Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Adam Tomkins - Страница 60

a) Späte Ratifizierung der Konvention

Оглавление

39

Trotz zweier Versuche (1953 und 1956) kam es erst 1974 zur Ratifizierung, über zwanzig Jahre nach der Unterzeichnung des Textes im Jahre 1950. Vor allem zwei Gründe erklären diese späte Ratifizierung: Zunächst der Algerienkrieg. Regierung und Parlament zögerten den Zeitpunkt der Übernahme des Textes in französisches Recht aus der Furcht heraus in die Länge, dass bei Anwendbarkeit der Konvention in Frankreich bestimmte Praktiken der französischen Armee in Algerien gerichtlich hätten verfolgt werden können. Der zweite, lange über das Ende des Algerienkriegs 1962 fortwirkende Grund, ist auf den Nationalstolz zurückzuführen. Das nach der Rückkehr de Gaulles an die Macht 1958 besonders intensive Bemühen um nationale Unabhängigkeit erzeugte großes Misstrauen gegenüber von außen „aufgezwungenen“ Vorschriften. Zudem trug der Stolz darauf, „die Heimat der Menschenrechte“ zu sein, bei manchen Politikern zu der Annahme bei, die EMRK sei nutzlos, ihre Annahme gar gefährlich. Die Konvention war aus dieser Sicht nicht erforderlich, weil Frankreich stolz auf eine umfassende Gerichtsbarkeit und auf Richter sein konnte, die insbesondere die Achtung der Menschenrechte sicherten. Von einer Ratifizierung der EMRK befürchtete man Verwirrung oder gar eine Senkung des von den französischen Institutionen gewährten Schutzstandards. Eine merkwürdige Mischung aus Überlegenheitsgefühl und Furcht vor eventuellen Folgen der Konvention für Frankreich hat ihre Ratifikation somit lange Zeit verhindert.[60]

40

Ein Einstellungswandel vollzog sich erst unter der Präsidentschaft von Georges Pompidou. Der Wille, das Europa der Menschenrechte voranzubringen, und die Furcht vor einer Isolierung Frankreichs besiegten die Vorbehalte. Dennoch standen sich weiterhin zwei Lager gegenüber. Die Regierungsmehrheit wünschte eine Ratifizierung mit Vorbehalten und lehnte das Recht auf Einzelbeschwerde kategorisch ab; die Opposition dagegen forderte eine weitergehende Übernahme. Natürlich behielt die Mehrheit in der Assemblée nationale bei dieser Entscheidung die Oberhand. Die Ratifizierung wurde im Mai 1974, kurz nach dem Tod von Präsident Pompidou, auf den Weg gebracht. Trotz Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des EGMR lehnte Frankreich das Recht auf Einzelbeschwerde ab. Außerdem wurde die Ratifizierung von einer Erklärung, die auf die Erhaltung des Monopols der nationalen Einrichtung für audiovisuelle Übertragungen abzielte (die Art. 10 EMRK betraf und inzwischen zurückgenommen wurde), von zwei Vorbehalten begleitet. Einer schloss die Anwendung des Disziplinarsystems der EMRK auf die Streitkräfte aus. Der andere bezieht sich auf Art. 15 EMRK, der bei außergewöhnlichen Umständen Ausnahmen zulässt, und auf Art. 16 CF, der dem Staatspräsidenten in schwerwiegenden Fällen die Befugnis zugesteht, sich mit uneingeschränkten Vollmachten auszustatten. Gemäß diesem Vorbehalt ist jede Anwendung von Art. 16 CF mit der Konvention vereinbar.

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх