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Kapitel 1 Die erste Gardistin

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I

Luciana legte sich mit einem Seufzen die Unterarmpanzerung an und schnürte sie so fest, dass der Dolch an der Innenseite sicher nicht herausfallen würde.

Ein ledernes Band hielt ihre langen blonden Haare zusammen und würde verhindern, dass ihr eine Strähne ins Gesicht fiel, während sie das Nest ausräucherte.

„Glaubst du wirklich, das wird funktionieren?“, fragte einer der Gardisten hinter ihr und mit einem geringschätzigen Ausdruck auf ihren schönen Zügen wandte sie sich zu ihm um.

„Glaubst du wirklich, deine Zweifel werden mir helfen?“, schoss sie zurück und ihre hellblauen Augen blitzten auf; der Gardist lachte leise und legte eine Hand auf seinen Schwertgriff, bevor er schließlich gleichgültig mit den Achseln zuckte und sich wieder den anderen Gardisten widmete.

Noch ein Mann, der denkt, dass eine Frau nicht in die Stadtgarnison gehört, dachte Luciana abfällig und bedachte ihr provisorisches Versteck mit einer hochgezogenen Braue.

Sie hatten sich ein kleines, verlassenes Haus in der Unterstadt unter den Nagel gerissen und sich im Keller eingenistet, sodass sie niemand finden würde, nicht einmal wenn Obdachlose Schutz vor der Kälte suchen sollten; die ersten Sonnenstrahlen krochen durch die Ritzen der Bretter, welche sie verwendet hatten, um die offenen Fenster zu vernageln. Der penetrante Geruch von Moder lag in der Luft und der alte Teppich auf dem Boden war von Ratten durchlöchert und von Motten zerfressen worden.

Mit einem leisen Seufzen warf Luciana sich einen alten braunen Mantel über, der die leichte Lederrüstung darunter verbarg und jegliche Waffen hoffentlich unsichtbar machte – auf dieser Mission durfte sie die beruhigende Rüstung eines Gardisten nicht tragen.

Die anderen Gardisten wandten sich von der Karte der Unterstadt auf einem kleinen Tisch ab und grinsten sie spöttisch an, als sie nochmal den Sitz aller Sicherheitsvorkehrungen überprüfte; zu guter Letzt griff sie an das magische Amulett an ihrem Hals und spürte seine beruhigende Wärme – sie hatte alles bei sich.

„Ich weiß nicht, ob es so sinnvoll ist, eine Frau gehen zu lassen“, feixte einer der Gardisten und lehnte sich betont lässig an die vergammelte Wand. An den Gesichtsausdrücken der anderen Gardisten konnte Luciana erkennen, dass diese die Meinung des Mannes teilten.

Luciana knurrte leise und warf ihm einen wütenden Blick zu.

„Sorg du nur dafür, dass ihr rechtzeitig am Einsatzort seid und euch nicht von irgendwelchen Weibern auf dem Markt ablenken lasst! Das letzte Mal wäre ich fast gestorben, weil ihr nicht zur richtigen Zeit da wart. Sollte das nochmal passieren, dann melde ich euch beim Gilderat als die Vorsitzende dieser Mission und dann wird man euch im Haus der Befragungen schon entlocken, wieso wir die Banditengilde immer noch nicht dingfest gemacht haben!“

Mit grimmiger Zufriedenheit sah sie, wie die Männer bei der Erwähnung des Hauses der Befragungen erblassten und jegliche Streitsucht aus den Zügen der Gardisten schwand.

Luciana warf jedem der Gardisten noch einen drohenden Blick zu, dann schritt sie ohne noch einmal zurückzublicken die Treppe des Kellers hinauf, ließ den oberen leeren Raum hinter sich, öffnete die Tür und trat hinaus.

Orangenes Sonnenlicht flutete den Raum und Luciana musste einige Male blinzeln, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, sie hinter sich wieder die Tür schloss und sie auf die Hauptstraße der Unterstadt trat.

Die Unterstadt war – die Slums eingeschlossen – das größte Viertel der Stadt. Es erstreckte sich im Nordosten Moréngards, der Hauptstadt. Vor Luciana öffnete sich ein Teppich aus verwinkelten Gassen und kleinen Straßen, die sich wie ein gigantisches, unübersichtliches Spinnennetz durch das Viertel zogen. Trotz der frühen Stunde waren bereits viele Bürger auf der Straße und gingen grummelnd ihren Geschäften nach; die meisten huschten in geduckter Haltung durch die Kälte, rieben sich während des Laufens die Hände und bemühten sich, möglichst unauffällig zu bleiben.

In der Unterstadt wohnte nur die Unterschicht der Stadt, die sich kein Heim im Klerikerviertel leisten konnte – in die Oberstadt kamen nur Paladine des Ordens und Adelige, die ein gewisses Vermögen besaßen. Handwerker jeder Art begannen ihr Tagewerk, Schmiedehämmer wurden geschwungen, Vieh durch die Straßen geführt und gackernde Hühner in Holzkisten gescheucht.

Die Häuser bestanden fast alle aus verrostetem Stahl und alten Backsteinen, deren Ränder zum größten Teil bereits abbröckelten und das hohe Alter der Unterstadt unterstrichen, wenn man durch sie hindurch lief.

Luciana trat auf die Hauptstraße und folgte dem kleinen Strom der Menschen, der sie tiefer in die Unterstadt führte und versuchte möglichst unauffällig zu sein, während sie Augen und Ohren wachsam offen hielt. Natürlich gab es in der Unterstadt Diebe, Mörder und Banditen. Die meisten Verbrecher kamen aus der Unterstadt und blieben auch Zeit ihres Lebens hier, so dass sämtlicher Abschaum der Gesellschaft sich hier sammelte, bevor der Orden oder die Stadtgarnison aufräumte – doch das geschah nur selten.

Luciana war in der Unterstadt aufgewachsen, zusammen mit ihren Zieheltern und später mit ihrer kleinen Stiefschwester. Sie erinnerte sich noch genau an die brutalen Säuberungswellen der Oberschicht; jedoch hatte es meistens harmlose und ehrliche Zivilisten erwischt, während die wahren Verbrecher und Banditen entkamen und das arme Volk der Unterstadt noch mehr ausbluten ließen, als der Orden es ohnehin schon tat.

Nach einer Weile erreichte sie den Marktplatz.

Der Schnee der Vortage war einem schrecklichen Sturm gewichen und der Niederschlag war nur noch in Form grauen Matsches vorhanden, in dem die Kinder lachend herum tollten; Schlamm und Morast spritzte auf, die Händler errichteten ihre Stände und warfen den jeweils anderen misstrauische Blicke zu; hier tat jeder alles, um zu überleben – sollte sich jemand einen Vorteil verschaffen, der ihn mehr Waren verkaufen ließ, so konnte man damit rechnen, dass er nicht lange etwas davon haben würde. Darüber wachten die Schmuggler, jene mysteriöse Gruppe von Geschäftsmännern und Händlern, die sich zusammengeschlossen hatten und nun dafür sorgten, dass die Unterstadt arm und damit unter ihrer Kontrolle blieb – schon oft hatte die Stadtgarnison probiert, die Schmuggler zu schnappen, doch jeder Hinweis, den sie jemals erhalten hatte, hatte in einer vernichtenden Sackgasse geendet und mit Schaudern erinnerte sie sich an die letzte Auseinandersetzung mit Unterhändlern der Schmuggler – ihre gesamte Mannschaft, die beteiligt gewesen war, war innerhalb weniger Tage verschwunden … später hatte man ihre Leichen im Kanal wiederentdeckt.

In der Mitte des Marktplatzes erhob sich groß und majestätisch eine Statue des Letzten Herrschers, dieselbe wie auf jedem Platz in der gesamten Stadt.

Einen Augenblick hielt Luciana inne und legte den Kopf in den Nacken, blickte ehrfürchtig hinauf zu den steinernen Zügen ihres Herrschers, des Gottes ihres Landes.

Sie wusste nicht viel über den Herrscher des Ordens; er hatte laut der Geschichten die Vampire aus ihrem Land getrieben und nach einem ewigen Krieg endgültig vernichtet. Alleine, so sagte man, habe er hundert Vampire erschlagen und die Mauern Moréngards verteidigt, nachdem jegliche Verteidigung zusammengebrochen war.

Die Priester des Letzten Herrschers priesen ihn als den Retter der Menschheit und ihrer Rasse, beschrieben ihn als ein Wesen, dessen Güte und Macht alles Menschliche übertraf.

Wieso sah sie dann nichts von dieser Güte? Um sie herum starben Menschen an Hunger, während die Adeligen in der Oberstadt und Altstadt im Luxus schwelgten.

Wenn das die Gerechtigkeit unseres Gottes ist, so will ich gar nicht wissen, was Ungerechtigkeit ist; die Säuberungswellen, während der Familien an die Luft gesetzt werden, sind nie und nimmer gerechtfertigt.

Luciana ertappte sich immer wieder dabei, wie sie Zweifel an dem Regime und dessen Richtigkeit hegte; allerdings hütete sie sich, diese Zweifel kundzutun. Die Exekutoren des Ordens lauerten überall, auch in der Unterstadt, und ein falsches Wort über ihren Gott könnte eine Verhaftung nach sich ziehen … bestenfalls. Die meisten, die sich schlecht über den Letzten Herrscher äußerten, verschwanden einfach über Nacht und tauchten niemals wieder auf.

Das war der Trumpf des Regimes – niemand, der ernsthaft daran dachte, sich gegen den Letzten Herrscher zu erheben, konnte sich je einem anderen anvertrauen. Sie hatte schon von Geschichten gehört, in denen Kinder ihre eigenen Eltern verraten hatten, die dann als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren. Eine Revolution oder ein Widerstand würde so unterbunden, bevor er überhaupt entstehen konnte – und wenn es eben keinen gab, der eine Gruppe verraten konnte, wurde jemand eingeschleust … und eben deswegen war sie nun hier.

In letzter Zeit hatten die wahllosen Überfälle aufgehört und waren nun einem System gewichen, einem Muster, das sich immer wiederholte. Die Banditen überfielen Schmiede, stahlen Waffen und Werkzeuge, die sie zur Herstellung eigener Waffen nutzen konnten – darüber hinaus waren in den letzten Monaten Schmiede und Arbeiter verschwunden, kräftige Männer aus den Docks, die es gewohnt waren, große Lasten zu tragen. Erst vor Kurzem hatten die Gardisten einen Zusammenhang hergestellt und Luciana als verarmte Adelige mit wenig Ehrgeiz und einem nicht erwähnenswerten Rest Geld, den sie in den Fall des Ordens investieren wollte in die Reihen der Banditen geschickt. Es war keine perfekte Tarnung, doch sie hatte gereicht; nun würde Luciana sich mit einigen Banditen treffen und während der Versammlung würde eine Truppe Gardisten den Treffpunkt stürmen, um sämtliche Beweise und Banditen festnehmen.

Sie bog von der Marktstraße in eine der verwinkelten Gassen ab und wickelte sich enger in ihren Mantel, als ein kalter Wind durch die Straßen fuhr.

Die Unterstadt war das zweitälteste Viertel der Stadt, errichtet als Gebäude für die Arbeiter, die die der Oberstadt errichteten – nur waren die Übergangswohnungen bereits zu ihrem festen Sitz geworden. Der Adel hatte es nicht riskieren wollen, dass seine Machtposition gefährdet wurde und so hatte man die Armen kurzerhand hierher verbannt.

Sie erreichte eine halb verfallene Straße der Unterstadt und hielt zielstrebig auf eines der alten Gebäude zu, während sie sich vergewisserte, dass ihr kein gewöhnlicher Bürger folgte.

Vor der Tür angekommen, klopfte sie gegen die eiserne Tür und das Geräusch hallte lange auf der langen Straße wider. Einen Augenblick geschah nichts, dann quietschte die Tür leise und sie öffnete sich einen Spalt breit, schwang ein wenig nach innen, so dass Luciana hätte hinein sehen können – hätte vor ihr nicht ein Berg von einem Mann gestanden.

Der kahle Kopf des Mannes glänzte vor Schweiß und seine Arme waren angespannt, als er sich durch den schmalen Spalt der Tür schob und die baumstammartigen Arme vor der Brust verschränkte, die den Vergleich mit der eines Ochsen nicht zu scheuen brauchte.

„Na wen haben wir denn da …“, grunzte er und runzelte seine wulstige Stirn.

„Die kleine Gossen – Adelige … ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich auftauchst, Mädchen. Und ich bin immer noch der Meinung, dass das nichts für Weiber ist.“

Der Wärter zuckte mit den Achseln und lehnte sich an den Türrahmen.

Luciana legte den Kopf in den Nacken und erwiderte ungeniert den starren Blick des Wächters, deutete mit einem Nicken in die Innenseite des Raums.

„Die Lösung lautet Drake und jetzt lass mich rein. Ich lasse mich nicht von dir einschüchtern, weder von deinen Muskeln noch von deinen Bemerkungen!“, antwortete sie schließlich und die Augen des Wächters weiteten sich leicht vor Unglauben; kurz dachte sie, er würde sie für ihren barschen Tonfall schlagen, dann wuchtete er jedoch die Tür auf und trat mit einem Knurren beiseite, so dass sie eintreten konnte.

In dem schummrigen Raum roch es nach Moder und verbranntem Fleisch, das über einem kleinen Kaminfeuer hing. Der Kamin bildete die gesamte Rückwand des geräumigen Zimmers und warf sein flackerndes Licht an die alten Holzwände, an denen Luciana Kakerlaken und Maden entlang krabbeln sah. Das Herz des Zimmers bildete ein langer Tisch, an dem die verschiedenen Führer der unterschiedlichen, kleinen Banditengruppen saßen und lauthals über etwas lachten, das Luciana nicht verstand. Als sie eintrat und die schwere Eisentür krachend wieder ins Schloss fiel, wandten sich alle um und die Gespräche verstummten, das Gelächter verebbte, machte einer drückenden Stille Platz; vor allem einer der Banditen musterte sie mit verachtendem Interesse – er erhob sich laut von seinem Stuhl und breitete mit einem spöttischen Lächeln die Arme aus.

„Unsere kleine Gossen – Adlige!“, rief er aus und die anderen wandten sich ebenfalls zu ihr um. Ihre gierigen Blicke glitten über ihren Körper und Luciana wurde heiß unter ihrer Lederrüstung, ließ es sich jedoch nicht anmerken.

„Verzeih die Verspätung, Drake …“, entschuldigte sie sich mit fester Stimme, ließ ihren Mantel von ihren Schultern gleiten und warf ihn an eine alte Garderobe.

„Die Gardisten halten vermehrt Wache, seit ihr gezielter zuschlagt und ich hatte keine Lust einer Patrouille in die Arme zu laufen. Ich musste einen kleinen Umweg nehmen.“

Drake verschränkte die massigen Arme vor der Brust und seine Miene verfinsterte sich leicht.

Alle Banditen hatten Glatzen und trugen die selben schwarzen Lederhosen; so erkannten sie sich gegenseitig in den Docks, wo sie, getarnt als Arbeiter, ihren Geschäften nachgingen.

Luciana schlenderte betont lässig auf einen der wenigen freien Stühle zu und setzte sich an das Kopfende des Tisches. Als sie Platz nahm, ächzte der Holzstuhl und wackelte bedrohlich, aber sie hielt den Blick fest auf die Tischplatte gerichtet. Essensreste und umgekippte Weinbecher bedeckten den Tisch, Wein tropfte über die Tischkante auf den zerfressenen Holzboden.

„Wir waren gerade dabei zu besprechen, welchen Wert du für uns hast. Unser Rudelführer mag es gar nicht, dass wir dich mit eingespannt haben, also gib uns einen Grund, dich bei uns zu behalten … ansonsten könnte das hier nämlich sehr böse ausgehen“, lachte Drake und fuhr unauffällig über den Griff seines Streitkolbens, der offen auf dem Tisch lag.

Ihr solltet mir lieber einen Grund geben, euch nicht ans Messer zu liefern, erwiderte Luciana in Gedanken verächtlich, setzte jedoch ein Lächeln auf; Sie spürte, wie Zorn in ihr aufstieg und die Gedanken von vorhin als sie die Statue des Letzten Herrschers gesehen hatte, verblassten. Der Letzte Herrscher mochte vielleicht gleichgültig sein gegenüber dem Schicksal der ärmeren Bürger, doch diese Männer hier bluteten die Unterstadt aus und machten keinen Hehl aus ihren Verbrechen, ja sie prahlten sogar mit ihnen! Alleine dafür würde sie sich jederzeit wieder der Stadtgarnison anschließen, auch wenn ihr eigentlicher Grund ein anderer war …

„Ich habe Informationen über die Truppenbewegungen des Ordens von einem Freund von mir kopieren können. Offensichtlich ahnt der Letzte Herrscher nicht, dass sich der Widerstand in seiner Hauptstadt regt und lässt die anderen Festungen und Städte befestigen; die meisten Paladine des Ordens sind auf der Straße unterwegs und jagen alles, was den Handel gefährden könnte, anstatt hier in der Hauptstadt nach Leuten wie uns zu suchen“, antwortete sie schließlich, holte eine falsche Karte der Truppenbewegung heraus und breitete das Pergament auf dem Tisch aus. Die Banditen beugten sich interessiert vor – sie wusste, dass keiner von ihnen den Wert dieses Stückchens Pergament erkennen konnte, selbst wenn es echt gewesen wäre.

Hinter der eigentlichen Revolte und der Planung steckte ein schlauer Kopf; diese Männer hier waren nur die ausführenden Hände eines viel verstrickteren und komplizierten Konstrukts.

Dieser Trupp hier hatte in den letzten Jahren dutzende Waffenlieferungen des Ordens überfallen und hatte diese verschwinden lassen – wohin, das wusste keiner von ihnen, doch wenn sie die Anführer dieser Gruppe schnappten, wäre es nur eine Frage der Zeit, bevor sie es herausfanden; und die Strippenzieher waren gerade alle hier versammelt, an einem Fleck … bald wäre all das endlich vorbei!

Während die Banditen angestrengt versuchten, aus der Karte schlau zu werden, fiel Luciana ein Mann im hinteren Teil des Raumes auf; sein Gesicht lag vollkommen im Schatten, verdeckt von einer schwarzen Kapuze. Er stand einfach nur da, hielt die Arme vor der Brust verschränkt und schien sie zu mustern, als erwarte er irgendetwas von ihr. Wer immer dieser Fremde war, sie hatte ihn noch nie gesehen. Ungestüm erwiderte sie den Blick der Gestalt und richtete sich auf ihrem Stuhl etwas auf, hielt trotzig stand und im Schatten der Kapuze meinte sie so etwas wie ein Lächeln zu erkennen, als sie plötzlich anfing um den Tisch herumzulaufen.

Trotz des Gemurmels der Banditen konnte sie die gestiefelten Schritte des Mannes genau hören, sie hallten laut in ihren Ohren wider und je näher die Gestalt kam, desto unwohler fühlte Luciana sich; schließlich hielt sie es nicht mehr aus und wandte den Blick ab.

„Eine Karte?“, stieß Drake aus und erhob sich ruckartig von seinem Stuhl; das abfällige Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden und Luciana fuhr hoch, presste sich mit ihrem Rücken gegen die Stuhllehne und alle anderen warfen unsichere Blicke zwischen ihr und Drake hin und her.

„Was ist dein Problem, Drake? Hast du erwartet, ich brächte euch den Kopf des Letzten Herrschers?“, fragte Luciana leise und versuchte möglichst still zu bleiben.

Es ist noch zu früh!, ermahnte sie sich in Gedanken, wenn die Situation jetzt eskaliert, fallen sie über mich her und sind verschwunden, bevor die Gardisten hier auftauchen! Ich brauche noch etwas Zeit!

Drake erhob sich von seinem Stuhl und hob dabei seinen Streitkolben hoch, fuhr liebevoll über dessen metallenes Ende und setzte eine nachdenkliche Miene auf.

„Nein, nein, aber ich hatte ein bisschen mehr erwartet … am Anfang. Bis ich Gerüchte darüber gehört habe, dass du uns gar keine Hilfe sein willst; bis ich gehört habe, dass es in der Stadtgarnison eine Frau gibt, die dir verdammt nochmal ähnlich sehr sieht, bei den drei Säulen!“

Nun erhoben sich auch die anderen Banditen von ihren Stühlen und stießen ein empörtes Knurren aus; beschwichtigend hob Luciana die Hände.

„Das sind schwere Anschuldigungen, die du hier gegen mich erhebst, Drake“, mahnte sie ihn ruhig und erhob sich nun ebenfalls von ihrem Stuhl.

„Ich habe niemals den Gedanken gehegt euch zu verraten!“, fuhr sie fort und blickte jedem einzelnen direkt in die Augen, „immer habe ich mich auf eure Seite gestellt, nachdem ich erkannt hatte, welche Tyrannei der Orden tatsächlich betreibt. Ich war einmal auf der anderen Seite des Gesetzes, das will ich nicht leugnen! Aber diese Zeiten sind schon lange vorbei! Ich bin eine von euch und ich will auch eine von euch sein, wenn wir uns endlich aus der Kanalisation hinaustrauen und dem Orden zeigen, wo er sich seine Vorstellung von Gerechtigkeit hinstecken kann!“

Sie schlug geräuschvoll auf den Tisch und ließ ihre Worte im Raum wirken, verstummte und trat einen Schritt von dem Tisch zurück.

Wie leicht es mir gefallen ist, die hohe Ordnung unseres Gottes als Tyrannei darzustellen, stellte sie verwundert fest und biss sich ein wenig auf die Unterlippen.

Sollte es mir nicht wesentlich schwerer fallen, den Namen meines Gottes in den Dreck zu ziehen? Ich sollte gerade einen inneren Kampf bestreiten zwischen meinem Glauben und dem, was ich sage … fiel es mir vielleicht deshalb so leicht, weil ich im Grunde ihrer Meinung bin? Weil ich in Wirklichkeit nicht auf der Seite des Ordens stehe, sondern nur versuche, zu überleben?

Sie schüttelte den Kopf und vertrieb ihre Zweifel; darüber konnte sie sich später noch Gedanken machen – nun musste sie erst einmal überleben.

„Ihr dreht euch im Kreis“, flüsterte auf einmal eine ruhige, tiefe Stimme und alle fuhren kurz erschrocken zusammen, blickten sich nach dem Urheber der Stimme suchend um.

Die Gestalt trat hinter Luciana an ihren Stuhl und legte behandschuhte Finger an dessen Rückenlehne. Lucianas Finger ballten sich zu Fäusten.

Wie konnte er sich so an mich heranschleichen? Ich habe rein gar nichts gehört!

Sie beruhigte sich gewissenhaft und schloss kurz die Augen, bevor sie sich im Sitzen umwandte und direkt in den Schatten der Kapuze starrte.

„Ach ja?“, hakte sie keck nach und hob gespielt abfällig eine Braue.

„Wir drehen uns also im Kreis, ja? Und was machst du? Was unternimmst du, um gegen den Letzten Herrscher zu kämpfen? Oder bist du nur hier, weil du denkst, deine Stimme zählte etwas?“

Der Mann unter der Kapuze schüttelte leise lachend seinen Kopf und trat hinter dem Stuhl hervor.

„Genau das ist euer Problem … ihr kämpft gegen den Letzten Herrscher; nicht für die Bürger. Deswegen seid ihr so wenige. Deswegen schlottern die Kinder und Frauen nachts vor Angst in ihren Häusern, weil sie wissen, dass ihr einbrechen könntet. Weil sie wissen, dass ihr …“, er deutete auf jeden einzelnen Anwesenden, „dass ihr anstatt ihnen zu helfen, das nehmt, was der Letzte Herrscher ihnen gegeben hat. Sie werden euch niemals als Befreier ansehen können, solange ihr sie grausamer knechtet als der Letzte Herrscher es tut und ihr seid zu töricht, dies zu begreifen.“

Luciana atmete zischend ein, als er die Banditen beleidigte, jedoch hatte er offensichtlich nicht begriffen, dass sie sich nicht gerne angreifen ließen oder es kümmerte ihn einfach nicht.

„Wisst ihr überhaupt noch, weswegen ihr den Letzten Herrscher so hasst? Wisst ihr überhaupt noch, weshalb ihr gegen ihn kämpft, warum ihr euch in diesem dunklen Kämmerchen verkriecht und euch euren illusionistischen Träumen von einer Welt ohne ihn hingebt? Oder hasst ihr ihn einfach nur um des Hassens Willen? Weil ihr jemanden braucht, den ihr verachten könnt, dessen Gesetze ihr brechen könnt?“, fuhr der Mann leise fort und stemmte die Hände in die Hüften.

Drake verzog seine Augen zu Schlitzen und trat näher an den Mann heran, der Griff um seinen Streitkolben verhärtete sich.

„Wir sind nicht alleine, Tranidaner!“, spuckte er aus.

„Gestern Nacht hat jemand in der Kirche den alten Godric abgestochen, abgeschlachtet wie eine Sau! Die Paladine haben versucht es zu vertuschen, aber auch wir haben Kontakte in den Reihen des Ordens. Ha!“

Drake fuhr mit dem Streitkolben geräuschvoll durch die Luft und die anderen Banditen stimmten in sein Jubelgeschrei mit ein, während Luciana meinte, ihre Beine würden weg knicken.

Bei den drei Säulen! Godric … tot? Niemals! Das kann nicht wahr sein! Niemand tötet einen Priester des Letzten Herrschers! Niemand würde Hand an einem heiligen Mann anlegen, vor allem nicht an Godric …

Sie schnappte nach Luft und in der selben Bewegung fuhr ihre Hand zu dem Amulett um ihren Hals, das Godric ihr geschenkt hatte; das Metall des Amuletts war beruhigend warm und nur dank des Anhängers konnte Luciana nachts ruhig schlafen.

Godric hat mir geholfen, meine magischen Kräfte zu bannen, nachdem meine Zieheltern ermordet wurden. Er gab mir das Amulett, das meine magischen Kräfte im Zaun hält und bannt, bevor sie weiteren Schaden anrichten können. Er darf nicht weg sein!

„Nein!“, stieß sie fassungslos aus und wich einen Schritt zurück, kurz trat die Trauer klar deutlich auf ihr Gesicht und Drake lachte triumphierend auf.

„Habe ich es nicht gesagt! Sie trauert um diesen Mistkerl, der die Adepten seit hundert Jahren zu Paladinen schlägt. Jeder Paladin, der heute lebt, ist eine Missgeburt, die er hervor gebracht hat. Wieso sollte dich das mitnehmen, wenn du doch gegen den Orden, den Letzten Herrscher und dessen Priester stehst?“

„Halt den Mund!“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und unternahm keinen Versuch mehr, ihre zitternden Fäuste zu verstecken.

Drake erstarrte und die Jubelschreie verstummten schlagartig; jeder starrte sie ungläubig an, nur nicht der vermummte Mann. Er sah sie nur schräg von der Seite an und schnalzte leise mit der Zunge.

„Was hast du gesagt?“, wollte Drake wissen und kam langsam näher, wie ein Raubtier, dass seine Beute langsam abpasste; Luciana rührte sich nicht, funkelte ihn einfach nur weiter hasserfüllt an.

„Ich sagte, du sollst dein verdammtes Maul halten!“, wiederholte sie laut hörbar und setzte ein grimmiges Lächeln auf.

„Soll ich es nochmal für dich wiederholen? Oder traust du dir zu, dass du meine Worte jetzt verstanden hast?“

Drakes Kinnlade klappte fassungslos nach unten, dann brüllte er wütend auf und stürzte sich auf sie, hob den Streitkolben hoch über seinen Kopf und Lucianas Hand schoss zu dem versteckten Dolch in ihrem Unterarmschutz und wich zurück, um dem Hieb zu entgehen. Doch der vermummte Mann trat zuweilen gelassen einen Schritt vor, griff nach dem Schwert an seinem Rücken und Drakes Augen weiteten sich; es geschah alles übermenschlich schnell.

Metall von einer in einem Sekundenbruchteil gezogenen Klinge blitzte auf, ein Schrei ertönte und etwas fiel auf den staubigen Boden. Mit einem Aufschrei fiel Drake auf die Knie, rollte sich auf die Seite und umklammerte seinen blutenden Armstumpf. Sein Unterarm lag auf dem Holzboden, die tote Hand immer noch den Griff des Streitkolbens umklammernd. Die anderen Banditen sprangen entsetzt auf, zogen entgeistert ihre Waffen.

„Keiner von euch wird ihr auch nur ein Haar krümmen“, stellte der Mann unmissverständlich klar und seine Stimme klang immer noch so beherrscht, als säße er gerade in einer gemütlichen Taverne.

„Wer es versucht, darf seine Männlichkeit danach gerne auf dem Boden suchen“, fügte er noch hinzu und die Banditen wichen einen Schritt zurück; er hatte für den Hieb gegen Drake den Bruchteil eines Moments gebraucht und selbst Luciana hatte seinen Arm nur noch verschwommen gesehen!

„Was bist du?“, hauchte sie fassungslos; der Mann schüttelte leicht den Kopf.

„Unter den Tisch!“, befahl er leise und Luciana meinte irgendwo das sich nähernde Geräusch von gepanzerten Schritten zu hören, „deine Freunde sind unterwegs …“

Lucianas Augen weiteten sich und keinen Augenblick zu früh warf sie sich mit einer Hechtrolle unter den schweren Holztisch, zückte den versteckten Dolch und kauerte sich zusammen, als die Tür donnernd nach innen aufgebrochen wurde.

Gardisten stürzten in den Raum, stürmten mit hoch erhobenen Schwertern auf die Banditen und diese schrien wütend auf, rannten den Gardisten entgegen und direkt über dem Tisch krachten die beiden Gruppen zusammen; das Klirren von Klingen übertönte beinahe das Geschrei der Kämpfenden und Luciana umklammerte den Dolch fester, rollte sich in Richtung der gardistischen Seite unter dem Tisch hervor, sprang in die Hocke, ließ den Dolch durch die Luft wirbeln und einer der Banditen stürzte mit einem erstickten Schrei zu Boden – der Dolch steckte genau in seiner Wirbelsäule. Sie krabbelte rückwärts von den Kämpfenden weg, wich den trampelnden Schritten der Gardisten aus, bis ihr Rücken auf die alte Holzwand traf und sie sich keuchend aufrappelte.

Ein Priester des Letzten Herrschers trat ein, seine weißen Gewänder schienen in dem schummrigen Licht zu leuchten und er hob die Hände, zeichnete eine Glyphe in die Luft und drei der Banditen wurden durch die Luft geschleudert, gingen während ihres Fluges in Flammen auf und landeten in einem Häufchen Asche auf dem Holzboden.

„Beim Letzten Herrscher, ergebt euch!“, schrie einer der Gardisten und ein kleiner Bolzenhagel ging auf die wenigen verblieben Banditen nieder; einige fielen tot zu Boden, durchbohrt von einem Metallbolzen, die anderen warfen ihre Streitkolben hin und hoben die Hände über den Kopf, als sie erkannten, dass weiterzukämpfen sinnlos war.

„Wir ergeben uns!“, rief einer von ihnen aus und wedelte wild mit den Händen, als der Priester sich daran machte, noch eine Glyphe in die Luft zu zeichnen. Staunend sah Luciana dabei zu, wie das Symbol in der Luft in Form von rötlichem Licht sichtbar wurde. Panische Angst zeichnete sich in den Zügen der verbliebenen Banditen ab; da schoss aus dem Nichts ein Seil und umspannte sie alle, zurrte sie zusammen und mit grimmiger Zufriedenheit ließ der Priester die Glyphe wieder verschwinden. Es war schnell vorbei gewesen und doch hatte Luciana das Gefühl, es hätte ewig gedauert – sie konnte gut spionieren und nach Informationen suchen, aber an das Töten hatte sie sich noch nie gewöhnen können.

Und das ist es, was mir meine Menschlichkeit erhalten hat!, dachte sie, als sie sah wie einer der Gardisten dem Größten der Banditen verächtlich ins Gesicht trat.

Rasch zählte sie die Toten und die Lebenden; ein leiser Fluch lag auf ihren Lippen und sie rieb sich erschöpft die Stirn.

„Gute Arbeit …“, ließ sich einer der Gardisten vernehmen; es war derselbe, der vorhin Zweifel an ihrer Kompetenz geäußert hatte.

Luciana ließ die Hand von ihrer Stirn sinken und sah ihm direkt in die Augen, ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen und sie deutete auf die gefesselten Banditen, die nun um Gnade winselten, während die Gardisten die Umgebung nach Beweisen und Dokumenten absuchten.

„Das kann gut sein, aber zwei sind entkommen …“, erwiderte sie dann und ihr Blick fiel auf den abgeschlagenen Armstumpf; Drake war entkommen – weder konnte sie seine Leiche sehen noch, weilte er unter den Gefangenen … und ebenso wie Drake fehlte auch der Fremde mit der Kapuze, der ihr das Leben gerettet hatte. Sie dachte zurück an seine Stimme, daran, wie er geredet hatte.

Nein, korrigierte sie sich in Gedanken, von den Banditen ist nur einer entkommen. Der Fremde … gehörte nicht wirklich zu ihnen; er war jemand anderes, jemand bedeutenderes. Nur dass ich wohl keine Gelegenheit mehr bekommen werde, herauszufinden, wer er war.

Mit einem Stöhnen stieß sie sich von der Holzwand ab und trat hinaus ins Freie, wo einige Gardisten die Zivilisten fernhielten und schnell eine kleine Barrikade um das Haus herum aufstellten; sie wusste, wie es weitergehen würde – es war immer so.

Gerade öffnete der Priester die Pergamentrolle, die das Strafgesetz des Ordens enthielt und begann laut und deutlich vor dem Haus die Verbrechen vorzulesen, die die Banditen begangen hatten … oder von denen der Orden wollte, dass die Bürger sie ihnen anrechneten.

Zumindest bezweifle ich, dass einer von denen zu einem Steuerdelikt in der Lage ist … dazu muss man rechnen können, lachte Luciana in Gedanken freudlos und ließ sich auf einen der Sandsäcke nieder, die zum Erbauen der Absperrung dienten.

Sie selbst hatte nicht die besten mathematischen Fähigkeiten und Lesen und Schreiben hatte sie wegen ihrer Herkunft erst gelernt, als Godric ihr geholfen hatte, in die Stadtgarnison zu kommen.

Ihre Zieheltern waren arme Menschen gewesen und wegen ihr waren sie tot und sie mit ihrer jüngeren Stiefschwester Alicia alleine.

„… und deswegen verurteile ich euch Kraft meines Amtes als Vertreter des Letzten Herrschers, unseren Gottes, zum Tode!“, endete der Priester und rollte die Pergamentrolle zusammen; er nickte den Gardisten unauffällig zu und diese holten Fackeln, während die restlichen die Bürger vertrieben und auseinander drängten. Als die Banditen zu verstehen begannen, was ihnen blühte, fingen sie an, zu schreien, sich in ihren Fesseln zu winden, um sich zu befreien; erfolglos.

Einer der Gardisten winkte den Banditen noch mit einem hämischen Grinsen zu, bevor sie die Fackeln in das ausgelegte Stroh warfen und die metallene Tür langsam zuschoben. Luciana verzog das Gesicht. Die Schreie begannen erst leise, wurden immer lauter, schwollen zu einem nicht enden wollenden Chor aus Schmerzensschreien an, der nach kurzer Zeit vom Fauchen der Flammen übertönt wurde.

Und wieder habe ich nicht das Gefühl, das Richtige getan zu haben …

Luciana blickte sich um und sah, wie die anderen Gardisten sich laut lachend auf die Schultern klopften und laut Trinksprüche in die Morgensonne riefen, für diejenigen unter ihnen, die gefallen waren. Einer der Gardisten setzte sich neben sie auf die Sandsäcke und lehnte sich entspannt zurück, folgte mit seinem Blick dem Schauspiel des Feuers.

„Ich muss zugeben, ich hätte nicht erwartet, dass Ihr es unter solchen Männern so lange aushaltet, Herrin“, gab er leise zu und Luciana sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite an.

Sie stand im Rang über den Gardisten; schon oft hatte sie Fälle gelöst, wo alle anderen männlichen Gardisten kläglich versagt hatten – doch noch niemals hatte einer von ihnen Respekt geäußert.

„Männer sind leicht zu durchschauen“, erwiderte Luciana mit einem spielerischen Lächeln und der Gardist lachte leise, deutete auf die andere Straßenseite und klopfte Luciana leicht auf die Schulter.

„Dann hoffe ich, dass unser Hauptmann Darion vom Orden auch ein Mann wie jeder andere ist. Paladine sind nicht dafür bekannt, uns Gardisten gratulieren zu wollen …“

Luciana fuhr herum und sprang auf, als alle Gardisten sich erhoben und hastig ein Spalier bildeten, durch das der Paladin in silberner Rüstung hindurchschritt.

Die grauen Rüstungen der Gardisten erschienen matt und kraftlos im Vergleich zur strahlenden silbernen Rüstung des Hauptmanns der Unterstadt; Darion, der Sohn des zweiten Kronrichters Arovan – einer der unwichtigeren Männer im Orden, jedoch hielt er sich oft für den Letzten Herrscher persönlich … und wenngleich er im Orden selbst einen niedrigen Rang innehatte stand er weit über jedem Gardisten. Darion quittierte die Verneigungen und Respektsbekundungen der Gardisten mit einem selbstgefälligen Grinsen und seine dunkelbraunen Augen blitzten gefährlich auf, als er direkt auf Luciana zuhielt.

Sie verneigte sich tief.

„Vivat Valazar“, grüßte sie ihn und richtete sich wieder auf.

Niemand durfte den Namen des Letzten Herrschers aussprechen, es sei denn er grüßte einen seiner Krieger oder Priester; selbst nun, da sie nur seinen Namen gesagt hatte, spürte sie so etwas wie Ehrfurcht in sich anschwellen und mit einem Schlucken ignorierte sie die beiden Exekutoren zu Seiten des Hauptmanns.

Kälte ging von ihnen aus und der Geruch von altem Blut hing in der Luft, als sie näher kamen; Exekutoren waren die Elite des Letzten Herrschers, Wesen aus schwarzer Magie, die einmal Menschen gewesen waren. In den Schatten ihrer Kapuze konnte sie die Wachsmaske erkennen, die das Gesicht verdeckte, eine ausdruckslose Maske in Form eines glatten Ovals, so dass nicht einmal mehr Gesichtszüge deutlich waren. Nur an den beiden Stellen, wo sich die Augen befinden mussten, befanden sich zwei Löcher in der Maske und statt Augen glomm in ihnen ein schwaches silbernes Leuchten. Ihr gesamter Körper war in schwarzes Leder gehüllt, das über und über mit alten Glyphen und Runen bestickt war, um den Exekutor vor magischen Einwirkungen zu schützen. Die Exekutoren streckten ihre Hände aus und statt Finger konnte Luciana die Klauen erkennen, mit denen ihre Hände bestückt waren. Ihre schwarzen Mäntel flatterten im leichten Morgenwind; vollkommen regungslos standen sie neben dem Hauptmann und starrten geradeaus – trotzdem fühlte es sich an, als kämen alle Geheimnisse, die Luciana hegte, plötzlich aus ihr heraus, deutlich sichtbar für den glühenden silbernen Blick des Exekutoren. Als sie den Blick von den beiden abwandte, gaben sie ein leises, zischendes Geräusch von sich, als versuchten zwei Schlangen miteinander zu kommunizieren; Luciana fröstelte.

„Wie ich sehe haben auch die Exekutoren noch ihre Vorlieben für das weibliche Geschlecht“, lachte der Hauptmann leise und schnippte; die beiden Exekutoren traten zurück und ließen ihre beklauten Hände wieder in den Taschen ihrer Mäntel verschwinden.

„Ich habe bisher nur einmal einen Exekutor gesehen, Hauptmann“, flüsterte Luciana leise, „und das war, als sie einen Mann festgenommen haben …“

Das stimmte nicht ganz. Die Exekutoren hatten ihn nicht festgenommen, sondern hatten ihn durch ein Fenster hindurch gepackt, waren hindurchgeflogen und hatten sich in der Luft in wabbernde Schatten verwandelt, die mit dem Mann in den Nachthimmel entschwunden waren. Was immer diese Wesen waren, unter den Masken steckte nichts Menschliches mehr; dafür hatte sie zu genau gesehen, wie die Schatten der Exekutoren den Mann in der Luft zerrissen hatten.

Jeder wusste, dass es Exekutoren gab und dass sie nachts auf den Winden Moréngards ritten, jedoch kannte niemand ihren genauen Zweck. Es gab sie einfach – und niemand, der einem Exekutor begegnete, machte den Fehler, sich noch einmal einen Fehltritt zu leisten.

Das Grinsen des Hauptmanns wurde breiter und er legte eine Hand unter ihr Kinn, hob es hoch und zwang sie so, ihm in die Augen zu sehen.

„Ein wahrlich angenehmer Anblick, ebenso wie dieses kleine Feuer hier … aber ich fürchte die Zeit bei deiner Einheit hier ist abgelaufen, Luciana.“

Lucianas Augen wurden größer und sie wollte gerade widersprechen, als er ihr zwei gepanzerte Finger an die Lippen legte und leise zischte.

„Leise! Ich habe hier einen Einzugsbefehl von Aaron Katar, General des Ordens und des Letzten Herrschers persönlich. Aaron ist einer der geachtesten Männer im Orden und ihm eine Bitte abzuschlagen kann … unangenehm sein.“

Er holte den Brief heraus und reichte ihn Luciana, steckte ihn ihr unauffällig zu und nahm die Hand von ihren Lippen.

Luciana musste sich beherrschen, nicht zu spucken und ihre Hand fuhr zu dem Brief, aber Darion schüttelte den Kopf und die beiden Exekutoren durchbohrten sie mit ihren Blicken.

„Nicht hier öffnen“, sagte er nur, bevor sich mit einem Grinsen umwandte und – gefolgt von den beiden Exekutoren – die Straße verließ.

Elender Bastard!, fluchte sie in Gedanken und wandte sich zu ihrer Truppe um, die sie entgeistert anstarrte.

Die Männer hatten alle ihre Unterhaltungen unterbrochen und Lucianas Augenbrauen wanderten in die Höhe, als sie die Verblüffung in den Mienen der Männer sah.

„Was ist los?“, fragte sie gereizt und steckte den Brief in eine ihrer Taschen.

Einer der Gardisten fand seine Sprache wieder und pfiff leise.

„Unsere Truppenführerin angeheuert von General Aaron … der Mann ist eine Legende im Orden! Mit siebzehn hat er einen der größten Mörder Moréngards festgenagelt! Alleine! Ich war als kleines Kind dabei und habe gesehen, wie er ihn mit seinen eigenen Mitteln geschlagen hat … General Aaron ist ein Genie!“

Die anderen brachen in zustimmendes Gemurmel aus und Luciana seufzte leise.

Na wunderbar, ich darf also mit einem hochtrabenden Wunder des Ordens zusammenarbeiten, der von sich selbst wahrscheinlich denkt, er sei der Sohn des Letzten Herrschers. Bei den drei Säulen, womit habe ich das verdient?

Sie hatte ebenfalls schon von Aaron gehört, war er es doch gewesen, der Godric gestattet hatte, dass sie in die Garnison aufgenommen wurde; mehr wusste sie über ihn auch nicht – und sie hatte auch niemals vorgehabt, jemals etwas mit ihm zu tun zu haben. Der Orden war ein riesiges, korruptes Spiel, eine einzige verdammte Intrige. Am besten man hielt sich, so weit es ging, raus und hoffte, dass man niemals die Aufmerksamkeit des Ordens erregte.

Anscheinend habe ich kläglich versagt …

Erschöpft trat Luciana aus der Straße hinaus, ließ ihre Einheit den Rest der Arbeit erledigen und trat an einen der natürlichen Höhenbalkone der Unterstadt. Von hier aus konnte sie die ganze Stadt überblicken; weit in der Ferne glitzerte das Meer im Licht der aufgehenden Sonne und der orangene Lichtschein vertrieb die letzten Schatten der Nacht, vertrieb die Dunkelheit und die Überreste des Sturms, der Nacht über getobt hatte. Es war ein neuer Tag – und für sie offensichtlich ein Neuanfang. Gespannt holte Luciana den Brief heraus, faltete ihn auf und begann zu lesen.

Pfad des Feuers

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