts an seiner Grundhaltung“ (Spiegel Online, 12. Mai 2010).

Joseph Ratzinger ist einer der von Hasenhüttl am meisten zitierten Theologen – und dies oft in zustimmender Weise. Er pflichtet zum Beispiel Ratzinger grundsätzlich bei, „dass es keine trinitarische und christologische Definition gibt, die nicht auf irgendeiner Synode als häretisch verurteilt wurde“ (2001, Bd. II, S. 338f.). Auch Ratzingers Hinweis, dass |29|die Menschwerdung Gottes in Jesus auch unabhängig von einer körperlich verstandenen Jungfrauenschaft Mariens geglaubt werden kann, findet Hasenhüttls volle Zustimmung. Unverständnis allerdings äußert er gegenüber Ratzingers Hinweis auf den Papst als letzte Instanz der kirchlichen Wahrheit. Im Diskurs um das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes schreibt Hasenhüttl kritisch: „Diese Instanz und Institution ist der Garant des rechten Glaubenslebens. Der einzelne garantiert in seiner institutionell verbürgten Wahrheit das Sein in der Wahrheit der vielen einzelnen, die im Gehorsam gegenüber der päpstlichen Unfehlbarkeit ihr Heil sichern. Ratzinger bringt noch deutlicher den Gehorsamsgedanken ein: Der Papst ist Garant des Gehorsams. Wer dem Papst nicht gehorcht, gehört Gott nicht“. Er ergänzt diese Aussagen durch ein Ratzinger-Zitat: „Die eigentliche Aufgabe des Papstes in der Kirche ist, Garant des Gehorsams gegenüber dem nicht zu manipulierenden Wort Gottes zu sein“ (2001, Bd. II, S. 343). Hasenhüttl verweist darauf, dass Ratzinger dies selbst früher schon anders gesehen und allgemein vor Absolutismus gewarnt hat: „Treffend sagt dazu Ratzinger: ‚Monokratie, Alleinherrschaft einer Person, ist immer gefährlich. Selbst wenn die betreffende Person aus hoher sittlicher Verantwortung heraus handelt, kann sie sich in Einseitigkeiten verlieren und erstarren‘. Freilich meint er, dass diese Gefahr in der Kirche nicht bestünde, da die kirchliche Verfassung sich als Gemeinschaftsprinzip mit personaler Verantwortung darstelle“ (2001 Bd. I, S. 30). Ebenso kritisiert Hasenhüttl Ratzingers idealisiertes und ungeschichtliches Priesterbild (vgl. 2001, Bd. II, S. 524).

Umgekehrt äußert sich auch Ratzinger positiv gegenüber dem Werk Hasenhüttls. Nach dem Erscheinen von dessen programmatischer Schrift „Kritische Dogmatik“ (1979) bedankt sich Ratzinger als Erzbischof und Kardinal von München in einem Brief vom 26. November 1979 für die Zusendung dieses Buches und schreibt dem „sehr geehrten, lieben Herrn Kollegen Hasenhüttl“: „Als ich von der Kardinalsversammlung in Rom zurückkam, fand ich Ihre ‚Kritische Dogmatik‘ auf meinem Tisch vor, die Sie mir mit einer freundlichen Widmung zugesandt haben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie bei dem Erscheinen Ihres Buches an mich gedacht haben und danke Ihnen herzlich dafür. Mit meinem Dank habe ich deswegen so lange gewartet, weil ich ihn möglichst erst nach der Lektüre des Buches abstatten wollte, um Ihnen ein paar Gedanken dazu zu sagen. Aber das Gedränge der Geschäfte hat sich gerade in den letzten Wochen als so dicht erwiesen, dass diese Absicht unerfüllt blieb. So habe |30|ich nur ein paar Stichproben lesen können. Wenn ich auch nicht allem zustimmen würde, was da gesagt ist, so glaube ich doch, dass Sie dem Leser eine solide Information und gute Hilfen zum Weiterdenken bieten“. Eine grundsätzliche persönliche Wertschätzung bleibt bestehen: Als Hasenhüttl im Jahr 2000 mit Saarbrücker Theologiestudenten eine Exkursion nach Rom unternimmt, wird er mit den Studierenden vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Ratzinger freundlich zu einem umfassenden Gespräch und Gedankenaustausch empfangen.

Den wohl endgültigen Bruch zwischen Ratzingers und Hasenhüttls theologischen Ansätzen markiert das Buch Hasenhüttls „Einführung in die Gotteslehre“ (1980). Ratzinger ist der Ansicht, dass Hasenhüttl darin grundsätzliche Positionen des kirchlichen Lehramts verlässt. In einem späteren Interview mit „Die Welt“ antwortet der damalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation auf die Frage, wie er Hasenhüttls Engagement auf dem Berliner Ökumenischen Kirchentag bewerte: „Hasenhüttl weiß ja, was Katholischsein bedeutet, und wenn man katholisch ist, dann nimmt man auch das Wesentliche des Katholischen auf sich“. Er schließt eine grundsätzliche Bewertung der Theologie und insbesondere der Gotteslehre Hasenhüttls an und sagt: „Übrigens darf man nicht vergessen, dass Hasenhüttl eine Dogmatik geschrieben hat, in der er uns sagt, dass es Gott als eine in sich seiende Wirklichkeit gar nicht gibt, sondern lediglich ein Begegnungsereignis sei. Insofern ist das, was er auf dem Ökumenischen Kirchentag angestellt hat, noch relativ gering im Vergleich zu dem, was er im Ganzen von sich gegeben hat. Und Hasenhüttl weiß selber, dass das nicht der katholische Glaube ist. Man muss einfach sagen: das ist alles eine Frage der Ehrlichkeit“. Auf die anschließende Frage, ob Ratzinger Hasenhüttl noch für katholisch hält, sagt dieser: „Was im Innersten seines Herzens ist und vorgeht, das überlassen wir dem lieben Gott. Aber was er geschrieben hat, ist nicht katholisch“ (Die Welt, 22. Juli 2003).

Einwände gegen das durch Freiheit und Charismen charakterisierte Kirchenmodell Hasenhüttls kamen auch von damaligen Wiener Kardinal Franz König (1905–2004; Erzbischof 1956–1980). Als das Gremium zur Verleihung des von der Erzdiözese Wien gestifteten Kardinal-Innitzer-Preises 1969/70 einstimmig beschloss, diesen Preis Gotthold Hasenhüttl als Anerkennung für seine Habilitationsschrift über die Kirche zu verleihen, legte König Einspruch ein. Da das Komitee seine begründete Entscheidung für Hasenhüttl nicht revidieren wollte, konnte in diesem Jahr überhaupt kein Preis verliehen werden. Auch die Berufung Hasenhüttls |31|auf den Dogmatik-Lehrstuhl an der Universität Wien scheiterte 1970 am Einspruch konservativer Kontrahenten.

Hasenhüttls Ansehen und Erfolg gerade bei den reformfreudigen Studenten in den Zeiten des Umbruchs im Kontext der Studentenrevolte von 1968 zeigte sich darin, dass er in Tübingen als außerplanmäßiger Professor und Prodekan 1973 zum Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität gewählt wurde. Ein reformiertes Hochschulgesetz des Landes Baden-Württemberg ermöglichte damals eine Drittelparität der Stimmen von Studierenden, akademischem Mittelbau und Professoren. Obwohl die Mehrheit der Professoren der Fakultät bei der Wahl des Dekans nicht für Hasenhüttl stimmte, reichten die Voten der anderen Stimmberechtigten aus. Hasenhüttl übte das Amt des Dekans aus, bis er 1974 als ordentlicher Professor für Systematische Theologie an das Institut für Katholische Theologie der Universität des Saarlandes in Saarbrücken berufen wurde.

Gotthold Hasenhüttl

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