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Diesmal hatte Karsten zu viel gedrückt. Er schwebte durch Zeit und Raum, konnte nicht mehr klar denken und fühlte sich...

Wie fühlte er sich eigentlich? Er wusste es nicht. Er fühlte sich genau genommen überhaupt nicht, weder gut noch schlecht. Leib und Seele schienen getrennte Wege eingeschlagen zu haben.

Karsten war umgeben von Ruhe, Gleichgültigkeit und Apathie. Jeder Herzschlag pumpte das Rauschgift durch seinen mageren Körper.

Der Stoff, den Heiko Rossmann derzeit verkaufte, war gigantisch, absolute Spitze. Besseres Heroin hatte Heiko noch nie gehabt.

Es vertrieb Kummer und Sorgen, machte glücklich und zufrieden und alles war einem so herrlich egal, solange die Wirkung des Stoffs anhielt.

Was war heute für ein Tag? Sonntag? Möglicherweise. Seit Karsten bei Kambach raus geflogen war, war für ihn ein Tag wie der andere. Kein Stress mehr. Kein Chef. Niemand sagte ihm mehr, was er tun sollte. Keiner meckerte mehr, wenn er etwas falsch gemacht hatte. Da er nichts mehr tat, konnte er auch keine Fehler mehr machen.

Es gab nur noch eine Person, die mit ihm unzufrieden war und an ihm herumnörgelte: seine Mutter. Aber was die sagte, ging ihm bei einem Ohr hinein und beim andern ungehört wieder raus. Wo war sie eigentlich? Es war Sonntag, und sie war nicht zu Hause. Nicht, dass er sie vermisst hätte. Es wunderte ihn nur, dass sie nicht da war.

Sie ist bestimmt mit Harald Häussler zusammen, ging es ihm durch den benebelten Sinn. Egal. Hauptsache, sie lässt mich in Ruhe. Wo immer sie ist, ich vermisse sie nicht.

Er hörte eine Tür zuklappen, war zu müde und zu faul, sich zu erheben. In seinem Zimmer herrschte große Unordnung. Wenn schon. Er hatte keine Lust, aufzuräumen.

Wem es in diesem Raum nicht gefiel, der brauchte ihn ja nicht zu betreten. .. Schritte! Dann wurde an die Tür geklopft. Mutter! Er antwortete nicht.

„Karsten?“

Er schwebte auf seiner Wolke und reagierte nicht.

„ Karsten?“ Seine Mutter öffnete die Tür. Er hätte abschließen sollen. „Karsten?“ Sie trat ein. Er schloss die Augen. Geh! Lass mich in Ruhe! Siehst du nicht, dass ich noch schlafe?

Sie kam näher. Plötzlich blieb sie stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Panik und Entsetzen verzerrten ihr Gesicht.

„Karsten!“, schrie sie gequält auf.

Sie sah Blut, sah seine blaue, total zerstochene Armbeuge, sah den Gummischlauch, der noch um seinen Oberarm geschlungen war, sah die Kerze, sah den Löffel, sah die Spritze, und begriff, dass ihr Kind schwerstens rauschgiftsüchtig war.

Wieso war ihr das so lange nicht aufgefallen? Wieso war ihr nie der Gedanke gekommen, er könnte Drogen nehmen? War sie blind gewesen? Hatte sie den Kopf in den Sand gesteckt? Hatte sie nicht wahrhaben wollen, dass die durchsichtige Blässe ihres Jungen von einer verhängnisvollen Sucht hervorgerufen wurde?

„Karsten!“ Sie starrte ihren Sohn fassungslos an. Ihr Herz raste. Kalter Schweiß brach ihr aus allen Poren. „O mein Gott!“

Er drehte sich auf die Seite. Was machte sie bloß für ein Theater? „Lass mich bitte in Ruhe, Mama.“

„Ich soll dich in Ruhe lassen? Ja, Herrgott noch mal...“

Er legte die Hände auf seine Ohren. „Schrei nicht so laut, Mama. Ich bin nicht taub.“

Barbaras Augen schwammen in Tränen. Sie war seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr so unglücklich gewesen. Ihr war, als hätte jemand ihr Herz mit einer glühenden Lanze durchbohrt. „Ich soll nicht schreien? Herrje, du nimmst Drogen, und ich soll nicht schreien? Kannst du dir nicht vorstellen, wie mir zumute ist?“

„Würdest du mich bitte allein lassen?“

„Wie lange geht das schon?“

„Das ist doch egal.“

Barbara Wanders zeigte auf die Spritze. „Ist das Heroin?“

Er antwortete nicht.

„Ist das Heroin?“, wiederholte sie quälend laut für ihn.

„Ja“, gab er verdrossen zurück, „es ist Heroin.“

„Junge, warum machst du dich kaputt? Wenn du Sorgen hattest, warum bist du damit nicht zu mir gekommen? Warum hast du beim Rauschgift Zuflucht gesucht?“

„Das müsstest du doch eigentlich verstehen.“

„Was willst du damit sagen?“ Karsten sah sie an. Wenn sie weiter so schrie, würde er aufstehen und fortgehen. Er wollte seine Ruhe haben. Wenn er sie hier nicht bekommen konnte, dann eben an einem anderen Ort. „Was hast du nach Vaters Tod getan?“, fragte er gleichgültig. „Getrunken... Bis zum Umfallen getrunken hast du. Tag für Tag. Manchmal warst du so voll, dass du nicht mehr wusstest, wie du heißt. Schon vergessen? Du warst alkoholkrank, warst mir ein Vorbild. Wer frei von Fehl, der werfe den ersten Stein. Darfst du das? Bist du frei von Fehl, Mama? Bist du das?“

Nein, sie war es nicht. Damals, als die Welt für sie eingestürzt war, hatte sie sich mit Alkohol betäubt, und Karsten hatte es mit angesehen.

War es möglich, dass sie damit den Grundstein für Karstens heutige Sucht gelegt hatte? Sie musste es annehmen. Mit einem Mal presste eine tonnenschwere Schuld sie zusammen.

Sie durfte Karsten nichts vorwerfen. Er tat lediglich, was sie auch getan hatte. Ihre Droge war der Alkohol gewesen, seine war das Heroin. „O Karsten... Karsten...“ Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. „Es tut mir ja so leid...“

„Ich mache dich für nichts verantwortlich, Mama. Das Leben ist schuld an unserem Dilemma.“

„Du hast das Geld aus meiner Schatulle genommen, um deine Sucht finanzieren zu können, stimmt’s?“

„Ja“, gab er zu. „Und mein Drogepproblem ist wohl auch daran schuld, dass ich meinen Job bei Kambach verlor. Aber das kratzt mich nicht. Ich bin zufrieden.“

„Womit denn? Karsten, du musst mit diesem Teufelszeug aufhören.“

Er schüttelte, den Kopf. „Zu spät, Mama. Das schaff’ ich nicht mehr.“

„Nicht allein. Aber mit meiner Hilfe.“

„Ich hab’ mal versucht, davon loszukommen, es war grauenvoll. Diese Schmerzen möchte ich nicht noch mal ertragen müssen.“

„Ich habe die Umkehr doch auch geschafft, Junge.“

Karsten seufzte schwer. „Alkohol ist nicht Heroin.“

„Du musst eine Therapie machen.“ Karsten sah seiner Mutter fest in die Augen und sagte hart: „Auf keinen Fall.“

„Du gehst vor die Hunde...“

„Das ist mir egal“, fiel er ihr brutal ins Wort.

Barbara Wanders griff nach seinen Schultern und schüttelte ihn heftig. „Ich habe dir dein Leben nicht geschenkt, damit du es so achtlos wegwirfst.“

Er stieß sie zornig zurück. „Willst du mich nicht endlich in Ruhe lassen? Dein Sohn ist ein Junkie. Finde dich damit ab!“

„Ich denke nicht daran!“

„Du hast gerade noch die Kurve gekriegt“, sagte Karsten matt. „Ich nicht. Ich bin ein Versager, ein Verlierer. Irgendwann werde ich am goldenen Schuss krepieren, aber ich hab’ keine Angst davor, werde bis zum Ende meiner Tage high und zufrieden sein.“

Barbara Wanders fing an, sein Zimmer zu durchsuchen.

„Wonach suchst du?“, wollte Karsten wissen.

„Wo ist das Zeug? Wo hast du es versteckt?“

Karsten zuckte mit den Schultern. „Ich hab’ nichts mehr, muss mir erst wieder was holen.“

„Von wem?“

Karsten lachte. „Denkst du wirklich, ich bin so blöd und verrate dir den Namen meines Dealers? Ich säge doch nicht den Ast ab, auf dem ich sitze.“

„Mit welchem Geld bezahlst du den Stoff?“

„Ein paar Jungs haben mir endlich zurückgegeben, was sie mir schuldeten.“

„Und wenn dieses Geld verbraucht ist, gehst du dann einbrechen und stehlen?“

Karsten stand auf und schlüpfte in seine Jeans.

Barbara Wanders sah ihm nervös zu. „Gehst du weg?“

„Ja.“

„Wohin?“

„Habe ich dich gefragt, wo du die Nacht verbracht hast?“

„Sei nicht frech. Ich bin deine Mutter.“

Karsten grinste. „Willst du mich einsperren, Mutter'?“ Er zog ein schwarzes T-Shirt an und ging. Sie hätte es nicht geschafft, ihn aufzuhalten.

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