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Beschränkte Freiheit

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Manche Mitglieder der Kirchenverwaltung sahen in der Debatte um die gemeinsame Eucharistiefeier in Berlin einen willkommenen Anlass, mit der Kritik an Hasenhüttls Einladung auch seinen gesamten theologischen Ansatz zu verurteilen. Andererseits mag wohl so mancher Bischof gedacht haben: „Vielleicht gibt es nur eine Ermahnung“. Selbst der damalige Bundespräsident und engagierte Protestant Johannes Rau bezog öffentlich Stellung zugunsten Hasenhüttls: „Der ökumenische Kirchentag war gerade von den jungen Leuten her ein Zeichen dafür, dass sich Institutionen verändern (…) Umso schrecklicher ist für mich die Maßregelung eines Priesters, die ich als evangelischer Christ nicht verstehen kann, ohne da der katholischen Kirche ins Wort fallen zu wollen“ (Spiegel Online 18. Juli 2003).

Eine Woche nach dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin, am 10. Juni 2003, erhielt Hasenhüttl einen vom 5.6.2003 datierten Brief des damaligen Berliner Bischofs und Kardinals Georg Sterzinsky mit der Aufforderung, am 18. Juni 2003 um 17.00 Uhr in dessen Berliner Büro zu erscheinen. Hasenhüttls Bitte, diese sehr kurzfristige Terminierung aufzuheben und sich zunächst schriftlich über die Sachlage auszutauschen, |44|blieb ohne Antwort des Berliner Bischofs. Sterzinsky gab die Angelegenheit an seinen Trierer Amtsbruder Bischof Reinhard Marx weiter.

Das folgende Geschehen beschreibt Hasenhüttl selbst: „Ohne dass Bischof R. Marx nur in irgendeiner Form versuchte, mit mir in Kontakt zu treten, stand am 2.7.2003 um 8 Uhr früh ein Bote des Bischofs an der Tür der Kirche St. Elisabeth, Saarbrücken, wo ich die Messe gefeiert hatte, und fragte mich nach meinem Namen. Darauf übergab er mir folgendes Schreiben“ (2010, S. 162; alle folgenden Dokumente sind vollständig abgedruckt in 2010).

Das Schreiben des damaligen Trierer Bischofs und heutigen Münchener Kardinals Reinhard Marx erkennt in Hasenhüttls Brief an Bischof Georg Sterzinsky vom 10. Juni eine grundsätzliche Verweigerung des Gesprächs. In Absprache mit Bischof Sterzinsky und Hasenhüttls Grazer Heimatbischof Egon Kapellari würde er, Marx, selbst hiermit tätig, da es bei dem Gottesdienst in der Berliner Gethsemanekirche „zu Verstößen gegen kirchenrechtliche Normen“ gekommen sei. Im Einzelnen werden genannt: Katholische Spender dürfen nur katholischen Gläubigen die Sakramente spenden; die im Kirchenrecht vorgesehenen Ausnahmen kämen hier nicht zur Anwendung; es handele sich bei der „praktizierten Interkommunion“ um eine „verbotene Gottesdienstgemeinschaft“. Wer sich in diesen Angelegenheiten „schuldig macht“, muss „mit einer gerechten Strafe belegt werden“ (2010, S. 163). Bischof Marx spricht eine Verwarnung aus und fordert Hasenhüttl auf, seine Handlung zu bereuen und Ähnliches in Zukunft nicht mehr zu tun. Zudem soll Hasenhüttl „eine angemessene Wiedergutmachung der Schäden und eine Behebung des Ärgernisses“ leisten (ebd., S. 166).

Dem Brief des Bischofs liegt eine zur Unterschrift fertige „Erklärung“ bei, in der es heißt: „Mein Verhalten bei der Eucharistiefeier, der ich am 29. Mai 2003 in der Berliner Gethsemane-Kirche vorstand und bei der es durch mich zu erheblichen Verstößen gegen das kirchliche Recht kam, bereue ich. Ich werde mich in Zukunft an die kirchliche Ordnung halten und versprechen, nicht mehr gegen die im Brief von Bischof Dr. Reinhard Marx vom 1.7.2003 genannten Canones zu verstoßen. Mir ist bewusst, dass ich bei weiteren Verstößen gegen die kirchliche Ordnung suspendiert werde. Weil mein Verhalten in der Öffentlichkeit für größeres Aufsehen gesorgt hat, bin ich damit einverstanden, dass die vorliegende Erklärung von der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bischöflichen Generalvikariates Trier veröffentlicht wird“.

|45|Auf Hasenhüttls eindringliche Bitte hin findet am 11. Juli 2003 in Trier ein Gespräch mit dem Bischof statt, obwohl Letzterer offen bekundete, dass er keinen Gesprächsbedarf sehe, und nur darauf drängte, die Unterschrift unter der genannten „Erklärung“ zu leisten.

Hasenhüttl konkretisierte seine Position nach dem Trierer Gespräch in einem Schreiben an Bischof Marx vom 15. Juli 2003, in dem es heißt: „Unabdingbar gehört zu jeder Reue ein Fehlverhalten. Mein angebliches ‚Vergehen‘ besteht darin, dass ich evangelische Christen zum Herrenmahl eingeladen habe. Darin kann ich auch aufgrund Ihres Schreibens keine Schuld erkennen (…) Ihre ultimative Forderung der bedingungslosen Reue und des blinden Gehorsams entspricht in keiner Weise dem, wofür ich in meinem Leben als Priester und Theologe gearbeitet und gekämpft habe (…) Mein Gewissen verbietet mir, Ihnen auf DIESEM Weg zu folgen und die von Ihnen vorgelegte Erklärung zu unterschreiben“ (2010, S. 168).

Darauf antwortet Bischof Marx am 17. Juli: „Ich habe erwartet, dass Sie bis zum 16.7.2003 die Erklärung mit Datum vom 1.7.2003 unterzeichnen. Dem sind Sie nicht nachgekommen (…) Daher suspendiere ich Sie gemäß c. 1333 § 1,1 und 2 CIC mit sofortiger Wirkung. Diese Suspendierung verbietet Ihnen die Ausübung aller Akte der Weihe- und Leitungsvollmacht“ (ebd., S. 170).

Einen Tag nach dem Erhalt des Schreibens mit der Suspendierung legte Hasenhüttl Beschwerde bei Papst Johannes Paul II. ein. Dies hatte bezüglich der Suspendierung aufschiebende Wirkung. In einer Schlussbemerkung führte er aus: „Der letzte Vorwurf ist der, dass ich öffentlich ‚Ärgernis‘ erregt haben soll. Nach Umfragen in Deutschland sind 88 % der Katholiken für eine punktuelle gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft, so dass ich ein ‚Ärgernis‘ nicht erkennen kann (…) Hier geht es auch nicht um ein ‚Mehrheitsvotum‘, sondern um das, was der Hl. Thomas von Aquin ‚instinctus fidei‘ genannt hat. Fast allen katholischen Christen in Deutschland kann wohl nicht der ‚Glaubenssinn‘ abgesprochen werden“ (ebd., S. 177).

Erst am 3. Juni 2004 erreicht Hasenhüttl ein vom 24. April datiertes Schreiben der „Congregatio pro doctrina fidei“, der römischen Glaubenskongregation, unterschrieben von deren Präfekt Kardinal Joseph Ratzinger. Darin wird die Suspendierung wie folgt begründet: „Diese Maßnahme wurde durch einen sehr schwerwiegenden und bedauerliche Vorfall verursacht, dessen sich der genannte Priester während des Ökumenischen Kirchentags in Berlin am 29. Mai 2003 schuldig gemacht hat, als er bei |46|der heiligen Messe, die er in der Gethsemane-Kirche feierte, alle anwesenden Christen zum Kommunionempfang einlud“ (2010, S. 184). Am Ende heißt es: „Zugleich möchte die Kongregation ihre Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass Herr Hasenhüttl die Lehre und Disziplin der Kirche in dieser wichtigen Angelegenheit annimmt, sein Verhalten bereut und ernsthaft verspricht, sich in Zukunft an die kirchliche Ordnung zu halten“ (ebd., S. 188). Für diesen Fall wird die Aufhebung der Suspendierung in Aussicht gestellt.

Einen juristisch möglichen zweiten Rekurs gegen die Entscheidung legt Hasenhüttl einen Tag nach Erhalt des Briefes der Glaubenskongregation am 4. Juni 2004 ein. In dem entsprechenden Brief an den Vorsitzenden Kardinal Ratzinger heißt es unter anderem: „Hätte ich die anwesenden Christen nicht zum Kommunionempfang eingeladen, hätte ich die jesuanischen Worte Lügen gestraft, denn ich betete im Kanongebet: ‚Nehmet und trinket alle daraus‘. ‚Alle‘ sind doch nicht nur Katholiken, sondern jeder, der Gemeinschaft mit Christus haben möchte, die Eucharistie von eine gewöhnlichen Speise unterscheidet und sich keiner schweren Schuld bewusst ist. Hätte ich mich anders verhalten, hätte ich mich schwer schuldig gemacht“ (2010, S. 191).

Am 4. Dezember 2004 erhielt Hasenhüttl das am 12. November 2004 von Kardinal Ratzinger unterschriebene Dekret der Glaubenskongregation. Darin heißt es, dass auch nach dem zweiten Einspruch Hasenhüttls von den Mitgliedern der Glaubenskongregation „kollegial entschieden“ wurde, „den genannten Rekurs zurückzuweisen“ (2010, S. 199). In der am 12. November „dem unterzeichneten Kardinalpräfekt gewährten Audienz hat Papst Johannes Paul II. die vorliegende, von der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation getroffene Entscheidung approbiert“ (ebd., S. 203).

Am 2. Januar 2006 teilte der Bischof von Trier, Reinhard Marx, Hasenhüttl mit, dass er ihm auch die kirchliche Lehrerlaubnis, das „Nihil obstat“ entziehe. Hasenhüttl wandte sich am 16. Januar direkt an den inzwischen zum Papst Benedikt XVI. gewählten Joseph Ratzinger. Er erinnerte unter anderem daran, dass dieser selbst beim Requiem für seinen Vorgänger, Papst Johannes Paul II., dem Prior und Gründer der Kommunität von Taizé, Frère Roger Schutz, die Hl. Kommunion reichte, obwohl dieser nicht katholisch ist. Zudem betonte er, das Kultusministerium des Saarlandes habe den Bischof von Trier darauf aufmerksam gemacht, dass Hasenhüttl auch nach seiner Pensionierung 2002 noch fünf Studierende |47|zu prüfen habe, die bei ihm Vorlesungen und Seminare belegt hatten, und dass diese unter einem besonderen Vertrauensschutz stehen. Deswegen sollte der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis zumindest bis zum Ende der Prüfungen aufgeschoben werden. Der Brief schließt mit den Sätzen: „Heiliger Vater, Sie haben 1969 meine Dozentur in Tübingen unterstützt, 1979 in München meine ‚Kritische Dogmatik‘ positiv bewertet und 2000 mit meinen StudentInnen und mir einen fruchtbaren Dialog in der Glaubenskongregation geführt. Sie kennen mich und meine kritische Loyalität gut, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie der ungerechten Vorgehensweise des Bischofs von Trier zustimmen können. Das Kirchenrecht ist für den Menschen da und nicht der Mensch für das Kirchenrecht. Daher beantrage ich, dass Sie, Heiliger Vater, veranlassen mögen, dass der Entzug der Lehrerlaubnis rückgängig gemacht wird. Auch hoffe ich, dass es keinen Grund mehr für meine Suspendierung gibt“ (2010, S. 210).

Der neue Vorsitzende der Glaubenskongregation und damit Nachfolger von Kardinal Ratzinger in diesem Amt, Kardinal William Levada, antwortete in einem Schreiben vom 22. April 2006 und bestätigte im Auftrag des Papstes Benedikt XVI. die Aberkennung des „Nihil obstat“ durch den Trierer Bischof mit dem Hinweis auf einen weiteren, letztmöglichen Rekurs. Dieser Einspruch Hasenhüttls erfolgte am 2. Mai 2006 und wurde durch ein erneutes Schreiben der Glaubenskongregation vom 2. Juni wiederum abgelehnt. Ein weiterer letzter Brief Hasenhüttls an Papst Benedikt XVI. vom 22. Juni wurde am 15. November von Assessor Gabriel Caccia beantwortet: „Seine Heiligkeit hat von Ihren Zeilen Kenntnis erhalten. Ich muss Ihnen jedoch mitteilen, dass kein Grund zu einer neuerlichen Prüfung Ihres Falles besteht“ (2010, S. 231).

Beim zweiten Ökumenischen Kirchentag in München unter dem Motto „Damit ihr Hoffnung habt“ feierte Gotthold Hasenhüttl zusammen mit dem protestantischen Pfarrer Eberhard Braun am 15. Mai 2010 wiederum einen Gottesdienst, bei dem alle Mitfeiernden zum gemeinsamen Mahl eingeladen wurden. Da auch die evangelische Kirche dazu offiziell kein Gotteshaus zur Verfügung stellte, fand der Gottesdienst in den Räumen der Universität statt.

Im gleichen Jahr, am 28. September 2010, trat Gotthold Hasenhüttl aus der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts aus. Bereits viel früher hatte er die Unterscheidung zwischen Christsein und der Mitgliedschaft in der verfassten Kirche thematisiert. Die seit dem Mittelalter |48|aufgeworfene Frage, ob auch außerhalb der Kirche Heil und gelingendes Leben möglich sei, beantwortete er auf seine Weise: „Aus der Beschreibung des Christentums geht hervor, dass es eine wirkliche Identität zwischen ihm und den faktischen Kirchen nicht gibt. Daher ist Christsein voll und ganz außerhalb einer institutionellen Kirche möglich. Es kann durchaus der Fall eintreten, dass das ‚Außerhalb‘ für mich sogar geboten ist, wenn mein Christsein durch eine Kirche beschädigt wird“ (2001, Bd. II, S. 372, vgl. bereits 1972, bes. S. 88).

Als der Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann nach langen Auseinandersetzungen mit dem kirchlichen Lehramt an seinem 65. Geburtstag am 20. Juni 2005 aus der katholischen Kirche austrat, sagte er, er empfinde diesen Schritt als einen Akt der Befreiung und insofern auch als Geburtstagsgeschenk. Hasenhüttl konnte dieser Erfahrung von Freiheit bei seiner eigenen Entscheidung nachdrücklich zustimmen – trotz Enttäuschung und Schmerz. Ausdrücklich aber bleibt er in der Glaubensgemeinschaft und insofern in der Nachfolge Jesu.

Gotthold Hasenhüttl

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