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VI

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Monsieur Gaston Blondin, der Wirt des mondänen kleinen Chez Ma Tante, war keiner von den Restaurantbesitzern, die jedem Gast entzückt die Honneurs machen. Selbst die Reichen und Schönen, die Prominenz und der Adel warteten gelegentlich vergebens darauf, von ihm erkannt und mit besonderer Aufmerksamkeit geehrt zu werden. Er ließ sich nur in den seltensten Fällen gnädig herab, einen Gast persönlich zu begrüßen, an einen der besseren Tische zu geleiten und ein paar wohlgesetzte Worte mit ihm zu wechseln.

An diesem Abend hatte er seine königliche Gunst allerdings schon drei Leuten erwiesen – einer Herzogin, einem berühmten adligen Rennstallbesitzer sowie einem kleinen Mann mit einem enormen Moustache, der komisch aussah und dessen Anwesenheit, so würde ein zufälliger Augenzeuge wohl schließen, dem Chez Ma Tante eigentlich nichts zu bieten hatte.

Aber gerade ihm gegenüber war Monsieur Blondin von beinah schmieriger Beflissenheit. Die ganze letzte halbe Stunde lang hatten Gäste zu hören bekommen, es sei kein Tisch mehr zu haben, aber plötzlich und unerklärlich gab es sehr wohl einen, an allerbester Stelle. Und Monsieur Blondin begleitete seinen Gast mit überaus servilen Gesten dorthin.

»Aber natürlich, Monsieur Poirot, für Sie ist doch immer ein Tisch frei! Sie sollten uns unbedingt öfter die Ehre geben!«

Hercule Poirot lächelte, und ein anderes Essen hier fiel ihm wieder ein, bei dem eine Leiche, ein Kellner, Monsieur Blondin und eine bildhübsche Lady eine Rolle gespielt hatten. »Sie sind zu liebenswürdig, Monsieur Blondin«, sagte er schließlich.

»Und Sie sind allein, Monsieur Poirot?«

»Ja, ich bin allein.«

»Oh, na dann wird unser Jules hier ein kleines Menü für Sie zusammenstellen, und das wird ein Gedicht – ein wahres Gedicht! Frauen, so bezaubernd sie auch sind, haben ja doch einen Nachteil: Sie lenken den Geist vom Essen ab! Es wird Ihnen munden, Monsieur Poirot, das verspreche ich Ihnen. Was den Wein angeht –«

Es folgte ein Fachgespräch, assistiert von Jules, dem Maître d’hôtel.

Monsieur Blondin zögerte einen Augenblick, bevor er den Tisch verließ, und fragte dann vertraulich leise: »Haben Sie wieder wichtige Geschäfte zu erledigen?«

Poirot schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nur ein Mann der Muße«, erwiderte er sanft. »Ich habe beizeiten gespart und kann es mir jetzt leisten, mich einem beschaulichen Dasein hinzugeben.«

»Ich beneide Sie.«

»Nein, nein, Sie wären töricht, wenn Sie das täten. Ich kann Ihnen versichern, es ist längst nicht so vergnüglich, wie es klingt.« Er seufzte. »Wie recht hat doch das Sprichwort, dass der Mensch die Arbeit notgedrungen erfinden musste, um dem Zwang zum Denken zu entgehen.«

Monsieur Blondin riss die Arme hoch. »Aber es gibt doch so vieles! Man kann reisen!«

»Ja, man kann reisen. Darin bin ich auch schon ganz gut. In diesem Winter fahre ich, glaube ich, mal nach Ägypten. Das Klima soll dort superb sein! Da kann man dem Nebel, dem Grau, der Eintönigkeit des ewigen Regens entfliehen.«

»Ah – Ägypten«, hauchte Monsieur Blondin.

»Man soll jetzt wohl sogar mit dem Zug hinkommen und sich die Seefahrerei ersparen können, außer über den Kanal natürlich.«

»Ja, das Meer. Meint’s nicht gut mit Ihnen?«

Hercule Poirot schüttelte leise schaudernd den Kopf.

»Geht mir genauso«, sagte Monsieur Blondin mitfühlend. »Eigentlich kurios, was das Meer mit dem Magen macht.«

»Aber nur mit bestimmten Mägen! Es gibt Leute, die sind vom Wellengang überhaupt nicht zu beeindrucken. Die genießen ihn regelrecht!«

»Eine Ungerechtigkeit vom lieben Gott«, sagte Monsieur Blondin, bevor er sich endlich zurückzog, mit bedauerndem Kopfschütteln seinen ketzerischen Gedanken nachhängend.

Flinke Kellner schwirrten auf leisen Sohlen um den Tisch, mit Toast Melba, Butter, einem Eiskübel und allen weiteren Ingredienzen eines erstklassigen Essens. Dazu spielte sich eine Jazzband in eine Ekstase aus eigentümlichen Missklängen. London tanzte.

Hercule Poirot sah zu und registrierte alle Eindrücke in seinem wohlsortierten, aufgeräumten Hirn. Wie gelangweilt und überdrüssig die meisten dreinsahen! Ein paar von den dickeren Männern allerdings hatten ihren Spaß. In den Gesichtern ihrer Tanzpartnerinnen dagegen stand anscheinend nur geduldig ertragene Qual zu lesen. Aber die fette Frau in Purpurrot strahlte vor Freude. Ganz offensichtlich bot das Leben Entschädigung für Fett – Vitalität, Schwung, lauter Dinge, die Leuten mit modischeren Figuren verwehrt blieben.

Ein versprengtes Häuflein junger Menschen – ein paar mit den Gedanken woanders – ein paar gelangweilt – ein paar deutlich unglücklich. Was für eine absurde Behauptung, die Jugend sei die Zeit des Glücks – die Jugend war die Zeit der größten Verletzlichkeit!

Poirots Blick wurde weicher, als er ihn auf einem Paar ruhen ließ. Zwei, die zueinander passten – groß und breitschultrig der Mann, schmal und zart das Mädchen. Zwei Körper, die sich bewegten im vollkommenen Rhythmus des Glücks. Des Glücks, hier und jetzt beieinander zu sein.

Plötzlich brach die Tanzmusik ab. Es wurde geklatscht, bis sie weiterspielte. Nach der zweiten Zugabe ging das Paar zurück an einen Tisch dicht neben dem Poirots. Das Mädchen lachte und hatte einen roten Kopf. Als sie sich gesetzt hatte, konnte er ihr Gesicht, das sie lachend ihrem Gefährten zuwandte, genauer sehen. Aus ihren Augen sprach noch etwas anderes als Lachen. »Sie hängt zu sehr an ihm, die Kleine«, sagte er zu sich. »Das ist nicht ungefährlich. Gar nicht ungefährlich.«

Und dann drang ihm ein Wort ans Ohr: »Ägypten.«

Er konnte die Stimmen deutlich hören – die des Mädchens war jung, frisch und hochmütig mit einer winzigen Spur weicher, ausländischer Rs, die des Mannes wohlklingend, tief, bestes Englisch.

»Ich brate keine ungelegten Eier, Simon. Ich sage nur, Linnet lässt uns nicht im Stich!«

»Aber vielleicht lasse ich sie im Stich.«

»Unsinn – das ist genau die richtige Stelle für dich.«

»Das ist sie, das glaube ich auch … Ich zweifle auch gar nicht an meinem Können. Ich will mich ja bewähren – deinetwegen!«

Das Mädchen lachte sanft, das lachende reine Glück. »Wir warten jetzt die drei Monate ab – dann wissen wir, dass du nicht wieder entlassen wirst – und dann –«

»Und dann teil’ ich mit Euch mein irdisch Hab und Gut – darauf läuft’s hinaus, nicht?«

»Und in die Flitterwochen fahren wir, wie gesagt, nach Ägypten. Egal, was es kostet! Ich wollte mein Leben lang nach Ägypten. Der Nil und die Pyramiden und der Sand …«

Seine Stimme war jetzt etwas undeutlicher. »Wir sehen es uns zusammen an, Jackie … Ist das nicht herrlich?«

»Ich bin nicht ganz sicher. Findest du das eigentlich so herrlich wie ich? Hängst du wirklich an mir – so wie ich an dir?« Sie klang plötzlich erregter und hatte weit aufgerissene, fast angstvolle Augen.

Seine Antwort kam schnell und scharf. »Red keinen Unsinn, Jackie.«

Aber das Mädchen sagte noch einmal: »Ich bin nicht ganz sicher …« Dann zuckte sie die Schultern. »Lass uns tanzen.«

Hercule Poirot murmelte in sich hinein: »Une qui aime et un qui se laisse aimer. Nein, sicher wäre ich da auch nicht.«

Der Tod auf dem Nil

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