Читать книгу Extra Krimi Paket Sommer 2021 - A. F. Morland, Pete Hackett - Страница 17
X.
ОглавлениеEs dämmerte schon, als Glasauge ins Zimmer schlüpfte und geräuschlos die Tür verriegelte. Vor einer halbe Stunde war sie aufgewacht, einer der üblichen Angstträume hatte sie geweckt, in deren Mittelpunkt immer er stand, das Monster, die Maschine. Er trank nicht, rauchte nicht, schwätzte nicht, ermüdete nicht, jemand hatte ihn darauf programmiert, die Papiere zu finden, um jeden Preis, und das würde er erledigen, stur wie ein Panzer, unerbittlich wie ein Roboter. Manchmal hielt sie ihn für einen Killer, dann zweifelte sie wieder, weil er ihr so unsäglich dumm vorkam.
»Vielleicht gibt es diese Papiere gar nicht«, hatte sie einmal zu bedenken gegeben und seinem Glasaugenblick standgehalten, obwohl ihre Lippen zitterten. Eine Antwort bekam sie nicht, hatte sie auch nicht erwartet. Aber mit wem sollte sie reden?
Die anderen, vom Verfassungsschutz, vom Bundesnachrichtendienst, vom Zollkriminalamt, hatten sie doch längst entdeckt, sie und das zweite Team, aber das schien ihn nicht zu stören. War er so verblendet, so beschränkt, dass er die Gefahr nicht erkannte? Warum griffen die anderen nicht zu? Dafür musste es einen Grund geben, doch von ihm würde sie keine Silbe erfahren.
Schritte kamen näher, sie unterdrückte einen Schluchzer. Jeden Abend fiel er über sie her, regelmäßig wie eine Maschine, ein schweigendes Monster. Auf was hatte sie sich da eingelassen? Und das alles nur, weil er nicht aufgepasst und übersehen hatte, dass die Frau doch im Haus war, vor der er dann in Furcht oder Panik weglief, statt auch sie umzulegen. Doch dazu hatte er keinen Auftrag gehabt, und den Bericht hatte er auch nicht gefunden! Eine Leiche, zwei Leichen, lebenslänglich war ihm so oder so gewiss.
Unter seinen Stößen jammerte sie vor Schmerzen auf.
Sonntag, 24. September
Sauna und Gymnastik betrachtete Rogge als konzessionierte Formen von Masochismus, aber Schwimmbecken liebte er, zumal dann, wenn er sie wie jetzt ganz allein für sich hatte. Auch den Frühstücksraum betrat Rogge als Erster.
Nach dem Frühstück zahlte er und quälte sich noch einmal zur Von-Haaren-Allee durch. Auch am heiligen Sonntag litt das Viertel unter akuter Parkplatznot, Rogge lief kreuz und quer, bis er das Coupé entdeckte, und stiefelte anschließend zum Haus. Diesmal schnarrte der Offner und er betete, dass Opa Vorwerk nicht am Türspion klebte.
Fuhrmann sah aus, als plage ihn ein veritabler Kater. Unrasiert, ungekämmt, in einem schmuddeligen Trainingsanzug, die Augen rot unterlaufen, sichtlich nicht ausgeschlafen. Er mochte Mitte vierzig sein und Rogge schätzte, dass er nüchtern und gewaschen, in einem ordentlichen Anzug noch gut genug aussah, um etwas unbedarfte Frauen in Onkels Tom Hütte zu beeindrucken. Fuhrmanns weicher Mund verriet Gemeinheit. In Onkel Toms Hütte war er Rogge gestern nicht aufgefallen, allerdings zuckte Fuhrmann zusammen, bevor Rogge etwas gesagt hatte.
»Morgen«, brummte Rogge. »Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
»Um was geht es denn?«
Ohne dieses erschrockene Zucken hätte Rogge die höfliche Platte mit dem Immobilienfonds aufgelegt, aber dieses Augenflackern verkündete etwas, das ihn interessierte. Angst?
»Müssen wir das im Treppenhaus klären?«
»Ich habe - Besuch.«
»Na und?«
Fuhrmann zögerte, drehte unruhig den Kopf in die Wohnung, willigte endlich kleinlaut ein: »Meinetwegen.«
Der Flur musste dringend gestrichen werden und der Kokosläufer wies Löcher auf. Fuhrmann ging eilig voran, um eine Zimmertür zu schließen, und Rogge nölte breit: »Netter Besuch?«
»Es geht«, presste Fuhrmann heraus. Das Wohnzimmer verstärkte den ersten Eindruck, die Möbel waren zu alt, um noch als passabel durchzugehen, und noch nicht alt genug, um antiquarischen Wert zu beanspruchen. Nein, hier regierte die leere Brieftasche.
»Was wollen Sie?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Sie waren gestern Abend in Onkel Toms Hütte, nicht wahr?«
»Ja, bis zu der Schlägerei.«
»Spionieren Sie mir nach?«
»Was heißt schon spionieren. Ich weiß gerne, mit wem ich’s zu tun habe.« Dabei lächelte Rogge in sich hinein, das war nicht gelogen.
Fuhrmann wich einen Schritt zurück. »Ich hab doch schon gesagt, dass ich nicht alles auf einmal zurückzahlen kann.«
Rogge musterte ihn stumm. Gelobt sei Opa Vorwerk, man sollte viel mehr alte Männer bei der Polizei anstellen. Oder als Hausmeister und Informanten engagieren, zwecks Kontrolle der Mieter. Endlich gähnte er: »Sie haben ein sehr großes Auto.«
»Das brauche ich doch.«
»Ein kleineres tät's auch. Überlegen Sie sich das mal.« Damit machte Rogge auf dem Absatz kehrt, er hörte, dass Fuhrmann ihm folgte, trotzdem klinkte er die Tür auf.
Im Bett hatte sich eine junge Frau mit verquollenen Augen aufgerichtet, die erschrocken aufgickste und das Deckbett vor den üppigen Busen presste. Die Wurzeln ihrer blonden Haare schimmerten dunkel.
Rogge drehte sich um, Fuhrmann zitterte vor Wut, wagte aber nicht, etwas zu sagen.
»Dafür ist offenbar immer noch Geld da!«, grummelte Rogge. »Na, wie Sie wollen, jede Geduld hat mal ein Ende.«
Auf halber Treppe hörte er, wie eine Sperrkette ausgehängt wurde, und deshalb beschleunigte Rogge. Nichts gegen Opa Vorwerk, aber man sollte von Neugier profitieren, sie nicht füttern.
Im Grunde passte nichts zusammen. Der eine hatte viel Geld und war ein ordinärer Zuhälter. Der zweite schien ein ordentlicher Kerl zu sein und gluckte um Frau und Nachwuchs herum. Der dritte riss in billigen Schuppen Frauen auf und fürchtete den Schuldeneintreiber. Zu wem wäre eine Inge Weber freiwillig ins Auto gestiegen? Wenn eine Amnesie nicht auch Geschmack und Prinzipien völlig veränderte - zu keinem.
Da hatte er sich wohl in eine Sackgasse verrannt. Sein Verstand befahl Stopp, das Auto fuhr automatisch weiter, und als er auf den Tacho schaute, zitterte die Nadel über der Zahl 150. Diesen Ausflug hätte er sich sparen können!
Zum Ausgleich klappte es jetzt wie am Schnürchen. Rogge bog in Stockau in die Brückenstraße ein und hielt vor dem zweistöckigen Haus mit dem Arztschild. Als er seinen Wagen abschloss, kam ein Paar auf ihn zu, den Mann hatte er schon einmal gesehen.
Der Mann war breitschultrig und hatte ein freundliches, zerfurchtes Gesicht mit einem Paar zuverlässiger Augen. Er strahlte Gelassenheit und Humor aus. Die Frau neben ihm war höchstens einen Zentimeter kleiner und kaum schmaler als er und das enge, völlig schmucklose dunkelgraue Kleid enthüllte eine eckige, fast männliche Figur. Ihre Haare trug sie extrem kurz geschnitten, wie eine knapp sitzende Kappe, was ihr nicht stand und ihre scharfen Züge betonte. Ein reizloses Gesicht voller Unzufriedenheit.
»Wollen Sie zu uns?«, fragte der Mann gemütlich.
»Wenn Sie Dr. Fuhrmann sind - ja.«
»Der bin ich. Meine Frau. Sie sind Herr Rogge, nicht wahr, der Kriminalbeamte aus dem Bären?«
»Es hat sich wohl herumgesprochen«, seufzte Rogge und gab der Frau die Hand. »Guten Tag, gnädige Frau.«
»Guten Tag«, erwiderte sie hart und er begriff, dass sie ihn mit einem Blick taxiert und für unsympathisch befunden hatte. Ihre Augen waren klein und ihr Blick stechend. Warum fixierte sie ihn so böse? Ihr Händedruck fiel verboten kräftig aus.
»Was können wir für Sie tun?«
»Ich würde gerne mit Ihnen sprechen, Herr Doktor.«
»Über was? Über Olli?«
»Indirekt, ja. Sie haben gehört, was ...?«
»Natürlich. Sogar der Pfarrer hat eben darüber gepredigt.« Dabei schüttelte der Arzt den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. »Lene, macht es dir etwas aus, wenn Herr Rogge und ich in die Praxis gehen?«
»Nein«, fauchte sie. Natürlich machte es ihr etwas aus und an jeder anderen Stelle als auf der offenen Straße hätte sie ihm seinen Wunsch glatt abgeschlagen. Ohne ein weiteres Wort an Rogge zu verschwenden, schwenkte sie zur Seite und marschierte auf die Haustür zu. Sie ging ruckartig, als versage sie sich jede Form von Verbindlichkeit oder Weiblichkeit, und diese Bewegung kam ihm bekannt vor.
»Kommen Sie, Herr Rogge.«
In der Praxis zerrte Fuhrmann die Jalousien hoch, und nachdem er im Sprechzimmer hinter seinem Schreibtisch umständlich Platz genommen hatte, schien er sich wohler zu fühlen.
»Was wollen Sie wissen?«
»Herr Doktor Fuhrmann, haben Sie einen Bruder Eberhard, der in Hannover wohnt?«
Dem Arzt blieb der Mund offen stehen, mit allen möglichen Fragen hatte er gerechnet, doch nicht damit. Nach einer Weile schluckte er heftig, als müsse er zu sich kommen, und stammelte: »Ja, den habe ... Ja, Eberhard.« Mühsam riss er sich zusammen; »Warum fragen Sie mich das?«
»Haben Sie bitte noch etwas Geduld? Ich will's Ihnen nachher gerne erklären.«
»Ja ... ja ...« Er hatte sich von seiner Überraschung noch nicht erholt.
Rogge musterte ihn scharf: »Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal getroffen?«
»Wann? - Wann war - im vorigen Jahr.«
»Hier in Stockau?«
»Ja, hier im Haus. Er kam - das war im Mai. Oder Juni.«
Zeitlich stimmte es, die erste Hürde war genommen. Deshalb griente Rogge verlegen: »Ich weiß, was Ärzte übers Rauchen denken, aber würden Sie mir gestatten ...?«
»Sicher.« Komischerweise gab die Bitte seines Besuchers Fuhrmann die alte Sicherheit zurück und er stand auf. »Wir müssen aber das Fenster öffnen. Wenn meine Patienten riechen, dass hier geraucht wird, tun sie noch weniger, was ich Ihnen vorschreibe. Aber für ganz schlimme Sünder habe ich sogar einen Aschenbecher.«
Bevor Fuhrmann sich wieder setzte, schüttelte er ratlos den Kopf: »Eberhard ...«
»Herr Dr. Fuhrmann, ich komme gerade aus Hannover. Ich habe dort mit Ihrem Bruder gesprochen. Es tut mir Leid, wenn ich Sie jetzt verletze: Er lebt mehr als bescheiden, reißt Frauen in billigen Lokalen auf und hat Schulden.«
»Sie erzählen mir nichts Neues.« Das klang so gequält wie bitter.
»Wie stehen Sie zu Ihrem Bruder?«
»Wie ich zu ihm stehe? - Wir schätzen uns nicht sonderlich.«
»Dann besucht er Sie also nicht regelmäßig?«
»Regelmäßig? - Ach nein. Er kann mich nicht leiden und meine Frau hasst ihn beinahe.«
»Warum war er dann im vorigen Jahr hier?«
Der Arzt lehnte sich zurück, sein Gesicht wurde verschlossen, darauf wollte er nicht antworten.
»Gut, ich wilPs Ihnen sagen. Er hat sich Geld von Ihnen geliehen.«
»Wirklich? Wie kommen Sie denn darauf?« Hinter dem gutmütigen Spott schwang etwas anderes mit.
»Heute Morgen hat er mich für einen Geldeintreiber gehalten.« Rogge lächelte zerknirscht. »Ich hab den falschen Eindruck nicht korrigiert, was nicht die feine Art ist, aber so hat er mir unfreiwillig eine wichtige Auskunft gegeben: Ich hab doch gesagt, ich kann nicht alles auf einmal zurückzahlen, so hat er sich verteidigt.«
»Ja?«
»Er fährt einen großen Wagen, etwas zu teuer für seine Verhältnisse, nicht wahr?«
»Eberhards Lebensprinzip: Mehr scheinen als sein.«
»Ja. Er zahlt oder stottert ab, gerade genug, dass ihn seine Gläubiger nicht zwingen, den großen Wagen zu verkaufen. Aber so unregelmäßig, dass er sich vor mir gefürchtet hat.«
»Gut möglich. Mein Bruder steckt immer in Schwierigkeiten, das ist sein Markenzeichen.«
»Er hat Sie also im Vorjahr um Geld angebettelt.« Es war ein Schuss ins Blaue, aber Fuhrmann ließ das Gespräch treiben, wehrte sich nicht, weil er in Gedanken bei einer ganz anderen Sache war, weit weg.
»Wenn Sie's schon wissen ... fünfundzwanzigtausend.«
»Sie haben’s ihm geliehen?«
»Was man Eberhard leiht, ist so gut wie verschenkt.«
»Obwohl Sie ihn nicht sonderlich schätzen?«
»Ach Gott, schließlich ist er mein Bruder. Und wozu - wir haben keine Kinder, wem sollte ich’s vererben?«
»Ihre Frau war einverstanden?«
»Sie weiß nichts davon«, erwiderte Fuhrmann ruhig. »Ich möchte auch nicht, dass sie’s erfährt.«
»Das war im Mai oder Juni vorigen Jahres?«
»Ja.« Fuhrmann blickte auf seine gefalteten Hände.
»Wie oft ist er hier gewesen?«
»Einmal. Um sich das Geld zu holen.«
»Das stimmt nicht, Herr Dr. Fuhrmann. Er ist mehr als einmal in Stockau gewesen.«
Rogge hielt es ihm ganz freundlich, fast besorgt vor und Fuhrmann hob den Kopf. »Warum soll das nicht stimmen, Herr Rogge?«
»Es gibt Zeugen dafür, dass er mehr als einmal hier war.«
»Zeugen?«, wiederholte der Arzt resigniert.
»Ja.« Drei, vier Züge rauchte Rogge schweigend, Fuhrmann rang mit sich, als müsse er mit sich ins Reine kommen, eigentlich wollte er was verbergen, aber zugleich schämte er sich dessen.
»Er war ein paar Mal hier«, gab Fuhrmann endlich zu und sah Rogge prüfend an.
Nein, ein schlechtes Gewissen wegen seiner Lüge hatte er nicht; was ihn beschäftigte, konnte mit seinem Bruder Zusammenhängen, vielleicht wusste oder ahnte er etwas und wünschte nicht, dass der Kriminalbeamte davon erfuhr. Ein weniger beunruhigter Mann hätte sich längst erkundigt, was diese Fragen nach seinem Bruder mit den Aktivitäten des Bärenwirtes zu tun hatten.
»Würden Sie mir den Grund nennen?«
»Geld. Was denn sonst! Er hatte sich ganz tief in die Schei..., er hat Probleme. Und ein paar brutale Geldeintreiber waren die kleinere Sorge, die er hatte.« Unvermittelt lachte der Arzt böse auf. »Aber immer Auftritte wie Graf Kotz der Große, Blumen für meine Frau, Pralinen für Monika, diskreter Hinweis auf großartige Geschäfte, die er gerade angeleiert hatte.«
»Wer ist Monika?«, fragte Rogge leise und spürte, wie ihm ein Ring den Brustkorb einschnürte.
»Monika Ziegler. Meine Helferin.«
»Ihr Bruder hat im vorigen Jahr Monika Ziegler kennen gelernt?«
»Sicher. Und ich kann Ihnen flüstern, er hat sie mächtig beeindruckt.«
Mit letzter Kraft behielt Rogge sein Gesicht unter Kontrolle. Fuhrmann hatte nichts bemerkt, er schien mehr mit sich selbst zu reden als mit Rogge, der heftig die Zigarette ausdrückte, um seinen Kopf zum Aschenbecher senken zu können.
»Na ja, was kann’s schon verderben - vier Mal ist er hier gewesen und hat mich um Geld erleichtert.« Jetzt schnitt Fuhrmann eine Grimasse, aber die Verachtung galt nicht Rogge. »Zweimal offen, zweimal heimlich, weil Lene mir die Pistole auf die Brust gesetzt hatte - dieser Mensch, Schwager hin oder her, käme ihr nicht mehr ins Haus.«
»Das letzte Mal - das war im September?«
»Ja«, bestätigte Fuhrmann zerstreut. »Danach hat er Ruhe gegeben.«
»Wenn er Sie besuchte, ob offen oder heimlich - ist er dann über Nacht geblieben?«
»Wo denken Sie hin!«, spottete Fuhrmann zornig. »Hier übernachten? Lene hätte mir was gehustet! Nein, er kam am späten Nachmittag und ist abends immer wieder zurückgefahren. Ein schnelles Auto leistet er sich ja.«
Rogge lächelte flüchtig. Hier war noch längst nicht alles ausgesprochen, natürlich verheimlichte der Arzt etwas, aber Rogge hatte erfahren, was er wissen musste, und deshalb erhob er sich: »Vielen Dank, Herr Dr. Fuhrmann, ich will Sie nicht länger aufhalten.«
Beim Anblick der Frau in der Tür fiel Rogge nur das Wort farblos ein. Eine blasse Frau, die man anschaute und sofort wieder vergaß. Dazu etwas ängstlich, fast wie geduckt, immer besorgt, sie könne etwas falsch machen. Die Kittelschürze schien ihr am Leib festgewachsen.
»Meine Tochter ist nicht da«, sagte sie unruhig. Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, seinen Dienstausweis gründlich anzugucken.
»Oh, das ist schade. Wissen Sie, wo ich sie finde?«
Jetzt zeichnete sich trotzige Verlegenheit in ihrem Gesicht ab. Sie hatte sandfarbene, strohige Haare und vor zwanzig Jahren lautete wahrscheinlich das größte Kompliment, das man über sie verbreitete, ganz niedlich. Aber das war lange her.
In der Wohnung rumorte jemand, sicherlich ihr Mann, und
seinetwegen würde sie Rogge nicht hereinbitten. Deshalb trat Rogge näher heran und senkte die Stimme: »Sie ist draußen auf dem Scherkenhof, bei Jo Thelen, nicht wahr?«
Die Frau nickte verstohlen und drehte unwillkürlich den Kopf zur Seite.
Papa Ziegler schätzte es wohl nicht, wenn sich seine einzige Tochter mit einem gescheiterten Elektriker herumtrieb. Frauen gehörten ins Haus und sein Verhältnis mit Angi Lohse, der schönen Bärenwirtin, betrachtete er bestimmt als sein gutes Recht.
»Vielen Dank, Frau Ziegler.«
Man konnte den Scherkenhof auch auf einer schmalen geteerten Straße erreichen; mühsam war nur das Entziffern der Hinweisschilder, die alle so aussahen, als hätten Generationen von Schulkindern sie als Zielscheiben für ihre Katapulte genutzt, und zwar erfolgreich. Kaum ein Hofname war wegen der abgeplatzten Farbe oder Löcher deutlich zu lesen und der Rost erledigte den Rest.
Zwei große Hunde trotteten gemütlich auf Rogge zu, als er ausstieg, und beschnüffelten ihn gründlich. Erst nach der Inspektion bellte jeder einmal kräftig. Auf das Signal hin kam ein großer Mann aus dem Haus geschlendert.
»Guten Tag, mein Name ist Rogge. Ich müsste unbedingt einmal mit Monika Ziegler sprechen - wenn sie hier ist.«
»Sie hilft in der Küche. Wollen Sie nicht hereinkommen?«
»Nein, vielen Dank, es wäre sehr liebenswürdig, wenn Sie Monika herausschicken würden.«
»Mach ich!«, versprach der Mann etwas verwundert.
Monikas Lippen begannen zu zittern, als sie Rogge erkannte. »Guten Tag, Herr Rogge.« Sieh mal an, seinen Namen hatte sie also behalten.
»Tach, Monika. Ich muss mit Ihnen einmal unter vier Augen sprechen.«
»Das passt - wir sind gerade beim Kochen ...«
»Tut mir Leid, aber es muss sein.«
»Ja - ja ... Ich sag nur Jo Bescheid.«
»Unter vier Augen, Monika!«, warnte er und sie nickte kläglich.
Offenbar dauerte es länger, Jo Bescheid zu sagen; denn Rogge wartete fast zehn Minuten, bis Monika Ziegler wieder herauskam, den Reißverschluss ihres Anoraks hochziehend. Jetzt ähnelte sie auf fatale Weise ihrer Mutter, blass und unscheinbar.
»Gehen wir ein paar Schritte? Ich bin heute Morgen ein ganzes Ende Autobahn gefahren, von Hannover bis hierher, ich muss mir die Füße vertreten.«
Den schnellen Blick von der Seite konnte sie nicht unterdrücken und Rogge sah, wie sich ihr Gesicht verkrampfte.
»Ja, ich habe mich mit Eberhard Fuhrmann in Hannover unterhalten.«
Jetzt lief sie wie ein Automat, der Fuß vor Fuß setzte, und ihre Furcht war fast körperlich zu greifen. Aus ihrem Gesicht war jede Farbe gewichen.
»Was wir jetzt bereden, bleibt unter uns. Deine Eltern erfahren nichts und auch Jo Thelen nicht. Aber du musst jetzt alles erzählen. Einiges kann ich mir schon zusammenreimen, nicht alles, aber doch den größten Teil.« Ein Bluff, zugegeben, und sogar ein ausgesprochen hässlicher, aber Rogge wollte diesen Schutzpanzer durchbrechen. »Du hast im vorigen Jahr den Bruder deines Chefs kennen gelernt?«
Nach einer Weile nickte sie und schaute auf ihre Schuhspitzen.
»Er hat dich ziemlich beeindruckt, nicht wahr?«
»Ja.« Ein Hauch nur, aber immerhin.
»Wie weit ist das zwischen euch gegangen, Monika?«
Eine Minute Schweigen. Eine zweite Minute.
»Hat er dich oben auf der Feltenwiese vergewaltigt?«
»Woher wissen Sie ...« Angesichts der Panik in ihrer Stimme schämte er sich. Doch sie hatte sich verraten, sie würde selbst einsehen, dass sie nun reden musste. Zwei Minuten, drei Minuten.
»Nein, er war es nicht.«
»Wer dann?«
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Geduld, mahnte Rogge sich und musterte sie von der Seite; sie wagte nicht, ihn anzusehen, und ihr Gesicht war kalkweiß. Es musste einen Grund geben, warum sie den Täter nicht nennen wollte, und ihre Furcht brachte ihn auf den richtigen Gedanken: »Der Mann hat gedroht, dir was anzutun, wenn du ihn anzeigst?«
»Ja.«
»Monika, ich verstehe, dass du Angst hast. Trotzdem musst du jetzt reden. Wir nennen den Täter einfach mal den Mann, einverstanden? Du musst mir seinen Namen nicht verraten, er ist einfach der Mann. Okay?«
»Aber wenn Sie ihn verhaften, weiß er doch, dass ich ihn angezeigt habe.«
Komisch, dass er sie automatisch geduzt hatte! Bei Gertrud wäre ihm das nicht passiert. Aber der Wirbelwind Gertrud wirkte auch viel erwachsener als dieses verschreckte Kind neben ihm. »Nein. Ich kann ihn nur verhaften, wenn du vorher eine Aussage bei der Polizei gemacht und unterschrieben hast.«
»Und das muss ich nicht ...?«
»Nein, ich werde dich zu nichts zwingen.«
Wenigstens hob sie jetzt den Kopf. Ihn schaute sie immer noch nicht an, aber sie blickte geradeaus.
»Wo soll ich ...«
»Bei Eberhard Fuhrmann.«
Kili, die Kodderschnauze, pflegte in solchen Fällen zu lästern: Gib jedem die Zeit, seine Schleuse aufzukurbeln, und vergiss nicht, je fester und länger sie geschlossen war, desto eher ist sie verrostet und erfordert Kraft und Zeit. Es dauerte fast fünf Minuten, bis sie anfing zu erzählen.
Im Mai war Eberhard zum ersten Mal zum Doktor gekommen, da hatte sie ihn kennen gelernt, weil er sich ganz brav ins Wartezimmer gesetzt hatte und abwehrte, es handele sich um eine private Sache mit seinem Bruder, und deshalb wolle er nicht stören, kein Patient solle seinetwegen warten. Sie hatten sich sehr nett unterhalten.
Bei ihrem Tonfall seufzte Kogge heimlich. Bruder Eberhard hatte sie eingewickelt. En passant, weil er gerade nichts Besseres vorhatte. Wer wie er Frauen abschleppte, erkannte ein bequemes Opfer auf den ersten Blick.
Einen Monat später war Eberhard wieder gekommen und hatte Monika eine große Schachtel Pralinen mit gebracht. Ja, und abends hatten sie sich auf der Feltenwiese - getroffen. Ernsthaft hatte sie gar nicht geglaubt, dass Eberhard so lange in seinem großen Auto auf sie warten würde. Aber er hatte es getan. Weil sie - sie war erst hochgelaufen, als es schon dunkel wurde. Im Juli hatten sie sich wieder - getroffen. Auch im August, mehrmals, da waren der Doktor und seine Frau in Urlaub gefahren, und Hardy meinte, es wäre besser, wenn sein Bruder nichts von ihrer Liebe erführe. Ja, immer auf der Feltenwiese, wenn es dunkel geworden war. Eigentlich ging sie nicht gerne dort hoch, wegen - Sie hielt inne und Rogge lachte leise.
»Wegen Andrea Wirksen. Ja, ich weiß Bescheid, sie ist eine kleine Hure.«
Monika Ziegler zuckte zusammen, fuhr aber tapfer fort. Ja, wegen Andrea. Sie hatte immer aufgepasst, Andrea hatte sie nie gesehen. Und im September, als der Doktor aus dem Urlaub zurück war, hatte sie sich zum letzten Mal mit Hardy - getroffen. Wieder in seinem Auto, oben auf der Feltenwiese. Hardy hatte Monika in der Praxis zugeflüstert, er habe ein Geburtstagsgeschenk für sie, das wolle er ihr - nachher überreichen.
»Wann hast du denn Geburtstag, Monika?«
»Am 16. September.« Rogge schnappte nach Luft, aber sie hatte nichts bemerkt. Also war sie - sie hatten sich wieder - getroffen. In seinem Auto, auf der Feltenwiese. Hardy schwor ihr, er Würde gern bleiben, sie in der ersten Sekunde ihres Geburtstages küssen, aber er müsse fort, es habe Krach mit seinem Bruder gegeben, ganz scheußlichen Streit, und deswegen bekomme sie ihr Geschenk jetzt schon. Sie hatte trotz seines Protestes das Päckchen ausgepackt, eine goldene Armbanduhr, und dann - und dann - sie kämpfte mit den Tränen. Hardy wollte schon beim ersten Mal mit ihr schlafen, aber sie konnte doch nicht, sie nahm keine Pille und Hardy hatte kein Kondom dabei, sie hatte Angst, aber er wollte so gerne, und wenn sie Angst vor einem Kind hätte, dann könnte sie doch - sie hatte sich ausgezogen und - getan, um was er sie bat.
Schweigend ging Rogge neben Monika her.
Ja, sie hatte es getan. Und dann fuhr Hardy fort, er war immer über den Parkplatz auf die Autobahn gefahren, sie schaute dem Auto noch nach, als der - Mann plötzlich neben ihr auftauchte. Und sie zu Boden warf und sie - sie wollte schreien, aber der Mann hatte ihr den Mund zugehalten, sie hatte sich aus Leibeskräften gewehrt, aber er war ja viel kräftiger als sie. Und dann war der Mann auf gestanden und hatte ihr gedroht: Wenn sie nur einen Mucks verraten würde, ginge es ihr schlecht. Außerdem würde er allen Menschen erzählen, was sie in dem Auto getrieben hatte, ihren Eltern, Jo, ihrem Chef.
Monika machte sich nicht klar, was sie damit preis gab: Sie kannte ihren Vergewaltiger also genau.
Sie hatte geweint und versprochen, den Mund zu halten, und der - Mann war weggegangen.
»Wohin, Monika?«, fragte er gleichmütig.
»Zum Parkplatz.«
»Und wann ist das alles passiert?«
»Abends. Im Dunkeln.«
»Am Tag vor deinem Geburtstag?«
»Ja.«
»Weißt du noch, wie spät es war?«
»Ich bin ins Dorf hinuntergelaufen und da hab ich die Gertrud vor dem Bären getroffen, es war fast Mitternacht.«
»Und weil es dir so schlecht ging, hast du der Gertrud alles erzählt?«
»Ja.« Sie musste sich doch - ihr Höschen war zerrissen und das Blut an ihren Beinen ...
Gertrud hatte den Hauptschlüssel für das Gästehaus geholt und einen Slip, und Monika hatte sich in einem der Bäder gewaschen und Gertrud hatte den Riss in dem Kleid genäht. Und Gertrud hatte sie nach Hause gebracht, sie musste doch ihren Eltern erklären, wo sie so lange geblieben war ...
»Hast du Gertrud den Namen des - Mannes genannt?«
»Ja, ich war so durcheinander.«
Eine ganze Weile liefen sie stumm nebeneinander her. Rogge konnte sich nicht vorstellen, dass Gertrud herumgetratscht hatte, was Monika passiert war, das traute er ihr einfach nicht zu. Aber die Krakeeler-Truppe wusste Bescheid, an das höhnische Schweigen, als Monika den Bären betreten hatte, konnte er sich noch gut erinnern. Und an diese halb lüsternen, halb geringschätzigen Blicke, guck mal, die kann man sich nehmen, die lässt sich das gefallen, über die ist schon mal einer rübergerutscht ... Nein, Monika musste den Namen des Mannes nicht aussprechen, Rogge wusste, wer es gewesen war. An Monikas Stelle würde er Benno Brockes auch fürchten, der keine Hemmungen kannte, sie gnadenlos zu verprügeln, sollte sie ihn anzeigen.
»Wollen wir umkehren, Monika?«
»Ja.«
»Es bleibt dabei - von mir erfährt niemand etwas. Auch der - Mann nicht. Aber eines überlege dir bitte: Wenn du den Mann nicht anzeigst, wird er noch andere Frauen überfallen. Ohne eine Aussage seiner Opfer können wir ihn nicht hinter Gitter bringen. Ich weiß, es ist scheußlich und sogar entwürdigend, in einem Prozess auszusagen und nach den intimsten Dingen befragt zu werden, aber ich weiß nicht, ob du das nicht durchstehen solltest. Wenn du dich zu einer Anzeige entschließt, rufe mich an. Ich schicke dir eine Polizistin aus meinem Kommissariat, sie ist ebenfalls vergewaltigt worden und hat den Prozess durchgestanden, sie versteht, wie du dich fühlst.«
»Ich kann nicht ...«
»Lass dir Zeit. Du hast mir schon sehr geholfen.«
Später musste Rogge sich ein Lächeln verkneifen, Jo Thelen eilte ihnen entgegen, und die Mischung aus Empörung und Besorgnis auf seinem Gesicht reizte zum Schmunzeln; Rogge hörte, wie Monika scharf nach Luft rang.
»Guten Tag, Herr Thelen.«
»Tach!«, knurrte der junge Mann und konnte sich nicht entscheiden, ob er Rogge an die Kehle springen oder Monika umarmen sollte.
»Tut mir Leid, dass ich Monika entführen musste. Aber Sie haben doch sicher gehört, was mit Olli geschehen ist?«
»Ja, sicher ...«, stammelte Jo, aus dem Konzept gebracht.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, wo wir den Täter suchen müssen.« Thelenx verstand die Welt nicht mehr und Rogge stieß Monika an: »Danke, das war ein guter Tipp. Daran hätten wir früher denken sollen.«
»An Olli?«
»Den Wirt, Jo«, antwortete Monika schnell und nur Rogge hörte die Mischung von Angst und Erleichterung aus ihrer Stimme heraus. »Der Kommissar hat mich nach Olli und Gertrud ausgefragt.«
»Olli und Gertrud?«
»Vielen Dank, und noch einen schönen Sonntag.«
Die beiden Hunde saßen vor der Tür und schauten Rogge gelangweilt zu, wie er rasch in sein Auto stieg. An Besucher, die nichts im Hofladen erwarben, verschwendeten sie nicht einmal ein kurzes Wuff.
Auf dem Revier in Herlingen herrschte Hochbetrieb. Zwei junge Kerle in abgerissenen Jeans und geflickten Lederjacken hatten am helllichten Tag einen dreisten Wohnungseinbruch riskiert und nur die Dauer des Gottesdienstes falsch eingeschätzt. So waren sie dem Vater und dem Schwiegersohn in die Hände gelaufen - oder besser: vor die Fäuste, die den Fall erst einmal privat bereinigten, bevor sie die Einbrecher aufs Revier schleppten; jetzt wuselte die ganze Familie einschließlich dreier Kleinkinder hin und her und kaute die Szene immer wieder laut und zunehmend begeistert durch. Ein junger Wachtmeister schimpfte: »Halt doch endlich still, du blöder Hurenbock!«, und mühte sich mit Verbandsmull und Pflaster ab. Der Schichtleiter schmunzelte, und als Rogge an den einen Kerl herantrat, der immer noch nicht geschnallt hatte, was ihm geschehen war, und wie beiläufig Jacken- und Hemdsärmel hochschob, grölte der Schichtleiter vor Vergnügen: »Na klar, wissen Sie, warum die nach Herlingen gekommen sind? - Die wollten endlich mal Jnen kalten Entzug erleben.«
»Ein echtes Sonntagserlebnis«, pflichtete Rogge bei. »Kann ich mal telefonieren?«
»Nebenan.«
An Kilis Apparat flötete eine Frauenstimme: »Bei Haindl.«
»Ich fiebere dem Tag entgegen, an dem Sie das bei weglassen.«
»Jens!« Sie schrie vor Entzücken leise auf und Rogge konnte sie sich gut vorstellen: Küsschen ins Telefon hauchend und dabei auf den vor Eifersucht zerspringenden Kili schielend. Jasmin - so hieß sie - war die Rache des weiblichen Geschlechts an seinem schürzenjagenden Adlatus. Ausnahmsweise strampelte der nämlich in einem Netz und Jasmin, Diplomingenieurin der Fachrichtung Maschinenbau, zahlte ihm genüsslich heim, was Kili allen Frauen durch seine Untreue bisher angetan hatte. »Wann sehen wir uns endlich wieder?«
»Ich verschmachte auch, liebe Jasmin, aber jetzt muss ich euer trautes Beisammensein brutal beenden. Geben Sie mir bitte den Nichtsnutz.«
Kili knötterte: »Ich hab keine Bereitschaft...«
»Der gute Pfadfinder ist allzeit bereit. Du holst meine Dienstwaffe aus dem Präsidium, vergiss deine eigene nicht und in meinem Schreibtisch unten rechts liegen zwei Totschläger. Handschellen, Feldstecher, den üblichen Krams.«
»He, was ist los? Willst du einen Bürgerkrieg anzetteln?«
»Wenn’s Not tut, auch das. Und dann wartest du auf dem Revier in Herlingen auf mich.«
»Chef, hat das nicht Zeit? Jasmin ist ...«
»Jasmin liebt und verehrt Männer, die ihre Pflicht über ihr Vergnügen stellen. Frag sie ruhig!«
Nebenan hatte der Schichtleiter das Chaos unter Kontrolle bekommen: »Den Oberkommissar finden Sie bestimmt in seinem Garten ...«
Wibbeke kroch auf den Knien unter einem riesigen Busch herum und schnitt vertrocknete Halme und Zweige. Über eine Unterbrechung schien er nicht böse zu sein, teilte sogar großzügig den Kaffee aus seiner Thermosflasche und hörte sich schweigend an, was Rogge berichtete. In den Nachbargärten wurde noch fleißig gewerkelt, die beiden Männer saßen in der Sonne und genossen die Wärme.
»Glauben Sie, dass Brockes auf Sie geschossen hat?«
»Keine Ahnung. Trauen Sie’s ihm denn zu?«
»Tja«, murmelte Wibbeke unschlüssig. »Wenn ich da nur ... ich will’s mal so formulieren: Dass Benno eifersüchtig wird, weil sich die Gertrud so gut mit Ihnen versteht, kann ich mir ja noch vorstellen. Aber dass er deshalb auf Sie schießt - Nee, also, bei allem Schwachsinn, den ich Benno zutraue, das will mir nicht in den Kopf.«
»Vielleicht gibt’s noch einen anderen Grund?«
»Möglich. Aber welchen?«
»Vergessen Sie nicht, dass sich Olli und Benno ganz gut verstehen.«
»Ja, das stimmt wohl. Ich würde mal sagen: gleiches Kaliber.« Wibbeke brummte gereizt. »Olli hat gesungen wie die Nachtigall. Und den armen Eckard gewaltig reingeritten.«
»Aber weil Olli einen festen Wohnsitz hat ...«
»... ist er wieder draußen.« Wibbeke kicherte bösartig. »Ich bezweifele nur, dass er sich an diesem Wohnsitz noch lange freuen wird.«
»Die schöne Angi rafft sich auf?«
»So munkelt man.« Dabei lachte Wibbeke still in sich hinein, sein Bauch wackelte. Erst jetzt schien er zu bemerken, dass dicke Erdklumpen an seiner Hose klebten, er bückte sich und klopfte sie ab. Als er sich wieder aufrichtete, schimmerte eine Spur Feindseligkeit in seinem Blick: »Herr Rogge, ist Ihnen auch aufgefallen, dass sich Angi und Gertrud gut verstehen? Und haben Sie sich schon mal gefragt, ob die Ehefrau nie etwas von der Hehlerei des Ehemannes bemerkt hat?«
Während Rogge vor dem Revier hin- und hertigerte und auf Kili wartete, kaute er mehr an Wibbekes Tonfall als an seinen Worten herum. Der versteckte Vorwurf beschwerte ihn nicht, aber ihm missfiel, dass Wibbeke plötzlich bereit schien, seine gute Meinung über Gertrud zu ändern. Hegte Wibbeke einen bestimmten Verdacht oder ärgerte er sich nur, dass ein Fremder etwas aufgedeckt hatte, was in seinem Bezirk geschehen war? Michael würde nicht ewig bleiben, Rogge musste noch mit Gertrud reden.
Kili brummte. Jasmin hatte sich über ihn lustig gemacht, jawohl, herzlos und ungeschminkt, und Rogge hatte ihm eine mühsam herbeigeführte Chance durchkreuzt.
»Hatte sie die Schuhe schon ausgezogen?«, erkundigte Rogge sich sarkastisch.
»Schuhe? Du hast es nicht mit einem Anfänger zu tun!«
»Umso besser. Wir müssen einen Schläger überrumpeln. Er hinkt, aber täusch dich nicht, er soll verdammt schnell sein.«
»Deswegen die Nahkampfausmstung, ich kapiere. Vielleicht kann mir Jasmin nachher die Wunden verbinden und dabei ihr weiches Herz entdecken.«
»Offenbaren, Kili.«
»Ein Chef hat immer das letzte Wort.«
Als sie in die Zufahrt der alten Schäferhütte einbogen, sah Rogge, dass sich eine Gardine bewegte. Wenigstens war jemand zu Hause.
Kili schaute sich um und schauderte: »Das ist ja ein grässlicher Stall.«
Benno öffnete die Tür, bevor sie ganz herangekommen waren, und stierte sie an. »Was wollen Sie?«, knurrte er und versperrte den Eingang.
»Mit Ihnen reden.«
»Ich wüsste nicht worüber.«
»Entweder lassen Sie uns herein oder wir nehmen Sie mit aufs Revier.« Rogge erklärte es ganz freundlich, aber Benno schaute auf Kili, der wie zufällig seine Waffe herausholte und durchlud, und wurde blass.
»Was soll das ...?«
»Das wirste alles hören. Drinnen, Benno.« Damit schob Kili ihn zur Seite und Benno gab nach.
Er hatte plötzlich Angst und verstand die Welt nicht mehr.
Der Wohnraum lag direkt hinter der Tür, es stank nach ranzigem Fett, links führte eine Tür in eine Küche, von der Rogge nur den bis mit Geschirr obenhin voll gestellten Ausguss sehen konnte. Das Mobiliar schien sich Benno auf dem Sperrmüll zusammengeklaubt zu haben und überall flog etwas herum,
Socken, Hemden, Handtücher, Zeitungen. Auf dem wackligen Tisch standen zusammengequetschte Bierdosen und eine fast leere Flasche Apfelkorn.
»Also, was wollen Sie?« Benno dachte nicht daran, ihnen Platz anzubieten, aber Kili räumte schon einen Sessel leer und hielt dabei einen schwarzen Spitzen-BH in die Höhe. »Schönes Stück, Benno.«
»Das geht Sie nichts an!«
»Abwarten. Mein Boss hat ein paar Fragen an dich. Hängt ganz von dir ab, wie lang wir brauchen.«
Aus Kili wurde der Riese nicht schlau, er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und runzelte die Stirn. Kili sah aus und trat auf, als sei er einem Modejournal für Männer entsprungen, tadelloser hellgrauer Anzug, dunkelblaues Hemd, Seidenkrawatte, nicht einmal das obligate Ziertuch in der Brusttasche fehlte. Solche Lackaffen stieß Benno normalerweise mit einer Hand aus der Wäsche, aber dieser Laffe legte demonstrativ die Waffe auf den Tisch und juchzte dabei so fröhlich, dass man nicht wusste, was ihm gleich noch einfiel. Benno ahnte nicht, dass es Kili gerade auf diesen Eindruck anlegte. Benno ließ sich auf einen der quietschenden Sessel nieder und griff nach einer Bierdose.
»Nicht werfen!«, mahnte Kili.
»Was wollen Sie eigentlich?«
Rogge verbiss sich das Lachen, Kilis Show war immer wieder schön, nicht ganz den Vorschriften gemäß, aber erfolgreich.
»Also, es geht um den 15. September vorigen Jahres.«
»Was?«
»Vor fast einem Jahr. An dem Abend haben Sie sich oben auf der Feltenwiese herumgetrieben.«
Sichtlich angewidert inspizierte Kili Bennos trautes Heim. Als sein wachsender Ekel ein bestimmtes Maß erreicht hatte, zog er den Totschläger aus der Jackentasche und begann ihn mit dem Taschentuch zu polieren. Benno verschluckte sich vor Schreck und hustete.
»Ich warte, Herr Brockes.«
»Vor einem Jahr? Wie soll ich heute noch wissen, wo ich vor einem Jahr war.« Über diese Replik freute Benno sich und nahm zur Belohnung schnell einen Schluck.
»Oh, ich glaube, diesen Abend haben Sie nicht vergessen.«
»Doch.«
»Kaum. Wir haben einen Zeugen aufgetrieben, der Sie an diesem Abend dort gesehen hat. Und auch das, was Sie getan haben.«
Kili gähnte, Rogge hatte ihm erzählt, was er Monika Ziegler versprochen hatte, und deshalb mussten sie dieses Schmierentheater spielen.
»Dann wissen Sie’s ja schon.«
»Ja, aber wir würden es gerne von Ihnen hören.«
»Kann mich nicht erinnern.«
»Das war der Abend, an dem auf dem Parkplatz diese Frau gefunden wurde, die ihr Gedächtnis verloren hat.«
»Schon möglich.«
»Und von dem Zeugen wissen wir, dass Sie genau zu der Zeit, als die Frau dort ankam, auf dem Parkplatz gewesen sind.«
Benno erstarrte. Kili schob spielerisch die Finger durch die Ringe des Totschlägers und hauchte auf die blanke Fläche. Rogge senkte den Blick und beobachtete Benno. Wenn sie ihn jetzt nicht bluffen konnten ...
»Mehr noch, Herr Brockes. Dieser Mercedes aus Hannover ist nicht direkt weggefahren, der Fahrer hat sich im Wald versteckt. Und hat Sie die ganze Zeit über genau beobachtet.«
Zehn Sekunden, zwanzig Sekunden, Himmel, wann entschloss er sich ...
In dem Augenblick schoss Benno hoch wie eine Rakete, der Tisch kippte um, er hatte zum Sprung angesetzt, aber Kilis Aufmerksamkeit unterschätzt, der mit einer Hand elegant, fast lässig, die rutschende Pistole aus Bennos Reichweite wischte und mit der anderen nach dem Heranhechtenden schlug. Der Totschläger traf Bennö genau unterhalb des Halses, das hielt das stärkste Schlüsselbein kaum aus, und Benno brüllte vor Schmerz, während er zu Boden krachte, dass die Dielen knackten und das ganze Häuschen erbebte. Ob Kili ihn wirklich für so gefährlich hielt oder irgendwie seine Wut über den verpatzten Nachmittag mit Jasmin rauslassen musste - plötzlich bewegte er sich sehr schnell und landete mit beiden Knien in Bennos Nieren und das Gebrüll ging in ein Geheul über, das Steine erweichen konnte. Dann klickten die Handschellen, Kili erhob sich und schnipste den Staub von den Hosenbeinen: »Ein selten dummer Bock, Chef. Willst du nicht ein paar Minuten frische Luft schnappen?«
»Ich brauche ihn lebend, Kili.«
»Das halte ich für einen Fehler. Dreck gehört in die Mülltonne.«
»Vergiss nicht, wir sind Polizisten.«
»Klar, aber seine Aussage steht gegen unsere beiden. Was ist nun, Chef? Nur zwei Minuten.«
»Nein, erst mal sehen, ob er nicht vernünftig geworden ist.«
Was Benno von diesem Dialog mitbekommen hatte, war nicht klar, er wimmerte und schluchzte leise.
»Steh auf, du Hurensohn.«
»Ich kann nicht ...«
»Wetten, dass du kannst?« Kili hob einen Fuß und Brockes wälzte sich herum: »Nein, nein ...«
»Na siehst du, geht doch.«
Rogge schwieg. Er verabscheute Gewalt, und das nicht nur, weil die Dienstvorschrift sie verbot. Aber er konnte den Spaziergang mit Monika nicht vergessen und deshalb gönnte er dem Hinkenden die Schmerzen, Gewalt war eine Sprache, die der verstand, vielleicht sogar die einzige. Auf allen vieren kroch Benno zum Sofa und quälte sich hinauf; die Handschellen saßen stramm.
»Lass mir die Waffe hier und sieh dich mal um. Mich interessiert vor allem ein Gewehr.«
»Mach ich, Chef, und falls er muckt - nur ein Wort und ich bin da.«
»Also, Brockes, der 15. September.« Rogge steckte die Waffe in die Jackentasche.
Der Zeuge lag Brockes schwer im Magen, vor allem, dass Rogge von dem Mercedes, der da weggefahren war, etwas wusste.
Ja, er war oben gewesen. Rogge schaute an ihm vorbei und fragte nicht, was er auf der Feltenwiese getrieben hatte. Der Luxusschlitten war weggefahren und Benno war aus lauter Langeweile auf den Parkplatz gelaufen. Nur so, wirklich, ohne Grund. Ob er den Zuhälter für Andrea spielte und sich in der Nähe aufhielt, falls einer ihrer Freier schwierig wurde oder nicht löhnen wollte? Oder, auch das traute Rogge dem Kerl zu, Autos ausräumte, wenn Andrea es unbedingt im Gras treiben wollte? Auf dem Parkplatz war niemand gewesen, als Benno ankam. Kein Mensch, kein Auto. Bennos Blick flackerte und Rogge nickte nachdenklich. Jödel zum Beispiel, der unbedingt pinkeln musste: Ob der für die zwei, drei Minuten, die er im Wald verschwunden war, wirklich seinen Wagen abgeschlossen hatte? Viele Fahrer warfen wichtige Dinge einfach auf die Rückbank, da genügte ein schneller Griff, und wenn die Bestohlenen den Verlust bemerkten, waren sie weit weg und konnten sich nicht mehr daran erinnern, wann sie die Jacke, den Fotoapparat, die Aktentasche zuletzt gesehen hatten. Wenn Brockes sich als Parkplatzräuber betätigte, war er jedenfalls nicht aufgefallen, Rogge erinnerte sich an einen Bericht der Autobahnpolizei in Grems Akten, wonach auf dem Parkplatz Feltenwiese keine besonderen Ereignisse bekannt geworden waren. Benno hatte da einen Moment rumgestanden und überlegt, was er jetzt machen sollte. Und dann kam plötzlich dieser dicke BMW auf den Parkplatz gerollt, ein Riesenschlitten. Dunkelblau. Ein Siebener, aber so genau kannte Benno sich damit nicht aus. Und hielt vor den Tischen, eine halb nackte Frau stieg aus und setzte sich auf eine Bank. Ganz einfach so, die Fahrertür hatte sie nicht abgeschlossen, sie saß da wie ein Ölgötze und starrte geradeaus. Bewegte sich nicht, rührte sich nicht, also, die hatte sich von dieser Welt verabschiedet. Natürlich war Benno hingegangen, war ja wirklich komisch, so was, nicht? Setzt sich in Slip und BH auf eine Holzbank und lässt die Fahrertür weit offen. Aber sie hatte ihn nicht bemerkt, bestimmt nicht, und er, er hatte sie nicht angefasst, nein, ganz bestimmt nicht, ihm war sogar ziemlich mulmig zumute gewesen, nicht mal angesprochen hatte er sie, viel zu riskant. Tja, und dann - also, wie es genau passiert war, wusste er selbst nicht mehr, irgendwas musste bei ihm ausgerastet haben, plötzlich saß er in dem Wagen hinter dem Steuer, schlug die Tür zu, ließ den Motor an und brauste los. Wirklich, heute könnte er das gar nicht im Einzelnen erklären. Ehrlich nicht. Hatte sich einfach in das Auto geworfen, den Schlüssel gedreht und war losgefahren. Und die Frau hatte sich nicht gerührt, nicht den Kopf gedreht, nicht gerufen, war nicht aufgestanden, nichts. Mensch, Benno schwitzte richtig, als er auf die Autobahn bretterte. Nichts wie weg.
Rogge lächelte hässlich und Benno fuhr zusammen. Na ja, nun saß er da in dem Wagen, was hätte er machen sollen ...?
»Wohin haben Sie den BMW gebracht?«
Hierher. In Dreschbach/Bellhorner Berge runter von der Autobahn und hierher. In den Stall, den er als Garage benutzte. Bennos Augen funkelten hasserfüllt, aber auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen und deswegen regte sich Rogge nicht auf, sondern grinste nur dünn.
»Was haben Sie mit dem Wagen gemacht?«
»Verkauft.« Benno quetschte jeden Buchstaben heraus.
»Sie meinen - verschoben. Woher hatten Sie denn einen Abnehmer? Oder haben Sie schon häufiger gestohlene Autos verkauft?«
Nein, nie, es war der erste Wagen. Bestimmt. Und einen Abnehmer hatte Benno nicht, er hatte schließlich mit Olli gesprochen, im Vertrauen, und dieses Schwein von Wirt hatte die Hälfte des Geldes als Vermittlungsgebühr eingestrichen.
»Das Kennzeichen, Brockes.«
»Weiß ich nicht mehr. Eine Hamburger Nummer.«
»Wo sind die Schilder?«
»Die hab ich sofort abmontiert und am nächsten Tag auf die Müllkippe gebracht.«
»Und was ist mit den Wagenpapieren?«
»Mann Gottes, glauben Sie, die hätt ich aufgehoben? Ab in den Ofen.«
»Wem gehörte denn der Wagen?« Ganz ruhig, Jens, noch durfte der Kerl nicht abblocken oder aus Trotz zu mauern anfangen.
»Einem Zinneck. Hans Zinneck.«
»Den Namen hast du behalten?« Erst hinterher erschrak er, jetzt duzte er Benno auch schon, doch der Hinkende hatte nichts bemerkt.
»Ja, hab ich.«
»Zinneck - wie schreibt sich das?«
»Mit zwei n und ck.«
»Die Frau hatte doch sicher auch einen Führerschein dabei.«
»Ja, hatte sie. Charlotte Zinneck. Dusseliger Name.«
Rogge schwindelte vor Erleichterung. Endlich ein Name, ein Anhaltspunkt. Hans und Charlotte Zinneck. Ein in Hamburg zugelassener BMW der 7er Klasse. Und das Verrückte war, dass er Bennos Geschichte sogar glaubte. Was immer Inge Webers Gedächtnis geraubt hatte - es war nicht auf dem Parkplatz geschehen, sondern früher, bei einer anderen Gelegenheit, bei der sie ihre Kleidung verloren oder ausgezogen hatte.
»Was ist mit den anderen Sachen aus dem BMW? Mit ihrer Handtasche zum Beispiel?«
»Alles gleich auf die Müllkippe.«
Aber vorher hast du schön alles gefilzt, ergänzte Rogge. Die Intelligenz mochte Benno nicht gepachtet haben, aber er war gerissen genug, alle Dinge sofort zu vernichten, die ihn als Dieb überführen konnten. Und wenn nicht Benno so schlau gewesen war, dann hatte Olli dafür gesorgt.
»Na ja, so weit stimmt das mit der Zeugenaussage überein«, murmelte Rogge scheinbar unschlüssig.
Bennos hoffnungsvolles Grinsen erlosch. Was war denn noch? Er hatte doch alles ausgepackt! Draußen war es seit einiger Zeit verdächtig still und Rogge grinste zufrieden, als Kili just in diesem Moment in das Zimmer kam. Unterbrich nie einen Typen, der sich zum Singen entschlossen hat! Erste Vernehmungsregel.
Bennos Gesicht verfiel. Denn Kili schwenkte ein Gewehr, das er mit einem Taschentuch umfasste: »Chef, das Kaliber stimmt. Jede Wette, dass diese Missgeburt auf dich geschossen hat.«
»Nein!«, heulte Benno auf, doch Kili musterte ihn angeekelt: »Gib dir keine Mühe. Morgen liefern uns die Ballistiker den Beweis, dass du nicht nur wegen Raubes, schweren Diebstahls und schwerer Körperverletzung, sondern auch wegen versuchten Mordes dran bist. Dich werden wir für lange Zeit aus dem Verkehr ziehen, Bürschchen.«
Sie lieferten einen sehr kleinlauten Benno auf dem Revier in Herlingen ab; Wibbeke hatte es wohl nicht mehr in seinem Garten ausgehalten und war zum Dienst erschienen.
»Ist dieser Dreckskerl eigentlich schon mal ED-behandelt worden?«, tönte Kili so laut, dass Wibbeke die Stirn runzelte. »Aus diesem Gewehr hat er auf meinen Chef geschossen, darauf nehme ich jede Wette an, und ich sage euch: Manchmal könnte ich ihn auch umlegen, aber das ist mein Privileg, da pfuscht mir so ein Schwachkopf nicht rein!«
Die Revierbeamten staunten, Wibbeke schaltete und kniff vergnügt ein Auge zu.
»Außerdem Widerstand gegen die Staatsgewalt, nee, der Junge ist dran.«
»Okay, die Nacht wird unruhig, unsere beiden Jungen da unten heulen schon, als seien die kalten Puter im Anmarsch.«
Alles Schau, und Wibbeke hatte es durchschaut, aber er spielte mit und deshalb wurde Benno unnötig rücksichtslos in den Keller geschubst.
Rogge seufzte, als sich die Tür geschlossen hatte: »Es war ein Eiertanz. Er glaubt an einen nicht existenten Zeugen, noch. In Wahrheit ist es eine Zeugin, die Benno vergewaltigt und bedroht hat, und sie hat Angst, ihn zu belasten.«
»Ein Scheißspiel«, murmelte der Oberkommissar. »Sie wollen nicht ...?«
»Nein, ich hab ihr mein Wort gegeben. Anders hätte sie mir überhaupt nicht geholfen.«
»Ja«, meinte Wibbeke nach einer Pause flach. »Manchmal muss man ...«Er brachte den Satz nicht zu Ende und das machte ihn noch sympathischer.
Vor dem Revier verkündete Rogge leise: »Ich habe Hunger auf Buletten mit Röstzwiebeln und Essiggurken und Schmalzbrot. Und Durst auf Altbier und Samtkragen.«
»Mit anderen Worten: Du willst dich bei Gunda besaufen.«
»Ich lade dich ein.«
»Jasmin wird sich nach mir verzehren.«
»Nein, sie verzehrt irgendwo stilvoll ein Mehr-Gänge-Menü.«
»Und ein anderer zahlt für sie. Bei Kerzenschein und Champagner, ich darf nicht daran denken. Ich nehme deine Einladung an.«