Читать книгу Arztroman Sammelband 8 Romane Februar 2020 - A. F. Morland - Страница 22
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ОглавлениеDr. Katja Arndt stieg aus ihrem Wagen und staunte. „Ich hab ’ mir ein nettes kleines Häuschen gekauft“, hatte Biggi Ruprecht gesagt, als sie sich auf dem Parkplatz der Paracelsus-Klinik zufällig getroffen hatten. „Es wird dir gefallen.“
Ein nettes kleines Häuschen, dachte die Internistin beeindruckt. Mädchen, das ist die Untertreibung des Jahres. Dieses Haus ist wunderschön und überhaupt nicht klein.
Zwei große Löwen aus Sandstein bewachten den Eingang. Der Garten war kunstvoll angelegt und fachmännisch gepflegt. Katja ging an einer Vogeltränke vorbei, an deren Rand ein schwarzes Amselmännchen saß und sie furchtlos ansah.
„Na, du kleiner Gelbschnabel“, sagte sie lächelnd. „Wo ist deine Frau?“ Das Amselmännchen flog weg. Der Mensch bezeichnet sich in seiner grenzenlosen Überheblichkeit als Krone der Schöpfung, ging es Katja durch den Sinn. Wieso darf er das? Wer gibt ihm dieses Recht? Ist er nicht anmaßend, wenn er sich eitel über alle Kreaturen des Planeten stellt? Er führt sinnlose Kriege, ist fanatisch, raubt, brandschatzt, plündert, mordet, vergewaltigt, übervorteilt andere, lügt, betrügt, nimmt Drogen, ist eitel, rücksichtslos, grausam, egoistisch, raffgierig spielsüchtig … All das gibt es in der Tierwelt nicht. Dürfen wir uns wirklich bei so vielen negativen Eigenschaften als Krone der Schöpfung sehen? Sind nicht die Tiere die besseren Menschen?
Katja stöckelte über unregelmäßige Natursteinplatten. Sie hatte Biggi angerufen und sich mit ihr verabredet. Jetzt öffnete sich die Haustür aus gehämmertem Kupfer, und Biggi Ruprecht erschien in einem wallenden Hauskleid aus glänzendem Goldlamé. Biggi schien zu wissen, wie man zu Geld kam, und Katja erhoffte sich einen Tipp von ihr. Die Freundin umarmte sie herzlich und führte sie in einen luxuriös ausgestatteten Salon.
„Meine Güte, Biggi“, sagte Katja beeindruckt, „du hast gesagt, du hättest dir ein nettes kleines Häuschen gekauft. Das ist ja ein Palast.“
„Nun ja, ich wollte nicht übertreiben“, gab Biggi Ruprecht bescheiden zurück. Sie setzte sich mit der verblüfften Freundin auf eine weiße Ledercouch, neben der eine fahrbare Hausbar stand, zeigte auf die vielen Flaschen und ließ Katja wählen.
Die Ärztin entschied sich für Campari Soda und sagte: „Du fährst einen schweren Wagen, bist teuer gekleidet, wohnst in einem solchen Traumhaus … Darf ich fragen, wer das alles finanziert hat?“
Biggi lächelte. „Ich.“ Sie mixte zwei Campari Soda.
„Du?“ Katja kam aus dem Staunen nicht heraus. „Gibt es keinen reichen Freund im Hintergrund?“
Biggi reichte Katja ihr Glas. „Lass uns erst mal anstoßen.“ Die Gläser klirrten leise, und Biggi sagte: „Schön, dich hier zu haben. Ich bin sehr froh, dass wir uns vor der Paracelsus-Klinik über den Weg gelaufen sind.“
Sie tranken.
„Mich hat es auch gefreut, dich wiederzusehen“, sagte Dr. Katja Arndt.
„Ist bestimmt eine Auszeichnung, in einer so bekannten und renommierten Privatklinik arbeiten zu dürfen“, meinte Biggi Ruprecht. „Du musst beruflich sehr viel drauf haben.“
„Ich versuche Tag für Tag mein Bestes zu geben.“
„Dann musst du mit Leib und Seele Ärztin sein.“
„Das bin ich“, bestätigte die Internistin mit einem leidenschaftlichen Funkeln in den goldbraunen Augen. „Ich könnte mir für mich keinen schöneren und befriedigenderen Beruf vorstellen.“
Biggi zwinkerte mit dem rechten Auge. „Und obendrein hast du noch einen furchtbar netten Chef.“
„Du kennst Dr. Härtling?“
„Er hat mir vor zwei Jahren eine Zyste wegoperiert“, sagte Biggi Ruprecht. „Ich hab’ ein bisschen mit ihm geflirtet, wie es so meine Art ist, und es hat mir mächtig imponiert, wie standhaft er war. Scheint sehr gut verheiratet zu sein, der phantastisch aussehende Klinikchef.“
„Und wie sieht es damit bei dir aus?“, fragte Katja.
„Mit dem Heiraten?“
Katja nickte. „Mhm.“
Biggi schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor, mich so fest zu binden.“
„Warum nicht? Du hast doch nicht etwa Angst vor der Ehe?“
„Angst?“ Biggi schüttelte wieder den Kopf. „Nein.“ Sie trank einen Schluck Campari Soda. „Ich meine nur, dass die Ehe nichts für mich ist. Angst habe ich davor keine. Es gibt überhaupt nicht viel, wovor ich Angst habe. Ich fürchte mich nicht einmal vor dem Tod, wenn es schnell geht. Leiden, dahinsiechen, auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein … Das möchte ich nicht.“
„Das will niemand.“
„Aber wenn es schnell geht … Klack! Von einer Sekunde zur andern …“ Biggi Ruprecht lachte plötzlich. „Großer Gott, worüber reden wir denn da auf einmal? Das ist doch kein Thema, wenn man sich nach langer Zeit wiedersieht.“ Sie stand auf und legte eine Scheibe in den CD-Player. Ravels „Bolero“ erklang.
„Du schuldest mir noch eine Antwort“, sagte Katja Arndt.
„Eine Antwort worauf?“ Biggi setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander.
„Auf meine Frage: Gibt es keinen reichen Freund im Hintergrund?“
Biggi schaute in ihr Glas. „Nun, sagen wir, es gibt keinen speziellen reichen Freund …“
„Wie darf ich das verstehen?“, erkundigte sich Katja.
„Es gibt mehrere.“
„Die dir deinen Luxus finanzieren?“
„Könnte man sagen.“ Biggi nickte. „Ja.“
„Darf ich fragen, was du beruflich machst?“
Biggi sah die Freundin an. „Ich habe einen Vertrag mit Flamingo.“
„Aha.“
Biggi lächelte. „Du weißt nicht, was das ist?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer“, gab Katja zu.
„Flamingo ist eine Begleitagentur“, erklärte Biggi Ruprecht. „Die beste in München“, fügte sie hinzu. „Kunden mit dicken Brieftaschen …“
Katja war perplex. „Du gehst für Geld mit Männern aus?“
„Findest du’s verwerflich?“, fragte Biggi amüsiert.
Katja gab darauf keine Antwort. „Und davon kann man so gut leben?“, fragte sie stattdessen.
Ihre alte Freundin breitete die Arme aus. „Wie du siehst. Unsere Kunden können es sich leisten, großzügig sein.“
Katja wiegte den Kopf. „Ich mag in dieser Hinsicht ja ein bisschen naiv sein, aber kein vernünftiger reicher Mann gibt sein gutes Geld für nichts aus.“
„Er bezahlt für eine nette Zeit mit einem attraktiven Mädchen“, sagte Biggi Ruprecht. „Ich gehe mit den Herren essen, ins Theater, ins Konzert. Ich unterhalte mich mit ihnen. Sie erzählen mir ihre Geschichten und freuen sich, in ein hübsches Gesicht sehen zu dürfen und nicht allein sein zu müssen.“
„Und das ist alles?“, fragte Katja Arndt mit schmalen Augen.
Biggi hob die Hände. „Es passiert nichts, was ich nicht will.“
„Und was passiert, wenn du …“
„Wenn mir ein Mann gefällt, kommt es schon mal vor, dass ich mit ihm schlafe“, gab Biggi Ruprecht offen zu.
„Für Geld.“
„Ich verlange nichts“, sagte Biggi, „aber wenn ein Freund mir etwas geben möchte, stoße ich ihn nicht vor den Kopf, indem ich sein Geschenk zurückweise. Ich bin frei und ungebunden. Ich kann tun und lassen, was ich will.“
„Ja, aber …“
„Ich gehe mit netten, sympathischen Männern ins Bett. Das habe ich schon getan, bevor ich bei Flamingo war, und nichts anderes tue ich heute.“
Es ist Prostitution, dachte Katja. Du nimmst Geld für etwas, das nichts kosten darf, wenn zwei Menschen sich aufrichtig gern haben. Man schenkt sich einander, weil man sich liebt.
„Es macht mir Spaß, mit Männern, die mir gefallen, zu schlafen“, sagte Biggi ungeniert. „Schockiert dich das?“
„Es ist dein Leben. Du kannst es führen, wie du es für richtig hältst. Es steht mir nicht zu, irgendein Urteil dazu abzugeben.“
„Aber du heißt es nicht gut.“
„Ich würde es für mich nicht gutheißen, schließlich bin ich verheiratet“ , sagte Katja. „Was du tust, ist deine Sache. Wenn du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, ist es okay.“
Sie schwiegen eine Weile, tranken. Ravels „Bolero“ ging zu Ende, die „Carmen“ Ouvertüre von Bizet erklang, und Biggi Ruprecht fragte: „Darf ich neugierig sein?“
„Was möchtest du wissen?“, fragte Katja zurück.
„Bist du glücklich verheiratet?“
„Ich liebe meinen Mann.“
„Scheint in eurer Ehe immer nur die Sonne?“
„Das natürlich nicht“, antwortete die Ärztin. „Manchmal ziehen auch Gewitterwolken auf, wie in jeder Partnerschaft.“
„Da ist ein Ausdruck in deinen Augen, der mich vermuten lässt, dass du Kummer hast. Dich scheint irgendetwas zu bedrücken.“
Katja lächelte schmal. „Du bist eine gute Beobachterin.“
„Ich hatte immer schon einen Blick fürs Nebensächliche. Hängt der Haussegen schief? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Dr. Katja Arndt schlug die Augen nieder. Sie sprach über die fatale Spielsucht ihres Mannes und die daraus resultierenden Folgen.
„Zweihunderttausend Mark.“ Biggi Ruprecht wiegte bedenklich den Kopf. „Das ist eine Menge Geld. Wenn ich es hätte, würde ich es dir leihen, aber ich habe alles, was ich hatte, ausgegeben für das Haus, für den Wagen, für Schmuck und Kleider. Das einzige, was ich für dich tun könnte, wäre, dich bei Flamingo unterzubringen.“
„Lieber Gott, nein“, stieß Katja erschrocken hervor. „Ich könnte nie mit einem anderen Mann …“
„Das würde auch niemand von dir verlangen“, sagte Biggi. „Das tue ich, weil es mir Spaß macht. Wenn du nicht so weit gehen möchtest, ist das in Ordnung. Niemand würde dich dazu zwingen. Es lässt sich auch so reichlich Geld verdienen. Wenn Jan Achberger sein Geld so bald wie möglich zurückbekommen soll, brauchst du einen einträglichen Nebenjob, und den könnte ich dir verschaffen.“
Katja nagte an der Unterlippe. „Ich weiß nicht …“
„Was weißt du nicht?“
„Ob ich mich für so etwas eigne“, sagte die Internistin.
„Du wirst dich doch noch mit einem netten fremden Mann kultiviert unterhalten können.“
„Das schon, aber …“
„Du verstehst dich hübsch zu kleiden, bist attraktiv und gebildet“, zählte Biggi auf. „Es ist selbst für eine verheiratete Frau nicht anstößig, einem einsamen Mann Gesellschaft zu leisten. Es sind einige Ehefrauen für Flamingo tätig, und die können alle ihren Männern noch reinen Gewissens in die Augen sehen, wenn sie von einem Job nach Hause kommen.“ Katja leerte ihr Glas. „Das muss ich mir in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.“
Biggi nickte. „Du musst wissen, wie viel Zeit du hast.“
„Und ich muss mit meinem Mann darüber reden“, sagte die Ärztin. „Ich könnte das nicht ohne Norberts Einverständnis tun.“
„Das ist klar.“ Biggi Ruprecht nickte. „Wenn er vernünftig ist, wird er dich nicht davon abhalten. Schließlich willst du ihm ja nur aus einer Patsche helfen, in die er euch beide hineingeritten hat.“
„Und da ist dann noch die Paracelsus-Klinik“, sagte Katja Arndt. „Ich möchte auf gar keinen Fall meinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzen. Wenn es die Runde macht, dass Frau Dr. Arndt von der internen Station in ihrer Freizeit als Begleitdame jobbt, bin ich erledigt.“
„Wenn du es niemandem erzählst, wird es keiner wissen.“
„Es kann rauskommen“, meinte Katja heiser. „Es braucht nur einer der Herren, mit denen ich aus war, in die Paracelsus-Klinik zu kommen. Als Besucher. Als Patient …“
Biggi Ruprecht winkte ab. „Konstruiere keine Krisen. Du brauchst für eine gewisse Zeit ein zusätzliches Einkommen, und ich kann dir dazu verhelfen. Das ist alles.“