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Stille herrschte im Krankenzimmer. Betretenes Schweigen. Klaus Krage bedeckte noch immer seine Augen mit der Hand. Er atmete schwer und rang merklich um Fassung. Schwester Melanie berührte sacht seinen Arm, die Hand glitt von seinem Gesicht, er sah sie mit tränennassen Augen an.

„Begreifen Sie jetzt, dass ich dem Leben in letzter Zeit nicht mehr viel abzugewinnen vermochte?“, fragte er tonlos. „Ich machte mir die schwersten Vorwürfe.“

„Weil Sie Ihre Frau zu dieser Fahrt in die Schweiz überredet hatten?“

„Ja“, nickte Klaus Krage.

„Sie konnten nicht vorhersehen, welche Folgen das haben würde“, verteidigte ihn die hübsche Nachtschwester.

„Trotzdem warf ich mir vor: ‘Wenn du nichts gesagt hättest, würde Elvira noch leben. Sie würde zwar im Rollstuhl sitzen, aber sie wäre noch da. Du könntest sie weiter betreuen, mit ihr reden, ihr sagen, wie lieb du sie hast ... Nun ist sie tot. Durch deine Schuld. Du hast sie auf dem Gewissen, hast sie mit deinem verbohrten, sträflich leichtsinnigen Optimismus umgebracht.’ Das warf mich so sehr nieder, dass ich dachte, nie mehr aufstehen zu können.“

Schwester Melanie betrachtete den Patienten ernst. Klaus Krage tat ihr unwahrscheinlich leid. Dieser bedauernswerte Mann hatte wirklich Schlimmes mitgemacht.

„Und dann“, fuhr Klaus leise fort, „stirbt mein Vater, und ich werde wenig später mit einem Blinddarmdurchbruch in diese Klinik eingeliefert - mein Leben hängt an einem seidenen Faden ... Beinahe wäre es für mich schiefgegangen.“

„Ja, Sie hatten großes Glück.“

Klaus Krage nickte.

„Glück auch, Sie hier kennenzulernen.“

Melanie senkte den Blick und errötete leicht.

„Nach Elviras Tod hielt ich es für ausgeschlossen, dass ich mich noch mal verlieben könnte“, sagte der Patient, „doch hier in der Paracelsus-Klinik ist es mir - ganz unverhofft - passiert. Ich habe dadurch wieder Freude am Leben, und ich würde diese Freude gern mit Ihnen teilen, Melanie. Ihr Bruder ist für mich kein Hindernis. Sie brauchen sich meinetwegen nicht von ihm zu trennen. Ich bin daran gewöhnt, auf einen Menschen, der im Rollstuhl sitzt, Rücksicht zu nehmen. Ich kann mit ihm umgehen und wäre bereit, Ihnen bei der Betreuung Ihres kranken Bruders zu helfen. Ich wäre glücklich, wenn Sie mir erlaubten, Sie zu entlasten und zu unterstützen. Damit wäre unser aller Leben sehr viel leichter.“

Nie erlebte Gefühle durchtobten Melanie. Sie machten sie so unsicher und brachten sie so sehr durcheinander, dass sie fluchtartig das Krankenzimmer verließ. Sie wusste nicht, wie sie mit der Liebe dieses leidgeprüften Mannes umgehen sollte. Sie zu erwidern, war ihr - so glaubte sie - nicht möglich, deshalb beschloss sie, sich von nun an von ihm fern zuhalten.

Morgen würde sie sich sicherheitshalber krank melden, und sie würde die Paracelsus-Klinik erst wieder betreten, wenn man Klaus Krage entlassen hatte, denn es war kein Platz für ihn in ihrem Leben. Für keinen Mann.

Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021

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