Читать книгу Liebeswirren auf der Bergalm: Roman Paket 9 Heimatromane - A. F. Morland - Страница 16
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Am Morgen nach dieser Nacht war strahlendes Wetter. Der Sturm hatte sich gelegt und es war auch kein neuer Schnee gefallen. Glasklar und zum Greifen nahe standen die Bergspitzen vor dem kleinen Stubenfenster. Eine helle Sonne stand auf dem glitzernden Eis und alles sah so unwirklich aus wie ein Zuckerberg. Jetzt in einer warmen Stube, eingehüllt in einer Decke, da war die Welt nicht mehr rau und kalt.
Lilly fühlte sich unendlich schwach und konnte auch noch nicht sofort aufstehen, obwohl sie die Geräusche des Hauses hörte und sich unsicher fühlte. Sie wusste gar nicht, wo sie hingeraten war. In der Nacht war alles nur ein großer Schmerz gewesen. Aber jetzt war alles überstanden, und da war auch auf einmal wieder der Lebenswille in ihr. Ich will es doch versuchen, dachte sie inbrünstig. Es war falsch von mir fortzugehen. Vielleicht finde ich hier irgendwo einen ganz neuen Anfang. Das Kind! Für das Kind will ich alles auf mich nehmen. Vielleicht bekomme ich irgendwo eine Stellung, wo ich es mitnehmen darf.
Komisch, dachte sie, da habe ich ein Kind geboren und weiß noch nicht einmal, was es ist.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Ignaz betrat das Zimmer. Er trug ein Tablett mit Broten und frisch aufgebrühtem Kaffee.
»Der wird dir jetzt guttun und dich stärken.«
Irgendwie fand er es ganz normal, dass er bei dem Du blieb. Nach so einer Nacht war man sich nicht mehr fremd, und da konnte man auch nicht so förmlich bleiben.
Sie lächelte schwach. »So viel Arbeit nur meinetwegen, hoffentlich kann ich das wiedergutmachen.«
Er lächelte mit traurigen Augen, und ihr war, als litte er, und sie empfand Mitleid mit ihm. Wie er in der vergangenen Nacht bei ihr das heimliche Weh aufgespürt hatte, so fühlte sie es jetzt umgekehrt bei ihm.
Ignaz setzte sich an ihr Bett und dachte, ich muss es ihr wohl gleich sagen, das ist besser. Sie soll alles wissen, dann wird sie besser darüber hinwegkommen. So erzählte er ihr, dass sie ein kleines Mädchen geboren habe, aber dieses nie gelebt habe, sondern sofort tot gewesen sei. «Es war zu früh«, sagte er leise.
Lilly fühlte die Tränen über das Gesicht laufen. Jetzt in dieser Sekunde, wo sie mit dem Herzen dieses Kind angenommen hatte, in dem gleichen Augenblick musste sie erfahren, dass es tot war und sie litt sehr darunter. Ignaz verstand sie und wollte sie irgendwie trösten. Aber es war so schwer.
»Ja«, sagte er leise, »da möcht ich noch sagen, du kannst hier so lange bleiben, wie du willst, ich würd mich sogar sehr freuen, Lilly.«
Sie hatte ihm ja in der Nacht erzählt, dass sie alle Brücken hinter sich abgerissen hatte. Der Wirtin hatte sie einen Brief hinterlassen. Sie besaß nur das, was sie auf dem Leib getragen hatte, als sie Klagenfurt verlassen hatte.
Dieser einfache Mensch bot ihr nun ein Heim an.
»Aber ...«, stammelte sie.
»Nun, ich könnt schon jemanden brauchen, der mir den Haushalt macht. Bis jetzt hab ich mich um alles kümmern müssen. Du siehst, du wirst hier sogar dringend gebraucht, aber ...« Jetzt erloschen wieder seine Augen.
»Ja«, flüsterte sie.
»Ich muss dir einiges sagen, zum Beispiel, da ist die Frau, meine Frau!«
Lilly sah ununterbrochen auf die Bergspitzen, so machte sie es ihm leichter mit dem Reden.
»Wir führen schon lange keine rechte Ehe mehr, sie ist böse, falsch und zänkisch und wird dir vielleicht das Leben arg schwer machen. Ich will dir jetzt und hier sagen, wenn du es nicht mehr ertragen kannst, so kannst du jederzeit gehen, nicht dass du denken musst, du bist mir was schuldig. Ich hab es gern getan, wirklich gern, und es war mir eine große Freude, dir helfen zu können. Für Augenblicke hab ich dein Kind geliebt, wirklich geliebt, ich hab gedacht, vielleicht hätte dadurch alles anders werden können, aber Gott hat es nun mal nicht gewollt.«
Sie wurde aus ihm nicht schlau. Lilly spürte, er wollte ihr so viel sagen, aber dann schämte er sich wohl. Sie begriff es nicht so recht, und so schwieg sie erst einmal. Gern nahm sie sein Angebot an, wenn sie für Essen und Unterkunft hier arbeiten konnte. Später konnte man ja weitersehen. Eines Tages würde das Herz dann auch wohl zu bluten aufhören.
»Du kannst dich so lange erholen hier, wie du es brauchst, Lilly.«
»Ach«, lächelte sie, »ich werde es schon bald wieder können. Der Kaffee hat mich wirklich gestärkt. Ja, ich glaub, ich werd gleich wohl aufstehen können.«
Ignaz stand in der Tür.
»Da werd ich wohl mit dem Auto ins Dorf fahren können, der Schneepflug war da, und so werd ich dann Sachen einkaufen. Wenn du mir sagst, was dir fehlt, werde ich dir alles besorgen!«
Ihr schmales blasses Gesicht war ihm zugewandt, ihre Augen waren unergründlich. Was sollte sie auch davon alles halten? War sie hier denn nicht auf einem Hof in den Bergen gelandet? Aber er war kein Bauer, sein ganzes Wesen strahlte etwas anderes aus. Obwohl er wie ein Bauer gekleidet war, merkte sie, dass es nicht stimmte.
»Wir werden es dann mit dem Lohn verrechnen«, sagte er ruhig.
Und so zählte sie denn auf, was man als Mädchen für das Leben braucht. Er schrieb sich alles auf, und dann entfernte er sich.
Sie war in ein sehr merkwürdiges Haus gekommen, vielleicht war er nicht ganz klar im Kopf, dachte sie bei sich. Als sie das Auto fortfahren hörte, stand sie auf und wusch sich. Der Leib tat noch weh, aber sie hielt sich tapfer. Wenig später verließ sie die Kammer. Als sie den breiten Flur betrat, war sie erstaunt über die kostbaren Dinge, die wertvollen Teppiche und Bilder, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte.
Das war kein einfacher Bergbauernhof, nein, aber was war es dann? Sie ging weiter und gelangte in den großen Hauptraum mit dem riesigen Kamin. Überall lagen und hingen Felle und das wirkte so gemütlich. Es war ein schönes Haus, stellte sie fest. Hier zu leben, musste doch eine Freude sein und dann den Bergen so nahe. Fern von all dem Lärm und der Hast. In Klagenfurt waren die Berge so weit, und man hatte nie Zeit, zu ihnen zu wandern. Immer war man in Hetze und Eile. Und hier hatte man das Gefühl, die Zeit würde stillstehen.
Dann vernahm sie ein seltsames Geräusch hinter sich und drehte sich um. Vor ihr stand eine sehr schöne Frau mit einem sehr harten Gesicht. Sie stützte sich schwer auf Krücken. Sonja starrte das junge Ding an, und dann sagte sie mit böser Stimme: »So weit ist es also schon gekommen, nun kommen ihm seine Flittchen schon ins Haus nachgelaufen. Aber bilde dir bloß nicht ein, dass du meine Stelle einnehmen wirst, nie und nimmer! Ich bin seine Frau«, setzte sie hart hinzu.
Lilly war über die harten Worte so erschrocken, dass sie einen Augenblick lang kein Wort über die Lippen brachte. So viel Hass auf einmal hatte sie noch nie erlebt. Und sie hörte wieder die dunkle Stimme des Mannes. Wir führen schon lange keine rechte Ehe mehr, sie ist böse, falsch und zänkisch.
Lilly schluckte.
»Verzeihen Sie«, sagte sie leise, »ich weiß nicht, was Sie meinen. Was wollen Sie von mir?«
»Glaubst du, ich habe nicht gesehen, wie er in der Nacht den Bastard vergraben hat?
Lilly taumelte und musste sich am Schrank festhalten.
»Ich bin zufällig hierher geraten«, stammelte sie. »Ich wollte sterben. Bitte, Sie müssen mir glauben. Ich habe erst gestern ihren Mann kennengelernt.«
Sonja lachte lautlos. Das hatte sie ja nur wissen wollen, und verächtlich dachte sie, nicht mal das kann er. Ich an seiner Stelle hätte mir längst eine Geliebte geholt, aber er ist und bleibt ein Bauernlümmel.
»Warum bist du dann noch hier, wenn du nichts von ihm willst?«
Lilly wäre jetzt am liebsten davongelaufen, aber der Mann hatte so viel für sie getan. Das konnte sie doch nicht, einfach fortgehen, ohne Dank!
»Ihr Mann hat gesagt, ich könne hier Arbeit finden«, stammelte sie.
»Wir brauchen keine Hilfe«, gab Sonja grob zurück. »Ich erwarte, dass du noch heute das Haus verlässt!« Dann drehte sie sich um und ging fort. So, dachte sie befriedigt, die wird schon gehen, die ist ja nur ein weicher Waschlappen. Das wär ja noch schöner, wenn er sich eine Junge ins Haus holt, damit er wieder Spaß am Leben kriegt. Er soll sterben, sterben, verflucht, er soll endlich in die Berge gehen und nie mehr wiederkommen.
Lilly wollte fort, aber dann kam sie in die Küche und sah hier die fürchterliche Unordnung. Man sah auf einen Blick, dass stets nur ein Mann hier arbeitete. Das Herz zog sich zusammen. Noch immer hörte sie die Frau und dann die Worte des Mannes. Sie war verwirrt und traurig zugleich, und dann hatte sie auch noch Schmerzen.
Er hat so viel für mich getan, dachte sie verzweifelt, ich werde zum Dank für alles die Küche aufräumen, und dann gehe ich fort. Vielleicht finde ich im Ort irgendeine Beschäftigung. Nach Klagenfurt will ich nie mehr zurück. Nie mehr!
So machte sie sich denn an die Arbeit. Lilly hatte ihr ganzes Leben gearbeitet, zuerst bei der Mutter und dann später für sich. Ihr war nie etwas geschenkt worden.