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Als Klaus Krage aufstehen durfte, führte ihn einer seiner ersten Wege ins Schwesternzimmer. In dieser Nacht war es sehr still in der Paracelsus-Klinik. Hinter einer der Türen, an denen Krage vorbeikam, war kurz das trockene Husten eines Mannes zu hören. Klaus verharrte einen Augenblick. Er war noch sehr schlecht auf den Beinen, ging leicht gekrümmt, und seine rechte Hand lag auf der ziehenden, brennenden und juckenden Wunde.

Auf halbem Wege drohten ihn die Kräfte zu verlassen. Er blieb wieder stehen, lehnte sich an die Wand, atmete mit offenem Mund. Mutete er sich möglicherweise zu viel zu?

Egal. Er nahm keine Rücksicht auf sich. Er wollte Melanie sehen. Nach ihr läuten durfte er nicht mehr, denn damit hätte er sie sehr böse gemacht. Also musste er zu ihr gehen. Sobald er sich etwas erholt hatte, schleppte er sich weiter. Der Gang kam ihm schrecklich lang vor. Er schien sich zu erstrecken und zu dehnen und kein Ende nehmen zu wollen. Aber erst am Ende befand sich das Schwesternzimmer. Klaus hatte den Eindruck, dass er der Tür, hinter der sich Schwester Melanie aufhielt, einfach nicht näherkam. Wie war das denn möglich? Er musste erneut eine Pause einlegen. Die Operation schien ihn mehr geschwächt zu haben, als er angenommen hatte. Kalter Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Sollte er umkehren? Nein, auf keinen Fall. Es war zurück ins Krankenbett bereits weiter als zu Melanie. Und wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen...

Endlich erreichte er die Tür. Seine Knie zitterten. Hoffentlich ist sie da, dachte er. Denn zurück schaffe ich es ohne Hilfe nicht mehr.

Melanie ... Er hatte sich in diesen wunderschönen, unnahbaren und geheimnisvollen Engel der Nacht verliebt. Ihn hatte das selbst am allermeisten überrascht und verblüfft, denn er hatte geglaubt, nach Elviras Tod zu einer solchen Gefühlsregung nie mehr fähig zu sein.

Die Liebe ist wahrhaftig eine Himmelsmacht, ging es ihm jetzt durch den Sinn. Sie lässt sich von uns Menschen in keiner Weise beeinflussen. Wir können sie weder erzwingen noch steuern. Sie trifft uns einfach. Manchmal völlig unerwartet. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und wir dürfen sie lediglich zur Kenntnis nehmen und müssen versuchen, uns irgendwie mit ihr zu arrangieren.

Er öffnete die Tür. Beinahe wäre er in den Raum gefallen. Die Nachtschwester sprang auf und eilte zu ihm.

„Herr Krage! Was tun Sie denn hier?“

Er murmelte das vom Propheten und dem Berg. Sie führte ihn zu einem Stuhl, und er sank ächzend darauf nieder.

„Nicht böse sein“, flehte er. „Bitte, bitte, nicht böse sein. Es tut mir leid, wenn ich schon wieder unartig bin, Schwester, aber ich musste Sie unbedingt sehen - und läuten darf ich ja nicht mehr.“ „Sie sind nicht bei Trost.“

„Vielleicht hat man mir nicht nur den Wurmfortsatz, sondern auch die Vernunft herausoperiert“, feixte Klaus.

„Den Eindruck habe ich langsam auch. Wie können Sie nur so schrecklich unvernünftig sein?“

„Es tut mir wirklich leid, aber die Sehnsucht nach Ihnen war so groß ...“

„Ihnen scheint nicht klar zu sein, in welche Schwierigkeiten Sie mich hätten bringen können“, sagte Schwester Melanie vorwurfsvoll.

Er sah sie betreten an.

„In Schwierigkeiten?“

„Stellen Sie sich vor, Sie wären auf dem Weg hierher zusammengebrochen“, sagte Schwester Melanie mit zornfunkelnden Augen. „Wer weiß, wie lange Sie da draußen gelegen hätten, bis ich oder einer der Ärzte oder ein Pfleger Sie gefunden hätte.“

Klaus senkte verlegen den Blick.

„Daran habe ich nicht gedacht. Es tut mir leid.“

„Sagen Sie nicht immer, es tut Ihnen leid“, fuhr Melanie ihn unbeherrscht an.

„Aber es tut mir ...“

Sie schüttelte wild den Kopf.

„Das glaube ich Ihnen nicht! Wenn es Ihnen wirklich leid täte, würden Sie so etwas Unverantwortliches erst gar nicht tun.“

Er sah sie schmachtend an.

„Sie wissen, was mich zu Ihnen getrieben hat.“

„Seien Sie still!“, sagte sie hart und streng. „Sprechen Sie es nicht aus! Behalten Sie es für sich! Ich will es nicht schon wieder hören ...“

„Was?“, fragte er sanft.

„Dass ... dass ... dass ...“

„Dass ich Sie liebe?“, half er ihr.

„Ja.“

„Was ist so schrecklich daran?“, wollte Klaus wissen.

„Ich will es nicht“, stellte sie kategorisch fest.

Er betrachtete diese wunderschöne junge Frau traurig.

„Scheint so, als wäre die Liebe in Ihren Augen ein Kapitalverbrechen.“

„Sie kompliziert das Leben“, erklärte Melanie nüchtern. „Man lebt viel ruhiger ohne sie.“

„Liebe ist etwas Wunderbares, ein Geschenk des Himmels, für das wir sehr, sehr dankbar sein sollten. Nicht jedem widerfährt sie. Sie versetzt uns in eine wunderbare Hochstimmung, verleiht unserem Herzen Flügel ...“

„Hören Sie auf, solchen Unsinn zu reden!“, fuhr die Schwester ihn an. „Hören Sie endlich auf damit!“

„Wissen Sie, was das Tragische an der Angelegenheit ist? Wir können beide nicht verhindern, dass ich Sie liebe. Sie haben keinen Einfluss darauf. Ich auch nicht. Es ist mir einfach zugestoßen - wie ein Unfall. Und jetzt muss ich mit den Folgen leben.“ Kurzes, ernstes Schweigen. Dann fragte Klaus: „Was ist schiefgelaufen in Ihrem Leben, Schwester Melanie?“

„Nichts. Ich habe erreicht, was ich wollte. Habe einen Beruf, der mich ausfüllt, bin zufrieden.“

Er schüttelte ungläubig den Kopf.

„Das können Sie mir nicht erzählen. Sie sind nicht glücklich, das sehe ich Ihnen an. Und Sie sind sehr einsam, weil Sie keinem Mann erlauben, Sie zu lieben.“

„Herr Krage“, sagte Melanie verdrossen, „ich bin Krankenschwester in dieser Klinik, und ich bin stets bemüht, meine Arbeit so gut wie möglich und zu aller Zufriedenheit zu erledigen. Schwester Melanie ist pünktlich, fleißig, freundlich, zuverlässig und jederzeit für alle Patienten da. Aber nur in diesem Krankenhaus. Wenn Sie nach Hause geht, führt sie in aller Zurückgezogenheit ein bescheidenes Leben, das niemanden - hören Sie? Niemanden! - etwas angeht.“

„Warum lassen Sie sich nicht helfen, Schwester?“

„Wie kommen Sie darauf, dass ich Hilfe brauche?“, fragte sie schnippisch.

„Ich fühle es.“

„Ihr Gefühl trügt Sie“, behauptete die schöne Pflegerin spröde.

„Ich liebe Sie.“

Zorn rötete ihr Gesicht.

„Herrgott nochmal, fangen Sie nicht schon wieder damit an! Ich habe es Ihnen schon einmal klarzumachen versucht: Sie machen den gravierenden Fehler, Dankbarkeit mit Liebe zu verwechseln.“

Klaus Krage schüttelte eigensinnig den Kopf.

„Nein. Ich weiß, wann ich verliebt bin. Ich war es bisher erst einmal, und ich erinnere mich noch sehr genau daran. Es war wundervoll! Deshalb dachte ich, so etwas könnte sich ganz bestimmt nicht wiederholen, doch nun wurde ich eines Besseren belehrt.“ Er sah ihr flehend in die Augen. „Bitte - lassen Sie sich von mir lieben. Weisen Sie mich nicht zurück! Was ist schon dabei? Ich tue Ihnen nichts. Ich bitte Sie nur inständig darum, Sie auf die denkbar harmloseste Weise lieben zu dürfen.“ Er lächelte zaghaft. „Und vielleicht erlauben Sie mir auch noch, ein klein wenig darauf zu hoffen, dass Sie irgendwann - ich hab ’s nicht eilig, ich kann warten - dass Sie irgendwann einmal in der Lage sind, meine Liebe zu erwidern.“

Ein Eispanzer schien die hübsche Pflegerin mit einem Mal zu umgeben.

„Wie fühlen Sie sich, Herr Krage?“, fragte Sie trocken. „Haben Sie sich so weit erholt, dass Sie in Ihr Zimmer zurückkehren können?“

„Nicht allein.“ Er lächelte verlegen. „Ich fürchte, ich habe mir vorhin ein bisschen zu viel zugemutet.“

„Dann muss ich Ihnen wohl helfen. Kommen Sie!“

Auf ihren Arm gestützt, trat er schleichend den Rückweg an. Als er wieder im Bett lag, fragte er: „Und wie geht es nun mit uns weiter, Schwester?“

Melanie drehte sich wortlos um und verließ den Raum.

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