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Kapitel 2

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Der Mann mittleren Alters saß in einem kleinen Café im belebten Stadtzentrum. Die anderen Gäste konnten erahnen, dass mit dem Mann irgendetwas nicht stimmte ... Die Krankheit war damals aus dem Nichts gekommen. Er hatte einen für nicht möglich gehaltenen Teil seines Körpergewichtes eingebüßt, unmissverständlich erfahren, dass die Krankheit unersättlich ist. Seine zittrigen Finger steuerte seitdem der Tremor, als lenke ein unbarmherziger Marionettenspieler seine Bewegungen mittels unsichtbarer Fäden.

Er reckte sich etwas nach oben, als die wärmenden Sonnenstrahlen durch die isolierende Fensterscheibe des Cafés auf seinen entkräfteten Körper fielen. Sein Fleisch mochte zwar geschunden sein, doch sein Geist war seit Wochen wieder von Hoffnung erfüllt. Der Arzt hatte ihm mitgeteilt, dass er wohl wieder gesund werden würde, die Chemotherapie habe „angeschlagen“. Die Nachricht hatte ihn zunächst in Ekstase und Sekunden später in tiefe Furcht versetzt. Denn er hatte in seiner Verzweiflung ein Tor geöffnet, das tief, tief in die Schwärze führte. Er hatte einen unaufkündbaren Pakt mit diesem gottlosen Teufel geschlossen …

Der hagere Mann schob den klassischen Caféhausstuhl zurück und schritt auf die blonde Bedienung zu, die mit einem charmanten Lächeln hinter dem Tresen wartete.

„Darf es noch was sein?". Ihr Gesicht schien in Stein gemeißelt, wie das einer Stewardess. Doch der Mann wusste, dass es keinesfalls aufgesetzt war.

„Clara, sei doch so lieb und gib mir mal die aktuelle Tageszeitung".

Die Bedienung griff, ihre Lippen zogen sich noch eine Nuance weiter auseinander, auf Taillenhöhe neben sich und reichte dem Mann die Zeitung.

„Dank dir, Clara". Der Mann ging zurück zu seinem Platz und ließ sich mit einem Seufzer nieder. Er breitete die Zeitung zwischen seinen zittrigen Händen aus. Und dann stellte er die Atmung unwillkürlich ein, seine Augen starrten schockiert auf die Titelseite vor ihm.

“Grausamer Fund im Park“.

Unter der Überschrift nahm ein abgebildetes Foto die gesamte Breite der Zeitung ein. Der Mann zog das Bild bis auf wenige Zentimeter vor seine Augen heran. Vor einer Parkbank lag im Schnee ein weißes Laken, darunter zeichneten sich die Konturen eines Menschen ab. Im Kreis um das verhüllte Opfer herum waren Blutspritzer zu erkennen, die sich wie feine Safranfäden im jungfräulichen Schnee abgezeichnet hatten. Neben dem vermeintlichen Opfer lag ein weiteres Laken. Hierunter zeichneten sich allerdings keine Formen ab.

Verdammt, das kann doch nicht wahr sein. Ein elektrisierender Strom durchfuhr seinen Körper, seine Finger und Zehen begannen erst zu kitzeln, dann zu schmerzen. Sein Geist malte dunkle Bilder, stellte sich vor, bald würde sein Name dort zu lesen sein. Wie lang ist es her? Er wusste es nicht mehr, hatte es im Labyrinth seines Gedächtnisses sorgfältig versteckt. Und dann hatte er die Karte verbrannt. Fahrig überflog der Man den Artikel. Eine Drogenabhängige wurde in dem großen Park der Stadt mit durchtrennter Kehle aufgefunden. Das Bizarre in dem Fall beschleunigte seinen Puls nochmal um ein Vielfaches. Sein Herz schlug ihm bis zur Brust. Der Täter habe mit dem Blut des Opfers im Schnee eine Nachricht hinterlassen:


„Ich bin ein stürmischer Gesell‘,

Ich wähle rasch und freie schnell,

Ich bin der Bräut’gam, du die Braut,

Und ich bin der Priester der uns traut.“


Sowas sollte eigentlich nicht nach außen dringen. Im Angesicht der Länge der Botschaft und der erforderlichen Menge an Blut mischte sich noch Übelkeit zu seinem Angstgefühl. Angeekelt las er weiter. Die skurrilen Worte seien Auszug aus einer Ballade. Silvesternacht von Theodor Fontane. Jedoch sei selbst eine Deutung spekulativer Art zum gegenwärtigen Zeitpunkt laut Aussage der Kriminalpolizei noch nicht möglich. Der Mann vergrub das Gesicht in seinen Händen und dachte angestrengt nach. Wenn er das ist, dann sind wohl die ersten fällig. Aber es könnte auch nicht mehr als ein belangloser Zufall sein.

Plötzlich vibrierte sein Handy. Hastig griff er in seine Hosentasche und zog unbeholfen das Mobiltelefon heraus. Es war seine Tochter. Sie lud ihn zu ihrem Geburtstag ein. Ein zartes Lächeln zeichnete sich auf seiner Augenpartie ab, darunter blieb das Gesicht gelähmt. Ein Nebelstreif am Horizont. Wie lange mag’s her sein, dass ich sie das letzte Mal gesehen habe? Zwei Monate? Der schmale Grat zwischen Erde und Himmel ließ sich schon seit Wochen in einer alles erstickenden Schwärze, wie ein böses Omen, in der Ferne blass erkennen. Mit jedem Tag kam er dem Horizont ein Stück näher. Die schwammige Blässe des dunklen Mals wich Tag um Tag gefestigten Konturen. Schien es damals noch weit, weit entfernt, so war es mittlerweile allgegenwärtig. Es war ein reales Szenario geworden. Und jetzt, da er sich auf dem Weg der Genesung befand, lähmte in dieser Gedanke. Einen Gegner fast geschlagen, während sich der andere von hinten heranschleicht und mir die Kehle durchschneidet. Keine tolle Vorstellung. Er hatte sich immer noch nicht entschieden, wie er mit der Situation umgehen soll, wollte aber auch gar nicht daran denken.

Er trank seinen Kaffee aus, erhob sich und blickte umher. Er mochte die Atmosphäre hier. Er versank immer förmlich in dem Stimmengewirr, das jedoch in keiner Weise aufdringlich war. Es war vielmehr wie eine sanfte Hypnose, die seinen Geist aus seinen gottgesetzten Grenzen ausbrechen und in eine neue Sphäre eintauchen ließ. Und in dieser Umgebung dachte er eigentlich nicht an seine Probleme. Er fühlte sich entspannt, vergaß alles um ihn herum. Der Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen tat sein Übriges. Immer wenn er den betörenden Geruch wahrnahm, fühlte er Entspannung, als sei er darauf konditioniert. Aber in diesem Moment wurde ein klaffendes Loch in diese Heile-Welt-Fassade geschlagen, das spürte er eindeutig.



Gnadenwolf

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