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Barbara Wanders’ Verstand setzte aus. Vor kurzem war sie noch mit Harald Häussler glücklich gewesen, und nun... Sie war mit dreiunddreißig Jahren Witwe geworden... Hatte Jens verloren... Und nun auch Karsten... Das Schicksal war gegen sie, würde immer gegen sie sein, solange sie lebte...

Und deshalb fasste sie einen ganz furchtbaren Entschluss...

Während ihre Nachbarn, wie jeden Sonntag, zur Kirche gingen, begab Barbara sich ins Bad. Sie ließ heißes Wasser in die Wanne laufen, holte sich ein Glas Orangensaft, löste darin alle

Schlaftabletten auf, die sich in der Hausapotheke befanden, legte sich in die Wanne und schnitt sich die Pulsadern auf.

Ich habe versagt, ging es ihr durch den Sinn. Ich war keine gute Mutter, habe meinem Sohn ein schlechtes Beispiel gegeben, kann nichts mehr für ihn tun. Er richtet sich zugrunde, und ich möchte nicht tatenlos dabei zusehen müssen, möchte nicht mehr da sein, wenn er stirbt. Ich weiß, es ist feige, aber wenn man das Schicksal so sehr gegen sich hat, ist es sinnlos, dagegen anzukämpfen.

Um sie herum dampfte das Wasser. Es färbte sich rot. Barbara hatte keine Schmerzen. Sie wurde langsam müde und schloss die Augen.

Wie schön war es doch, zu vergessen. Irgendwo, weit weg, läutete das Telefon. Unwichtig. Vergessen... Vergessen. .. Ihr Kopf sank zur Seite, und sie wusste nichts mehr.

So fand Harald Häussler sie. Er hatte eine Weile über Barbara und ihren Jungen nachgedacht und sich dann spontan entschlossen, die beiden zum Essen einzuladen.

Auf sein Klopfen hatte niemand reagiert. Er hatte in der Wohnung das Telefon läuten gehört und versucht, die Tür zu öffnen. Es war nicht abgeschlossen gewesen. Der Reporter war eingetreten. „Barbara?“ Das Telefon hatte aufgehört zu klingeln. „ Karsten?“ Die beiden schienen nicht da zu sein. Aber die unverschlossene Wohnungstür... „Barbara? Karsten?“

Er hatte sich in allen Räumen umgesehen, und im Bad hatte ihn schließlich der Schock mit der Wucht eines Keulenschlages getroffen.

„Barbara!“

Er zerrte sie aus der Wanne, trug sie ins Schlafzimmer, legte sie aufs Bett. Konfus versuchte er ihr Aderpressen anzulegen, nachdem er einen Krankenwagen gerufen hatte.

„Barbara!“, stieß er verzweifelt hervor. „Mein Gott, Barbara, warum hast du das getan?“

Er wollte sie aufwecken, doch es gelang ihm nicht. Der Notarzt kam, und Barbara wurde auf dem schnellsten Wege in die Paracelsus-Klinik gebracht. Während man ihren Magen auspumpte und ihre Schnittwunden nähte, lief Harald Häussler auf dem Flur nervös hin und her. Jedes mal, wenn sich eine Tür öffnete, krampfte sich sein Magen zusammen.

Sie hatten eine so wunderbare Nacht voller Liebe und Harmonie verbracht. Warum hatte Barbara danach sterben wollen? Harald konnte sich das nicht erklären.

Schwester Annegret nahm sich des Reporters an. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte sie.

„Ich liebe diese Frau“, kam es heiser über Haralds bebende Lippen. „Ich möchte sie nicht verlieren.“

„Sie werden sie nicht verlieren“, machte ihm die alte Pflegerin Mut.

Harald Häussler sah die grauhaarige Frau unsicher an. „Hat Dr. Härtling das gesagt?“

„Ja.“ Annegret nickte. „Sie haben zum Glück rechtzeitig dafür gesorgt, dass sie hierher gebracht wurde. Sie kommt wieder auf die Beine.“

Der Reporter ächzte. „Wenn ich nur wüsste, warum sie das getan hat.“

„Sie wird es Ihnen sagen.“ Annegret sah Harald an. „Kann ich Ihnen irgend etwas bringen? Kaffee? Tee?“

„Ich möchte nichts, vielen Dank, Schwester.“

Schwester Annegret entfernte sich, und Harald Häussler tigerte wieder rastlos hin und her. Nach einer qualvollen Ewigkeit erschien Chefarzt Dr. Härtling.

Der Reporter stürzte sich sofort auf ihn. „Nun, Herr Doktor? Wie geht es ihr? Ist sie... Lebt sie? Kommt sie durch?“

„Sie hat viel Blut verloren“, sagte Sören Härtling, „ist sehr schwach und benommen...“

Hoffen und Bangen schimmerte in Haralds Augen. „Aber sie ist bei Bewusstsein, ja?“

Sören Härtling nickte. „Ja, das ist sie.“

„Darf ich zu ihr?“

Dr. Härtling schüttelte ernst den Kopf. „Nicht heute. Sie darf sich nicht aufregen.“

Der Reporter kratzte sich nervös am Hinterkopf. „Hat sie Ihnen gesagt, warum sie’s getan hat?“

„Sie musste heute erfahren, dass ihr Sohn heroinsüchtig ist...“

Harald Häussler riss entsetzt die Augen auf. „Ach, du lieber Gott.“

„... da brach sie zusammen“, vollendete der Klinikchef seinen Satz.

Harald Häussler nickte mitfühlend. „Das kann ich verstehen. Würden Sie ihr bitte ausrichten, dass ich alles tun werde, um ihr und ihrem Sohn zu helfen? Ich habe einige sehr gute Kontakte. Ich kann Karsten einen Therapieplatz verschaffen, und ich werde dafür sorgen, dass der Junge sich therapieren lässt. Ich liebe Barbara. Ich möchte sie heiraten, und ich möchte, dass sie endlich so glücklich ist, wie sie’s verdient.“

Sören Härtling nickte. „Ich werde ihr das alles sagen, und es wird ihr bestimmt sehr gut tun.“

Harald Häussler kehrte in Barbara Wanders’ Wohnung zurück. Er machte das Bad sauber und hoffte, dass Karsten nach Hause kam, damit er unter vier Augen mit ihm reden konnte, doch der Junge ließ sich nicht blicken. Den Vater kann ich ihm nicht ersetzen, dachte der Reporter, während er auf Karsten wartete. Will ich auch gar nicht. Aber ich kann ihm ein guter Freund sein, auf den er sich jederzeit verlassen kann, und der immer für ihn da ist, wenn er Hilfe braucht.

Er machte auch in Karstens Zimmer Ordnung, warf den Gummischlauch und die Spritze weg und legte die Kerze in eine Lade. Auf einem fleckigen Papier standen drei Telefonnummern.

Harald wählte die erste. Am andern Ende meldete sich eine junge Männerstimme: „Hallo.“

„Mit wem spreche ich?“, erkundigte sich der Reporter.

„Mit wem spreche ich?“, fragte der andere unfreundlich.

„Mein Name ist Harald Häussler...“

„Und?“ Der andere blieb auf Distanz. „Was wollen Sie?“

„Ich suche Karsten.“

„Welchen Karsten? Karsten Schramm? Karsten Rothenburg? Karsten Breuer?“

„Karsten Wanders“, sagte Harald Häussler.

„Karsten Wanders? Nie gehört“, sagte der andere und legte auf.

Harald wählte die beiden anderen Nummern, aber da ging keiner ran. Als es Abend wurde, fuhr er heim, nachdem er einen Zettel an die Kühlschranktür geheftet hatte: Ruf mich bitte zu Hause an. Harald Häussler.

Doch Karsten Wanders meldete sich nicht.

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