Читать книгу Fanrea - A.E. Eiserlo - Страница 9
Esthers Geheimnis
ОглавлениеMit Angst in den Herzen und den Köpfen voller Zweifel machten die beiden Freunde sich umgehend auf den Weg zu Tante Esther. Kurz kam Emma der Gedanke, dass sie sowieso zu ihr wollte, um sie wegen Bens Krankheit um Rat zu befragen.
»Was hältst du von der ganzen Geschichte?«, fragte Emma verunsichert.
»Hm. Ist alles ziemlich krass, oder? Erst hab ich gedacht, da macht jemand einen Scherz mit uns. Aber fast glaube ich Amapola, obwohl mich das selbst erstaunt. Vielleicht, weil ich es glauben will?«
»Möglich!«
»Was habe ich zu verlieren? Ich kann nur gewinnen.«
Emmas Blick streifte Ben und sein entschlossener Gesichtsausdruck erstaunte sie, bestärkte sie aber darin, ihn nach Fanrea zu begleiten. Während des gesamten Weges diskutierten sie weiter über die Worte der Elfe sowie deren unglaubwürdige Geschichte.
Esthers Backsteinhaus lag auf der anderen Seite des Dorfes am Waldrand. Das alte, verwinkelte Gebäude stand inmitten eines riesigen, verwunschenen Gartens, in dem Vögel zwitscherten und Insekten brummten. Umgeben von süßlich duftenden Blumen wuchsen knorrige Obstbäume neben Birken und Weiden. Lange Gräser schwankten im Wind, während Sonnenstrahlen Kringel auf den Boden malten. Hier züchtete Esther ihre Kräuter und Heilpflanzen, die sie zu Tees, Cremes, Hustensäften oder wundersamen Tinkturen verarbeitete.
Esther war die ältere Schwester von Emmas Mutter. Sie galt bei manchen Leuten im Dorf als seltsam und schrullig, weil sie anders war. Einige bezeichneten sie gar als Kräuterhexe. Doch wenn jemand bei kleinen Wehwehchen oder Krankheiten Hilfe benötigte, die normale Ärzte ratlos machte, führte der Weg immer zu Esther. Viele Dorfbewohner wussten Esthers Heilkunst inzwischen zu schätzen.
Besonders gern half Esther den Armen, von denen sie niemals ein Entgelt für ihre Hilfe oder Heilung nahm, was sie deutlich von den Ärzten unterschied. Sie konnte sich das leisten, denn sie hatte reich geerbt. Außerdem schrieb sie Bücher über die Heilwirkung von Kräutern und die Selbstheilungskräfte der Menschen. Esther hoffte, den Menschen damit eine erfolgreiche Alternative zur herkömmlichen Medizin anzubieten, die ihnen eine neue Sicht auf den Menschen sowie seine Krankheiten vermittelte.
Emma und Ben mochten Esther gern, sie verbrachten viel Zeit in ihrem verwilderten Garten. Fasziniert lauschten sie ihren Erläuterungen über heilende Kräuter, wenn sie sich mal wieder die Bäuche mit den legendären Blaubeerpfannkuchen vollstopften.
Esther lachte gern. Sie verbreitete gute Laune, unterhielt ihre Zuhörer mit verrückten Geschichten und konnte die besten Kuchen backen. Das sah man ihr auch an, sie war rundlich und klein, dabei jedoch flink und beweglich.
Emma betätigte den rostigen Türklopfer in Form eines Drachenkopfes. Inständig hoffte sie, dass ihre Tante zu Hause war und nicht gerade im Wald frische Kräuter oder Pilze sammelte.
Doch sogleich ertönte die fröhliche Stimme: »Moment, ich komme!«
Mit lautem Knarren wurde die schwere Holztür geöffnet. Fips, Esthers kleiner Mischlingshund, sprang zur Begrüßung an den Freunden hoch. Einst hatte Esther Fips das Leben gerettet, seither wich ihr der treue Begleiter nicht mehr von der Seite. Die beiden verstanden sich ohne Worte, ein Blick genügte.
Ben und Emma traten ein und umarmten Esther herzlich. Die musterte Bens Wunde auf der Stirn. Dann hielt die Tante ihre Nichte ein wenig von sich weg, um sie anzusehen. Wieder einmal durchfuhr sie ein überwältigender Schmerz, weil Emma ihrer verstorbenen Tochter Leni sehr ähnelte. Nach all den Jahren fühlte Esther immer noch einen Stich im Herzen, weil sie ihren Mann Jamie und die kleine Tochter verloren hatte.
Emma las in den Augen der Tante, an wen diese erinnert wurde, drückte deshalb mitfühlend deren Hand.
Gemeinsam betraten sie die gemütliche Küche, die nach den Kräutern duftete, die überall zum Trocknen hingen oder lagen. Der intensive Geruch von Salbei und Thymian vermischte sich mit dem zarten Aroma von Lavendel, Zitronenmelisse und Minze.
Bücher sowie Kräuter waren im ganzen Haus verteilt. Es war sowieso ein Haus, in dem ein heilloses Durcheinander herrschte. Überall stapelte sich etwas oder lagen Dinge aus Esthers Sammlung herum. Dabei sammelte Esther einfach alles, konnte jedoch nichts wegwerfen! Schnell räumte sie ein paar Bücher, Holzstücke und Töpfe zur Seite, um drei Sitzplätze zu schaffen.
Ben grinste: »Ich weiß nicht, warum meine Mutter immer mit mir schimpft. So chaotisch wie bei dir sieht es bei mir längst nicht aus!«
Esther ließ sich durch diese Stichelei nicht aus der Ruhe bringen, zuckte stattdessen gelassen mit den Schultern.
Auf dem Herd köchelte eine Kartoffelsuppe, deren Duft verführerisch durch das ganze Haus zog. Ben und Emma lief das Wasser im Munde zusammen, und ihre Mägen begannen zu knurren. Schmunzelnd bot Esther den beiden etwas von der Suppe an. »Mit vollem Bauch lassen sich Probleme leichter lösen. Dass ihr etwas auf dem Herzen habt, sehe ich euren Nasenspitzen an. Zudem Bens Pflaster auf der Stirn. Was gibt es? Schießt los!«
Die beiden Freunde sprudelten mit der ganzen Geschichte heraus, während sie die Suppe aßen. Nachdem sie den seltsamen Bericht beendet hatten, schauten die zwei erwartungsvoll zu Esther. Sie war die einzige erwachsene Person, der man eine ebenso fantastische wie unglaubwürdige Geschichte von Elfen, einer uralten Prophezeiung, einem bösen Zauberer und geheimnisvollen Zauberbuch erzählen konnte.
Mit einem Seufzer lehnte Esther sich zurück, schloss die Augen und schwieg längere Zeit. Die Sekunden dehnten sich aus, die Stille wurde geradezu hörbar. Ben, ebenso Emma, wagten kaum zu atmen, so viel Spannung lag in der Luft.
Esthers Gedanken gingen auf eine Zeitreise in diese ferne Welt namens Fanrea. Schöne, aber auch schreckliche, angsteinflößende Momente tauchten in Sekundenschnelle aus den Tiefen ihres Gedächtnisses auf und überfluteten sie. Mit der Erinnerung kam die Furcht. Esther hatte die Gefahren kennengelernt und wusste, welche einen dort erwarteten. Ben nicht! Doch Esther konnte Ben verstehen, sie würde an seiner Stelle sogar genauso handeln. Trotzdem stellte Esther sich die quälende Frage, ob sie ihre Nichte sowie deren Freund daran hindern sollte, nach Fanrea zu reisen.
Als Esther endlich die Augen öffnete, seufzte sie: »Jetzt hat es mich doch wieder eingeholt.«
»Was denn, was hat dich eingeholt?« Nervös strich Emma eine Locke aus ihrem Gesicht.
»Das Tor von Zeit und Raum, ebenso die Abenteuer, die dahinter warten«, flüsterte Esther heiser. Die Worte standen im Raum, entfalteten langsam ihre ganze Magie, wurden zu lockenden Verheißungen oder zu drohendem Unheil.
Bens Herz klopfte schneller, als ihm klar wurde, dass die Reise nach Fanrea sein ganzes Leben verändern würde. Vor Aufregung bekam Emma schwitzige Hände und konnte es kaum erwarten, dass ihre Tante weitersprach. Also schien alles wahr zu sein, was die Elfe ihnen eben erzählt hatte? Überwältigt starrten die Freunde Esther an.
Diese begann behutsam ihre Geschichte zu erzählen: »Ich hatte es all die Jahre verdrängt und nie jemandem erzählt. Die Leute sollten mich nicht für noch absonderlicher halten, als sie es ohnehin schon tun.« Sie machte eine kleine Pause, schaute die beiden dabei ernsthaft an: »Wollt ihr die Geschichte wirklich hören? Vielleicht macht sie euch Angst und nimmt euch den Mut, durch das magische Tor zu gehen? Diese ferne Welt ist nicht nur schön, sondern auch grausam, ja, sogar lebensgefährlich!«
Die zwei überlegten kurz, dann sagte Ben leise: »Esther, ich will nicht blind werden. Ganz tief in mir drin weiß ich, dass Amapola die Wahrheit gesagt hat. Ich hab keine Wahl, egal, was du uns über Fanrea erzählst.«
Emma drängte: »Mach es nicht so dramatisch! Je mehr wir über Fanrea wissen, desto besser für uns. Dann können wir uns drauf einstellen!«
Zweifelnd runzelte Esther die Stirn, verschwieg ihnen die traurigen Gedanken und Ängste. »Ja, vielleicht!. Ihr werdet Dinge über mich erfahren, die euch bisher nicht bekannt waren. Aber eines ist sicher, wenn die kleine Elfe Ben Heilung versprochen hat, könnt ihr das glauben und solltet diese Chance nutzen!« Angespannt rieb sie sich den Nacken, erzählte schließlich zögernd: »Damals war ich ein kleines Mädchen und genoss es, draußen zu sein. Ich liebte die Natur, die mir fortwährend vertrauter wurde. Die Nähe zu ihr war mir immer schon lieber gewesen als die Menschen, die häufig ebenso gemein wie rücksichtslos sind.
Oft war ich allein im Wald unterwegs. Ich wurde eins mit der Natur, konnte Tiere sogar fühlen, bevor ich sie sah. Es gelang mir irgendwann, mit geschlossenen Augen durch den Wald zu gehen, ohne irgendwo anzustoßen, da ich die Umrisse der Bäume spürte.
Mein Lieblingsbaum war und ist eine alte Eiche, gegen deren Stamm ich mich immer schon gerne lehnte. Ich fühlte mich diesem knorrigen Baum sehr verbunden, es war, als säße ich neben einem guten Freund, der mir durch seine bloße Anwesenheit Kraft gab.
Stundenlang saß ich dort still, beobachtete die Tiere, lauschte dem Säuseln der Blätter oder dem Gesang der Vögel. Die Tiere verloren ihre angeborene Scheu vor mir, ich durfte ihnen ganz nah kommen, ohne dass sie wegliefen.
Da ich schon als Kind eine Eigenbrötlerin war, hatte ich nur eine Freundin, Agatha. Die war genauso eine Außenseiterin wie ich. Agatha war klein, ein bisschen pummelig, hatte dunkelbraune Haare und trug eine dicke, von ihrer Oma geerbte Brille, mit der sie wahrscheinlich noch weniger sah als ohne. Wenn Agatha aufgeregt war, stotterte sie. Zudem musste sie alle Anziehsachen ihrer sieben größeren Geschwister auftragen, denn ihre Familie war bettelarm.
Ich mochte Agatha sehr. Sie besaß ein liebes Herz, war ganz ohne Falschheit und fühlte sich unter den Menschen genauso unwohl wie ich. Wegen ihres Aussehens sowie ihrer Armut wurde sie immerzu gehänselt und war froh, dass wenigstens ich sie akzeptierte, so wie sie war.«
Esther machte eine Pause, schaute Ben und Emma an: »Habt ihr Lust auf einen Tee mit einem Stück Blaubeerkuchen? Dazu einen Klecks Sahne?«
Bei diesen Worten lief den Freunden das Wasser im Mund zusammen.
»Oh ja, Blaubeerkuchen mit Sahne!«, riefen sie gleichzeitig.
Esther freute sich: »Gern, ihr beiden Naschkatzen! Wir setzen uns damit in den Garten.« Sie ging zum Kühlschrank und nahm ihren köstlichen Kuchen heraus, dessen dunkelblaue Früchte die Süße des Sommers versprachen. Schon beim Anblick der leckeren Beeren fühlte und schmeckte man, wie der Saft aus den Beeren platzte, der sich langsam mit der leicht gezuckerten Sahne vermischte. Was für ein Genuss!
Als Emma mit ihrem Freund auf der Terrasse saß, beide mit Tee versorgt waren und genüsslich Kuchen schlemmten, fuhr Esther mit ihrer Erzählung fort: »Agatha war oft mit mir im Wald unterwegs. Ich zeigte ihr meine Lieblingsplätze, zusätzlich ließ ich sie teilhaben an meinem Wissen über Pflanzen oder Tiere. Eines Tages zeichneten wir ganz versunken Ameisen, die ihre schweren Lasten trugen. Auf einmal bemerkten wir, dass uns jemand beobachtete. Uns wurde ganz mulmig zumute. Wir schauten uns um. Da entdeckten wir neben meiner Lieblingseiche eine zierliche Elfe auf dem Waldboden, die uns freundlich anlächelte.
Wir hätten jetzt geschockt sein müssen, zumindest erstaunt, waren aber einfach nur fasziniert, dass es wirklich Elfen gab. Genauso wie wir es immer gehofft hatten.
Die Blumenelfe hieß Campanula. Wunderschön war sie und so winzig, dass sie in meine Hand hineinpasste. Sie erklärte uns, dass wir auserwählt seien, mit ihr nach Fanrea zu gehen, um zu lernen.«
»Das ist wie bei uns gewesen!«, unterbrach Emma ihre Tante. »Die Elfe war auf einmal da und hat von Fanrea gesprochen. Nur der Grund für ihr Erscheinen war ein anderer. Erzähl bitte weiter, das ist echt irre!«
Esther nippte an ihrem Tee, räusperte sich dann. »In mir war ein grenzenloses Glück. Für mich stand immer schon fest, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir Menschen uns vorstellen können. Die Elfe mir ihrer Einladung schien mir ein großartiges Geschenk zu sein. Agatha war mit mir einer Meinung, dass wir uns diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen durften. Wir fühlten, dass die Elfe es ehrlich mit uns meinte. Aus heutiger Erwachsenensicht sind weder unser Vertrauen, noch unsere Naivität nachvollziehbar. Wir stellten keine Fragen, sondern gingen einfach mit ihr. Aber wir waren eben Kinder, arglos, neugierig und offen für alles.
Die Elfe reichte uns eine blutrote Flüssigkeit, die wir trinken sollten, und kippten sie hinunter. Heutzutage hinterfragt ihr die Dinge viel mehr als wir damals. Das ist auch gut so!
Campanula öffnete mithilfe von Magie ein Weltentor in der alten Eiche. Durch dieses Tor gelangten wir nach Fanrea und waren überrascht, dass diese Welt sich nicht so sehr von unserer unterschied.
Wir wurden von einem schneeweißen Einhorn empfangen. Es strahlte Liebe und Frieden aus. Seine magische Kraft erfüllte mich mit Ruhe und Glück.« Esther verstummte, schien sich erneut in ihren Erinnerungen zu verlieren.
Mit großem Appetit nahm Ben ein weiteres Stück Blaubeerkuchen, dass er genüsslich mit einem Riesenklecks Sahne garnierte.
Emma beobachtete ihn mit gerunzelter Stirn. Sie wunderte sich mal wieder, wieviel er essen konnte. »Fresssack!«, flüsterte sie.
Gelassen zuckte er mit den Schultern, während er sie angrinste. »Wer weiß, was kommt oder was es in Fanrea zu essen gibt!«
Esther mischte sich ein: »In Fanrea gibt es leckeres Essen. Vor allem gesunde Nahrung, nicht so welche aus der Tüte mit viel Chemie.«
»Klingt nach Körnerfutter. Ich nehme besser eine Notration Kekse oder Schokolade mit.« Ben verzog das Gesicht.
Emma verdrehte die Augen und sagte ungeduldig: »Tantchen! Wie geht es weiter?«
Räuspernd setzte Esther sich in ihrem knarrenden Korbstuhl auf. »Ja, ich war gerade irgendwie … Hm, äh …«
Ben half ihr aus: »Abgedriftet?«
»So nennt man das wohl heute. Also weiter! Wo war ich gerade? Ach ja, beim Einhorn mit Namen Esperanza …«
»Esperanza? Hoffnung?«, warf Ben ein.
»Ben, sei doch still!«, beschwerte sich Emma.
»Ja, genau, Hoffnung. Esperanza kam näher heran. Währenddessen fühlte ich, wie sie auf den Grund meiner Seele schaute, um meine tiefsten Gedanken zu lesen. Nach der Begrüßung erklärte sie uns, weshalb wir in Fanrea waren. Für Esperanza waren wir die Hoffnung. Es bereitete ihr großes Leid, dass die Menschheit mit der Erde respektlos umging und nicht mehr im Einklang mit der Natur lebte. Ihr Vorwurf war, dass die Menschen die Meere und Flüsse vergifteten, Pestizide versprühten, Wälder abholzten, Tiere quälten …«
Ben unterbrach Esther erneut: »Das stimmt zwar alles, aber was solltet ihr Kinder denn daran ändern?«
»Lass Esther doch endlich mal ausreden! Sei still, iss lieber deinen Kuchen!«, ereiferte sich Emma.
Esther seufzte und musterte die Freunde. »Esperanza wollte uns mit einem umfassenden Wissen über die Pflanzenwelt sowie deren Heilkraft beschenken. Anschließend sollten wir diese Kenntnisse den Menschen näher bringen.«
»Deshalb hast du deine Bücher geschrieben! Du möchtest die Menschen wachrütteln!«, rief Emma aufgeregt.
»Ja, es ist meine Aufgabe und Bestimmung, mit alternativen Methoden zu heilen, und ich liebe meine Berufung. Das Einhorn bat uns, ihm zu folgen, deshalb tauchten wir gemeinsam in das dämmrige Licht des Waldes ein.«
Ein fernes Donnergrollen riss Esther aus ihrer Erzählung, besorgt musterte sie den sich verfinsternden Himmel. Die dunklen Wolken erschienen ihr nicht natürlich, intuitiv spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Verärgert stellte sie fest, dass sie sich dummerweise in Fanreas Schönheit verloren hatte, aber den Freunden keinerlei Hinweise auf die Gefahren gegeben hatte.
Als ein einzelner Donner ertönte, sprang Esther nervös auf. »Ich glaube, da zieht ein Gewitter auf. Kommt, wir gehen rein!«
Plötzlich knackte es im Unterholz. Das Geräusch wirkte ebenso laut wie bedrohlich, da ansonsten eine unnatürliche Stille eingetreten war. Es duftete intensiv nach Pfefferminze.
»Wieso ist es auf einmal so ruhig?«, fragte Ben leise.
Esther runzelte die Stirn. »Die Vögel zwitschern nicht mehr, das ist ein schlechtes Zeichen!« Voller Verunsicherung fragte sie sich, welche Bedeutung das Gewitter hatte.
Eine ungewöhnlich große Ratte huschte durch den Garten, blieb stehen und musterte die drei aus kalten, gelben Augen. Sie stand einfach nur da und starrte, bis sie sich abrupt umdrehte. Blitzschnell verschwand sie hinter dem Haus.
»Ihh! Ist die hässlich!«, rief Emma. »Bäh!«
»Ist doch nur eine Ratte. Die tut doch nichts«, beruhigte Ben seine Freundin.
»Die war riesig! Hast du ihren Blick gesehen?«
»Quatsch!«
Beunruhigt ging Esther Richtung Haus. »Kommt, Kinder, ihr müsst bald heimkehren, sonst werdet ihr pitschenass. Während eines Gewitters solltet ihr sowieso nicht draußen herumlaufen.«
In diesem Moment setzte das Gezwitscher der Vögel wieder ein. Esther stutzte, zog erstaunt die Augenbrauen hoch und sah sich um.
Emma hielt ihre Tante am Arm fest: »Du musst mir noch eine Frage beantworten: Was ist aus Agatha geworden? Du hast nie von ihr erzählt, gesehen habe ich sie auch noch nie.«
Esther seufzte. »Agatha! Hhmm, ja, Agatha. Was soll ich sagen? Ja, also …«
»Mensch, drucks nicht herum!«, bat Emma.
»Agatha ist dort geblieben.«
»In Fanrea?«, fragte Ben entgeistert.
»Ja, genau, sie ist in Fanrea geblieben. Agatha hat sich dort wohl gefühlt, zugleich das Leben in unserer Welt abgelehnt. Die Wesen der anderen Welt schenkten ihr Liebe, sie nahmen meine Freundin an, wie sie war, ohne Wenn und Aber. Hier jedoch, in unserer Welt, fühlte sie sich ungeliebt, ja, sogar überflüssig.
Ich konnte sie verstehen, deshalb habe ich ihr geholfen, die Dinge in unserer Welt zu regeln. Wir haben uns eine halbwegs glaubwürdige Geschichte ausgedacht, die sie in einem Brief an ihre Eltern niederschrieb. In diesem stand, dass Agatha weggelaufen war und nun glücklich in Amerika lebte.«
»Echt krass«, murmelte Ben, »einfach so abzuhauen!« Als er sich zur Tür umdrehte, stieß er dabei einen Bücherstapel um.
»Oh je, das Buch, das habe ich ganz vergessen, deswegen seid ihr doch hier! Los, Kinder, wir müssen hoch auf den Speicher.«
Emma beschwerte sich: »So ein Mist! Ich habe noch so viele Fragen zu dem Zauberbuch oder Fanrea.«
»Ich verstehe dich, Emma, aber ihr müsst gehen! Ich befürchte, dass das Gewitter bald hier ist. Kommt morgen noch einmal vorbei. Keine Zeit für Diskussionen, wir suchen nun das Zauberbuch!«
Emma lenkte ein: »Gut, dann erzählst du uns morgen den Rest. Was meinst du, Ben?«
»Joah!«