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An diesem Morgen bekam Dana Härtling keinen Kaffee von Ottilie, sondern mit Dr. Härtlings Einverständnis Vollmers präparierten grünen Hafertee, um ihre seit zwei Tagen träge Verdauung anzukurbeln.

Es war angenehm still und friedlich beim Frühstück in der Härtling’schen Villa. Josee und Tom waren zu müde zum Streiten (eine willkommene Seltenheit), und Ben hatte auch keine Lust, irgendetwas zu sagen, nachdem er mit Freunden auf einer ausgedehnten Disco-Tour gewesen und erst lange nach Mitternacht nach Hause gekommen war.

Sören Härtling genoss sein Frühstücksei, aß ein frisches Brötchen mit wenig Butter dazu, trank den restlichen Kaffee, der sich noch in der Tasse befand, und verabschiedete sich sodann von seiner Familie.

In der Paracelsus-Klinik begleiteten ihn Dr. Daniel Falk, Dr. Peter Donat, Dr. Katja Arndt und noch einige weitere Kollegen auf seiner Morgenvisite, und er stellte zufrieden fest, dass die Internistin einen ausgeruhten Eindruck machte. Sie schien sich das, was er gesagt hatte, wie versprochen zu Herzen genommen zu haben, und das fand er sehr erfreulich. Nach der Visite bekam die junge Ärztin einen Anruf von ihrem Bruder. Er weinte und schluchzte und war kaum zu verstehen.

„Bitte, Jürgen, beruhige dich“, sagte Katja eindringlich.

Er stammelte, stotterte …

„Jürgen, um Himmels willen, reiß dich zusammen!“, verlangte die Internistin laut.

„Katja …“ Seine Stimme war schwach, kiekste.

„Was ist denn passiert?“

„Es ist … Ich bin … Ich habe … O Katja … Katja …“

„Was willst du mir sagen, Jürgen?“, fragte die Ärztin nervös und ungeduldig. „Was?“

„Mutter …“

Katja Arndts Kopfhaut spannte sich. „Was ist mit Mutter?“

„Ich habe sie umgebracht!“ Diese Worte waren plötzlich grausam deutlich zu verstehen.

„Was?“, schrie Katja wie vom Donner gerührt auf. Ihr war einen Augenblick schwindelig. Sie schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. „Ich hab’s ihr gesagt …“

„Die Sache mit Eichinger?“

„Ja …“

„Das wollten wir ihr doch gemeinsam so schonend wie möglich beibringen“, sagte Katja Arndt.

„Ich weiß. Ich wollte auch nicht darüber reden. Ich wollte es wirklich nicht. Es ist mir herausgerutscht. Mutter hat Cornelius Eichinger über den grünen Klee gelobt, hat ihn mir als Mann empfohlen, an dem ich mir ein Beispiel nehmen könne. Da da ist mir der Kragen geplatzt. Ehe mir recht bewusst wurde, was ich sagte, war schon alles draußen.“

Katja überlief es eiskalt. „Und Mutter?“

„Sie nannte mich einen Lügner, glaubte mir kein Wort. Sie schrie, war wütend, regte sich entsetzlich auf und und dann …“

„Und dann?“

Jürgen sagte nichts.

„Und dann?“, schrie Katja mit Tränen in den Augen.

„Sie … Sie … Sie … Mutter war furchtbar rot im Gesicht, verdrehte plötzlich die Augen und brach zusammen.“ Das sah nach einem Schlaganfall aus.

„Mutter liegt auf dem Boden und rührt sich nicht.“

„Atmet sie?“

„Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.“

„Du musst sofort einen Krankenwagen rufen.“

„Das habe ich bereits getan.“

„Jetzt lagerst du Mutters Kopf und Oberkörper hoch, um ihr die Atmung zu erleichtern. Du öffnest ihre beengenden Kleidungsstücke und machst ihr kalte Kopf Umschläge, verstanden?“

Jürgen sagte nichts.

„Hast du mich verstanden?“, schrie Katja wieder.

„Ja …“, kam es dünn durch die Leitung.

„Dann tu es, und wenn der Krankenwagen eintrifft, sorge dafür, dass man Mutter in die Paracelsus-Klinik bringt.“ Katja legte auf und schluchzte in ihre Hände.

Sie brauchte einige Minuten, um sich zu sammeln, dann hastete sie zu Dr. Härtling, um ihm von dem schrecklichen Vorfall zu berichten.

Der Klinikchef ließ sofort alles für eine rasche medizinische Erstversorgung vorbereiten, und als Charlotte Möhner zwanzig Minuten später eingeliefert wurde, wurde unverzüglich eine der Diagnose Dr. Härtlings entsprechende Therapie eingeleitet, um schwere Schädigungen des Gehirns zu vermeiden. Man verabreichte der bewusstlosen Patientin intravenös gerinnungshemmende Medikamente, sogenannte Antikoagulanzien, um eine ausreichende Durchblutung der gefährdeten Bereiche zu sichern und die Bildung möglicher Blutpfropfen zu verhindern.

Nachdem für Katjas Mutter alles getan worden war, um ihr über die Folgen des schweren Schlaganfalls hinwegzuhelfen, kam sie auf die Intensivstation, und Dr. Härtling sagte zu der jungen Internistin: „Gehen Sie nach Hause, Frau Kollegin. Wir kümmern uns um Ihre Mutter.“

Doch Dr. Katja Arndt schüttelte den Kopf und bat, bleiben zu dürfen. „Ich möchte bei meiner Mutter sein“, sagte sie mit belegter Stimme. „Ich möchte etwas für sie tun. Bitte schicken Sie mich nicht heim, Chef.“

Dr. Härtling nickte. „Wir wollen hoffen, dass Ihre Mutter bald wieder auf die Beine kommt.“

Auf dem Flur tigerte Jürgen hin und her. Katja begab sich zu ihm. Er warf sich ihr in die Arme und weinte herzzerreißend. „Wenn sie stirbt, werde ich mir das nie verzeihen.“

Katja, zehn Jahre älter, bemühte sich um Stärke und Zuversicht. „Sie wird nicht sterben“, versicherte sie leise. „Sie wird leben.“

„Ich dachte schon, sie wäre tot“, schluchzte Jürgen. „Als sie so regungslos auf dem Boden lag, war mir, als würde ich den Verstand verlieren.“ Er löste sich von seiner Schwester und starrte sie mit tränennassen Augen an. „Das ist alles Cornelius Eichingers Schuld“, stieß er hasserfüllt hervor. „Wenn der Mistkerl mir unter die Augen kommt, schlage ich ihm den Schädel ein.“

Katja strich ihm mit der Hand das Haar aus der Stirn. „Du wirst ihn in Ruhe lassen“, sagte sie streng. „Er ist es nicht wert, dass man sich an ihm die Finger schmutzig macht.“

Arztroman Sammelband 8 Romane Februar 2020

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