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1. Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes

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Im Hinblick auf Art. 25 GG hat man bereits früh von der „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ gesprochen.[138] Art. 25 GG erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil des Bundesrechts, wobei sie den Gesetzen vorgehen und unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes Rechte und Pflichten erzeugen sollen. Unmittelbar verfassungsrechtlich verankert ist das Verbot des Angriffskriegs sowie friedensstörender Handlungen (Art. 26 GG), wobei eine strafrechtliche Sanktionierung entsprechender Handlungen vorgeschrieben wird. Adressaten des Verbots, welches das in der Präambel des Grundgesetzes niedergelegte Friedensziel konkretisiert, sind nicht nur die staatlichen Organe, sondern alle natürlichen und juristischen Personen.[139] Damit werden insbesondere auch international agierende terroristische Vereinigungen erfasst.[140]

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Was die Art der Einbeziehung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in den innerstaatlichen Rechtsraum anbetrifft, so spricht der Wortlaut weder eindeutig für die Methode einer (generellen) Transformation in nationales Recht, noch für die einer (generellen) Adoption der Regeln als solcher (als völkerrechtliche Normen und nicht als in nationales Recht transformierte Rechtssätze) bzw. für eine entsprechende Vollzugsanordnung. Einer dem Völkerrecht gegenüber aufgeschlossenen Verfassungsordnung entspricht eher die Methode der Adoption oder die ihr verwandte Vollzugsbefehlslösung,[141] da auf diese Weise die Anordnung an die rechtsanwendenden Staatsorgane, die völkerrechtlichen Normen auch als solche, d.h. nach völkerrechtlichen und nicht nach nationalen Maßstäben, zu interpretieren, anders als bei ins nationale Recht transformierten Rechtssätzen eindeutig ist.[142] Die Vollzugsbefehlslösung lässt sich im Übrigen auch mit einer dualistischen Vorstellung des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht vereinbaren, wie sie das Bundesverfassungsgericht neuerdings wieder betont.[143]

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Unter den allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden das Völkergewohnheitsrecht sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze verstanden.[144] Unmittelbar Rechte und Pflichten erzeugen sie naturgemäß nur dann, wenn sie ihrem Inhalt nach unmittelbar anwendbar (self-executing) sind. Aus der Formulierung, dass sie „den Gesetzen“ vorgehen, wird geschlossen, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts innerhalb der Normenhierarchie zwischen den Parlamentsgesetzen und der Verfassung stehen. Völkerrechtliche Regelungen können somit das nationale Verfassungsrecht nicht abbedingen; im Konfliktfalle geht das Verfassungsrecht vor. Aus einer Zusammenschau des Art. 25 GG mit anderen Bestimmungen des Grundgesetzes wie insbesondere den Art. 1 Abs. 2, 24 und 26 GG wird allerdings geschlossen, dass das Grundgesetz Konflikte des innerstaatlichen Rechts mit dem Völkerrecht möglichst zu vermeiden sucht. Daraus wird das Gebot einer völkerrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts einschließlich des Verfassungsrechts abgeleitet.[145]

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Völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, erlangen durch das in Art. 59 Abs. 2 GG vorgesehene Zustimmungsgesetz (Vertragsgesetz) den Rang eines einfachen Gesetzes. Dies bedeutet grundsätzlich, dass ein später erlassenes Gesetz die in das innerstaatliche Recht einbezogenen völkerrechtlichen Regeln nach der lex posterior-Regel abbedingen kann. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn wegen des klaren Wortlauts und Zwecks des widersprechenden späteren Gesetzes eine völkerrechtskonforme Auslegung oder eine Anwendung der lex specialis-Regel scheitern muss, was freilich sehr selten der Fall sein wird.[146] Eine Verfassungswidrigkeit des derogierenden späteren Gesetzes kann dann allenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes des Gesetzgebers gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot oder gegen eine im Lichte der völkervertraglichen Regelung ausgelegten widersprechenden Verfassungsnorm in Betracht kommen. Jedenfalls kann die bloße Tatsache, dass ein Gesetz einer von der Bundesrepublik übernommenen völkervertraglichen Verpflichtung zuwider läuft, nach dem geltenden Verfassungsrecht nicht ohne weiteres zu einer verfassungsgerichtlichen Aufhebung des Gesetzes führen. Unbeschadet dessen ist die Bundesrepublik aus völkerrechtlicher Sicht selbstverständlich verpflichtet, den völkerrechtskonformen Zustand wieder herzustellen, was nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung bedeutet, dass das völkerrechtswidrige Gesetz in dem vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren wieder aufzuheben ist.

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An der Rangerhöhung völkerrechtlicher Normen durch Art. 25 GG partizipieren völkervertragsrechtliche Bestimmungen dann, wenn sie Völkergewohnheitsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze kodifizieren. Der höhere Rang wird freilich auch in diesen Fällen nicht den vertraglichen Bestimmungen als solchen, sondern den zugrunde liegenden Rechtssätzen des Gewohnheitsrechts zugeschrieben.

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