Читать книгу Wahre Wunder geschehen manchmal: Arztroman Sammelband 4 Romane - A. F. Morland - Страница 28
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Der Spaß fiel ziemlich heftig aus. Die Freunde versackten so total, dass Matthias Wylander überhaupt nicht mehr mitbekam, was lief. Am nächsten Morgen wachte er nicht auf, er kam zu sich. Ihm war, als hätte er eine bleierne Ohnmacht hinter sich. Oder fühlte man sich so, wenn man im Koma gelegen hatte? Er hatte Gliederschmerzen und Kopfweh. Seine Augen waren extrem lichtempfindlich, und er war sicher, dass seine Ohren keinen Lärm vertrugen.
Es ging ihm schlecht. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, und ihm war, als wäre er irgendwann in der vergangenen Nacht unter einen Autobus geraten. Teufel, das hat sich ausgezahlt, ging es ihm durch den Sinn. Wenn du was anstellst, dann aber richtig, was? Schwer benommen fragte er sich, wie er nach Hause gekommen war. Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.
Nach Hause? Moment mal. War er denn überhaupt zu Hause? Was seine kranken Augen wahrnahmen, kam ihm fremd vor. Nein, er war nicht zu Hause.
Aber wo war er? Bei Kurt? Er seufzte. Ein schwerer Stein schien auf seiner Brust zu liegen. Er konnte nicht richtig durchatmen.
Geistig und körperlich angeschlagen, ließ er noch einmal Revue passieren, woran er sich erinnern konnte. Er hatte sich mit Kurt um zwanzig Uhr getroffen, und dann waren sie ihre altgewohnten Stationen angelaufen, eine nach der anderen. Und überall hatten sie Freunde und Bekannte getroffen, und mit allen hatten sie was getrunken. Und irgendwann war dann der Faden gerissen. Von da an gähnte in Matthias’ Gedächtnis eine pechschwarze Leere. Das schwarze Loch, das alles verschlingt, dachte Matthias leidend, es befindet sich nicht im Weltall, sondern in meinem Schädel.
Kurt musste sich mit ihm ganz schön abgeschleppt haben. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er auf seinen eigenen Beinen hierher gekommen war.
Ihm war nach duschen, und er hatte Durst, aber er wagte nicht, aufzustehen. Er befürchtete, neben dem Bett zusammenzubrechen. Ob er rufen sollte? Es war so still. Vielleicht war gar keiner da. Nimm dich zusammen!, ermahnte sich Matthias. Lass dich nicht so gehen! Trag die Strafe für die vergangene Nacht mit Anstand und Würde! Nimm sie hin wie ein Mann!
Plötzlich bewegte sich jemand. Im Bett! Neben ihm! Er war sofort stocknüchtern und hellwach. Es lag jemand neben ihm! O Gott!
Er warf sich herum, krallte die Finger in die gemusterte Steppdecke und riss sie von einem Gesicht, auf dem wirres blondes Haar lag.
Er ahnte trotzdem sofort, mit wem er die Nacht verbracht hatte. Eine Nacht, an die er sich nicht erinnern konnte. Aber wer würde ihm das schon glauben?
Eine schmale Mädchenhand tauchte auf und strich das Haar nach links und rechts zur Seite, und zum Vorschein kam ein sehr hübsches Gesicht.
Das Gesicht von Uschi Lang! Sie lächelte ihn so selig an, dass er augenblicklich begriff, was in der Nacht passiert war. Dieses Lächeln ließ keinen anderen Schluss zu.
„Uschi“, stieß er perplex hervor.
Sie schlang die Arme um seinen Nacken und gab ihm einen schmatzenden Kuss. „Hi.“
„Was, was tust du hier?“
Sie kicherte. „Eine komische Frage. Findest du nicht?“
„Wieso?“
„Ich bin in meinem Bett“, sagte die blonde Uschi.
„In deinem...“
„Bett, jawohl.“
Matthias Wylander fuhr sich verwirrt über die Augen. „Und ich ...“
Uschi schmunzelte. „Dich hab’ ich mitgenommen.“
„Warum hast du das getan?“
Uschi zuckte die Schultern. „Ich mag dich noch immer.“
„Aber du weißt doch, dass ich ...“
Sie legte ihm die Finger auf die Lippen. „Ich war allein, du warst allein, ich hab’ einfach nicht eingesehen, warum wir nicht zusammen die Nacht verbringen sollten. Du warst goldig. So anlehnungsbedürftig.“
„Hast du mich hierher geschafft?“ Uschi Lang nickte. „Ja.“
„Allein?“
„Ja“, antwortete Uschi.
„Das glaube ich dir nicht!“
„Na ja, der Taxifahrer hat mir geholfen, dich die Treppe hochzuschleppen“, bekannte Uschi.
„Wo war Kurt?“, wollte Matthias mit belegter Stimme wissen.
„Wir haben ihn irgendwann unterwegs verloren.“
Matthias schluckte aufgeregt. „Wieso sind wir uns begegnet?“
„Kurt hat mich angerufen.“
Matthias riss entgeistert die Augen auf. „Er hat, was getan?“
„Da hatte sich so ein rothaariges Flittchen an seinen Hals gehängt. Er brauchte jemanden, der sich um dich kümmert, um sich mit der Rothaarigen ungestört amüsieren zu können, und da bin ich ihm als erste eingefallen.“
„Was, was haben wir getan?“, fragte Matthias stockend.
Uschi lachte leise. „Sag bloß, das weißt du nicht!“
„Ich habe keine Ahnung.“
Uschi schmunzelte. „Jetzt glaube ich dir nicht.“
„Es ist wahr. Ich war geistig total hinüber.“
„Körperlich zum Glück nicht“, grinste Uschi.
„Es war verdammt unfair, meine Situation so schamlos auszunutzen, Uschi“, sagte Matthias vorwurfsvoll.
Sie piekste ihn mit ihrem langen, spitzen Fingernagel. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass es dir sehr unangenehm war. Du hast nicht um Hilfe gerufen, hast auch gar keine Hilfe nötig gehabt.“
Wut kochte in ihm. Wut und Empörung.
„Du bist nach dieser Nacht bestimmt sehr hungrig“, meinte Uschi und stand auf. Sie war splitterfasernackt, aber sie genierte sich nicht vor ihm. „Ich mach’ uns jetzt ein leckeres Kraftfrühstück, und danach... Ich hätte nichts dagegen, wenn alles noch mal von vorn losginge.“
Sie schlüpfte in ihren seidenen Kimono und ging hinaus. Während sie in der Küche mit dem Geschirr klapperte, zog Matthias sich hastig an. Frühstück, er pfiff drauf. Er hätte sowieso keinen Bissen hinuntergebracht.
Uschi stellte zwei Kaffeetassen auf den Servierwagen, schnitt mit dem Käsehobel dünne Käsestreifen ab, holte die Erdbeer und die Aprikosenmarmelade aus dem Kühlschrank ... Und dann fiel die Wohnungstür krachend zu.
Uschi trat aus der Küche. „Matthias?“ Er antwortete nicht. Sie warf einen Blick ins Schlafzimmer. „Matthias?“ Doch der Jungunternehmer war nicht mehr da.
Er erwischte unterwegs ein Taxi. Der Fahrer betrachtete ihn mit scheelem Blick, schließlich war Matthias weder korrekt gekleidet noch rasiert. Er machte einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Matthias blaffte die Adresse, zu der er so schnell wie möglich gebracht werden sollte. Der Fahrer musterte ihn argwöhnisch.
„Was gucken Sie mich so komisch an?“, fragte Matthias gereizt. „Denken Sie etwa, ich kann die Fahrt nicht bezahlen?“ Er warf fünfzig Mark auf den Beifahrersitz. „Hier. Das müsste ja wohl reichen, sogar mit einem fetten Trinkgeld für Sie.“ Am Ziel der Fahrt sprang Matthias aus dem Wagen und verschwand in einem modernen Apartmenthaus. Wenig später läutete er an Kurt Veltins Tür Sturm.
Schlaftrunken öffnete der Freund. „Du? Sag mal, bist du noch zu retten? Wieso bist du schon auf? Was willst du mitten in der Nacht hier?“
„Ich habe mit dir ein Hühnchen zu rupfen“, dröhnte Matthias.
Kurt Veltin legte den Finger auf seine Lippen. „Pst! Nicht so laut.“
„Pennt das rothaarige Früchtchen noch?“
Kurt sah Matthias ärgerlich an. „Sie heißt Claudia und sie ist kein ...“
„Hör mal, du musst gestern Nacht von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Wie konntest du Uschi anrufen?“ Kurt hob die Schultern. „Ich brauchte mehr Spielraum für Claudia.“
„Warum hast du mich nicht nach Hause geschickt?“
„Das habe ich ja getan“, erwiderte Kurt, „aber du bist nicht gegangen. Du wolltest mir Claudia ausspannen.“
„Ich?“ Matthias tippte sich an die Stirn. „Du tickst ja nicht richtig.“
„Ganz verrückt warst du nach Claudia. Wolltest einfach nicht die Finger von ihr lassen. Da habe ich in meiner Not Uschi auf dich angesetzt.“
„Weißt du, was du damit angerichtet hast? Begreifst du das mit deinem Spatzenhirn überhaupt?“, schrie Matthias.
„Junge, ich verstehe deine Aufregung nicht.“ Kurt grinste anzüglich. „Uschi war doch bestimmt sehr lieb zu dir.“
Matthias Wylander holte aus und schlug seinen Freund Kurt kraftvoll nieder.