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Während der Fahrt nach Soho rief uns Orry an und berichtete uns von der Aussage des Obdachlosen.

Auch wenn hinter der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen ein erhebliches Fragezeichen stand, so schien seine Aussage doch ins Bild zu passen.

Demnach war Kelly nicht in Brooklyn umgebracht worden, sondern irgendwo anders.

Und es spielte eine Frau mit...

Janet Carino wohnte in einem Wohnkomplex, bei dem es sich ehedem um eine Fabrikanlage gehandelt hatte. Aber das war Jahrzehnte her. Aus den Hallen waren ultramoderne Wohnheiten geworden, denen ein futuristischer Charme eigen war. Wir stellten den roten Sportwagen in einer Seitenstraße ab. Robert Leslie parkte seinen Ford ganz in der Nähe. Die letzten paar Meter bis zu Janet Carinos Adresse gingen wir zu Fuß.

"Ich frage mich, wie sie sich eine solche Adresse leisten kann", meinte Milo.

"Ein Luxus-Call-Girl mit entsprechend gutsituierten Gönnern - so schätze ich Janet Carino ein", meinte Robert Leslie. "Warum sollte sie sich das hier nicht leisten können?"

Es ging einen schmalen Weg entlang, dann eine Treppe hoch.

Ein breiter Balkon führte, dem seine Vergangenheit als Laderampe nur noch mit sehr viel Fantasie anzusehen war, führte bis zu einer Schiebetür.

Milo betätigte die Klingel.

Von oben surrte eine Kamera. Dieses elektronische Auge drehte sich so lange, bis wir anscheinend gut im Bild waren.

Die Tür öffnete sich.

Offenbar per Fernbedienung, denn es stand niemand dahinter.

Wir betraten einen großen, hallenartigen Raum. Die ersten Meter im Bereich um den Eingang waren mit kostbaren Terrakotta-Fliesen bedeckt, der Rest mit Teppichboden. Der weiche Teppichboden sorgte dafür, dass von unseren Schritten so gut wie gar nichts zu hören war. Treppen führten hinauf aufs Plateaus. Wände standen im Raum, reichten aber kaum höher als zwei Meter fünfzig, während diese Halle mehr als fünf oder sechs Meter hoch sein musste.

An den Wänden hingen großformatige Poster und Wandteppiche.

Janet Carino saß auf einem großen Ledersofa, das in jeder Wohnung mit Normalmaße klobig gewirkt hätte.

Sie hielt eine Fernbedienung in der Hand, drückte einen Knopf darauf und die Tür schloß sich hinter uns.

Dann stand sie auf. Sie trug enganliegende Jeans und ein T-Shirt, das sich hautnah an ihren Körper schmiegte.

Wir gingen auf sie zu.

"Guten Tag, Gentlemen", sagte sie, rieb dabei die feingliedrigen Hände gegeneinander. "Was kann ich für Sie tun..." Sie lächelte. "Lassen Sie Ihre Ausweise ruhig stecken. Ich erinnere mich noch gut an Sie..."

"War Mister Arnold Kelly gestern Abend bei Ihnen?", fragte ich.

Sie musterte mich mit ihren meergrünen Katzenaugen. Ihr Lächeln war kalt und geschäftsmäßig. Ihre Zähne blitzen auf.

"Wollen Sie nicht erst einmal einen Drink, Mister Trevellian?"

"Eigentlich wäre mir eine klare Antwort auf eine klare Frage sehr viel lieber..."

Sie seufzte. Ihr Augenaufschlag war gekonnt. Professionell, konnte man sagen. Vielleicht wäre sie in einem anderen Leben eine gute Schauspielerin geworden.

"Nach wie vielen Dienstjahren beim FBI bekommt man diese besondere Sturheit, Mister Trevellian?", fragte sie dann. Ihr Busen hob und senkte sich dabei. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem beinahe spöttischen Lächeln.

"Arnold Kelly ist heute Morgen erschossen aufgefunden worden", sagte ich kühl. "Und wir haben jetzt ein paar ernsthafte Fragen an Sie."

"Oh", sagte sie.

Der Tod Kellys schien sie nicht im Mindesten zu berühren.

"Sie scheinen nicht sehr überrascht", stellte ich fest.

"Das Leben ist gefährlich", sagte sie, zischend wie eine Schlange.

"Ich habe noch Ihren Spruch in Erinnerung, als ich Ihnen von Parisis Tod berichtete..."

"So?"

"Das Leben geht weiter."

"Entsprach das nicht der Wahrheit?"

"Es scheint gefährlich zu sein, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Carino!"

"Übertreiben Sie nicht."

"Parisi und Kelly sind jedenfalls tot. Ganz zu schweigen von Lawton und McCarthy, Parisis Leibwächter, an deren Namen Sie sich angeblich nicht erinnerten..."

"Irre ich mich oder höre ich da eine Unterstellung heraus, Mister Trevellian?"

"Ich stelle nur gewisse Parallelen zwischen verschiedenen Todesfällen fest."

"Ach!"

"Diese Männer starben alle durch dieselbe Waffe, auf dieselbe Weise... Jemand muss sie sehr gehasst haben..."

Janet schluckte. Eine leichte Röte überzog ihr hübsches Gesicht, das nun von Anspannung gezeichnet war. Ich schien da irgendeinen entscheidenden Punkt bei ihr berührt zu haben.

"Stellen Sie Ihre Fragen, Mister Trevellian. Und dann gehen Sie wieder!"

"Meinetwegen", sagte ich. "Frage Nummer eins hatte ich schon gestellt und Sie hatten inzwischen Zeit genug, sich eine Antwort zu überlegen: Wann war Mister Kelly gestern Abend hier?"

"War er das?"

"Spielen Sie mit uns nicht Katz und Maus, Miss Carino!"

"Er war nicht hier."

"Wir haben eine Zeugin!"

"Dann lügt diese Zeugin. Kelly war nicht hier. Punkt. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."

"Wo waren Sie gestern Nacht zwischen zehn und Mitternacht?"

Sie sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an. Ihr Lächeln gefror.

"Sie wollen allen Ernstes ein Alibi?"

"Weichen Sie nicht aus!"

"Ich war hier."

"Allein?"

"Allein." Sie zuckte die Achseln. "Es ist nicht strafbar, allein in seiner Wohnung zu sein, oder?"

Ich kam nicht dazu, zu antworten. Die Türklingel ertönte.

Alle im Raum erstarrten einen Augenblick.

"Wer kann das sein?", fragte ich.

"Ich habe keine Ahnung", erwiderte Janet Carino. "Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich jetzt die Tür öffnen..."

Jetzt mischte sich Robert J. Leslie in das Gespräch ein.

"Bleiben Sie, wo Sie sind, Miss Carino!", bestimmte er.

Leslie ging zum Kontrollmonitor.

"Drücken Sie auf den Knopf links, dann betätigen Sie die Sprechanlage", erläuterte Janet.

"Scheint der Postbote zu sein", meinte Leslie. Er betätigte die Sprechanlage. "Was möchten Sie?"

"Ein Einschreiben für Janet Carino", kam es durch die Sprechanlage.

Janet hob die Fernbedienung. Die Tür öffnete sich in der nächsten Sekunde. Der Postbote griff zu der schweren Tasche, die er über der Schulter trug. Er riss etwas heraus. Eine zierliche MPi vom Typ Uzi.

Den Bruchteil eines Augenblicks später blitzte das Mündungsfeuer rot auf.

Die Uzi knatterte los. Ein halbes Dutzend Kugeln durchbohrte Agent Leslie, noch ehe er auch nur den Griff seiner P226 berührt hatte.

Killer im August: 11 Thriller

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