Читать книгу Wahre Wunder geschehen manchmal: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 25
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Stefanie Behrensen konzentrierte sich auf die internationale Turmspringer-Veranstaltung. Erik Frings ließ seinen Star so gut wie möglich abschirmen.
Keine Interviews vor dem Wettbewerb. Die Reporter nannten das unfair, aber der Trainer blieb hart. Um gegen die starke Konkurrenz aus dem Ausland, vor allem aus Übersee bestehen zu können, würde Stefanie ihre ganze physische und psychische Kraft aufbieten müssen, und Journalisten konnten manchmal sehr gemeine Fragen stellen.
Stefanie hatte sich manchmal schon tagelang über die brutale, indiskrete Art von Reportern geärgert. Das sollte ihr hier in Berlin erspart bleiben.
Sie bereitetes sich gewissenhaft auf den Wettkampf vor, und ihre Freizeit verbrachte sie mit ihrem guten Freund Robert, der sich natürlich sehr darüber freute.
Schließlich war er schrecklich gerne in ihrer Nähe. Es machte ihn glücklich, mit ihr zusammen zu sein, mit ihr über sportliche und private Dinge zu reden, mit ihr zu albern und sie zum Lachen zu bringen.
Gott, das Leben hätte so wunderschön sein können, wenn es Matthias Wylander nicht gegeben hätte! Einem unbeschwerten Glück mit Stefanie wäre dann wohl kaum etwas im Wege gestanden. Aber es gab Matthias Wylander, und er rief Stefanie jeden Tag an. Robert Rahner verwünschte alle Telefone der Welt. Nichts wie Kummer und Ärger hatte man damit.
Sie hatten die Stadtrundfahrt gemacht und viel gesehen. „Hier muss ich unbedingt noch mal herkommen“, hatte Stefanie Behrensen begeistert gesagt. „In ein paar Jahren. Wenn sich der Rummel um meine Person gelegt hat. Damit ich völlig unbehelligt über die breiten Chaussees flanieren und in einem dieser hübschen Straßencafes sitzen kann. O Robert, ich habe mich in diese Stadt verliebt.“
Er hatte gegrinst und kopfschüttelnd gemeint: „In was du dich so alles verliebst.“
„Ich habe ein sehr großes Herz.“
„Mit sehr viel Liebe drin?“
„Mit sehr viel Liebe drin.“
„Auch für mich?“
„Auch für dich.“
Jetzt befand sich Robert bei ihr im Zimmer. Sie waren in einem erstklassigen Hotel untergebracht. Roberts Zimmer befand sich in derselben Etage am anderen Ende des Ganges.
Auf dem Fernsehapparat lag Flippy, der Stoffdelphin. „Du hast ihn mitgebracht“, stellte Robert erfreut fest.
„Klar. Ich trete keine Reise mehr ohne ihn an, und er muss auch bei jedem Wettbewerb dabei sein. Dazu hat man schließlich einen Talisman, nicht wahr? Du hast mir damit eine riesengroße Freude gemacht, Robert.“
„Ehrlich?“, fragte Robert heiser.
„Ehrlich.“
Robert dachte an sein Gespräch mit dem Trainer. Frings hätte es gern gesehen, wenn er und Stefanie sich privat nähergekommen wären.
Aber da war Matthias Wylander. Der Verführer. Der Don Juan, der genau wusste, wie man eine Frau behandelte, der Erfahrung in diesen Dingen hatte, und jede Menge Übung. Dem kann ich doch nicht das Wasser reichen, ging es Robert durch den Sinn. Andererseits ... Sie waren in Berlin, weit, weit weg von München, weit, weit weg von Matthias ...
„Was sind das für Kummerfalten auf deiner Stirn?“, fragte Stefanie lächelnd. Sie strich mit den Fingerspitzen leicht darüber, um sie zu glätten.
Robert hätte sie am liebsten hart gepackt, wild an sich gerissen und leidenschaftlich geküsst. Es ging fast über seine Kräfte, sich zu beherrschen.
„Woran denkst du?“, wollte Stefanie wissen.
„An morgen“, log er.
„An den Wettkampf?“
„Ja“, sagte Robert nervös.
„Was für ein Gefühl hast du?“
„Wenn du nicht ausfällst, kann Deutschland sehr gut abschneiden“, erklärte Robert.
Stefanie schmunzelte. „Alle Hoffnungen liegen mal wieder auf meinen schwachen Schultern.“
„Wirst du diesem Druck gewachsen sein?“
„Ich habe Gott sei Dank gute Nerven“, erwiderte Stefanie.
„Du bist unsere Nummer eins.“
„Flippy wird dafür sorgen, dass ich die guten Leistungen, die ich im Training geboten habe, auch im Wettkampf bringe“, sagte Stefanie überzeugt.
Es knisterte plötzlich zwischen ihnen. Sie spürten es beide, und sie wurden sehr ernst. Roberts Nerven vibrierten. Er konnte sich kaum noch zurückhalten.
„Stefanie ...“, murmelte er heiser.
„Ja, Robert?“ Sie sah ihm in die Augen und entdeckte ein unbändiges Verlangen in ihnen.
Er fasste mit beiden Händen nach ihrer schmalen Taille. Die Hitze ihres jungen Körpers strömte durch seine kalten Finger. Sie wusste, dass sie ihn jetzt hätte zurückweisen müssen, aber sie konnte es nicht.
Ihr versagte die Stimme, als sie sah, dass sein Gesicht immer näher kam. Um Himmels willen, du wirst dich von ihm doch nicht küssen lassen!, rief eine Stimme in ihr. Das darf nicht sein! Denk an Matthias!
Sie war wie gelähmt. Ihr Herz raste.
Ameisenstraßen befanden sich unter ihrer Haut. Sie war nicht fähig, irgend etwas zu tun. Und Roberts Gesicht war schon ganz nahe. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihren Wangen. Gleich würden sich seine Lippen auf ihren Mund legen, und es würde kein harmloser Freundschaftskuss sein, den er ihr gab. Gleich ... Gleich ... Jetzt... Jetzt... Plötzlich läutete das Telefon. Der wunderbare Augenblick zerplatzte wie eine hauchdünne Seifenblase. Stefanie zuckte wie unter einem Stromstoß zusammen und riss sich von Robert los. Im selben Moment war die ganze Situation wieder völlig „normal“. Stefanie war nicht mehr verzaubert. Sie konnte sich wieder bewegen, klar denken, sprechen... Sie war wieder Herr ihrer Sinne. Verständlich, dass Robert den Apparat am liebsten aus dem Fenster geworden hätte.
„Ja, hallo?“, meldete sich Stefanie. Erik Frings war am anderen Ende. „Weißt du, wo Robert ist? Ich kann ihn in seinem Zimmer nicht erreichen.“
„Das wundert mich nicht“, lachte Stefanie.
„Wieso?“
„Weil er hier ist.“
„Ach so. Gibst du ihn mir mal?“
„ Klar.“ Sie hielt Robert den Hörer hin. „Erik für dich.“
Ich könnte ihn erwürgen, dachte Robert, nahm den Hörer und sagte: „Ja, Erik, was gibt’s denn?“
„Hör zu, Robert, ich möchte, dass du morgen die Fahne trägst.“
Die Fahne! Es war zum Schreien. Wegen dieser Unwichtigkeit hatte Erik alles verdorben. Den dünnen Hals sollte man dir umdrehen!, dachte Robert empört. Was vorhin war, lässt sich nie mehr wiederholen. Du hast mir die einzige Chance, die ich hatte, mit diesem verfluchten Anruf kaputtgemacht! Robert hätte am liebsten gebrüllt, Erik solle sich die Fahne an den Hut oder sonstwohin stecken.
Er war wie erschlagen. „Die Fahne. Morgen. Ja. Ich fühle mich geehrt“, sprach er wie ein Automat und legte auf. Er sah Stefanie an und sagte: „Er möchte, dass ich morgen die Fahne trage.“
„Das ist wirklich eine große Ehre“, nickte Stefanie.
„Eine sehr große Ehre, ja.“
Sie spürten, dass es vorbei war. Stefanie war froh darüber. Und Robert stimmte es sehr traurig.
„Stefanie ...“, begann er gepresst.
„Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, erwiderte sie leise.
Er nickte niedergeschlagen. „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Mit hängenden Schultern schlich er aus dem Zimmer. Wie ein geprügelter Hund sah er aus, und er tat Stefanie sehr leid.