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bb) Inhaltliche Steuerung des Integrationsprozesses und Struktursicherung

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Während Art. 23 Abs. 1 GG einerseits den Weg zur Mitwirkung an einer politischen Integration Europas öffnet, schränkt er andererseits die Integrationsmöglichkeiten durch inhaltliche Vorgaben für die Gestaltung der Europäischen Union ein.

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Die in Art. 23 Abs. 1 GG statuierten inhaltlichen Direktiven für eine Beteiligung der Bundesrepublik an weiteren Integrationsschritten sind freilich keine unbekannten Beschränkungen, sondern positivieren im Wesentlichen die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie das verfassungsrechtliche Schrifttum herausgearbeiteten verfassungsimmanenten Begrenzungen. Die Verpflichtung der deutschen Staatsorgane, nur an einer Entwicklung der Europäischen Union mitzuwirken, die „einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“, knüpft erkennbar an die Solange I-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[108] an.

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Zum verfassungsrechtlichen Essentiale des Grundgesetzes zählen auch die in Art. 20 verankerten Prinzipien. An sie anknüpfend fordert Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die Weiterentwicklung einer Union, die „demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen“ verpflichtet ist. Die Verpflichtung auf demokratische Grundsätze ist insbesondere im Lichte des Monitums des Bundesverfassungsgerichts zu interpretieren, die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das Europäische Parlament müsse „schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden“ und dem Deutschen Bundestag müssten angesichts der Tatsache, dass der EU über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation vermittelt werde, „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben“.[109] Zum Kern der rechtsstaatlichen Prinzipien zählen neben den Freiheitsrechten das Recht auf effektiven Rechtsschutz sowie die Gewaltenteilung, die Rechtsbindung der Verwaltung und die Rechtssicherheit.[110] Bei den „sozialen Grundsätzen“ stehen die soziale Sicherheit und die Förderung der Chancengleichheit im Vordergrund.[111]

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Einigkeit herrscht dabei, dass die genannten Grundsätze nicht eine strukturelle Kongruenz oder Homogenität fordern,[112] sondern dass es nur darum gehen kann, funktional vergleichbare Ziele und Strukturen auf der Unionsebene sicherzustellen.[113] Insbesondere kann die Verpflichtung auf föderative Grundsätze nicht bedeuten, das deutsche Bundesstaatsmodell auf die EU zu übertragen. Es geht vielmehr darum, die Vielfalt in der Einheit, die vertikale Gliederung und damit Gewaltenteilung als Bauprinzip der Union zu wahren und weiterzuentwickeln. Betrachtet man die bisherige Entwicklung des primären Gemeinschaftsrechts, insbesondere die vom EuGH herausgearbeiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze und Prinzipienbestimmungen wie Art. 6 Abs. 1 EU, so findet man nicht nur eine funktionale Vergleichbarkeit, sondern sogar eine weitgehende Kongruenz der maßgeblichen Prinzipien des deutschen Rechts einerseits und des Gemeinschaftsrechts andererseits.[114] An prominenter Stelle sind die mittlerweile zum europäischen Gemeingut zählenden Werte bzw. Verfassungsgrundsätze im Europäischen Verfassungsvertrag niedergelegt,[115] was das spanische Verfassungsgericht zu der Feststellung veranlasst hat, dass damit den von verschiedenen Verfassungsgerichten erklärten inhaltlichen Integrationsvorbehalten in vollem Umfang Rechnung getragen werde.[116]

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Erstmals im Grundgesetz erwähnt findet sich der Grundsatz der Subsidiarität. Mit der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Verpflichtung der Integrationsgewalt auf diesen Grundsatz wird zum einen eine Richtschnur für die Regelung der Kompetenzverteilung von der supranationalen bis zur kommunalen Ebene in den zu verhandelnden neuen Integrationsverträgen gegeben, zum anderen eine Direktive für die vertraglich vorzusehende Kompetenzausübung der Union[117] und damit zugleich der insbesondere auf Betreiben Deutschlands in das Primärrecht eingeführte Subsidiaritätsgrundsatz[118] als aus deutscher Sicht unverzichtbarer acquis festgeschrieben.[119]

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Die so genannte „Struktursicherungsklausel“ des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zielt in erster Linie darauf, eine Kompatibilität der grundlegenden Verfassungsprinzipien auf Unionsebene und auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts zu gewährleisten. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG erklärt darüber hinaus den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungskern für integrationsfest. Hat die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die positive Gestaltung der Verfassungsordnung der EU im Blick, so steht bei der Verfassungsbestandsklausel des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG die Abwehr von Verletzungen der nationalen Verfassungssubstanz im Vordergrund. Funktional dient dabei die durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG bewirkte indirekte Steuerung der Verfassungsentwicklung auf Unionsebene der Vermeidung von Konflikten, für die die absolute Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG relevant werden könnte. Der Sache nach wird insoweit auch den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 24 Abs. 1 GG entwickelten Integrationsschranken Rechnung getragen.

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