Читать книгу Liebeswirren auf der Bergalm: Roman Paket 9 Heimatromane - A. F. Morland - Страница 20
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Manchmal in der Nacht träumte er davon, wie sie beide auf dem Rodelschlitten gesessen hatten. Wie er ihr warmes Blut gespürt, wie er zum Leben erwacht war. Alles stand dann so deutlich vor seinen Augen, und die Sehnsucht packte ihn dann und ließ ihn nicht wieder ein schlafen. So kam es oft vor, dass er viele Stunden wach lag, und nicht weit von seiner Kammer lag das junge Mädchen.
Vielleicht hatte er sie schon damals geliebt, als sie vor seiner Tür gelegen hatte, als er sich nach ihr bückte und sie aufhob, ihr in der Nacht beistand. Ignaz wusste selbst nicht mehr, wann seine Liebe angefangen hatte. Er war erfüllt davon. Seit er dieses wundervolle Geschöpf liebte, seither machte ihm das Leben wieder großen Spaß. Schon morgens stand er auf und freute sich. Gleich werde ich sie sehen, gleich wird sie mit dem Kaffee in der Hand aus der Küche kommen und mich anlächeln.
Es gab Augenblicke, wo er seine Frau völlig vergaß, wo er nur noch sie sah! Seine Liebe wurde von Tag zu Tag stärker, und sie pulsierte durch seine Adern. Sein Schritt wurde leichter, die Schultern strafften sich immer mehr.
Hatte sie damals nicht gesagt, du bist noch jung, du stehst auf dem Höhepunkt?
Jetzt, wo der Winter vorbei war, wo die Wege frei waren, wanderte er oft hinaus, um allein zu sein. Dann konnte er irgendwo auf einem Felsbrocken sitzen und stundenlang vor sich hin träumen. All die Jahre hatte er nur hier gelebt, aber wenn er es richtig besah, dann eigentlich nicht wirklich. Er hatte weder Kontakt mit den Dörflern noch sonst jemandem. Stumpf wie ein Tier hatte er sein Tagwerk verrichtet, und oft hatte er mit dem Gedanken gespielt, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Aber jetzt kamen da ganz andere Gedanken. Er musste wieder an die große weite Welt denken!
Ignaz wusste, Sonja würde ihn nicht freigeben, niemals! Und sie würde alles so geschickt hinstellen, dass er ein böser Mensch war, eine arme verlassene dazu noch gelähmte Frau wegen einer jüngeren im Stich ließ. Man würde ihn und Lilly verachten. Ihr Leben würde von Anfang an vergiftet sein.
So dachte er oft, und wenn wir einfach heimlich fortgehen? Ich werde ihr so viel Geld zurücklassen, dass sie gut leben kann. Sie kann sich dann in Klagenfurt eine kleine Wohnung mieten und sich einen Menschen nehmen, der sie versorgt. Aber sie kann ja auch selbst noch genug tun. So behindert ist sie ja gar nicht.
Ich würde endlich frei sein, sie nie mehr sehen noch hören müssen, mein Gott, ich würde verrückt vor Glück, und dann Lilly, dieses bezaubernde Geschöpf, ich würde ihr die Welt zu Füßen legen, ich würde sie anbeten, ihr alles geben. Für sie würde ich gern noch einmal ganz von vom beginnen. Ich könnte Liederabende geben, kleine Konzerte, ich habe doch noch immer meine Stimme! Ich könnte ...
In all seinen Überlegungen kam dann die Erkenntnis, du bist schon fünfzig und das Geschöpf gerade einundzwanzig Jahre. Das war hart! Und wieso war er so davon überzeugt, dass Lilly ihn liebte? Mit keiner Silbe oder Geste hatte sie ihm je zu verstehen gegeben, dass sie ihn lieb hatte. War es nicht Dankbarkeit, die sie für ihn empfand? Er hatte ihr geholfen, ihr ein Dach über dem Kopf gegeben, bei ihm konnte sie arbeiten und sich ihr eigenes Geld verdienen. Im Augenblick war sie nur verwirrt und wollte von der Welt da draußen nichts wissen. Aber wenn sie erst einmal den Schmerz der Vergangenheit überwunden hat, dann wird sie gehen. Jetzt, wenn es Frühling und Sommer wird, dann wird sie wohl ins Tal gehen. Dort gibt es genug junge Burschen. Die werden auch sehen, wie schön und anmutig sie ist. Man wird um sie werben, und sie wird sich verlieben. Wie sollte sie da noch Rücksicht auf mich nehmen? Ich bin doch ein alter Mann, ich könnte sogar ihr Vater sein!
Diese Erkenntnis tat schon weh, sehr weh sogar.
Da saß man nun, zum Leben erwacht, und liebte zudem auch noch, aber es war eine unerfüllte Liebe. Er war wohl dazu verdammt, sein ganzes Leben unglücklich zu verbringen. Nur dass er mit einer begnadeten Stimme versehen war, das war der kleine Unterschied. Ignaz dachte jetzt, wenn ich sie nicht gehabt hätte, dann hätte ich mein Heimattal nie verlassen. Ich wäre Handwerker geworden oder hätte eine Bauerntochter geheiratet. Ich hätte nie viel Geld besessen, aber eine nette Frau, ein gemütliches Heim und Kinder. Man hätte mich im Ort geachtet. Ich wäre nicht so einsam wie jetzt.
Bitter war es schon, wenn man zurückdachte und so gar nichts hatte! Da gab es freilich noch den Sohn, aber der war so anders, dass man Angst vor ihm hatte, und er ging noch immer keiner geregelten Arbeit nach.
Ach, hätte er nur je geahnt, dass Mathias nicht sein wirkliches Kind war, vielleicht wäre dann jetzt noch alles anders geworden. Die Freunde damals hatten ihm nicht die volle Wahrheit sagen mögen. Als sie merkten, wie sehr geblendet er war und wie starrköpfig, da hatten sie geschwiegen. Aber alle in der Wiener Staatsoper hatten gewusst, dass Sonja schwanger war, aber von Luis Schwaiger, der sie dann hatte sitzenlassen. Ignaz hatte sich noch nicht mal Gedanken gemacht, als dieses Kind zu früh auf die Welt kam, seiner Rechnung nach, und doch voll ausgereift war. Sonja hatte deswegen damals schon dafür gesorgt, dass er es die erste Zeit nicht so oft zu sehen bekam. Damals hatte er ja auch so viel zu tun gehabt!
Und das war auch ein Grund mehr, warum sie nicht mit ihm in die Stadt ziehen wollte. Jetzt, wo sie gelähmt war, sie hatte Feinde genug, das wusste sie ganz genau. Bestimmt würde sich dann schnell jemand finden, der es ihm hinterbrachte, und dann hatte er einen Grund, um sie zu verlassen. Der Sohn war das einzige Bindeglied. Und jetzt hatte sie so lange ausgeharrt, so lange auf ihren Vorteil gewartet. Sie war jetzt fünfundvierzig Jahre alt, also noch keine alte Frau. Wenn sie jetzt das Erbe antreten würde, dann konnte sie noch viel damit erreichen. Sonja wusste nicht genau, wie hoch es war, aber schon allein dieses Haus in den Bergen war viel wert, und er hatte Jahr für Jahr neue Äcker und Wiesen dazugekauft. Andere Bauern in der Umgebung schafften immer mehr die Landwirtschaft ab, sie wollten von den Touristen leben, das war viel einfacher und nicht so anstrengend. Aber ihr Mann machte alles umgekehrt. Sonja dachte wütend, wenn er sich doch dazu entschlossen hätte, damals ein großes Touristenhotel hier zu eröffnen. Dann wären sie gekommen, alle, und man hätte weiterhin mit der großen Welt leben können. Man hätte ein kleines Reich zu regieren gehabt. Aber einfacher Bauer! Dazu noch Kühe! Nein, und jetzt auch noch dieses Mädchen, das gab ihr den Rest.
Ignaz wusste nichts von ihren bösen Gedanken, und er wusste auch nichts von ihrer Vergangenheit, und so fügte er sich in sein Schicksal.
Er sagte sich nur, wenn Lilly eines Tages geht, dann will ich dafür sorgen, dass es ihr gut geht, dass sie nicht ein zweites Mal Schiffbruch erleidet. Ich habe sie so lieb, ich würde ihr mein Leben schenken, wenn ich sie dadurch glücklicher machen könnte.
Ignaz spürte weder, dass auch Lilly ihn liebte noch bemerkte er den Kampf zwischen den beiden Frauen. Zum ersten Male wurde dieser ausgetragen, ohne dass er zugegen war, aber er hätte es spüren müssen. Doch er war so mit seinen Gedanken versonnen, litt so darunter, doch wieder entsagen zu müssen.
Aber da gab es einen, der alles ahnte und sich auch seine Gedanken machte. Der Sepp war es. Wenn er auch nicht alles hören konnte, so war er doch klug, und was noch viel wichtiger war, er besaß ein gutes Herz. Er mochte das Mädchen sehr gern und freute sich immer besonders, wenn Lilly Zeit hatte, sich mit ihm zu unterhalten. Und er liebte auch Ignaz und hasste die Frau. So merkte er sehr bald, dass sich diese beiden Menschen quälten. Anfangs wusste er nicht, warum und zergrübelte sich den Kopf. Bis er eines Tages Lilly beobachtete, wie sie den Ignaz betrachtete. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Doch Sepp war auch ein Sohn der Berge, und er kannte die Gesetze hier. Die Leute würden die beiden sofort verurteilen, sie ahnten ja da unten in Eichberg nicht, welche Tragödie sich hier abspielte. Sie hielten Sonja Monnschein für ein bedauernswertes Geschöpf und den Ignaz für hart und kalt, dass er die gelähmte Frau all die Jahre da oben gefangen hielt.
Wenn er sie jetzt noch verstoßen würde, dann würde man ihn mit Schimpf und Schande verjagen. Ja, sie waren ja so ehrbar, gingen fast jeden Tag in die Kirche und rutschten sich die Knie krumm, die Klatschmäuler und machten den andern das Leben schwer.
Er wurde von Trauer erfüllt. Ausgerechnet die zwei Menschen, die er so lieb hatte, sie litten, und er konnte ihnen nicht helfen.