Читать книгу Roman Koffer 10 Arztromane zum Jahresende 2021 - A. F. Morland - Страница 59
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ОглавлениеAls Trixi Lassow zur Tür hereinkam, musterten sie zwei gut aussehende Männer Mitte Dreißig mit bewundernden Blicken. Dr. Sören Härtling registrierte das mit Freude und sichtlichem Wohlgefallen. Seine Schwester war eine hübsche, attraktive, elegante Erscheinung und das erfüllte den Chefarzt der Paracelsus-Klinik mit wohltuendem Stolz.
Der Kellner brachte sie an seinen Tisch. Er erhob sich, um sie zu umarmen und mit Küssen auf die Wangen zu begrüßen. Sie trug ein lindgrünes Kostüm, das die Makellosigkeit ihrer Figur dezent unterstrich.
„Neues Kostüm?“, erkundigte sich Sören.
„Ich habe es vor einem halben Jahr in Wien gekauft“, antwortete Trixi. Sie setzten sich.
„Ich habe es noch nie gesehen.“
„Ich trage es heute erst zum dritten Mal.“
„Es steht dir ganz ausgezeichnet. Ich darf mich glücklich schätzen, eine so bildschöne Schwester zu haben.“
„Ach, Sören ...“
Dr. Härtling hob die Hände.
„Ich sage nur, was ich sehe.“
Trixi Lassow griff nach seiner Hand und drückte sie innig.
„Wie war der gestrige Abend?“, erkundigte sich Sören.
Seine Schwester kräuselte die Nase.
„Nicht besonders aufregend.“
„Hast du dich gelangweilt?“, fragte Sören Härtling.
„Es war dicht an der Grenze.“
Sören lächelte. „Ich nehme an, du brauchtest mal wieder nur schön zu sein, alles Weitere konntest du Axel überlassen.“
„So ungefähr.“
Sie ließen sich vom Kellner einen Aperitif empfehlen, nahmen als Vorspeise einen erfrischenden Krabbencocktail und als Hauptgericht eine gefüllte Truthahnbrust mit Reis, Kroketten und grünen Bohnen. Während des Essens kramten sie in alten Erinnerungen, sprachen über Sörens Arbeit, über Jana und die Kinder - nur über Trixi und ihre Familie redeten sie nicht.
Trixi Lassow sah Sören Härtling dankbar an.
„Ist schön, mal wieder so zusammenzusitzen und zu plaudern - nur wir beide, der große Bruder und die kleine Schwester. Wir haben das schon sehr lange nicht mehr getan. Ich hab’ schon fast vergessen, wie gut es tut, sich mit dir zu unterhalten, Sören. Du kannst so interessant erzählen.“
„Ich bin auch ein sehr guter Zuhörer“, sagte Dr. Härtling.
„Ich weiß. Wenn ich im spätpubertären Alter manchmal Liebeskummer hatte, fand ich stets Verständnis und Trost bei dir.“ Sie lachte. „Ich konnte mich immer so herrlich bei dir ausheulen. Gott, war das wohltuend. Ich fühlte mich hinterher jedes Mal wie neugeboren.“
„Es hat sich zwischen damals und heute nichts geändert, Trixi.“
„Doch Sören. Du hast einen Beruf, der dir sehr viel abverlangt, bist verheiratet, hast Familie ...“
„Aber ich bin immer noch für dich da, wenn du mich brauchst“, sagte Dr. Härtling.
Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Schön, das zu wissen.“
„Die Familie ist mir stets sehr wichtig gewesen, und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich meine damit nicht nur Jana und unsere Kinder, sondern auch alle Paracelsusse und euch Lassows.“ Sörens Blick erforschte das aparte Gesicht seiner Schwester. „Wenn du heute Liebeskummer hättest, würdest du dann damit auch noch zu mir kommen, dich bei mir ausweinen und von mir trösten lassen?“
Ein Schatten legte sich über Trixis Augen.
„Liebeskummer ist etwas für junge Leute.“
„Du bist doch jung.“
„Ich bin über vierzig“, wandte Trixi ein.
„Du siehst nicht so aus.“
„Aber ich fühle mich so!“ Das klang nun schon sehr gequält.
„Bist du gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe?“, erkundigte sich Sören besorgt.
„Da spitzt der Arzt in dir die Ohren“, lachte Trixi. „Nein, körperlich habe ich zur Zeit überhaupt keine Probleme.“
„Und seelisch?“, fragte Dr. Härtling.
Trixi Lassow schwieg.
„Scheint so, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen“, sagte Sören. Er hatte das Gefühl, dass seine Schwester gegen Tränen ankämpfte.
„Findest du nicht auch, dass das Leben früher leichter, unbeschwerter war?“, fragte sie mit belegter Stimme.
„Nein, du warst bloß unbekümmerter als heute.“
Sie seufzte tief.
„Mit zunehmendem Alter nimmt man alles viel schwerer. Was man früher mit einem gleichgültigen Schulterzucken abgetan hat, wird heute zum unüberwindbaren Hindernis.“
„Willst du damit auf etwas Bestimmtes hinaus, Trixi?“
„Nein. Ich meine das nur ganz allgemein.“
„Warum bist du nicht ehrlich zu mir, Kleines? Ich sehe doch, dass du Kummer hast, dass du nicht glücklich bist. Und ich weiß es auch.“
Sie sah ihn überrascht und verwirrt an.
„Du weißt es? Was weißt du?“
„Ich will ehrlich zu dir sein, Trixi. Ich war vor ein paar Tagen mit deinem Mann essen.“
Plötzlich war klirrende Kälte in ihrem Blick.
„Hat er sich bei dir über mich beklagt?“, fragte sie spröde.
„Axel ist sehr unglücklich, weil du ihm unrecht tust“, erwiderte Sören Härtling. „Ich habe ihm versprochen, mit dir zu reden.“
Ihre Augen verengten sich. Sie sah ihren Bruder an, als wäre er ihr Feind.
„Wenn du vorhast, dich in unsere Ehe einzumischen ...“
„Das liegt nicht im Entferntesten in meiner Absicht!“
„Ich brauche auch keine guten Ratschläge von meinem älteren Bruder,“ zischte Trixi Lassow.
„Ich habe weder vor, dir Ratschläge zu erteilen, noch dich zu belehren oder dir die Leviten zu lesen. Ich möchte lediglich einen bescheidenen Beitrag zur Lösung eures Problems leisten.“
„Wir werden mit unseren Problemen allein fertig“, behauptete die aparte Frau unzugänglich.
„Diesen Eindruck habe ich leider nicht.“
Trixi knüllte ihre Stoffserviette zusammen und warf sie auf den Tisch.
„Ich lehne es ab, mit dir oder mit irgendjemandem sonst über die Schwierigkeiten meiner Ehe zu diskutieren, Sören.“ Sie blickte zur Decke und presste wütend die Zähne zusammen. „Gott, was ist nur aus diesem schönen Abend geworden? Ich würde jetzt am liebsten aufstehen und nach Hause gehen. Ja, dazu hätte ich jetzt wirklich Lust.“
„Man schafft keine Hindernisse aus der Welt, indem man vor ihnen wegläuft“, sagte Dr. Härtling sachlich. „Ich hätte nie gedacht, dass meine Schwester mal Probleme mit dem Älterwerden haben würde. Ich habe dich immer für ungemein selbstsicher gehalten. Ich dachte, du wärst so sehr von dir überzeugt, dass niemand deinem starken Ego etwas anhaben könnte. Und nun muss ich feststellen, dass dem nicht so ist.“
„Wenn eine Frau die ersten Falten in ihrem Gesicht entdeckt, wird sie ängstlich, sensibel und verletzbar.“
„Auch dein Mann hat die ewige Jugend nicht gepachtet“, stellte ihr Bruder trocken fest.
„Männer altern anders“, entgegnete Trixi Lassow nervös. „Wenn ein Mann Falten kriegt, sagt man: Jetzt wird er interessant. Wenn eine Frau Falten kriegt, sagt man: Jetzt wird sie alt.“
„Wer nicht alt werden will, muss sich rechtzeitig erschießen“, konterte Sören.
Trixi schüttelte mit finsterer Miene den Kopf.
„Es geht nicht allein ums Älterwerden, Sören ...“
„Es geht dir darum, dass du deinen Mann nicht an eine jüngere Frau verlieren möchtest.“
„Kommt so etwas nicht täglich vor?“, fragte Trixi Lassow kriegerisch. „Da hat man mit seinem Partner ein Heim geschaffen, eine Familie gegründet, mitgeholfen, eine Existenz aufzubauen, und dann kommt eines Tages so ein junges Ding daher und erntet skrupellos die Früchte dieser harten, entbehrungsreichen Arbeit. Man ist auf einmal nicht mehr gefragt, hat wie ein altes Paar Schuhe ausgedient, wird ausbezahlt, muss gehen, muss einer Jüngeren Platz machen. Tschüss. Mach’s gut! Ein ganzes glückliches Leben wird mit einem einzigen Handstrich bedenkenlos fortgewischt. Aber man darf sich nicht beklagen. Wir leben ja im Zeitalter der Gleichberechtigung. Er hat sich eine jüngere Partnerin genommen. Sie kann sich auch einen jüngeren Partner suchen. Nur - sie will keiner haben mit ihren Falten, die von Tag zu Tag mehr werden.“
„Und darunter leidest du?“, fragte Sören Härtling.
„Zeig mir eine Frau, der solche Aussichten egal sind.“
„Liebst du Axel?“, fragte Dr. Härtling seine Schwester.
„Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen“, sagte sie heiser. „Das macht die Sache ja so grausam.“
„Axel liebt dich auch.“
„Er macht jungen Frauen nette Komplimente.“
„Er macht allen Frauen Komplimente“, sagte Sören Härtling, „doch bei den Fünfzigjährigen stört es dich nicht. Da bist du dir seiner sicher. Aber bei einer Zwanzigjährigen flippst du aus.“
„Mit gutem Grund. Weil ich weiß, dass ich mit so einem jungen Ding nicht konkurrieren kann.“
„Das brauchst du auch gar nicht“, erwiderte Sören. „Axel interessieren keine anderen Frauen. Für ihn gibt es nur dich, und es tut ihm sehr weh, wenn du ihm das nicht glaubst.“ Trixi Lassow schwieg betreten. „Siehst du die beiden gut aussehenden Männer dort drüben?“, fragte Sören.
Trixi schaute kurz hin.
„Was ist mit ihnen?“
„Wie alt mögen sie sein?“, fragte ihr Bruder.
„Dreißig, fünfunddreißig“, schätzte Trixi.
„Als du vorhin das Restaurant betreten hast, haben sie sich deinetwegen beinahe den Hals ausgerenkt. Ist dir das nicht aufgefallen?“
„Nein.“
„Wie kannst du glauben, du wärst für Axel nicht mehr attraktiv genug, wenn wesentlich jüngere Männer dir begehrliche Blicke zuwerfen?“, fragte Dr. Härtling. Trixi schlug die Augen nieder. „Du bist eine wunderschön, attraktive, äußerst begehrenswerte Frau“, sagte Sören Härtling eindringlich. „Du hast nicht den geringsten Grund, um deine Ehe mit Axel zu fürchten“, versicherte er seiner Schwester. „Er will nur dich. Das hat er mir gesagt, und Männer, die so zueinander stehen wie Axel und ich, reden sehr offen und ehrlich über solche Dinge. Du solltest deinem Mann glauben, was er sagt.“ Sören legte Trixi die Hand auf den Arm. Sie sah ihn mit großen, feuchten Augen an. „Ich erwarte nicht, dass du jetzt nach Hause gehst und Axel freudenstrahlend und erleichtert um den Hals fällst“, sagte Sören, und ein kleines Lächeln umspielte dabei seine Lippen, „aber ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du über meine Worte sehr gründlich nachdenken und zu einem guten Entschluss kommen wirst.“