Читать книгу Liebeswirren auf der Bergalm: Roman Paket 9 Heimatromane - A. F. Morland - Страница 10

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Ihre Hand umkrampfte den Baumast.

Sie fühlte, wenn sie ihn losließ, dann würde es aus sein. Irgendwo war die grausige Schlucht, die Kälte kam herauf, mörderisch, sie griff mit langen Fingern nach dem schon fast erstarrten Körper. Lange würde sie es nicht mehr können, der Schmerz war grauenvoll. Er drang von unten herauf und raubte ihr fast den Verstand. Sie hob den Kopf und sah über sich die Sterne, klar und so greifbar nahe! Eine Eisnacht, nur Eisnächte zauberten einen wundervollen Himmel hervor.

»Ich kann nicht mehr!« Sie merkte nicht einmal, dass sie diese Worte in die Nacht schrie. »Ich kann nicht mehr!« Wieder bäumte sich der Körper auf vor Schmerzen. Sie war ausgezogen, um zu sterben, um dem allen ein Ende zu machen, weil sie nicht mehr leiden wollte. Tot, aus, vergessen, nicht mehr denken müssen, nichts mehr, nur noch schlafen, schlafen und sonst nichts!

Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, sie wurden schon zu Eis, bevor sie das Gesicht verließen.

»Lieber Gott, so hilf mir doch!«

Jetzt konnte sie wieder beten.

In der gleichen Sekunde, als wäre es eine Antwort auf ihr inbrünstiges Gebet, fanden ihre Füße den Halt, den sie brauchte, um sich hochzuziehen. Noch einmal sammelte sie all ihre Kräfte zusammen. Zentimeter um Zentimeter verließ ihr Körper die Schlucht, in der sie sich schon die ganze Zeit gesehen hatte.

Und dann hatte sie es geschafft, sie lag auf der Eisdecke, fester Boden war darunter.

»O du mein Gott!«

Sie würgte und erbrach sich, stöhnte und legte sich nieder.

»Ich kann doch nicht mehr!«

Lilly Eibensteiner lag im Schnee, die Arme weit von sich gestreckt, schon lange hatte sie die Wollmütze verloren, auch die Handschuhe, sie lag da und sah den Winterhimmel an. Sie wusste nicht einmal, wo sie sich befand.

Rote Nebelschleier tanzten vor ihren Augen. Vielleicht war das schon der Tod. Vielleicht stand er schon mit seiner Sense hinter dem Baum und wartete nur darauf, dass sie die Augen schloss.

Lilly schluchzte auf. So schwer war es, das Sterben, sie hatte es sich einfacher vorgestellt. Aber in der Stadt sah alles anders aus, da war alles nicht so grausig, und da fühlte man nur den dumpfen Schmerz. Man wollte fort, sich wie ein waidwundes Tier im Wald verkriechen, niemand sollte dabei sein, wenn man starb, man wollte es mit sich allein abmachen.

Da geht man denn hin, blind vor Liebeskummer, nimmt das letzte Geld und kauft sich eine Fahrkarte. Irgendwohin. Die Augen sind schon blind und man liest nur den Namen einmal und hat ihn auch schon gleich wieder vergessen. Da steht der Schaffner und knipst ein Loch in die Karte, er sieht einem so eigenartig ins Gesicht. Ob er wohl ahnt, was sie vorhat? Sie will es gar nicht wissen. Man geht weiter, die Füße tun es einfach. Und dann sitzt man im Zug, und da muss man dann wieder an alles denken, an den Freund, der einen schmählich im Stich gelassen hat, auf den man sich verlassen hat, den man geliebt hat, der einem alles gab, Heim und Geborgenheit, die man so sehr braucht, weil man doch so schrecklich allein ist. Die Eltern sind gestorben, Geschwister hat man nicht. Man ist so einsam mit seinen zwanzig Jahren. Und dann lernt man in der großen Stadt einen jungen Mann kennen. Alles fängt so zauberhaft an, man ist schwindelig vor Glück. Man macht Zukunftspläne, man ist nicht mehr allein, man hat einen Menschen, an den man sich wenden kann, der einen zu heben vorgibt. Aber später weiß man dann, dass dieser Hubert Kohlmeier ein gewissenloser Mensch ist, der mit Mädchen spielt, wie es ihm beliebt. Der sich nur die Lilly Eibensteiner genommen hat, weil sie so hübsch ist, weil die Freunde ihn beneiden um seinen Fang, und man kann so richtig mit ihr angeben. Aber damals wusste man das noch nicht, und als eine nette Freundin es andeutet, da ist man dann bitterböse auf sie und will von ihr nichts mehr wissen. Man glaubt, sie sei nur neidisch, sie gönne einem nur nicht dieses große Glück.

Ja, und weil man sich doch so lieb hat und weil nun die Zeit so anders ist, da geht man denn, eines Tages mit, man ist doch jung und verliebt, und dann weiß man, dass man schwanger ist. Man bekommt ein Kind. Der fremde Arzt sagt es und gibt einem noch den Rat: »Da müssen Sie aber recht schnell heiraten, Fräulein!« Man wird rot und schämt sich so sehr.

Wenig später steht man dann auf der Straße und ist so hilflos und grüblerisch zugleich. Im ersten Augenblick weiß man gar nicht, was nun werden soll.

Der Hubert hat sich schon so lange nicht mehr blicken lassen. Immer hat er die viele Arbeit vorgetäuscht, und man hat ihm geglaubt und gedacht, das macht er doch nur, um mehr Geld zu verdienen. Wenn man sich einmal ein eigenes Nest einrichten will, da braucht man so viele Schillinge, und man ist ja auch nicht reich. Als Tippfräulein kriegt man halt kein hohes Gehalt. Aber zu mehr hat die Ausbildung halt nicht gereicht, obwohl man auf der höheren Schule war und gern mehr gelernt hätte, aber die Eltern waren so plötzlich gestorben, und da war man auf sich allein angewiesen und musste gleich mit der Arbeit anfangen.

Aber jetzt konnte sie nicht warten, bis Hubert von selbst kam, jetzt musste sie zu ihm, um ihm zu sagen, dass sie ein Kind erwartete.

Lilly war durch die Straßen von Klagenfurt gewandert und hatte an das Kind unter ihrem Herzen gedacht und gelächelt. In jeden Kinderwagen hatte sie geschaut und gelächelt. Bald, dachte sie, bald werde ich auch ein Kind haben.

Und dann war sie auf seiner Arbeitsstelle angekommen, aber da war er nicht zu sehen gewesen, und sie hatte einen Kollegen gefragt. Dieser hatte sie mitleidig angesehen und sich dann geräuspert.

»Ja, wissen Sie es denn nicht, der Hubert Kohlmeier ist doch fort nach Wien. Er hat doch die Vreni geheiratet, und die haben in Wien ein großes Geschäft. Jetzt ist er fein raus, Fräulein.«

Lilly hatte dort gestanden und den Mann angeblickt, als sei er plötzlich vom Mars gekommen. Dreimal hatte er es wiederholen müssen, bis sie es endlich begriffen hatte. Hubert hatte sie im Stich gelassen und nicht nur das, er war sogar zu feige gewesen, um ihr die Wahrheit zu sagen. Er hatte sich einfach aus dem Staub gemacht.

Das war die schrecklichste Stunde in ihrem Leben gewesen. Wie betäubt war sie nach Hause gegangen, fassungslos war sie die halbe Nacht in der kleinen Wohnung auf und ab gelaufen und hatte geweint. Aber das Leben ging weiter. Der Tag brach an, und sie musste zur Arbeit.

Wie zerschlagen machte sie sich auf den Weg. Die Gedanken gingen wie Mühlsteine durch den Kopf. Die Zeit verging, und sie trug das Kind unter dem Herzen, und Hubert war fort. Sie würde ein lediges Kind haben, und sie hatte nicht genug Geld.

Und wenn es da war, was dann? Musste sie es fortgeben? Armes Kleines, dachte sie mit blutendem Herzen. Du wirst es vom ersten Augenblick an nicht leicht haben. Ich, deine Mutter, ich kann nichts für dich tun. Du wirst in ein Heim kommen, und ich kann dich nur besuchen, aber das ist kein richtiges Zuhause.

Sie quälte sich über die Zeit und hoffte immer noch auf ein Wunder. Aber nichts geschah. Sie wurde immer verzweifelter. Das Schreckliche war, sie hatte keinen Menschen, mit dem sie darüber reden konnte. Und sie wusste auch, wie man über sie denken würde, wenn man es erst einmal erfuhr. Noch konnte sie es vor den Leuten verbergen. Aber nicht mehr lange!

Lilly war im fünften Monat schwanger, als sie dann schwermütig wurde. Für sie war die Welt nach allen Seiten hin mit Brettern zugenagelt. Unermüdlich dachte sie an das Kind, und sie wollte nicht, dass es litt. So kam dann der Gedanke in ihr auf zu sterben. Wenn sie starb, würde das Kind nie geboren werden. Viel Leid würde sie ihm damit ersparen.

Dann kam der Augenblick, wo sie durchdrehte, sie hinterlegte für die Wirtin einen Brief, dann nahm sie ihr letztes Geld und kaufte sich eine Fahrkarte. Sie hatte sich vorgenommen, niemandem zur Last zu fallen. Oben irgendwo in den Bergen wollte sie sterben. Vielleicht würde man sie eines Tages finden, vielleicht auch nicht! Was machte das schon?

So war sie in das kleine Dörfchen Eichberg bei Kleinschlag gekommen. Es war schon dunkel gewesen, als sie ankam. Sie war gleich weg, fort vom Dorf. Niemand sollte sie sehen. Es achtete auch niemand auf das fremde hochgewachsene Mädchen.

Lilly stieg immer weiter und weiter. Es war bitterkalt, und die Luft wurde immer dünner. Oft war sie gestürzt und hatte sich wieder auf gerafft. Und dann, als sie glaubte nicht mehr zu können, sie wollte sich einfach hinsetzen und im Schnee erfrieren, da kamen die mörderischen Schmerzen.

In einem Buch hatte sie gelesen, dass erfrieren gar nicht so schlimm war. Da setzte man sich hin, zuerst war einem bitterkalt, aber nachher würde man nichts mehr merken, man würde langsam in den Todesschlaf hinübergleiten.

Das junge verzweifelte Mädchen hatte sich umgesehen, ja, das Dorf war weit genug weg. Hinter ihr stieg der Hochwald an, und dann kamen die Berge. Sie musste sich auf einer Art Wiese oder dergleichen befinden. Irgendwo war bestimmt eine Alm. Aber sie wusste, dass diese meistens nur im Sommer bewohnt waren.

Und doch wollte sie nicht auf freier Fläche sterben, sie wollte sich wie ein Tier im Dickicht des Waldes verkriechen. Weil sie die Gegend nicht kannte, so wusste sie auch nichts von der Schlucht, und sie wäre fast hineingestürzt. Im letzten Augenblick hatte sie diese noch bemerkt und sich beim Abrutschen an einer Baumwurzel oder Ast festhalten können.

Obwohl sie sofort dachte, ich suche ja den Tod, so hatte sie doch Angst, dort hinunterzustürzen. Vielleicht würde sie dann nicht sofort tot sein, Schmerzen haben, und das wollte sie doch nicht.

Jetzt saß sie hier, und der Schmerz packte sie und hielt sie im Würgegriff. Ihr war, als würde der Leib zerrissen. Sie stöhnte und beugte sich vor. Aber es wurde noch viel schlimmer, und als sie glaubte, es nicht mehr ertragen zu können, da war alles vorbei.

Der Schweiß stand auf ihrer Stirn.

Lilly wusste nicht, dass das die Wehen waren. Durch die Überanstrengung und die vielen Stürze kam es jetzt zur vorzeitigen Geburt.

Noch einmal raffte sich das verzweifelte Mädchen auf, noch einmal ging sie weiter, aber die Beine knickten immer wieder ein.

Sie merkte gar nicht, dass gar nicht weit von ihr aus der dichten Schneedecke ein Haus herausragte. Hier oben, so nah dem Himmel stand ein Haus!

Auf allen vieren kroch sie weiter, nur den Wald wollte sie erreichen, sich dann hinlegen und sterben. Den Wald! Er war so greifbar nahe, und doch noch so weit!

Da kam wieder eine Wehe, und sie schrie auf. Mit dem Kopf stürzte sie gegen einen Stein und blieb dann besinnungslos liegen.


Liebeswirren auf der Bergalm: Roman Paket 9 Heimatromane

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