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cc) Prozedurale Steuerung, insbesondere Föderalisierung der deutschen Integrationsgewalt

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Art. 23 GG soll ausweislich der Entstehungsgeschichte nicht zuletzt eine „Verschiebung der innerstaatlichen Gewichte zwischen Bund und Ländern“ verhindern, indem „die deutschen Mitwirkungs- und Wahrnehmungsrechte in Europa entsprechend der [...] Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern verteilt werden“.[120] Eine Stärkung der Position der Länder bedeutet es zunächst, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU, anders als bei Art. 24 GG, nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG stets der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Bei Verträgen grundgesetzändernden Inhalts soll sogar das Verfahren der Verfassungsänderung gelten (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.Vm. Art. 79 Abs. 2 GG), so dass das Zustimmungsgesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat benötigt. Damit die Grundregel des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG (einfaches Zustimmungsgesetz) nicht leer läuft, ist Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG so zu verstehen, dass nicht jede Hoheitsübertragung, sondern nur solche von einigem Gewicht das Erfordernis verfassungsändernder Mehrheiten auslöst.[121] Freilich bleibt bei dieser Auslegung eine Zone der Unsicherheit, die im Falle eines fehlenden Konsenses der tragenden politischen Kräfte zusätzliches Konfliktpotential birgt.

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Abgesehen von der Beteiligung des Bundesrats bei der Verabschiedung der Vertragsgesetze zielt die Verankerung von Unterrichtungs- und Beteiligungsrechten des Bundesrates bei der Willensbildung in Angelegenheiten der EU auf eine prozedurale Effektivierung einer gebührenden Berücksichtigung der Belange der Länder. Die in den Absätzen 4 bis 6 geregelten Beteiligungsverfahren, die durch ein Ausführungsgesetz weiter konkretisiert werden,[122] sehen eine gestufte Intensität der Beteiligung vor. Danach hat die Bundesregierung neben den Stellungnahmen des Bundestages nach Art. 23 Abs. 3 GG[123] auch solche des Bundesrates zu berücksichtigen; soweit es um Vorhaben im Schwerpunkt der Gesetzgebungsmaterien der Länder geht, steigert sich die Berücksichtigung in eine „maßgebliche“. Am weitesten geht die Beteiligung, wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. In diesem Falle soll die Position der Länder nicht nur berücksichtigt bzw. „maßgeblich“ berücksichtigt werden, sondern nach Art. 23 Abs. 6 die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden, wobei allerdings die Wahrnehmung der Rechte in Abstimmung mit der Bundesregierung zu erfolgen hat.

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Die in Art. 23 GG vorgesehenen Beteiligungsverfahren wirken sich auf die Koordinierung und die Konsensbildung in der Mehrebenenpolitik freilich keineswegs nur fördernd aus, wenngleich die subnationalen Untergliederungen anderer europäischer Staaten, etwa die Autonomen Gemeinschaften Spaniens, die deutsche Lösung häufig loben. In der jüngsten Diskussion über eine Reform des deutschen Föderalismus zogen unter dem Gesichtspunkt der Europafähigkeit des Grundgesetzes gerade die Kooperationsregelungen des Art. 23 GG Kritik auf sich. Befürchtet wird insbesondere, dass die durch Art. 23 GG geforderten Abstimmungsprozesse die Handlungsfähigkeit der deutschen Vertreter im Rat beeinträchtigen und so letztlich der deutsche Einfluss im Hauptrechtsetzungsorgan der Europäischen Gemeinschaft sinke.[124] Dass solche Auswirkungen bereits festzustellen sind, wird freilich von Vertretern der Länder und des Bundesrates bestritten. In dem Maße, in dem die subnationale Ebene auch anderer europäischer Mitgliedstaaten ähnliche Wege der Einflussnahme auf die Entscheidungen des Rates suchen, dürfte die Länderbeteiligung als solche nicht mehr in Frage gestellt werden. Dies schließt freilich die notwendige Suche nach neuen, funktional geeigneteren Beteiligungslösungen keineswegs aus.[125]

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