Читать книгу Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021 - A. F. Morland - Страница 65
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Оглавление„Melanie, ich muss mit dir reden!“ Die Worte verkündeten Unheil. Melanie schlich ängstlich ins Wohnzimmer, wo die Mutter sie - ausgehfertig - erwartete.
„Ja?“, sagte das vierzehnjährige Mädchen leise.
Berta Weckmann zeigte auf einen Sessel.
„Setz dich! Ich habe nicht viel Zeit, in einer Viertelstunde muss ich weg!“
Melanie nahm gehorsam Platz. Sie legte die Handflächen auf ihre Schenkel und sah die Mutter unsicher an. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Bertas aufdringliches billiges Parfüm ließ Übelkeit in ihr hochsteigen.
„Ich muss dir etwas sagen“, erklärte die Frau ihrer eingeschüchterten Tochter. „Etwas, das Bruno betrifft.“
Bruno war seit drei Tagen wieder im Krankenhaus. Man hatte ihn gründlich untersucht und war zu einem höchst betrüblichen Ergebnis gekommen.
„Bruno ist krank“, sagte Berta Weckmann kalt. „Sehr krank.“
Melanies Herz krampfte sich zusammen. Sie liebte ihren Bruder. Wenn er litt, litt sie mit ihm. „Sehr krank?“, presste sie heiser hervor. „Was ... was fehlt ihm denn, um Himmels willen? Was haben die Ärzte bei ihm gefunden?“
„Multiple Sklerose. Du weißt, was das ist?“
„Nein“, antwortete Melanie.
„Eine Krankheit, die sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark befällt. Die multiple Sklerose zählt zu den häufigsten Erkrankungen des Zentralnervensystems, haben die Ärzte mir erklärt. Es kommt hierbei zu schubweise auftretenden Lähmungen und Empfindungsstörungen an Armen, Beinen, Rumpf und Kopf ...“
„Aber ... aber Bruno wird doch wieder gesund, ja?“
„Nein, Melanie. Diese Krankheit kann kein Arzt heilen. Vielleicht können sie’s in dreißig, vierzig Jahren, aber heute kann man Bruno noch nicht helfen. Mit jedem Schub wird sich die Krankheit verschlimmern. Irgendwann wird Bruno nicht mehr gehen können ...“
Melanie riss entsetzt die Augen auf.
„Nicht mehr gehen können ...?“
„Eines Tages wird er im Rollstuhl sitzen und auf deine Hilfe angewiesen sein.“
Melanie war zutiefst erschüttert. Sie weinte.
„Ich glaube nicht, dass mein Bruder unheilbar krank ist“, stieß sie aufgewühlt hervor und schüttelte trotzig den Kopf.
„Du wirst dich von nun an noch mehr als bisher um Bruno kümmern müssen“, sagte Berta Weckmann hart.
„Ich?“ Melanie hatte absolut nichts dagegen, für ihren geliebten Bruder da zu sein, wenn er sie brauchte. Aber nur sie?
„Natürlich du“, schnauzte die Mutter ihre Tochter an. „Was dachtest du denn?“
„Aber du bist doch seine Mutter.“
„Ich habe nicht die Nerven, Bruno rund um die Uhr zu betreuen“, erklärte Berta Weckmann kopfschüttelnd. „Außerdem bin ich nicht schuld an seiner Krankheit.“
„Ich auch nicht.“
„Doch, Schätzchen, du schon.“ Melanie japste nach Luft. Die Worte der Mutter hatten sie wie ein Hammerschlag getroffen.
„Aber ... aber ...“
Die Frau starrte ihre Tochter finster an.
„Ich habe mit den Ärzten gesprochen. Du hast deinen Bruder die Treppe hinunterstürzen lassen. Dieser Sturz hat die Krankheit ausgelöst.“
„Nein!“ Melanie hatte gequält aufgeschrien. Ihr war, als würde ein Messer in ihrem Fleisch stecken und ihre Mutter würde es mit jedem Wort brutal herumdrehen.
„Zweifelst du an den Worten der Ärzte? Hältst du sie für Stümper? Sind sie in deinen Augen alle Schwachköpfe? Will ein vierzehnjähriges Mädchen klüger sein als diese erfahrenen Doktoren?“ Melanie schlug die Hände vors Gesicht und weinte haltlos.