Читать книгу Arztroman Sammelband 8 Romane Februar 2020 - A. F. Morland - Страница 13
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ОглавлениеDie Spiel- und Wettleidenschaft, die Katjas Bruder vorhin angesprochen hatte, war eine echte Belastung für die Ehe der jungen Ärztin.
Wenn sie ihren Mann nicht so sehr geliebt hätte, wäre dies ein triftiger Grund gewesen, sich von ihm zu trennen, bevor er sie mit in den Abgrund riss, dem er bereits vor geraumer Zeit beängstigend nahe gekommen war. Doch da sie trotz allem Kummer nicht ohne Norbert leben wollte, war es ihr unmöglich, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen und so zu tun, als ginge er sie nichts an, als wäre er für sie nichts weiter als irgendein x-beliebiger Fremder.
Norbert war selbständiger Handelsvertreter. Derzeit ging das Geschäft nicht besonders gut, aber wenn er die Finger von den Karten ließ, so dass sich nicht wieder ein neuer erdrückender Schuldenberg anhäufte, den abzubauen sie in der Vergangenheit jedes Mal sehr viel finanzielle Substanz gekostet hatte, brauchten sie nicht am Hungertuch zu nagen.
Katja ging in die Küche und holte sich ein Glas Orangensaft, dann warf sie einen Blick in Norberts Büro. Walnussgetäfelte Wände, zum Bersten volle Holzregale, auf dem großen Schreibtisch eine pilzförmige Lampe, ein PC, ein Laserdrucker, ein Telefon, ein Faxgerät, ein Modem, ein Laptop, Norberts Handy …
Norberts Handy!
Er ging niemals ohne dieses Ding aus dem Haus, um immer und überall für jedermann erreichbar zu sein, damit ihm kein gutes Geschäft entging. Wenn Norberts Mobiltelefon hier war, musste auch er hier sein. Es war noch nie vorgekommen, dass er das Handy (seit er eines besaß) zu Hause vergessen hatte. Oder doch. Einmal.
Aber da war er fast hundert Kilometer zurückgefahren, um es zu holen.
„Norbert?“ Katja verließ das Büro ihres Mannes. Sie trank den Orangensaft und stellte das Glas weg. War Norbert oben im Schlafzimmer? Hatte er sich hingelegt? War er müde? Fühlte er sich nicht wohl?
Er hatte seit fast einem Monat nicht mehr gespielt, hatte jeglicher Versuchung widerstanden und wacker gegen seine bedrohliche Sucht angekämpft.
„Norbert!“ Katja stand unten vor der Treppe und rief nach oben. Ihr Mann antwortete nicht. Hatte er doch zum ersten Mal sein Handy vergessen? Alles passiert irgendwann einmal zum ersten Mal, dachte die Ärztin, während sie langsam die Stufen hinaufstieg.
Im Obergeschoss blieb sie kurz stehen. Die Stille im Haus war erdrückend. Wie bedauernswert sind Menschen, die das Schicksal zwingt, ihr Leben lang allein zu sein und immer in einer so grausamen Stille leben zu müssen, dachte Katja. Ohne Aussicht, dass sich daran jemals etwas ändert.
Die Tür zum Bad war offen. Das Licht der Sonne durchdrang das gerippte Glas des großen Fensters und ließ die Bodenfliesen auf eine beinahe unnatürliche Weise strahlen. Katja ging daran vorbei und öffnete die Schlafzimmertür. Norbert war da. Er lag angezogen auf dem Bett und schlief. Nicht einmal die Schuhe hatte er abgestreift. Wenn er das in einem dieser amerikanischen Filme sieht, beredet er es immer, dachte die Ärztin, und jetzt macht er es schon selbst.
Katja Arndt trat näher. Norbert schnarchte. Um diese Zeit! Katja beugte sich über ihn. Irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein.
Die Ärztin glaubte, das fühlen zu können. Sie hatte eine Antenne für unangenehme Dinge. Hatte Norbert getrunken? War er betrunken?
Sie roch tatsächlich Alkohol. Auf dem Nachttisch stand ein Whiskyglas. Waren irgendwelche Probleme aufgetreten? Hatte Norbert sie im Schnaps ertränkt?
Warum hat er mich nicht in der Klinik angerufen?, ging es Katja durch den Sinn. Ich hätte mir frei genommen, wäre heimgefahren, wir hätten reden können. Sich zu betrinken ist nur eine scheinbare Lösung. Eine Lösung für den Augenblick, denn wenn man aufwacht, ist das Problem noch immer da und in vielen Fällen sogar noch größer geworden. Plötzlich fuhr ihr ein eisiger Schreck in die Glieder. Neben dem Whiskyglas lag ein Glasröhrchen. Es war leer. LEER!
„O mein Gott!“, stieß die Internistin entsetzt hervor. Ihr Mann schlief hier keinen gewöhnlichen Schlaf. Er schlief dem Tod entgegen! Alkohol und Schlaftabletten das war eine sehr fatale Kombination. „Norbert!“, schrie Katja, so laut sie konnte. Er durfte nicht schlafen, durfte auf keinen Fall schlafen. Sie musste ihn unbedingt wach kriegen. „Norbert! Norbert, wach auf! Himmel, warum hast du das getan?“
Sie rüttelte und schüttelte ihn und schlug mit den Fäusten auf ihn ein wild, brutal, hysterisch. Sie drehte ihn auf den Rücken und ohrfeigte ihn so kräftig, als wäre sie ganz schrecklich wütend auf ihn.
„Norbert! Norbert, du verfluchter Idiot!“
Er bewegte sich, versuchte sie mit schlaffer Hand von sich zu schieben, wollte seine Ruhe haben, wollte in Ruhe sterben, doch diese Ruhe gab sie ihm nicht.
Sie rüttelte, schüttelte und schlug ihn immer weiter, zerrte ihn hoch und brüllte ihm ins Gesicht: „Hörst du mich, Norbert? He! He! Hörst du mich? Sag etwas! Komm zu dir!“
Gutturale Laute kamen aus seinem Mund.
„Hast du alle Tabletten genommen, die in dem Röhrchen waren?“
Er antwortete nur mit einem Seufzer.
„Hast du sie alle geschluckt?“
Er röchelte.
„Wann hast du sie genommen?“
Sein Kopf pendelte hin und her, als wäre er schlecht befestigt.
„Wie lange liegst du schon hier?“
Er antwortete nicht, konnte nicht sprechen, war nicht da, war aber zum Glück auch noch nicht drüben.
„Ich lass’ nicht zu, dass du abhaust!“, schrie Katja Arndt zornig. „Ich lass’ nicht zu, dass du mich allein lässt, du gottverdammter Mistkerl! Ich liebe dich! Ich will nicht ohne dich leben!“ Sie riss ihn aus dem Bett. Er plumpste auf den Boden. Sie schleifte ihn ins Bad. Er war schwer, obwohl er nicht übergewichtig war.
Keuchend und schwitzend stemmte sie ihn im Bad hoch. Sie brachte ihn auf die Knie. Sein Oberkörper hing in die Wanne. Sie griff ihm mit zwei Fingern in den Mund und sorgte dafür, dass er sich erbrach.
Als aus Norberts Magen nichts mehr hochkam, richtete Katja Arndt die Handbrause gegen das Gesicht ihres Mannes. Das kalte Wasser ließ ihn japsen.
Katja legte sich seinen Arm um die Schultern und stand mit ihm auf. Er musste gehen, musste sich bewegen. Sein Kreislauf musste wieder in Schwung kommen.
„Geh!“, befahl sie ihm. „Geh! Eins, zwei. Eins, zwei. Beweg deine Beine!“
Er knickte ein, hing wie ein nasser Sack an ihr. Sie schleppte ihn hin und her, hin und her, hin und her. „Geh! Geh! Geh!“, schrie sie immer wieder und irgendwann fing er an zu gehen.