Читать книгу Liebeswirren auf der Bergalm: Roman Paket 9 Heimatromane - A. F. Morland - Страница 18
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Оглавление»Aber du sollst dich doch schonen«, sagte eine Stimme von der Tür.
Hastig drehte sie sich um und wurde sogar rot. Sie hatte ihn gar nicht kommen gehört.
Ignaz blickte sich erstaunt um. »Wie hast du das nur in der kurzen Zeit geschafft?«
Er legte ein paar große Pakete auf den Tisch. »Ich glaub, dass ich an alles gedacht hab, und wenn nicht, dann musst es mir sagen.«
»Ich glaub, es ist wohl besser, wenn ich wieder geh«, sagte sie mit weher Stimme.
Ignaz’ Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber du hast doch keine Bleibe, nichts, und ich könnt dich so gut gebrauchen. Du siehst es doch selbst. Warum denn der Sinnungswandel auf einmal?«
»Die Frau, sie glaubt, das Kind sei von dir, und ich, ach ...« Jetzt musste sie doch wieder weinen.
»Ich hab dir doch gesagt, sie ist böse und hat ein kaltes Herz. Also deswegen willst du fort?«
»Ich will keinen Unfrieden stiften«, stammelte sie.
»Unfrieden«, sagte er leise, und seine Schultern fielen herunter. Müde ließ er sich auf den Holzstuhl fallen. Er wischte sich über die Stirn. »Und ich hab gedacht, nun wär da jemand, mit dem ich plaudern könnt, aber ich hab es ja gewusst, ich hab es gewusst.«
»Willst wirklich, dass ich bleibe?«
Er sah sie kurz an. »Ich weiß nicht viel von dir, nur was du mir gesagt hast. Du bist noch so jung, ich könnt dein Vater sein. Ich habe keine Tochter, ich möcht etwas für dich tun, weißt, bist schon genug gebeutelt worden. Das Schicksal hat dich vor meine Tür gelegt, bitte, bleib!«
»Wenn du es willst, dann werde ich bleiben, aber die Frau! Was soll ich denn tun?«
»Gar nichts«, sagte er müde, »gar nichts, ihr kann man nichts recht machen.«
Beide schwiegen sie eine Weile. Später machte sich Lilly ans Kochen. Das verstand sie recht gut. Zu Mittag deckte sie den Tisch, und Sonja tauchte auf, ganz große Dame, mit wertvollem Schmuck behangen, in einem Samtkleid.
Böse blickte sie von einem zum anderen. Sie hatte gedacht, die Fremde habe schon längst das Weite gesucht.
Ignaz sagte kurz: »Sie bleibt, sie wird jetzt den Haushalt übernehmen. So kann ich mich mehr um das Vieh kümmern.«
»Wir kommen gut ohne sie aus, das haben wir all die Jahre gekonnt.«
»Es bleibt dabei«, war seine knappe Antwort.
Hilflos stand Lilly da und teilte die Suppe aus. Sie fühlte den Hass der Frau und verstand sie nicht.
Immer wenn sie in Sonjas Nähe kam, dann hatte sie nur verächtliche Worte für sie übrig. Und sehr bald merkte Lilly auch, wie gemein sie zu dem Mann war. Überall wo sie ihn nur packen konnte, quälte sie ihn und das recht gründlich. Ignaz schwieg nur dazu, und sein Gesicht wirkte dann wie erloschen.
Es war schon recht seltsam in diesem Haus. Aber Lilly blieb, weil sie keine andere Heimat mehr hatte, und zum anderen weil sie fühlte, dass der Mann durch sie eine kleine Freude erhielt.
Ja, so war es wirklich. Wenn die Frau dabei war, da schwieg man und war bedrückt, aber sobald Sonja fort war oder sie im Stall das Vieh versorgten, dann wurde geredet. Er hatte an die zwanzig Kühe und Kälber, die versorgt werden mussten. Natürlich tat das zum größten Teil der Sepp, mit dem schloss Lilly recht bald innige Freundschaft, und weil sie sich bemühte, so konnte sie sich recht bald ganz gut mit ihm unterhalten. Er freute sich wie ein Kind darüber und redete jetzt ununterbrochen. In seiner Jugend, er war an die zehn Jahre alt gewesen, da war er von einer Lawine verschüttet worden, und seitdem war er halb taub, aber darum war er noch lange nicht blöd, und reden konnte er auch.
Im Stall war man froh und manchmal lachte sie auch. Lilly, die einmal geglaubt hatte, nie mehr lachen zu können. Und dann freute sich der Ignaz, und er sah auch, dass sie jetzt von Tag zu Tag wieder hübscher wurde. Die großen schwarzen Ringe verschwanden unter den Augen, und die Wangen bekamen auch wieder Farbe.
Als das Heu alle war, sagte er eines Abends: »Ich muss morgen auf die obere Wiese, dort steht ein Heuschober, mit dem Schlitten bring ich es herunter.«
»Darf ich mitkommen?«, fragte sie eifrig. »So etwas hab ich noch nie gemacht.«
»Ei freilich, aber wirst nicht fortfliegen, du Elfengewicht?«
»I wo«, lachte sie, »ich werd mich festhalten.«
»Dann zieh dich nur recht warm an, dort es ist kalt.«
»Wo ist es denn?«
»Da müssen wir ein Stück durch den Hochwald, und dann rechts ab, dort ist meine Wiese, und dort steht der Schober.«
»Auf der Alm?«
»Nein, die liegt noch viel höher. Im Sommer ist der Sepp dann oben und versorgt das Vieh.«
Am nächsten Morgen nach dem reichhaltigen Frühstück holte er den Schlitten aus dem Stall. Sepp half ihm dabei und fettete die Kufen ein.
»Jetzt wird es gehen«, sagte er.
»Zuerst müssen wir ordentlich steigen. Wenn das Heu aufgeladen ist, geht es dann in sausender Fahrt nach unten«, sagte Ignaz.
Noch nie hatte ihm das Arbeiten so viel Spaß gemacht wie jetzt, wo er Lilly kannte. Sie blickte ihn mit leuchtenden Augen an und war so lernbegierig.
Und dann gingen sie los. Die Frau stand am Fenster und ballte die Hände vor Zorn. Sie kannte die Männer. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis er Feuer gefangen hatte. Sollte sie sich das vielleicht bieten lassen? Vor ihren Augen würden sich dann die zwei lieben, und sie würde zum Gespött des Dorfes, dass sie so etwas zuließ. Wie es im Augenblick aussah, konnte sie nichts finden, um die zwei zu trennen.
Während sie wieder bösen Gedanken nachhing, gingen die zwei schwergeprüften Menschen arglos und frohen Herzens durch den verschneiten Winterwald.
»Ist das schön«, sagte Lilly andächtig. »So schön, und da lebt man all die Jahre in einer Stadt und merkt nix davon, wie schön es doch sein kann in der Natur. Und so still, ach, ich wünschte, die Zeit möge stillstehen! Jetzt, für lange!«
Ignaz schritt stumm an ihrer Seite dahin. Hin und wieder warf er einen prüfenden Blick auf das schmale Gesicht, um zu sehen, ob sie sich auch nicht überanstrengte. Und dabei dachte er, damals hätte ich so eine Frau heiraten sollen. Warum nur hab ich nicht auf meine Freunde gehört? Aber wenn man ein Tollkopf ist, dann muss man im Leben bitter dafür bezahlen. Dann ist man schon mit fünfzig Jahren aufgebraucht.
Er kannte viele Kollegen, die auch jetzt noch immer auf der Bühne standen, die nicht vergessen waren, auf dem Höhepunkt sich befanden, weil sie maßvoll gelebt hatten, sich nicht völlig verausgabten. Dass er abgehen musste, hatte er auch dieser Frau zu verdanken. Sie war sein ganz großes Unglück. Und dann der Sohn! Manchmal hatte er das Gefühl, als sei es gar nicht sein Sohn, er war ihm so fremd, er besaß die gleiche Kälte und Maßlosigkeit seiner Mutter. Oft fragte er sich, hat er denn nichts von mir mitbekommen, gar nichts?
Sie stiegen immer höher. Bald hatten sie den Wald hinter sich gelassen, und eine weite Fläche tat sich vor ihnen auf. Hier schien die Welt noch unberührt. In der glasklaren Morgenluft standen die Riesen, ruhig und besonnen. Wie wunderschöne Scherenschnitte hoben sie sich vom Himmel ab. Seine Brust wurde weit, für einen Augenblick vergaß er alles, er fühlte sich nach langer Zeit wieder froh, und er musste singen. So war ihm auch schon als Bub zumute gewesen, immer wenn er sich froh gefühlt hatte, dann hatte er gesungen, und das Echo war von den Bergen zurückgefallen.
Er legte den Kopf zurück, und dann sang er. Lilly war im ersten Augenblick richtig erschrocken, so plötzlich ohne Ankündigung geschah alles. Dann sah sie sein Gesicht, es wirkte so gelöst, so entspannt, er war jetzt viel jünger als sonst. Ihr Ohr hörte sofort den Künstler heraus. Schon lange beschäftige sie sich mit dem Namen Monnschein, irgendwie kam er ihr bekannt vor. Und jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Als sie seine Stimme hörte, sah sie sich wieder in der kleinen Stube daheim. Der ganze Stolz der Mutter war ein alter Plattenspieler, und sie besaß eine Platte, die sie besonders gern hörte. Ignaz Monnschein und seine schönsten Opernarien! Er war also der große Sänger! Er besaß die begnadete Stimme, um die ihn damals viele beneidet hatten.
Reglos stand sie da und lauschte. Ihr war, als befände sie sich in einem Dom, so andächtig war ihr zumute. Noch nie war sie dem Himmel so nahe gewesen.
Dann brach er ab.
»Verzeih«, sagte er erschrocken, »es ist so über mich gekommen, ich hab dich dabei ganz vergessen.«
»Es war wunderschön«, sagte sie leise. »Jetzt weiß ich auch, wer du bist!«
»Schade«, meinte er leise.
»Aber warum?«, fragte sie erschrocken.
»Das ist alles so lange her, als wäre es schon gar nicht mehr wahr!« Bitter klangen seine Worte.
Die Wunde im Herzen war also noch immer nicht vernarbt. Sie blutete noch immer.
Ignaz Monnschein blickte auf die Uhr. »Wir haben noch ein wenig Zeit, magst dort drüben den Gipfel besteigen? Von dort hat man einen wunderschönen Ausblick.«
»Wenn ich es schaff!«
»Komm!«
Schweigend gingen sie Seite an Seite. Keiner wagte die Stille zu durchbrechen. Und dann musste man sich bei der Kletterei auch arg anstrengen. Ignaz ging voran und half ihr immer wieder. Er streckte ihr seine Hand entgegen, und sie zog sich daran hoch. Und dann waren sie oben! Er hatte wirklich nicht zu viel versprochen. Atemlos schaute sie auf das wundervolle Panorama.
»Im Sommer«, sagte er heiter, »da könnten wir es vielleicht versuchen, von der Almhütte aus, da müsst es gehen. Das heißt, wenn du magst.«
Da lagen sie, der Wiener Schneeberg und der Sonnleitstein, daneben der Rax und dann die Wildalpe Spitze. Ignaz kannte sie alle auswendig.
Hier oben in der stillen erhabenen Einsamkeit der Bergwelt, da öffnete sich sein Mund. Jetzt war die Stunde gekommen, jetzt musste er einmal über sich reden. All die Jahre hatte er es in sich hineingefressen. Aber jetzt kam es ihn wie selbstverständlich an.
Mit zuckenden Lippen sprach er von seiner Vergangenheit. Von dem ärmlichen aber fröhlichen Elternhaus, von seiner Studierzeit und den ersten Auftritten, den ersten Erfolgen, von den Reisen durch die ganze Welt. Japan, China und England, fast jedes Land hatte er bereist. Alle huldigten sie seiner Stimme.
Von Sonja, von ihrem maßlosen Leben, von seiner Krankheit, seiner Zurückgezogenheit und dem Unglück seiner Frau berichtete er.
»Sie hat mich nie geliebt, nur mein Leben, das Leben im Rampenlicht hat sie geliebt, und sie hasst mich, sie will mich auch jetzt noch vernichten, und eines Tages wird sie es auch schaffen, sie ist so stark.«
»Aber warum geht sie dann nicht fort, oder warum schickst du sie nicht fort?«, fragte Lilly spontan. »Ich spüre doch, wie weh sie dir tut, immerzu und du duldest still. Warum jagst du sie nicht fort?«
»Sie würde mich dann unmöglich machen. Sie ist eine rachsüchtige Frau, sie ist zudem halb gelähmt und nicht nur in Eichberg, überall würde sie ihr Gift verspritzen, in ihrer Not hätte ich sie fortgejagt, o ja, sie kann es, die Menschen einwickeln, das weiß ich sehr gut. Und die Presse, die Leute warten doch nur auf Sensationsgeschichten, und ich kann mich dann nirgends mehr sehenlassen. Nein, ich muss ausharren, ich muss es, bis sie von allein geht. Ich wünsche es mir jeden Abend, lieber Gott, lass sie die Einsamkeit endlich satt sein, lass sie gehen, ich bitt dich, gib mir meinen Frieden wieder. Mehr will ich ja gar nicht. Ich bin jetzt nur noch ein einfacher Bergbauer und will auch nichts anderes mehr sein. Bis zum Schluss werd ich hier oben leben, dies ist meine Heimat. Hier werde ich einst sterben, und auf dem kleinen Friedhof da unten möcht ich neben den Eltern begraben werden.«
War es in dieser Sekunde der völligen Entsagung, dass sie ihn zu lieben anfing? Lilly wusste es nicht, sie wusste nur eins, er hatte ihr Herz aufgewühlt. Sie konnte ihn nicht mehr so reden hören.
»Du bist noch kein alter Mann«, lehnte sie sich gegen seine Worte auf. »Du bist noch jung, du kannst noch alles, du darfst nicht aufgeben.«
Er war einen Kopf größer als sie. Jetzt stand er vor ihr und lächelte auf sie herab. Ihre Augen waren so klar wie ein Bergsee. Man konnte darin lesen, und er sah keinen Falsch darin, nur die Reinheit der Jugend. Und er stöhnte innerlich auf. Seine Hände verkrampften sich in der Jacke.
»Jung«, seine Worten gingen fast unter. »Ich doch nicht mehr, du bist jung, und jetzt halt ich dich hier zurück. Wenn es Frühling wird, dann musst du fort, unter Jugendliche, du gehörst nicht hierher. Ich habe noch viele Bekannte aus meiner früheren Zeit. Wenn du willst, schreibe ich ihnen einen Brief, und man wird dir eine gute Stellung besorgen.«
»Ich werde hierbleiben«, sagte sie fest. »Die Stadt, ich hasse sie. Ich gehe nie mehr zurück, nie mehr!«
»Ist das Herz noch immer so weh? «
»Nein, das nicht, das ist schon lange vergessen, aber ich werde trotzdem nicht mehr gehen. Wenn du mich fortschickst, dann geh ich nach Eichberg und such mir dort Arbeit.«
»Ich werd dich nie fortschicken, ich wollt dir nur sagen, nicht dass du denkst, du musst bleiben.«
Sie gingen den Weg zurück. Jetzt wurde es hier oben empfindlich kalt.
»Nun müssen wir uns aber sputen, sonst wird der Sepp noch denken, uns ist etwas zugestoßen.«
Bald waren sie wieder bei dem Heuschober. Ignaz holte das Heu und belud damit den Schlitten, bis nichts mehr draufging.
»So, jetzt spielen wir feine Herrschaften und lassen uns ins Tal kutschieren. Bitte, steigen Sie ein, meine Dame«, sagte er.
Lilly kletterte auf das Heu, er setzte sich dahinter. Mit der einen Hand hielt er das Mädchen fest und mit den Beinen stemmte er sich gegen die Kufen. Und dann ging es herunter in sausender Fahrt.
Lilly kreischte auf und glaubte schon, sie würden am nächsten Baum landen. Sie lachte und schrie, und Ignaz lachte aus voller Kehle mit! Nach so langen Jahren konnte er wieder so herzlich lachen.
Er hielt den warmen Mädchenkörper an sich gepresst. Und es war wie ein Blitzschlag. Das Blut, so viele Jahre floss es eben dahin, jetzt pulsierte es wieder in den Adern, es schwoll an und pochte an den Schläfen.
»Du bist noch jung, jung, jung ...« Sie hatte es gesagt.
O du mein Gott, dachte er inbrünstig, was gäbe ich darum, dass ich diesen Augenblick festhalten könnte. Für immer festhalten. Sie gibt mir so unendlich viel. In ihrer Unschuldigkeit ist sie Balsam für meine wunde Seele. Sie hat mich wieder das Lachen gelehrt. Seit ich sie kenne, hab ich wieder Freude am Leben.
Da lichtete sich der Wald, die Wiese trat hervor, da lag in der Mulde sein Haus. Der Rauch stieg aus dem Schornstein, Sepp hatte also das Feuer nicht ausgehen lassen. Später würden sie am Kamin sitzen und einen Punsch trinken. Er fühlte in sich den großen Wunsch, die Westkammer zu öffnen, um auf dem Flügel zu spielen. Zehn Jahre hatte er es nicht mehr getan, bestimmt waren seine Finger schon eingerostet. In dem Augenblick, als sie auf den Hof einbogen, sah er das Gesicht Sonjas am Fenster, und alle Freude war wie fortgeweht.
»Ich kümmere mich um das Essen«, sagte Lilly und verließ ihn mit hastigen Schritten.
Ignaz blickte ihr lange nach.