Читать книгу Pfad des Feuers - Alexander Mosca Spatz - Страница 12

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II

Moréngard war die Hauptstadt des Reiches Ascénta, dem größten der drei Nordreiche in Sepharim.

Mit etwa fünfzigtausend Einwohnern, Bauern und illegale Einwanderer miteinbezogen, war sie die größte Stadt des gesamten Nordens und mit großem Abstand die des ganzen Kontinents.

Kilometerweit erstreckte sie sich von der Küste ins Landesinnere, voll mit der Pracht vergangener Jahrhunderte, die das geballte Können tausender genialer Architekten hervorgebracht hatte.

Eine blühende Industrie und die Führung des Letzten Herrschers hatten Moréngard nach dem gewonnen Krieg gegen die Vampire wieder aufleben lassen; Valazar hatte die Trümmer beiseite geschafft und aus der Asche der Flammen des Krieges eine Stadt erschaffen, die sich in puncto Schönheit mit jeder anderen messen konnte.

In der Oberstadt, dem Kleinsten der fünf großen Viertel, erhoben sich gewaltige Türme und Festungen der reichsten adeligen Familien Ascéntas in schwindelerregende Höhen, direkt neben prachtvollen Bauten und Villen, deren Dienerzahl die Einwohnerzahl des Klerikerviertels überstieg.

Breite und befestigte Straßen zogen sich in exakt geplanten und berechneten Linien durch das Viertel und verbanden die Wache des Ordens in der Oberstadt und den dortigen Hauptsitz des bürgerlichen Gilderats mit dem Reichtum des umliegenden Adels. Die Oberstadt lag im Norden Moréngards, durch eine Mauer abgetrennt vom Rest der Stadt, so dass niemand, der der Oberstadt nicht würdig war, dort hinein konnte.

Im Westen Moréngards lag das Klerikerviertel, die Behausungen jener, die sich vor den adeligen Intrigen und Machtspielchen verstecken wollten und dennoch genug verdienten, um nicht in die Unterschicht abzurutschen. Hier wohnten Händler, Kaufmänner, Vorsitzende des Gilderats, Abgeordnete der anderen Reiche, ärmere Adelige und gut verdienende Männer der Garnison.

Auch die Hauptwache der Stadtgarnison erhob sich in Form einer großen grauen Festung in den Himmel, bedrohlich, als eine unausgesprochene Warnung an all die Verbrecher, die Moréngard heimsuchten, ebenso wie die gewaltige Kirche des Letzten Herrschers und der Platz der tausend Rosen.

Im Osten Moréngards lag die Unterstadt.

Hier lebten Handwerker jeglicher Branchen, hier befanden sich die kleinen Fabriken und die Hauptsitze der Handwerkszünfte, die sich alle vier Jahre neu zu Gilden zusammengeschlossen.

Die gewöhnlichen Bürger der Stadt wohnten hier, gingen ihrem Tagewerk nach und versuchten so gut wie möglich über die Runden zu kommen. Da die Meisten der sozialen Unterschicht angehörten, gab es hier kaum Schulen oder staatliche Einrichtungen. Für Ordnung sorgten die Schläger der Gilden und nur selten mischte sich die Stadtgarnison oder gar der Orden in die Angelegenheiten der Unterstadt ein.

Im Südosten lag die Altstadt Moréngards.

Gebäude, älter als der beinahe fünfhundert Jahre andauernde Vampirkrieg, standen hier, mischten sich unter die wundervollen Prachtbauten des Erzbischofs, dessen Residenz im Herzen der Altstadt thronte. In der Altstadt stand die große Universität, der ganze Stolz des Reiches.

Vom ganzen Kontinent her kamen die Bewerber für einen Studienplatz und es wurde alles getan, um dort aufgenommen zu werden. Mit einem erfolgreichen Abschluss in der Universität von Moréngard konnte man beinahe alles erreichen – egal in welchem Land.

Die Altstadt war daher das Zentrum des Wissens und der Geistes – und Naturwissenschaften der Stadt. Studenten standen an den schönen Straßen, gaben ihre lyrischen Werke zum Besten und hofften auf positive Resonanz beim Publikum, Sänger und Barden zogen durch die Gassen und gaben bereitwillig Vorstellungen, Priester und Erfinder erprobten auf den Plätzen ihre neusten Erfindungen und stellten diese zur Schau.

Nur die reichen und gebildeten Leute fanden ein Einlass in die Altstadt und nur die Besten unter ihnen bekamen eine Chance, sich ihren Traum zu erfüllen. Die allgemeine Bildung unterlag laut eines Edikts des Letzten Herrschers den Priestern, die die Kinder Moréngards Lesen und Schreiben, Rechnen und logisches Denken lehrten. Jedoch war die Schule all jenen vorbehalten, die diese auch bezahlen konnten und so kam es, dass die meisten Einwohner der Unterstadt ihre Kinder lieber bei sich behielten und sie in einen Beruf einführten, anstatt es erst auf die Schule zu schicken.

Im Süden der Stadt lag eines der größten Viertel der Stadt, laut der Adeligen der Schandfleck ihres schönen Moréngards: das Hafenviertel.

Riesige Gebäude aus Holz, erbaut von einer Rasse vor den Menschen, streckten ihre Spitzen Richtung Himmel aus, alle untereinander verbunden durch Vordächer auf jeder Etage. Tief unten im unendlichen Labyrinth der Hafenstadt gab es daher selbst an sonnigen Tagen kein Licht und Fackeln waren verboten, da ein Funke an der richtigen Stelle genügen würde, um die gesamte Hafenstadt in Flammen aufgehen zu lassen.

In der Hafenstadt lebten die Menschen, die nichts hatten. Bettler und Kranke verzogen sich zu den Docks und versuchten dort von einem Kapitän als Arbeiter genommen zu werden, doch die meisten zogen im Alter dorthin, um zu sterben oder sich zu verstecken.

Kaum jemand der Garnison, geschweige denn Paladine, verirrten sich in die Hafenstadt.

In den dunklen Gassen des Labyrinths waren schon viele Leute einfach verloren gegangen und nie wieder aufgetaucht und jemand, der nicht dort aufgewachsen war, der hatte keine Chance, den Weg wieder zurückzufinden; es gab nur eine große Straße in der Hafenstadt, die direkt zu den Docks führte, die Portamaris. Durch ein großes Tor, das die Hafenstadt von den anderen Vierteln der Stadt trennte, kamen die Händler und Handwerker der anderen Viertel, um ihre Waren auf die Schiffe zu schaffen. Billige Bordelle und Spelunken, in denen man Söldner anheuern konnte, reihten sich in das Straßenbild und jeder Verbrecher Moréngards hatte dort mindestens einen Unterschlupf. Die Namen – und Gesetzlosen verkrochen sich hierher, um ungestört ihren Tagewerken nachzugehen, in der Hoffnung jemanden zu finden, der genug bei sich hatte, um sich von dem Raub wenigstens einen Laib Brot zu kaufen.

Da keine gesetzliche Macht in der Hafenstadt vorhanden war, sorgten die Söldner des Händlerkönigs für die nötige Ruhe. Savaron, der reichste Mann Ascéntas, regierte praktisch das Hafenviertel und organisierte von seinem Hausschiff aus die Geschäfte seiner Untergebenen.

Die grobschlächtigen Söldner des Händlerkönigs waren mehr Schläger als wirklich Ordnungskräfte oder Soldaten und sie hielten sich auch vorwiegend auf der Portamaris und den Docks auf, wo der eigentliche Handel ablief. Fernab der Docks und der Anlegestellen versank die Hafenstadt jedoch im Dunkeln der Gesetzlosigkeit und jeder war auf sich alleine gestellt. Es war ein schrecklicher Ort voller Gefahren und Krankheiten und jeder, der mundtot gemacht, aber nicht getötet werden durfte, wurde einfach in die Hafenstadt deportiert … dort erledigte sich das Problem meist von allein.

Ein großer Fluss durchtrennte Moréngard genau in der Mitte, fuhr zwischen die Viertel wie eine Klinge und trennte damit streng Reich von Arm, da er zwischen Unterstadt und Oberstadt entlang floss und das Hafenviertel in eine kleine Insel verwandelte, die durch Mauern und Tore von den anderen Vierteln isoliert war. Dank der Kanalisation, die sich unter der gesamten Stadt hindurchzog, brachen nur selten Krankheiten und Seuchen aus und man munkelte, unter der Kanalisation gäbe es Katakomben, deren Eingänge der Orden sorgfältig verschlossen hielt.

In der Mitte der Stadt, umgeben von den reißenden Wassern des Flusses stand die Festung des Ordens, das Haus des Letzten Herrschers. Majestätische Hallen und Türme ragten dort aus der Erde, reckten sich gen Himmel und die Gebäude der Festung überragten jedes andere Gebäude in der Stadt, selbst die Hochhäuser des Hafenviertels. Goldene Kuppeln bildeten die Dächer der Tanzsäle der Ordensfestung, mit Silber bekleidete Wälle und mit dem Symbol des Ordensdrachens bestückte Fahnen erhoben sich in die Höhe.

Ein stetiger Fluss von Schiffen brachte Vorräte und Waffen in die Festung, damit diese selbst während einer Zeit der Belagerung lange standhalten könnte, bis Verstärkung eintraf. Die Festung war das Heiligtum der Stadt und symbolisierte all das, was die Pracht von Moréngard ausmachte. Die Festung war das Herz der Stadt und des Reiches zugleich; hier wurden die Gesetze ihres Gottes gemacht, hier wurden die Befehle ausgesprochen, die das Leben der gewöhnlichen Bürger bestimmten. Der Gilderat, der alle vier Jahre durch das Volk gewählt wurde, hatte etwas Einfluss auf die Gesetzgebung, jedoch konnte der Letzte Herrscher jeden Gesetzesvorschlag ablehnen und selbst über den Protest des Gilderats hinweg einen Entschluss fällen – der Gilderat war mehr eine Institution der kleinen Probleme, denn wirklich mitbestimmend für das Schicksal des Reiches. Es war eine schöne Fassade, die Illusion der Freiheit, die der Letzte Herrscher dem gemeinen Volk ließ, während er in Wirklichkeit alle Fäden zur Bestimmung neuer Gesetze in der Hand hielt und nicht zögerte, diese auch zu verwenden – und das würde sich nie wieder ändern.

Der Letzte Herrscher und seine Macht waren ewig, für alle Zeit. Sich Hoffnung auf eine Änderung zu machen, würde nur unweigerlich dazu führen, dass die Exekutoren einen holten.

Gedankenverloren kämmte Luciana sich die langen blonden Haare.

Sie lächelte in den Spiegel und ignorierte das Geschrei einer Frau draußen auf der Straße; es geschah öfter, dass das benachbarte Ehepaar in Streit auseinander ging und einmal waren sogar die Wachen der Gilde angerückt, um die Situation zu beruhigen. Luciana hatte Mitleid mit der Frau.

Ihr Mann betrog sie bei jeder Gelegenheit und sie konnte sich nicht von ihm trennen, da sie sonst als Prostituierte arbeiten müsste, wollte sie auf den Straßen überleben.

Noch ein Grund mehr, mich niemals an einen Mann zu binden. Bisher haben sie mich alle sitzen lassen, wenn ich sie gebraucht hätte … warum sollte sich das jemals ändern?

Sie legte ein schlichtes schwarzes Abendkleid an; auf Schmuck verzichtete sie gänzlich.

Weder war sie zu einem Abendessen verabredet noch waren Schmuckstücke in einem Handgemenge sonderlich praktisch. Das war das erste, was man ihr während der Ausbildung zur Gardistin beigebracht hatte. Je weniger Last der Körper zu tragen hatte, desto besser.

Zwar hatte sie ein Treffen mit einem General des Ordens, aber bis zur Taverne 'Zur Silberklinge' war es ein weiter Weg und da konnte allerhand passieren – auch wenn sie von einer Kutsche dorthin gebracht würde.

„Luciana!“, rief jemand von unten und Luciana hielt inne, der Kamm in ihrer Hand erstarrte und sie legte ihn vorsichtig nieder. Normalerweise rief ihre Stiefschwester Alicia sie nicht, sondern kam immer zu ihr hinauf. Meistens bedeutete ihr Ruf, dass etwas geschehen war …

Alicia und sie schlugen sich seit acht Jahren alleine durch; seit ihre Zieh – und Alicias leibliche Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Luciana fuhr in Gedanken über die kleine Narbe an ihrem Arm, die geblieben war, als man sie aus den Trümmern ihres alten Elternhauses gezogen hatte, rußverschmiert und halb tot. Alicia hatte ebenfalls überlebt – ihre Zieheltern nicht.

Jegliche Erinnerungen an jene Nacht hatten sie erfolgreich verdrängt und wenn Luciana versuchte, sich zu erinnern, sah sie nur noch Flammen und hörte den Schrei ihrer Ziehmutter.

'Kontrolliere es!', hallte der Ruf ihrer Mutter in ihren Ohren wider und Luciana verzog das Gesicht, ihre Hand fuhr zu dem Amulett an ihrem Hals.

Als ihre Stiefschwester noch einmal rief, trat sie hastig aus ihrem Zimmer und schritt eilig die Treppe hinab.

Alicia war vom Erscheinungsbild her das genaue Gegenteil ihrer großen Stiefschwester.

Langes, dunkles Haar umrahmte ihr jugendliches Gesicht und statt dem Blau ihrer Stiefschwester, bestachen ihre Augen durch ein kräftiges Grün; sie war siebzehn Jahre alt, elf war sie gewesen, als ihre Eltern umgekommen waren und Luciana sich um die beiden gekümmert hatte.

Doch ihre kleine Stiefschwester war klug, schön und hatte sich als überaus überlebensfähig erwiesen in einem Land, in dem auf die Armen und Schwachen keine Rücksicht genommen wurde – Luciana war stolz auf sie.

Als sie unten ankam, stand Alicia im Wohnzimmer und aß gerade von dem Laib Brot, den Luciana nach dem Einsatz nach Hause gebracht hatte.

„Was ist denn los, Schwesterherz?“, fragte Luciana besorgt und Alicia deutete mit einem Nicken in Richtung der Tür.

„Da steht ein Paladin vor der Tür mit einer riesigen Kutsche und wartet auf dich, Luci. Muss ich mir Sorgen um meine große Schwester machen?“

Mit einem Lächeln schüttelte Luciana den Kopf und drückte ihrer Stiefschwester im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange.

„Ich wurde von General Aaron gerufen, Schwesterchen …“, Luciana hielt kurz inne und vergewisserte sich, dass der Paladin von draußen sie nicht würde hören können, „und es könnte sein, dass ich danach einen tödlichen Auftrag habe.“

Alicias Augen weiteten sich und sie starrte ihre große Stiefschwester verstört an, bevor sie nach ihrer Hand griff und sie fest drückte.

„Ich kann das hier nicht alleine, Schwester! Ich brauche deine Hilfe bei alldem hier!“

Alicia deutete mit einer ausschweifenden Handbewegung auf das Haus und Luciana nickte verständnisvoll, gab ihrer kleinen Stiefschwester einen Kuss auf die Stirn und tätschelte ihr die Wange.

„Wie oft habe ich dir schon beigebracht, dir keine Sorgen um mich zu machen? Mir kann jeden Tag etwas passieren, aber ich habe Freunde, die sich dann um dich kümmern“, sie zwinkerte ihrer Schwester beruhigend zu, „versprochen.“

Nun trat doch ein Ausdruck von leichtem Zorn auf Alicias Züge und sie sprang von dem Stuhl auf, stieß Luciana vorwurfsvoll vor die Brust.

„Denkst du, das ist meine Sorge?“, stieß sie aus.

„Denkst du, ich habe Angst, zu verhungern, wenn du stirbst? Ich mache mir Sorgen um dich, weil du meine Schwester bist! Ich wüsste nicht, wem ich noch vertrauen könnte, wenn dir etwas zustieße! Dass ich mich um mich selbst kümmern müsste, ist meine geringste Sorge, glaub mir!“

Sie funkelte Luciana wütend an und hinter ihrer Maske aus Wut erkannte Lucianas geübter Blick sofort die echte Sorge um ihre große Schwester.

Ich wünschte, ich könnte sie beruhigen, schoss es Luciana durch den Kopf und sie ließ ein wenig den Kopf hängen, wich dem Blick ihrer kleinen Schwester aus.

Oder wünsche ich mir nur, mich selbst beruhigen zu können? Ich kenne viele Gardisten, die nach einem Ruf eines Paladins nie wiedergekehrt sind. Wir Gardisten sind für sie ersetzbar, einfache Werkzeuge. Wenn ein Auftrag für sie zu gefährlich wird, rufen sie uns …

„Es wird alles gut werden“, versicherte Luciana ihrer kleinen Stiefschwester schließlich und klopfte ihr beruhigend auf die Schulter.

„Warte nicht mit dem Abendessen auf mich. General Aaron will mich in einer Taverne treffen. Vielleicht lädt er mich ja ein …“

Das bezweifelte Luciana zwar ernsthaft, doch das musste Alicia nicht wissen.

Schließlich galt auch in Moréngard das, was in jeder anderen Stadt galt, wenn man für den Staat arbeitete: selig waren die Unwissenden.

Mit einem Seufzen trat sie an die Tür, öffnete sie und der junge Adept vor der Tür verneigte sich tief.

„Verehrte Dame …“, huldigte er sie und machte eine ausschweifende Handbewegung in Richtung der Kutsche, die vor ihrem Haus stand.

„General Aaron erwartet Euch bereits in der Taverne 'Zur silbernen Klinge' in der Oberstadt. Er wünscht ein besonderes Anliegen mit Euch zu besprechen. Gibt es etwas, das ich für Euch tun kann, bevor wir gehen?“

Lucianas Augenbrauen wanderten in die Höhe und sie zog leise die Tür zu ihrem Haus zu; sie verkniff sich ein lautes Lachen.

Manchmal freue ich mich, niemals als Adelige geboren worden zu sein … sonst müsste ich genauso sprechen, wie dieser Kerl hier.

Sie beäugte ihn kurz, dann schüttelte sie den Kopf und hob stolz das Kinn.,

„Ich bin schon lange fertig, verehrter Herr. Ich warte nur auf Euch …“, erwiderte sie und der Mann lief rot an, stammelte eine Entschuldigung und eilte sofort zur Kutsche, um ihr die Türe zu öffnen.

Mit einem selbstgerechten Grinsen stieg sie in die Kutsche ein und der Mann schloss hinter ihr die Tür, sprang neben den Kutscher und Luciana lehnte ihre Stirn an das Holz des Wagens, schaute hinaus. Regentropfen trafen auf das dünne Fenster, erst einzelne, dann immer mehr und Luciana schloss die Augen, ließ ihrer Müdigkeit freien Lauf, während das beruhigende Prasseln sie langsam in den Schlaf wiegte.

Kontrolliere es!, hallten die Worte ihrer Mutter in ihren Ohren wider und Lucianas Lider zuckten unruhig.

Die Welt brannte! Feuer fauchte, um sie herum tobten die tödlichen Flammen! Der beißende Rauch hing in Schwaden in der Luft, trieb ihr die Tränen in die Augen, füllte ihre Lunge und augenblicklich begann es in ihrer Brust zu brennen, sie schrie auf und presste eine Hand auf den schmerzenden Bauch. Blut floss an ihrem Arm hinab, tropfte auf den Boden. Schreie hallten durch die große Lagerhalle, reglose Gestalten bedeckten den Boden. Ihr ganzer Körper schien nur noch aus stechenden Schmerzen zu bestehen, ihre Glieder brannten förmlich, dennoch richtete sie sich mühsam auf und sah sich entsetzt und wankend um. Ritter in silbernen Rüstungen ritten auf schwarzen Hengsten durch die Halle, ihre Schwerter funkelten in dem Licht der Flammen und fuhren durch die Menge der Fliehenden, Pfeile sirrten durch die Luft und erstickte Schreie zeugten davon, wenn einer traf. Einer der Ritter kam auf sie zugeritten, streckte eine Hand nach ihr aus. Sie wich wie gelähmt einen Schritt zurück, hatte Mühe auf dem Boden nicht auszurutschen. Dann war der Ritter vor ihr, wiehernd erhob sich das schwarze Pferd und atmete verängstigt aus den großen Nüstern aus. Der Ritter beugte sich tief zu ihr herunter und reichte ihr eine Hand, schrie sie an, sie solle aufsteigen! Zögerlich streckte Luciana ihre Hand nach der des Ritters aus, ihr Blut machte es ihr schwer die Handfläche des Ritters richtig zu greifen. Verzweifelt schloss sich ihre Hand um die gepanzerten Finger des Ritters, sprang auf das Pferd und klammerte sich an die Rüstung des Ritters, schloss die Augen.

Unter ihr bäumte sich das Pferd wild auf, wieherte laut und galoppierte los. Die Kraft ihrer Arme ließ nach, eine Welle der Erschöpfung schlug auf sie ein und einen Moment lang drohte sie vom Pferd zu fallen, doch sie spürte den eisernen Griff des Ritters, seinen Ruf, sie solle sich gut festhalten. Sie gehorchte. Sie hatte keine Kraft mehr, irgendetwas anderes zu tun. Sie würde hoffen müssen. Langsam öffnete sie wieder die Augen, spähte zurück. Die Flammen, die die Halle verzehrten, schossen an ihr vorbei, ihr Blickfeld verschwamm und das einzige was sie sah, war dieses Rot, durchzogen von schwarzen Schatten, die vor den Pfeilen und den gezogenen Schwertern flohen. Plötzlich durchbrach ein wilder, lauter Aufschrei das Fauchen des Feuers und eine schwarze, massige Gestalt stürmte zwischen den Flammen hervor, rannte auf das Pferd zu. Dabei schwang sie einen großen Streitkolben in der rechten Hand. Der Ritter riss die Zügel zurück, das Pferd schnaubte wütend und blieb abrupt stehen. Weitere Gestalten lösten sich aus dem tobenden Feuersturm, umzingelten sie langsam, aber sicher. Sie saßen in der Falle. Das Pferd trat unruhig von einem Huf auf den anderen, tänzelte im Kreis, während der Ring der schwarzen Gestalten immer enger wurde. Sie meinte ganz sicher ein dreckiges, mehrstimmiges Lachen aus den Schreien und dem Sirren der Pfeile heraus hören zu können und sie klammerte sich verkrampft an den Ritter.

Auf einmal erbebte das Pferd unter ihnen, es wieherte schwach und stürzte beiseite. Ein Pfeil ragte aus seiner Seite. Sie fiel, zusammen mit dem Ritter, krachte auf den leichenübersähten Boden, stieß sich den Kopf und blieb benommen liegen, als ihr Sichtfeld auf einmal verschwamm und sie ihre Glieder nicht mehr spürte. Hinter ihr erhob sich der Ritter, mit einem kratzenden Geräusch zog er das Schwert und stellte sich schützend vor Luciana, sein Blick schweifte panisch umher.

Mit einem wütenden Schrei rannte eine der Gestalten mit erhobenem Streitkolben auf den Ritter zu, holte mit beiden Händen Schwung und ließ den Streitkolben auf den Ritter niederfahren, der mit einem Satz beiseite wich und sein Schwert singen ließ. Der wütende Schrei des Banditen wurde zu einem Röcheln und leblos sackte er zu Boden, sich dabei die aufgeschlitzte Kehle haltend. Die anderen Männer zögerten, sahen sich verunsichert an und traten einen Schritt zurück, schwächten so den engen Kreis, den sie gebildet hatten. Erneut flogen Armbrustbolzen an ihnen vorbei, spickten den Boden. Der Ritter blieb zitternd in der Mitte stehen und Luciana entging nicht, dass er sein linkes Bein etwas schonte. Mit Mühe hievte sie sich auf alle Viere und wollte sich erheben, aber der Ritter legte ihr eine Hand auf den Rücken, drückte leicht.

„Bleib liegen!“, herrschte er sie an und wandte seinen Blick wieder den Männern zu, die sich immer wieder nervös nach den anderen Pferden und Rittern umsahen, doch niemand schien sie zu sehen. Niemand war in der Nähe!

„Wir müssen hier weg, verdammt! Die Bastarde von Rittern sind ganz in der Nähe, sie kommen!“, schrie einer der Banditen ängstlich und wandte sich an die anderen, ließ seinen Streitkolben sinken. „Wenn wir nicht verschwinden, werden die uns abschlachten wie Vieh! Fliehen wir, das Feuer überstehen die beiden sowieso nicht!“

Die anderen Banditen nickten unsicher und der Ritter und Luciana hielten erwartungsvoll die Luft an.

„Ihr wollt fliehen und diejenigen, wegen denen so viele unserer Kameraden vor die Hunde gegangen sind, einfach am Leben lassen?! Fehlen euch die Eier, das Nötige zu tun, ihr Schlappschwänze?“, brüllte der Größte von ihnen, schwang seinen Streitkolben durch die Luft.

„Ihr könnt ruhig gehen, aber ich werde bleiben und wenn sie mich hängen, vierteilen und danach an die Haie in den Docks verfüttern! Ich habe keine Lust mehr, mich in der stinkenden Kanalisation zu verstecken! Los, flieht, aber ich bleibe!“

Einen Moment lang fürchtete Luciana, die Banditen würden nun doch bleiben, doch das 'Flieht' ließen sie sich nicht zwei Mal sagen und rannten sofort in Richtung des Ausgangs zu, der noch von den Flammen verschont geblieben war. Bis jetzt. Der Ritter machte einen Schritt auf den Banditen zu, der übrig geblieben war und schwang sein Schwert, die Klinge blitzte auf. Der Bandit parierte den Hieb, zog den Ritter zu sich heran und warf ihn sich über den Rücken auf den Boden. Es klirrte laut, als der Ritter in der silbernen Rüstung auf den Boden krachte und dort ächzend liegen blieb. Panisch tasteten seine Finger nach dem Schwertgriff, aber der Bandit stellte einen Fuß auf das Handgelenk des Ritters und trat fest zu. Knackend brach die Hand und der Ritter schrie gepeinigt auf. Luciana wollte sich erheben, dem Ritter helfen, doch sie konnte kaum einen Finger rühren. Ihre Seite stach, als hätte man ihr ein Schwert in die Rippen gerammt, jeder Atemzug tat weh und der beißende Rauch des Feuers machte es so gut wie unmöglich, richtig Luft zu holen.

Hilflos musste sie mit ansehen, wie der Mann mit einem dreckigen Lachen den Streitkolben hoch über den Kopf hob, aufschrie und zuschlug. Es knirschte, als der Streitkolben auf die Brustplatte der Rüstung krachte, die Brustplatte sich unter den heftigen Hieben des Mannes verbog. Drei Mal schlug er zu, drei Mal knirschte und knackte es, drei Mal flehte der Ritter um Gnade, drei Mal schloss Luciana entsetzt die Augen. Als der Ritter sich nicht mehr regte, ließ er von ihm ab und kam langsam auf sie zu, seine Augen fixierten sie, sein Blick schien sie zu lähmen. Dennoch kroch sie rückwärts, weg von dem Mann, weg von dem Streitkolben, weg von dem Tod, den dieser mit sich brachte. Als der Mann ihr lächerlichen Fluchtversuch wahrnahm, warf er den Kopf in den Nacken, lachte laut auf und lief nun schneller. Luciana wich weiter zurück, ignorierte das Brennen in ihrer Seite und schleppte sich immer weiter weg … bis ihr Rücken schließlich gegen die kalte Steinwand stieß.

„Wie fühlt sich das an?“, fragte der Mann leise, doch trotz der tobenden Flammen, trotz der sirrenden Pfeile und der durchdringenden Schreie konnte sie ihn genau verstehen.

„Wie fühlt es sich an, wenn man weiß, dass man sterben wird, aber man nichts dagegen tun kann. Wenn der Tod auf einen zukommt, ganz langsam und schadenfroh“, fuhr der Mann fort, seine Schritte hallten von dem steinernen Boden wider. Luciana antwortete nicht, presste sich gegen die Steinwand hinter ihr, als könne sie sie durchbrechen, wenn sie nur fest genug drückte.

„Keine Antwort? Die wird auch nicht nötig sein. Ab jetzt nicht mehr.“

Vor ihr angekommen blieb der Mann stehen, hob langsam den Streitkolben mit beiden Händen hoch über den Kopf. Sie ließ ihren Blick panisch hin und her schweifen, auf der Suche nach etwas, das sie benutzen könnte, um sich zu wehren, irgendetwas, das ihr helfen könnte! Sie fand nichts! All die Müdigkeit, die Schmerzen traten in den Hintergrund. Sie würde nicht um ihr Leben betteln! Sie nicht! Sie war die erste Nachtjägerin des Ordens und würde sich ihrem Schicksal hingeben! Stolz hob sie den Kopf und begegnete dem Blick des Mannes, ihre blauen Augen funkelten gefährlich. Überrascht zog er die Augenbrauen in die Höhe, seine Finger schlossen sich fester um den Griff des Streitkolbens.

„Lebe wohl, Luciana“, zischte der Mann, Luciana hob ihre Hände vor das Gesicht, wandte den Blick ab, wartete auf den tödlichen Schlag … der nicht kam. Etwas klirrte laut und als sie die Augen öffnete sah sie am Boden den Streitkolben liegen. Zögerlich sah sie auf. Der Mann hatte die Augen entsetzt geweitet, seine Hände hielt er um die Klinge, die aus seinem Bauch ragte.

„Auf Nimmerwiedersehen“, hauchte eine kalte Stimme hinter dem Mann. Ächzend fiel der Mann zur Seite und blieb mit dem Gesicht nach unten reglos liegen. Hinter ihm stand eine Gestalt in einem schwarzen Mantel, seine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen und selbst mit dem Licht der Flammen vermochte sie das Gesicht nicht auszumachen. Allmählich wurden ihre Augenränder schwarz, sie kippte beinahe unmerklich zur Seite, der Boden kam immer näher. Das letzte was sie spürte, war, dass sie angehoben wurde.

„Deine Zeit ist noch nicht gekommen, Kleine. Schlaf jetzt ...“, flüsterte eine Stimme zärtlich, dann wurde alles schwarz …

Luciana schreckte wieder auf und prallte mit dem Kopf gegen die hölzerne Decke der Kutsche.

Mit einem Fluchen unterdrückte sie einen Schmerzensschrei und hielt sich den pochenden Schädel, sackte auf ihrem Sitz etwas zusammen. Der kalte Angstschweiß stand ihr auf der Stirn, ihre Hände zitterten und ihr Atem ging flach, als wäre sie gerade eine riesige Strecke gerannt ohne eine Pause einzulegen. Bilder von Feuer flammten vor ihren innerem Auge auf und sie schüttelte den Kopf, versuchte die Bilder zu verdrängen. Der leichte Schauer hatte sich zu einem ausgewachsenen Sturm entwickelt, der Wind heulte draußen laut, einige Passanten sprinteten am Fenster der Kutsche vorbei und sie hörte den Kutscher draußen laut fluchen.

„Nur ein Alptraum!“, beschwichtigte sie sich und hielt sich die Brust, atmete tief durch, während ihr Herz wild gegen ihre Rippen hämmerte.

Es war nur ein Traum, Luciana! Reiß dich gefälligst zusammen! Aber ich kenne diese Art Traum … genauso habe ich meine Eltern sterben sehen, eine Woche, bevor es geschah. Ich erinnere mich daran, es fühlte sich genauso an …

Schnell verdrängte sie die Vorstellung, ihr Traum könnte real werden und ihre freie Hand fuhr zu ihrem Hals, tastete nach dem Amulett, das Godric ihr gegeben hatte.

Mit Schrecken stellte sie fest, dass sie es nicht trug!

Nein! Ich muss es anhaben! Ich trage es immer! Ich muss es tragen, sonst verliere ich wieder die Kontrolle. Ich muss es kontrollieren!

Fieberhaft versuchte sie sich zu erinnern, wo sie das Amulett hingelegt haben könnte und ging den ganzen Tag noch einmal akribisch durch. Ohne das Amulett befanden sich alle in ihrer Umgebung in Gefahr! Sie erinnerte sich daran, wie sie sich umgezogen hatte. Während ihres Bades hatte sie das Amulett nicht getragen und vermutlich musste sie vergessen haben, es anzulegen.

„Mir wird nichts passieren“, flüsterte sie leise und löste langsam die Hand von ihrem Hals, ihre Hände hörten auf zu zittern. Sie durfte nur keinen Gefühlsausbruch erleiden, dann würde nichts geschehen; den Rest der Strecke schlief Luciana nicht mehr ein …

Pfad des Feuers

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