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Esthers Entscheidung
ОглавлениеIn der Zwischenzeit hatte Esther ihr Gespräch mit den Rattenbrüdern Jidell und Quidell geführt, doch beide hatten beim heiligen Einhorn geschworen, dass sie mit dieser Geschichte auf dem Speicher nichts zu tun hatten. Nun saßen die beiden Brüder diskutierend in ihrem Körbchen, welches ihnen als Schlafplatz diente.
Mit bebenden Schnurrbarthaaren fragte Jidell: »Was meinst du, wer das gewesen sein kann? Da stimmt etwas nicht, das stinkt doch nach Drachenkacke!«
Quidell rümpfte die Nase. »Eh, Alter! Dat stinkt gewaltig! So, ’nen Mist, jetzt ist hier endlich mal was los und wir verpassen alles. Die fette Ratte kam bestimmt aus Fanrea, wir müssen die Barthaare auf Empfang stellen!«
»Der hätte ich zu gern die Backen dick gehauen!« Jidell schnaufte und deutete ein paar Boxschläge an.
Währenddessen bereitete Esther sich einen Tee. Dazu griff sie gedankenverloren in verschiedene Dosen, aus denen sie die Zutaten herausnahm, ließ Wasser in einen verbeulten Teekessel einlaufen und stocherte in den knisternden Flammen des Herdes herum. Sie benutzte einen ganz altmodischen, der mit Holz befeuert wurde und die Küche zum Zentrum des Hauses machte, besonders, wenn es draußen klirrend kalt war.
Der Teekessel pfiff lautstark. Esther schüttete das brodelnde Wasser auf die getrockneten, bunten Früchte. Der intensive Duft nach den Genüssen des Sommers zog durch die Küche und vermischte sich mit dem Geruch des brennenden Holzes. Schließlich setzte sie sich mit ihrem Tee an den Eichentisch, um in einem abgegriffenen Fotoalbum zu blättern.
Ihr Blick blieb an einem Foto hängen, auf dem ein gutaussehender, blonder Mann mit sonnengebräunter Haut ein kleines Mädchen auf dem Arm trug. Die beiden lachten fröhlich in die Kamera, das Kind schlang seine Arme liebevoll um den Hals des Mannes. Lange, ungebändigte, braune Locken umrahmten ein hübsches Mädchengesicht mit blaugrünen Augen.
Esthers Augen füllten sich mit Tränen, die langsam ihre Wangen entlangliefen. In dem Moment sprang ein wuseliges Fellknäuel auf ihren Schoß und leckte tröstend ihre Hände.
»Merkst du, dass ich mich schlecht fühle, mein Schätzchen? Ich habe so viel über Fanrea erzählt, dass mich jetzt schmerzhafte Erinnerungen quälen.«
Versonnen kraulte sie ihren Hund hinter den Ohren. »Schau mal, da, auf dem Foto! Das ist meine kleine Tochter, das da mein geliebter Mann. Ich habe dir das nie erzählt, aber damals …« Esther konnte nicht weitersprechen, sie schluchzte und weinte aus tiefstem Herzen. Der Schmerz des Verlustes erfüllte ihr ganzes Denken und Fühlen, die verdrängte Trauer stieg an die Oberfläche. Fips leckte ihr die Tränen von den Wangen. Esther ließ es einfach geschehen, untröstlich in ihrem Kummer.
Hätte sie Emma und Ben von ihrem zweiten Aufenthalt in Fanrea erzählen sollen?
»Ach Fips, mein Lieber, ich mache mir solche Sorgen um Emma und Ben!«
Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Esther setzte sich kerzengerade auf. Mit der Faust donnerte sie auf den Tisch, sodass das alte Teil wackelte und knarzte, als ob es sich über die rohe Behandlung beschweren würde.
»Nein! Auf keinen Fall kann ich Emma mit ihrem Freund allein nach Fanrea lassen! Ich werde sie begleiten und alles in meiner Macht Stehende tun, um die beiden vor dem Bösen zu beschützen. Was meinst du, Fips?«
Der Angesprochene wedelte fröhlich mit dem Schwanz. Er spürte, dass Esther sich wieder gefangen hatte und die Stimmung in Tatendrang umschlug.
»Komm, mein Kleiner, wir gehen packen. Das blöde Geheule hier macht meine Lieben auch nicht wieder lebendig, aber Ben und Emma kann ich helfen. Die leben noch, die brauchen mich jetzt! Ich kenne mich doch aus in Fanrea! Ha! Fanrea, ich komme!«
Energisch schob sie den Stuhl nach hinten, klappte das Fotoalbum zu und lief, mit Fips im Schlepptau, in ihr Schlafzimmer. Dort kramte sie nach Taschenmesser, Kerzen und einem Stück Schnur. Im Badezimmer fand sie die Kräutersalbe für offene Wunden, die Flasche mit dem Nebelzauber sowie den Zauberstein, der in einem sanften Licht leuchtete.
Wo war nur ihr selbst geschmiedeter kleiner Dolch? Esther schaute in allen möglichen Schränken nach, sogar im Keller, doch fand ihn nirgends. Sie war sich sicher, dass er in ihrem Nähkasten lag, aber auch dort war er nicht. Schließlich wurde er von ihr im Kühlschrank aufgespürt. »Wer ihn da nur reingelegt hat?«, murmelte Esther belustigt, die ihre gesamte Ausrüstung in einen geräumigen Rucksack steckte.
Emma und Ben würden staunen, wenn Esther am nächsten Tag überraschend am Treffpunkt erschiene, um die beiden zu begleiten. Aber erst einmal würde sie die zwei morgen früh sehen. Mit einem guten Gefühl ging Esther endlich zu Bett und schlief ein.