Читать книгу Pfad des Feuers - Alexander Mosca Spatz - Страница 9

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II

Jemand klopfte! Laut, widerlich und drängend! Mürrisch wandte sich Aaron in seinem Bett, hielt die Augen geschlossen. Es klopfte erneut! Aaron stöhnte leise auf, öffnete die Augen und setzte sich in seinem Bett auf, die Decke um sich wickelnd. Sein schwarzes Haar hing ihm in unordentlichen Strähnen ins Gesicht und seine dunklen Augen funkelten wütend, als es erneut laut klopfte. Seine Frau neben ihm wälzte sich umher, ihre Hand traf die seine.

„Was ist denn, Schatz?“, fragte sie verschlafen und räkelte sich mit einem Gähnen im Bett. Sie strich sich eine Strähne ihres braunen Haars aus dem Gesicht.

Aaron gab ihr einen sachten Kuss auf die Stirn und legte ihr eine Hand auf die weiche Wange.

„Jemand hat geklopft. Schlaf ruhig weiter, ich werde nachsehen.“

Evelyn wollte widersprechen, doch als sie ihren Mund öffnete, gähnte sie laut, sackte zurück ins Bett und schlief ruhig atmend weiter; ein Lächeln umspielte Aarons Lippen.

Was wäre ich wohl ohne sie?, schoss es ihm durch den Kopf und zärtlich streichelte er ihren Bauch, meinte ihr gemeinsames Kind spüren zu können. Trotz der behaglichen Wärme des kleinen Feuers in dem Kamin und der Nähe seiner Frau riss er sich mit einem Seufzen los, trat leise fluchend aus dem Zimmer hinaus und schnappte im Vorbeigehen sein Schwert. Er trat auf den Korridor hinaus, die Treppe hinunter.

Wer kann das so spät sein? Diebe, Einbrecher, Banditen? Alle anständigen Bürger befinden sich so spät im Bett! Vor allem bei dieser verdammten Kälte!

Die Stufen ächzten laut und Aaron verzog bei jedem Mal das Gesicht, hielt sich mit einer Hand die Schläfen. Erneut klopfte es, diesmal lauter als zuvor.

Wütend stürmte Aaron zur Tür, stellte einen Kerzenständer auf eine Kommode in der Nähe der Tür, nahm sich sein Schwert und legte eine Hand auf die Türklinke, lauschte.

„Wer ist da?“, rief er ärgerlich und zog möglichst leise sein Schwert, schob den Riegel zurück und wartete. Keine Antwort. Zögerlich drückte er die Klinke nach unten, ganz langsam, die Schaniere knirschten leise. Urplötzlich riss er die Tür auf, sprang mit dem Schwert vor und stieß mit der Klinge nach vorne.

Aaron erstarrte, die Klinge fuhr zurück und stoppte genau vor dem Hals des nächtlichen Ruhestörers.

„Sirian!“, stieß Aaron erleichtert aus und ließ sofort sein Schwert sinken, steckte es in die Scheide zurück; schneidende Kälte drang ihm entgegen und Aaron fing beinahe augenblicklich an, zu zittern. Sirians Hand war indes zum erneuten Klopfen erhoben und sein erschrockener Blick lag immer noch auf Aarons eingestecktem Schwert.

„Ihr hättet mich beinahe umgebracht, General!“, keuchte er fassungslos und Aaron lächelte entschuldigend, während er sein Schwert tätschelte.

„Alte Angewohnheiten, seit man mich zum General ernannt hat“, erklärte Aaron beschwichtigend und trat zur Seite, damit Sirian eintreten konnte.

„Komm rein und erkläre mir, was du so spät hier machst. Es muss dringend sein, wenn du von den Docks hier hinauf kommst.“

Und wichtig muss es auch sein. Nachts durch die Docks hierher zu laufen ist gefährlich …

Zitternd trat Sirian ein, schüttelte den Kopf und fuhr sich mit den Händen durch die lockigen, braunen Haare, zischte leise.

Der junge Adept des Ordens war noch nicht lange Aarons persönliches Protegé, jedoch war Aaron überzeugt, aus Sirian einen guten Paladin machen zu können.

Zumindest hoffe ich das, fügte Aaron in Gedanken an und dachte an sein letztes Versagen zurück. So einen Fehler würde er niemals wieder begehen …

Im Licht der schwachen Kerzen sah Sirians Gesicht aus wie aus Stein gemeißelt, vollkommen ernst und konzentriert.

„Ich sollte Euch holen, Meister Aaron“, setzte Sirian zögerlich an und seine braunen Augen blitzten kurz auf, „es gab einen Zwischenfall in der Kirche am Platz der tausend Rosen. Es muss etwas Schlimmes gewesen sein, denn Lord Marschall Ragnir ist ebenfalls dort; ich wurde auf seinen Befehl hin aus dem Bett gerissen …“

Aarons Augen weiteten sich überrascht.

Der Lord Marschall persönlich schickt nach mir? Normalerweise mischt er sich nie in gewöhnliche Angelegenheiten ein …

Aaron nickte schnell und bedeutete Sirian mit einem Nicken, sich zu setzen.

„Warte hier, ich lege nur meine Rüstung an. Mache es dir solange bequem.“

Hastig schoss Aaron die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer und legte mit geübten Handgriffen die silberne Rüstung eines Paladins an. Jede Rüstung wurde von den Schmieden mit Magie bearbeitet, so dass sie leichter war als gewöhnliche Rüstungen und damit leichter anzulegen.

Jeder Paladin bekam in seinem Leben eine Rüstung und erst, wenn er sie trug, konnte er sich als Mitglied des Ordens sehen; Sirian würde sich seine Rüstung noch verdienen müssen.

Nachdem er leise in die Rüstung geschlüpft war, schlich er die Treppe hinunter, nicht ohne wieder die knarzenden Stufen zu verfluchen. Sirian blinzelte müde und erhob sich aus dem roten Sessel, streckte sich gähnend.

„Kannst du mir jetzt sagen, was passiert ist?“, fragte Aaron, während sie hinaus in die Nacht traten und Aaron leise hinter sich die Türe verschloss.

Sirian hob abwehrend eine Hand und schüttelte leicht den Kopf.

„Der Lord Marschall wünscht, dass das mit äußerster Diskretion behandelt wird. Sprechen wir nicht darüber, bis wir dort sind.“

Der Schnee des Vortags war einem tobenden Sturm gewichen.

Regen peitschte ihnen in die Gesichter, eisiger Wind fegte ihnen entgegen und Aaron dachte wehmütig zurück an sein warmes Bett.

Niemand war auf der Straße zu sehen; bei einem solchen Unwetter trauten sich nicht einmal die Banditen und Verbrecher der Stadt hinaus in die Nacht. Das Klerikerviertel der Stadt, das Viertel der Geschäftsleute und armen Adeligen, war das jüngste Moréngards und erst nach dem langen Vampirkrieg entstanden; dicht aneinander gereiht, akribisch geplant und größtenteils sauber hatte es den Anschein und den Ruf des ruhigsten Viertels der Stadt – und des sichersten.

Die meisten der Häuser waren aus hellem Stein gebaut, stabil errichtet und schön anzusehen, wenn auch nicht halb so prunkvoll wie die sündhaft teuren Villen in der Oberstadt, dem Viertel der Adeligen, zur Ruhe gesetzter Paladine und den Mitgliedern des Gilderats. Normalerweise beschränkten sich sämtliche Verbrechen auf die Unterstadt, die Slums, die Docks und die Oberstadt.

Erstaunlich, dass hier im Klerikerviertel ein Verbrechern begangen worden sein soll, das der Aufmerksamkeit des Lord Marschalls bedarf.

Schweigend trotteten sie nebeneinander die Straße entlang, welche sie zum Platz der tausend Rosen brächte, trotzten dem Wind und dem peitschenden Regen, der ihnen stellenweise die Sicht raubte. Schon von Weitem konnte Aaron durch das Donnern hindurch laute Schreie hören, die vom Platz her zu ihnen drangen. Paladine und gewöhnliche Gardisten kamen ihnen entgegen, neigten kurz vor Aaron das Haupt und eilten dann an ihnen vorbei; Aaron entging nicht, dass viele von ihnen sich den Magen hielten und so aussahen, als hätten sie sich gerade erbrochen.

„Ich habe irgendwie das Gefühl, dass das schlechte Wetter bald unsere geringste Sorge sein wird“, flüsterte Aaron und pfiff leise, als sich ein Gardist in ihrer Nähe an einen Baum lehnte und zitternd Luft holte. Sie traten auf den Platz der tausend Rosen.

Schreiende Priester drängten gegen eine Barriere aus Gardisten, der regulären Stadtwache, neugierige Adelige pressten von hinten gegen die Priester, die in der Alten Sprache wild fluchten und den Gardisten mit Magie drohten, wenn diese sie nicht in die Kirche ließen. Die Gardisten rückten stärker zusammen, bildeten eine Kette mit drei Reihen um den Eingang der Kirche und hielten dem Drängen der Protestierenden trotzig stand.

Paladine des Ordens eilten hinter dem schützenden Wall aus Gardisten umher, brüllten sich Befehle und Flüche zu, um das Toben des Sturms zu übertönen.

„Der Lord Marschall sagte, ich solle hier mit Euch warten“, sagte Sirian schnell, bevor Aaron sich durch die Menge kämpfen konnte; verwirrt hielt Aaron inne, nickte dann jedoch und trat von der tobenden Menge zurück.

„Sie müssen diese Menge zerstreuen, sonst trampeln sie sich gegenseitig tot!“, rief Aaron und deutete mit einer peitschenden Handbewegung in die Richtung der Kette.

Sie müssen etwas tun! Wenn die Priester Magie einsetzen sollten, um durch die Kette zu brechen …

Aaron schaffte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Das Doppeltor der Kirche öffnete sich einen Spalt breit und ein hochgewachsener Mann in einer schwarzen Rüstung trat hinaus. Sein schwarzes Haar flatterte wild im Wind, das Funkeln seiner giftgrünen Augen lenkte Aarons vollkommene Aufmerksamkeit auf ihn. Lord Marschall Ragnir, der zweite Mann im Orden, der beste Freund des Letzten Herrschers und dessen treuester Krieger.

Die Menge verstummte für einen Augenblick und die Gardisten atmeten erleichtert auf, als der Druck auf einmal nachließ.

„Löst die Kette!“, donnerte er und zog schwungvoll sein Schwert. Die Gardisten schauten ihn verwundert an, zögerten, doch als der Lord Marschall sie wütend anfunkelte, ließen sie sich los und lösten die Kette langsam auf.

„Ihr könnt ruhig kommen!“, schrie Ragnir wütend und fuhr mit dem Schwert durch die Luft, „stellt sich nur die Frage, wer von euch Manns genug ist, es zu tun! Jeder, der die Stufen der Kirche betritt, solange ich hier bin stört damit eine Mission des Ordens und darf ohne nachträgliche Bestrafung des ausführenden Gardisten oder Paladins getötet werden. Wer auf die Stufen tritt ist vogelfrei!“

Sofort hörten die Adeligen auf, die Priester zu bedrängen und die Geistlichen wichen zurück, als bestünden die Stufen zur Kirche aus Feuer und jede Berührung mit ihnen würde schmerzhafte Verbrennungen zufügen. Lord Marschall Ragnir schritt die Stufen hinab, steckte betont langsam sein Schwert weg und ließ seinen Blick suchend über die Menge schweifen, bis er Aaron erblickte.

Seine harte Miene verdüsterte sich und er kämpfte sich mit den Ellenbogen rabiat durch die Paladine und Gardisten. Die Priester und Adeligen wichen mit einem Angstschrei von ihm zurück.

„Aaron!“, schrie er und stieß einen Adeligen grob beiseite, schritt zielstrebig auf Aaron zu.

Aaron und Sirian fielen ehrfürchtig auf ein Knie, pressten eine Hand an die Brust und senkten das Haupt.

„Seid gegrüßt, Lord Marschall Ragnir“, erwiderte Aaron in ergebenem Tonfall und wagte es, auf zu sehen; Ragnir schnaubte angewidert.

„Spare dir deine Grüße, General Aaron, wir wissen beide, dass wir uns nicht ausstehen können.“

Sirian zuckte leicht zusammen wie unter einem Peitschenhieb, aber Aaron lächelte nur leicht in sich hinein.

Ebenfalls, Lord Marschall …

„Dürfte ich erfahren, weswegen ich nun letztendlich hier bin?“, merkte Aaron leise an und Ragnir warf den Kopf in den Nacken, lachte laut auf.

„Na, das wirst du gleich selbst sehen. Adept Sirian, du wartest hier draußen und hilfst dabei, diesen Schweinestall aufzuräumen“, er machte eine schweifende Handbewegung in Richtung der Priester und Adeligen.

„Aaron, du kommst mit mir.“

Aaron seufzte leise.

Als bliebe mir eine Wahl … hoffentlich haben die Paladine nicht wieder den Tatort völlig verunreinigt!

Schweigend folgte Aaron dem Lord Marschall durch die sich nun zerstreuende Menge und auf das hohe Doppeltor der Kirche zu. Ragnir stieß es einen Spalt breit auf und zog Aaron ohne Umschweife hinein, schlug das Tor zu.

Als sie eintraten, schienen die Geräusche von draußen zu ersticken und einer eisigen Stille Platz zu machen. Das Gotteshaus lag beinahe vollständig im Dunkeln, nur das zuckende Licht der Blitze erhellte ab und an die Szenerie. Betäubende Kälte kroch in Aarons Glieder und er erschauderte, schüttelte sich leicht.

„Hier drinnen ist es kälter als draußen“, schnaubte Ragnir verächtlich und schritt mit Aaron langsam zwischen die Bankränge auf die im Schatten liegende Statue des Letzten Herrschers zu.

„Wie soll das möglich sein?“, fragte Aaron leise und verwundert betrachtete er wie sein Atem kondensierte. Er ahnte, weshalb niemand den Raum beleuchtet hatte. Die Magier suchten nach jedem Mord einen magischen Abdruck der Aura des Mörders. Ein Feuer würde, wie jede andere starke Energiequelle, den Abdruck verzerren.

„Das wirst du gleich sehen“, wich Ragnir aus und gemeinsam hielten sie an.

Paladine standen um den Altar versammelt, vor der Statue des Letzten Herrschers und starrten fassungslos hinauf, in die Finsternis. Aaron kniff die Augen zusammen, spähte angestrengt nach oben. Er konnte kaum etwas erkennen, nur eine geisterhafte Silhouette zeichnete sich im Dunkel ab.

Plötzlich zuckte ein weiterer Blitz, das Innere der Kirche blitzte grau auf und Aaron sah es.

Seine Augen weiteten sich entsetzt, seine Knie drohten nachzugeben und er spürte, wie ihm übel wurde.

„Beim Letzten Herrscher!“, hauchte Aaron entsetzt, ließ sich gegen eine Bankreihe sinken und wandte angewidert den Blick ab; er hielt sich eine Hand vor sein Gesicht und schloss die Augen, atmete tief durch; Ragnir zog seine Brauen in die Höhe und schnaubte leise.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du den Anblick so schwer erträgst, hätte ich deinen Adepten mitgenommen und dich draußen gelassen … Godric hat dich zum Paladin geschlagen, oder?“

Zögerlich stieß Aaron sich von der Bank ab, legte den Kopf in den Nacken und hielt die Augen geschlossen.

„Hat er“, antwortete er schnell, hielt sich hastig den Magen, gegen die aufkommende Übelkeit ankämpfend.

„Habt ihr den Abdruck endlich?“, fragte Ragnir in den Raum hinein und bejahendes Gemurmel drang an Aarons Ohren. Er hörte, wie die Magier leise Flammen entzündeten, das beruhigende Prasseln vertrieb ein wenig die Übelkeit; jedoch wusste er, dass er es wiedersehen müsste, sobald die Magier ihre Fackeln entzündeten.

Reiß dich zusammen! Ich habe schon viele Toten gesehen! Er ist nur einer von vielen …

Langsam öffnete Aaron die Augen und trat von der Bank zurück, wandte sich langsam der Statue des Letzten Herrschers zu und blickte empor.

Die entzündeten Fackeln warfen ihr verschwommenes Licht auf Godric, tanzende Schatten unterstrichen den grausamen Anblick. Dort, wo sich seine Augen befinden sollten, klafften zwei blutige Löcher, sein Mund war zu einem stummen Schmerzensschrei geweitet, der schon lange verhallt war. Blut lief unter seinen Haaren sein Gesicht hinab, bedeckte die gold-silbernen Roben, tropfte auf den Boden und bildete dort eine dunkelrot schimmernde Pfütze. Als Aarons Blick auf den Boden unter der Statue fiel, verhärtete sich seine Miene und wie betäubt trat er hinter den Altar, ging leicht in die Knie. Auf dem Boden unter der Statue prangte ein Schriftzug, geschrieben mit Godrics Blut.

'In das Herz des Ordens', lautete die Botschaft, dunkelrot und bedrohlich glänzte sie im roten Schein der Fackeln.

Wer?, fragte Aaron sich, wer würde einen Priester des Letzten Herrschers anrühren? Einen seiner Priester zu ermorden ist, als erkläre man dem Land den Krieg! Das ist Wahnsinn …

Niemand wäre so verrückt, den Zorn des Letzten Herrschers auf sich zu ziehen, nicht einmal der einfällstigte Bandit. Das Blut ist noch frisch, der Mord ist noch nicht lange her … aber wer?

Aaron fuhr zusammen, als er nach oben blickte und erkannte, wieso Godric dort oben fest hing. Der Griff von Godrics Zeremoniendolch ragte aus seiner Brust, Blut floss die Parierstange entlang, bildete auf dem Marmorboden eine kleine Blutlache. Jemand hatte den Dolch durch seine Brust hindurch in den Stein der Statue geschlagen und Godric an der Brust ihres Gottes festgenagelt!

Ein blutiges Diagramm war in den Oberkörper des Priesters geschnitten und der Griff des Dolchs ragte aus dessen Zentrum.

In das Herz des Ordens … aber was soll das Pentagramm?

„Holt ihn da runter, verdammt nochmal!“, befahl Lord Marschall Ragnir bellend. Die Magier versammelten sich um die Statue, hoben die Hände und mit ihren kinetischen Kräften zogen sie den Zeremoniendolch aus der Brust des Priesters, ließen dessen Leiche langsam auf den Altar gleiten.

Aarons Blick folgte dem schwebenden Leichnam, als dieser sanft auf dem Altar absetzte. Kein Blut floss aus der Wunde, in der der Dolch gesteckt hatte, es war, als wäre Godrics Körper vollkommen leer. Fassungslos trat Aaron näher.

„Er sieht aus, als hätte er das Blut förmlich geschwitzt!“

Aaron besah sich des Pentagramms auf Godrics Brust genauer; der Mörder hatte es mit einer scharfen Klinge in die Brust geritzt, jedoch hätte ihn das nicht umgebracht. Vorsichtig drückte er neben der Stichwunde im Zentrum des Pentagramms auf die Haut. Nichts geschah, kein Blut quoll aus der Wunde hervor.

„Wer immer der Mörder war, er muss gewusst haben, wie man Magie benutzt“, knurrte Ragnir.

„Kein normaler Mensch hätte Godrics Leiche dort hinauf bekommen, geschweige denn ein Schwert durch die Leiche und den Stein rammen können. Eine alte Frau hat sie hier gefunden, als sie zur nächtlichen Beichte hierher kam ...“

Aaron schluckte schwer.

„Was habt ihr mit der Frau gemacht?“

Der Lord Marschall antwortete nicht sofort, betrachtete nachdenklich Godrics leblosen Körper.

„Sie ist Zeugin von etwas, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen darf“, wich er schließlich aus und Aaron ging nicht weiter darauf ein – er wusste bereits, was das bedeutete.

In was für einer Welt leben wir, in der ein Mensch wegen etwas, das er gesehen hat, verschwinden muss? Genauso gut hätte Evelyn die Leiche entdecken können und dann wäre sie nun auch nicht mehr hier …

Aarons Aufmerksamkeit fiel auf etwas Glitzerndes an Godrics Finger.

Unauffällig bückte er sich und nahm Godrics eiskalte Hand in die seinen. Seine Augenbrauen wanderten verwundert in die Höhe. Es war ein Ring; die goldene Fassung war von höchster Qualität, nur übertroffen von dem blutroten Rubin, welcher ihn zierte.

Priester dürfen keine weltlichen Wertgegenstände besitzen. Sich mit einem Wertgegenstand erwischen zu lassen, bedeutet bestraft zu werden. Was sollte Godric also mit diesem Ring?

Mit gerunzelter Stirn erhob er sich wieder und trat einen Schritt zurück, so dass die Magier die Leiche mit einem weißen Leinentuch bedecken konnten.

Nur die Hand mit dem Ring ragte aus dem Tuch hervor, der Ring funkelte leicht im tanzenden Licht der Fackeln.

„Weiß der Erzbischof Bescheid?“

Ragnir seufzte schwer, bevor er nickte und die Paladine aus der Kirche entließ, damit sie draußen helfen konnten.

„Ich habe ihn nicht wirklich informiert, aber die Priester stecken doch alle gemeinsam unter einer Decke. Die merken es, wenn einer aus ihrer Brut den Löffel abgibt.“

Die Paladine, die es hörten, zuckten leicht zusammen und wandten sich rasch ab.

Jeder wusste, dass zwischen dem Erzbischof und dem Lord Marschall heftige Spannungen herrschten, jedoch kannte nur Aaron den wahren Grund.

Und ich wünschte, ich wüsste es nicht …

Krachend flog das Doppeltor der Kirche auf.

Aaron, der Lord Marschall und alle Magier wirbelten herum, Feuerbälle flammten auf, Schwerter flogen zischend aus ihren Scheiden … nur um sofort wieder weggesteckt zu werden.

Der Erzbischof stand auf der Schwelle des Doppeltors; alle Magier fielen auf ein Knie, Aaron senkte demütig das Haupt und der Erzbischof trat betont langsam auf sie zu.

Das Geräusch seiner schweren Schritte hallte von den hohen Wänden des Kirchengewölbes wider, sein langer brauner Mantel raschelte leise. Sofort fühlte Aaron sich klein und unbedeutend, angesichts des mächtigsten Magiers der bekannten Welt und des ältesten Menschen, der je gelebt hatte. Tiefe Furchen gruben sich in das Gesicht des Erzbischofs, sein graues Haar war sorgsam zurückgekämmt und der Blick seiner grauen, leblosen Augen ruhte zuerst auf Aaron, dann auf Ragnir.

„Lord Marschall“, grüßte er ihn kalt und Ragnir schnaubte verächtlich; ein spöttisches Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Erzbischofs ab.

„Abend, Ethgar“, schoss Ragnir gereizt zurück und der Erzbischof quittierte die offensichtliche Provokation mit einem gleichgültigen Zucken seiner Mundwinkel.

„Ich habe gehört heute Nacht sei einer der … meinen ermordet worden. Und wie Ihr ganz treffend bemerkt habt, Lord Marschall, ich bemerke es, sobald etwas geschieht …“, er zuckte mit den Achseln, „im Gegensatz zu den Streitkräften des Ordens und der Stadtgarnison, wie mir scheint. Der Letzte Herrscher …“

„Hat mich geschickt, um das hier zu erledigen!“, fauchte Ragnir und seine Hand schoss beinahe reflexartig zum Griff seines Schwertes; Ethgar zuckte nicht einmal.

„General Aaron hier wird sich eine Mannschaft zusammensuchen und dann augenblicklich mit der Suche nach dem Mörder beginnen. Sobald er ihn gefunden hat, werde ich persönlich dafür Sorge tragen, dass er bluten wird …!“

Ethgar sah Aaron lange an und dieser musste dem Drang widerstehen, dem durchdringenden Blick des alten Erzbischofs auszuweichen. Es war, als könne dieser seine Gedanken lesen wie ein offenes Buch – das beinahe mitleidige Grinsen des Erzbischofs, das auf seinem Gesicht aufbrach wie eine Wunde, half nicht gerade dabei, diese Vorstellung zu verdrängen.

„Dann wünsche ich dem werten General viel Glück. Dies könnte sich als der schwierigste Fall herausstellen, den er bisher hatte. Hoffen wir, dass es ihn nicht überfordert …“

Vorsichtig trat Ethgar an den verhüllten Leichnam heran, legte eine Hand auf Godrics verhüllte Stirn und flüsterte ein stilles Gebet, bevor er den Ring an Godrics Hand entdeckte.

Seine grauen Augen weiteten sich erstaunt und er zuckte leicht zusammen, legte möglichst unauffällig eine Hand auf den Ring und ging leicht auf die Knie.

„Die Toten haben dich zu sich gerufen“, flüsterte er leise und die anderen Paladine neigten andächtig den Kopf.

Als der Erzbischof sich wieder erhob, war der Ring von Godrics Hand verschwunden.

Aarons Augen verzogen sich zu funkelnden Schlitzen und er sog zischend die Luft ein, sagte jedoch nichts.

Jetzt etwas dagegen zu sagen, würde einem Selbstmord gleichen … aber der Erzbischof hat viel zu gefasst dafür reagiert, dass einer der ehemals wichtigsten Priester des Letzten Herrschers grausam ermordet wurde; ich werde ein Auge auf ihn haben müssen.

Erzbischof Ethgar wandte sich langsam wieder Ragnir zu und die beiden warfen sich einen vielsagenden Blick zu, bevor der Ausdruck aus ihren Gesichtern verschwand und das gewöhnliche, überhebliche Lächeln auf die Lippen des Erzischofs trat.

„Lord Marschall …“, sagte er süffisant und musterte Aaron kurz eindringlich, „auf ein Wort bitte. Alleine!“

Ragnirs Miene verdüsterte sich und er nickte leicht; es wirkte, als hätten die beiden wortlos eine Nachricht ausgetauscht.

Der Lord Marschall klopfte Aaron auf die Schulter und wies auf das Portal der Kirche.

„Ich lasse dir sämtliche Informationen in schriftlicher Form in die Taverne 'Zur silbernen Klinge' bringen. Ich möchte, dass du sofort anfängst, nach dem Mörder zu suchen und alle nötigen Schritte einleitest. Meine Vollmacht bekommst du, sobald du einen Verdächtigen hast und diesen Verdacht auch bestätigen kannst. Mal sehen, vielleicht lässt sogar der Letzte Herrscher mit sich reden …“

Aaron zuckte bei diesen Worten leicht zusammen.

Der Letzte Herrscher wird nicht erfreut sein, wenn er erfährt, was hier geschehen ist. Ich weiß nicht, ob es mir gefällt einen persönlichen Auftrag von Gott zu bekommen … sollte ich scheitern, könnte das böse für mich ausgehen.

„Ich denke nicht, dass es nötig sein wird, den Letzten Herrscher persönlich in diese Sache mit einzubeziehen, Lord Marschall“, wehrte Aaron leise ab und verneigte sich vor dem Erzbischof und dem Lord Marschall.

„Ich werde den Mörder fassen, so wahr ich hier stehe. Das schwöre ich bei meiner Klinge und meiner Treue zum Letzten Herrscher. Vivat Valazar!“

Aaron schlug sich mit der Faust an die Brust, dort, wo sich das Herz befand und verneigte sich erneut, diesmal noch tiefer.

„Gut, wie du meinst, General …“, willigte Lord Marschall Ragnir ein und streckte sich mit einem leisen Gähnen. Alleine wegen des Gähnens konnte man die Muskelstränge unter dem Brustpanzer erahnen.

Ragnir ist nicht umsonst der beste Schwertkämpfer des Landes …

„Wegtreten, General“, befahl der Erzbischof leise und Aaron meinte den Hauch einer Drohung aus dessen Stimme herauszuhören. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, packte der Erzbischof den Lord Marschall am Arm und gemeinsam ließen sie Aaron vor dem Altar stehen.

Der General runzelte die Stirn und warf Godrics Leichnam noch einen Blick zu, der gerade wieder mit einem weißen Leinentuch bedeckt wurde. Jemand hatte einen Priester des Letzten Herrschers ermordet; das glich einem versuchten Mord an ihrem Gott selbst.

Ich denke, ich weiß, wo ich mit der Suche beginnen werde, schoss es Aaron durch den Kopf, als er sich an den schockierten Gesichtsausdruck des Erzbischofs erinnerte und an den Ring dachte.

Wie betäubt trat er wieder aus der Kirche hinaus, streckte sich genüsslich in der Kälte und sah dabei zu, wie die Paladine und Gardisten die Menge der Adeligen und Priester langsam zerstreute; niemals würde es bekannt gemacht werden, dass ein Priester ermordet worden war.

Der Glaube an die Unsterblichkeit der Priesterschaft war eine der Grundfesten des völkischen Glaubens – man würde eine schöne Ausrede erfinden, einen Weg, den Mord zu vertuschen.

Sicher werden morgen die Herolde und Barden berichten, Godric sei ins südliche Kaiserreich Iridania aufgebrochen, wo er sich für den Frieden zwischen dem Norden und dem Süden Sepharims einsetzen wird. Oder sie lassen ihn als Patrioten in den Himmel des Letzten Herrschers aufsteigen, das wäre noch passender …

Die Abteilung für innere Sicherheit innerhalb des Ordens würde sicher einen Weg finden, alle Zeugen des Mordes mundtot zu machen. In der Kirche hatte er nur Paladine niedrigen Ranges gesehen, junge Magier und einige alte, von denen man wusste, dass sie wahrscheinlich bald sterben würden. Für die Exekutoren der inneren Sicherheit wäre dies sicher Grund genug, diesen Verlauf etwas zu beschleunigen; sie lebten schließlich in einer gefährlichen Welt und da geschahen Unfälle …

Der Adept Sirian kam die Stufen vor der Kirche hinaufgelaufen; sein Atem ging schwer und seine Brust hob und senkte sich, als wäre er gerade kilometerweit gerannt.

„Die Priester und Adeligen ziehen sich in ihre Häuser zurück und die Gardisten werden bald für Ruhe und Ordnung gesorgt haben“, verkündete er stolz. Er war vielleicht gerade erst neunzehn Jahre alt, aber dafür umso aufrichtiger – leider auch naiv; er würde niemals verstehen, was dieser Mord heute Nacht wirklich bedeutete. Aaron selbst war als General davor geschützt, einfach von der Bildfläche zu verschwinden … solange er niemandem etwas davon erzählte.

„Das ist sehr gut“, flüsterte Aaron und klopfte seinem jungen Adepten erschöpft auf die Schulter und rieb sich nachdenklich die Stirn, während sich über ihnen langsam die Wolken auflösten und der Regen etwas nachließ.

„Ich will, dass du eine alte … Freundin zu uns ins Boot holst. Sie hat Verbindungen zu den richtigen Kreisen innerhalb der Stadt, die uns als Paladine unzugänglich sind. Hauptmann Darion soll die Nachricht überbringen und den Treffpunkt übermitteln. Morgen, bei Sonnenuntergang in der Taverne 'Zur silbernen Klinge'. Kein anderer darf davon erfahren, hörst du?“

Sirian nickte eifrig und schickte sich gerade an, zu gehen, als er noch einmal stehen blieb und seinen Meister erwartungsvoll ansah.

„Meister?“, fragte er leise und Aaron zog eine Braue in die Höhe, blickte ihn fragend an.

„Ja?“

„Der Lord Marschall hat mir erzählt, was passiert ist und ich weiß, dass dieses Wissen gefährlich sein kann …“

Aaron unterbrach Sirian mit einer Handbewegung und schüttelte leicht den Kopf.

„Uns wird nichts passieren, dafür habe ich gesorgt. Wir können uns ganz und gar auf unsere Aufgabe konzentrieren“, beruhigte er seinen Adepten und Sirian atmete erleichtert aus.

„Und was genau liegt jetzt noch vor uns?“, hakte er nach und General Aarons blaue Augen funkelten leicht, als er den Kopf in den Nacken legte und leise seufzte.

„Vor uns … liegt eine Menge Arbeit.“

Pfad des Feuers

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