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VIII

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Tim Allerton ließ sich in den Korbsessel zurücksinken und sah gähnend hinaus aufs Meer. Dann warf er einen raschen Seitenblick auf seine Mutter.

Mrs Allerton war um die fünfzig, sah gut aus und hatte weiße Haare. Sie kniff immer, wenn sie ihren Sohn ansah, die Lippen betont streng zusammen, nur um ihre sehr innigen Gefühle für ihn zu verbergen. Aber selbst Fremde ließen sich von dieser Maßnahme selten täuschen, und Tim hatte sie komplett durchschaut.

»Magst du Mallorca eigentlich, Mutter?«, fragte er.

»Na ja«, gab Mrs Allerton zu bedenken, »es ist billig.«

»Und kalt.« Tim fröstelte.

Er war groß und dünn, ein eher schmalbrüstiger junger Mann mit dunklen Haaren. Er hatte einen sehr weichen, hübschen Mund, ein Kinn, das nicht die größte Entschlussfreude verriet, und zarte, lange Hände. Er war körperlich nie der Robusteste gewesen und vor ein paar Jahren sogar fast schwindsüchtig. Allgemein hieß es, »er schreibt«, aber seine Freunde wussten, dass er Fragen nach seinem literarischen Ausstoß nicht eben förderte.

»Woran denkst du, Tim?« Mrs Allerton war immer auf der Hut. Sie sah ihn an aus ihren strahlenden, aber argwöhnischen dunkelbraunen Augen.

Tim grinste zurück. »Gerade dachte ich an Ägypten.«

»Ägypten?« Es klang ungläubig.

»Da ist es wirklich warm. Nur träger goldener Sand. Der Nil. Ich würde gern mal den Nil hinauffahren, du nicht?«

»O doch, sehr gern sogar«, kam es trocken zurück. »Aber Ägypten ist teuer, mein Lieber. Nichts für Leute, die mit dem Pfennig rechnen müssen.«

Tim lachte, stand auf und reckte sich. Er sah plötzlich hellwach und lebhaft aus. Auch seine Stimme hatte etwas Erregtes. »Die Kosten übernehme ich. Ja, Liebling. Ein kleines Abenteuer an der Börse. Mit durch und durch befriedigendem Ausgang. Ich hab’s heute Morgen erfahren.«

»Heute Morgen?«, fragte Mrs Allerton scharf. »Du hast doch nur den einen Brief bekommen, und der –« Sie schwieg und biss sich auf die Lippe.

Tim war einen Augenblick lang unschlüssig, ob er sich amüsieren oder ärgern sollte. »Und der war von Joanna«, beendete er dann kühl ihren Satz. »Ganz recht, Mutter. Du könntest die Königin der Detektive werden. Hercule Poirot müsste um seine Lorbeeren bangen, wenn du in der Nähe wärst.«

Mrs Allerton sah ihn verdrießlich an. »Ich habe doch nur zufällig die Schrift gesehen –«

»Und erkannt, dass die nicht von einem Börsenmakler stammt? Ganz recht. Ich habe es in Wirklichkeit auch gestern schon erfahren. Arme Joanna, ihre Schrift sticht wirklich ins Auge – sie krakelt über den ganzen Briefumschlag, wie eine betrunkene Spinne.«

»Was schreibt sie denn? Irgendetwas Neues?«

Mrs Allerton gab sich alle Mühe, beiläufig und normal zu klingen. Die Freundschaft zwischen ihrem Sohn und seiner Cousine zweiten Grades, Joanna Southwood, war ihr ein Dorn im Auge. Nicht dass da »mehr dran« war, wie sie für sich beschlossen hatte. Da war sie ziemlich sicher. Tim hatte nie romantische Interessen an Joanna geäußert und sie an ihm auch nicht. Was sie zusammenhielt, waren wohl ihre Klatschlust und unzählige gemeinsame Freunde und Bekannte. Beide hatten gern Leute um sich und tratschten auch gern über sie. Joanna hatte Witz, allerdings durchaus beißenden.

Nicht also, dass Mrs Allerton befürchtete, Tim könnte sich in Joanna verlieben, und deshalb immer etwas Steifleinenes bekam, sobald Joanna anwesend war oder ein Brief von ihr kam. Es war etwas anderes, schwer Definierbares – uneingestandene Eifersucht vielleicht darauf, dass Tim offensichtlich echten Spaß an Joannas Gesellschaft fand. Mrs Allerton und ihr Sohn waren ein so perfektes Gespann, dass sie immer nur leicht alarmiert mit ansehen konnte, wenn er sich für eine andere Frau interessierte oder sich von ihr in Anspruch nehmen ließ. Außerdem bekam sie dann auch immer das ungute Gefühl, ihre eigene Anwesenheit könnte wie eine Barriere zwischen zwei Menschen der jüngeren Generation wirken. Sie war oft dazugestoßen, wenn Tim und Joanna in ein lebhaftes Gespräch vertieft waren, und allein ihr Erscheinen hatte die Unterhaltung zuerst ins Stocken gebracht, und danach hatte es geklungen, als ob sie betont mit einbezogen werden sollte, pflichtschuldig. Fest stand, Mrs Allerton mochte Joanna Southwood nicht. Sie fand sie unaufrichtig, affektiert und zutiefst oberflächlich. Und es fiel ihr sehr schwer, das nicht in unziemlicher Deutlichkeit kundzutun.

Als Antwort auf ihre Frage zog Tim den Brief aus der Tasche und überflog ihn. Er war ziemlich lang, stellte seine Mutter fest.

»Nichts Besonderes«, sagte er schließlich. »Die Devenishs lassen sich scheiden. Den alten Monty haben sie betrunken am Steuer erwischt. Windlesham ist in Kanada. War wohl ein schwerer Schlag für ihn, dass Linnet Ridgeway ihm den Laufpass gegeben hat. Sie heiratet jetzt tatsächlich diesen Verwalter.«

»Wie unkonventionell! Ist er sehr schlimm?«

»Nein, nein, gar nicht. Gehört zu den Doyles aus Devonshire. Kein Geld, natürlich – und eigentlich war er mit einer von Linnets besten Freundinnen verlobt. Ziemlich übel, das Ding.«

»Ich finde so etwas überhaupt nicht nett.« Mrs Allerton war zornrot geworden.

Tim warf ihr einen liebevollen Blick zu. »Ich weiß, meine Liebe. Du kannst es nicht ausstehen, wenn man anderen den Mann wegschnappt und solche Sachen.«

»Zu meiner Zeit hatte man noch Anstand«, sagte Mrs Allerton. »Und das war auch gut so! Die jungen Leute von heute scheinen zu glauben, sie dürften einfach alles machen, was ihnen in den Kopf kommt.«

Tim lächelte. »Das glauben sie nicht nur. Sie machen’s auch. Vide Linnet Ridgeway!«

»Nun, ich finde es horribel!«

Tim zwinkerte ihr zu. »Nicht verzagen, alter Haudegen! Vielleicht finde ich das ja auch. Jedenfalls habe ich bisher noch niemandem die Frau oder die Braut ausgespannt.«

»Ich bin überzeugt, so etwas würdest du auch nie tun«, erwiderte sie und setzte resolut hinterher: »Ich habe dich nämlich zu Anstand erzogen.«

»Also ist es dein Verdienst, nicht meins.« Er lächelte sie liebevoll spöttisch an, faltete den Brief zusammen und steckte ihn wieder ein.

Mrs Allerton durchfuhr ein kleiner Gedankenblitz: Meistens zeigt er mir seine Briefe. Aber aus denen von Joanna liest er mir immer nur Stückchen vor. Sie schob ihn sofort wieder beiseite und beschloss, wie gewohnt Dame zu bleiben. »Ist denn Joanna sonst zufrieden mit ihrem Leben?«

»So lala. Sie schreibt, sie überlegt, ob sie ein Feinkostgeschäft in Mayfair aufmachen soll.«

»Sie behauptet doch ständig, sie sei abgebrannt«, sagte Mrs Allerton eine Spur boshaft. »Dabei ist sie immer überall dabei, ihre Garderobe muss eine Stange Geld kosten. Sie ist immer tipptopp gekleidet.«

»Tja, ja«, sagte Tim, »wahrscheinlich bezahlt sie sie gar nicht. Nein, Mutter, ich meine nicht, was du jetzt denkst, mit deinen Ansichten aus dem letzten Jahrhundert. Ich meine einfach, sie bezahlt buchstäblich die Rechnungen nicht.«

Mrs Allerton seufzte. »Ich verstehe immer noch nicht, wie die Leute das hinkriegen.«

»Das ist eine besondere Begabung. Wenn du extravagant genug bist und Geschmack hast, aber absolut kein Gefühl für den Wert von Geld, dann geben die Leute dir jeden Kredit.«

»Ja, nur am Ende stehst du vor Gericht wegen Bankrott wie der arme Sir George Wode.«

»Du hast ein Faible für den alten Rosstäuscher – wahrscheinlich nur, weil er dich mal Rosenknospe genannt hat, beim Tanztee 1879.«

»1879 war ich noch gar nicht geboren«, konterte Mrs Allerton. »Sir George hat bezaubernde Manieren, und ich wünsche nicht, dass du ihn Rosstäuscher nennst.«

»Ich habe schräge Sachen über ihn gehört, von Leuten, die es wissen müssen.«

»Du und Joanna, ihr erzählt alles Mögliche über andere Leute, Hauptsache, es ist gehässig.«

Tim zog die Augenbrauen hoch. »Meine Liebe, du bist ja richtig in Rage. Ich wusste gar nicht, dass der alte Wode so einen Stein bei dir im Brett hat.«

»Du weißt ja auch nicht, wie schwer es ihm gefallen ist, Wode Hall zu verkaufen. Er hat furchtbar daran gehangen.«

Tim verkniff sich eine Retourkutsche. Mit welchem Recht hätte er ihn auch verurteilen sollen? Er sagte nur nachdenklich: »Na ja, da liegst du, glaube ich, nicht ganz falsch. Linnet hat ihn mal eingeladen, damit er sich ansehen kann, was sie daraus gemacht hat, aber er hat das ziemlich brüsk abgelehnt.«

»Natürlich. Sie hätte ihn gar nicht einladen dürfen.«

»Er ist, glaube ich, auch ziemlich sauer auf sie – er brummelt immer in seinen Bart, wenn er sie sieht. Er wird ihr nie verzeihen, dass sie ihm so einen absoluten Spitzenpreis gezahlt hat für seinen wurmstichigen Familienbesitz.«

»Verstehst du das etwa nicht?« Auch Mrs Allerton klang sauer.

»Offen gestanden, nein«, antwortete Tim ruhig. »Warum in der Vergangenheit leben? Warum an etwas kleben, das mal gewesen ist?«

»Was würdest du denn an dessen Stelle setzen?«

Er zuckte die Schultern. »Etwas Aufregendes vielleicht. Das Neue. Das Vergnügen, nie genau zu wissen, was so wird von einem Tag auf den anderen. Und anstelle eines geerbten nutzlosen Stücks Land den Spaß, sein Geld selbst zu verdienen – mit dem eigenen Grips und der eigenen Tüchtigkeit.«

»Und erfolgreicher Börsenspekuliererei, meinst du wohl!«

Er lachte. »Warum denn nicht?«

»Und was ist, wenn du dabei genauso tüchtig verlierst

»Das, meine Liebe, war jetzt ausgesprochen taktlos. Und heute auch ausgesprochen unpassend … Was ist denn nun mit dem Projekt Ägypten?«

»Nun ja –«

Er ließ sie gar nicht weiterreden, sondern sagte lächelnd: »Also abgemacht. Wir wollten beide immer schon mal nach Ägypten.«

»Wann soll’s denn sein?«

»Na, im nächsten Monat. Januar soll da die beste Zeit sein. Wir dürfen uns also noch ein paar Wochen der reizenden Gesellschaft dieses Hotels hier erfreuen.«

»Tim!«, sagte Mrs Allerton tadelnd. Und fügte schuldbewusst hinzu: »Ich habe leider Mrs Leech versprochen, dass du mit ihr auf die Polizei gehst. Sie versteht doch kein Wort Spanisch.«

Tim verzog das Gesicht. »Geht’s um den Ring? Den blutroten Rubin der Tochter des Hauses Leech, auch genannt Pferdeegel? Beharrt sie immer noch darauf, dass er gestohlen wurde? Ich tu’s, wenn du das möchtest, aber es ist Zeitverschwendung. Sie wird bloß einem armen gebeutelten Zimmermädchen Scherereien machen. Ich habe ihn mit Sicherheit an ihrem Finger gesehen, als sie an dem Tag baden gegangen ist. Er ist ihr im Wasser abgerutscht, und sie hat es nicht gemerkt.«

»Sie sagt, sie ist ganz sicher, dass sie ihn vorher abgezogen und auf den Toilettentisch gelegt hat.«

»Tja, hat sie aber nicht. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Die Frau ist überkandidelt. Jede Frau, die im Dezember ins Meer stolziert und sich einbildet, es wäre ganz warm, bloß weil zufällig gerade mal die Sonne scheint, ist überkandidelt. Mollige Frauen sollten sowieso nicht baden dürfen, die sehen in Badeanzügen einfach unappetitlich aus.«

Mrs Allerton brummte zurück: »Ich werde das Gefühl nicht los, ich soll das Baden auch bald lassen.«

Tim lachte laut auf. »Du? Du steckst die meisten jungen Dinger in die Tasche.«

Mrs Allerton seufzte, sagte dann aber: »Ich fände es ja schöner, wenn hier ein bisschen mehr Jugend für dich wäre.«

Tim Allerton schüttelte energisch den Kopf. »Ich nicht. Du und ich, wir kommen hier auch ohne Ablenkung von außen ganz gut zurande.«

»Du hättest doch Joanna gern hier.«

»Hätte ich nicht.« Es kam unerwartet heftig. »Da liegst du völlig falsch. Ich finde Joanna amüsant, aber ich mag sie eigentlich nicht, und ihre Anwesenheit geht mir ziemlich bald auf die Nerven. Ich bin froh, dass sie nicht hier ist. Ich wäre auch nicht untröstlich, wenn ich sie nie wiedersehen dürfte.« Und fast unhörbar fügte er hinzu: »Es gibt nur eine Frau auf der Welt, für die ich wirklich Hochachtung und Respekt empfinde, und ich denke, Mrs Allerton, Sie wissen genau, wer diese Frau ist.«

Mrs Allerton wurde rot und sah ziemlich verwirrt drein.

Tim erklärte ernst weiter: »Es gibt nicht sehr viele wirklich nette Frauen auf der Welt. Du bist nun mal eine davon.«

Der Tod auf dem Nil

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