Читать книгу Pfad des Feuers - Alexander Mosca Spatz - Страница 21

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III

Der Himmel war klar in dieser Nacht. Die letzten Tagen über hatten immer dunkle Wolken die Sterne und den Mond verdeckt und obwohl es erst stark geregnet hatte, war Aaron guter Dinge. Gemächlich schlenderte er die Straße entlang, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Blick gesenkt. Sanft wiegten sich die Wipfel der Bäume, die links und rechts neben der Straße gepflanzt worden waren, in dem kühlen Wind, die kahlen Äste ächzten. Der Wind und Aarons Schritte waren die einzigen Geräusche, untermalt vom Prasseln der Fackeln, welche man des Nachts an den Wegrändern entzündete. Die leise knisternden Flammen flackernden bedrohlich im Angesicht des Winds, verloschen jedoch nicht, sondern warfen obskure Schattenspiele an die Fassaden der edlen Häuser. Doch in dieser Nacht waren die Fackeln vollkommen unnötig. Silbriges Mondlicht tauchte die ganze Promenade, die zu der Bibliothek der Altstadt führte, in ein gespenstisches Licht, die Sterne funkelten hell am Firmament. Aaron hob den Blick, sah die Promenade entlang. Aus den Schatten der nächtlichen Dunkelheit schälte sich langsam der Umriss der Bibliothek heraus. Der Umriss hob sich von dem restlichen Nachthimmel ab, der helle Stein, aus dem die Fassaden der Bibliothek erbaut waren, schimmerte in dem Mondlicht leicht, schien es ein wenig zu reflektieren.

Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein …

Er hatte noch ein wenig Zeit bis Mitternacht und er wollte diese Zeit nutzen. Um Mitternacht würde im Viertel der Kleriker die Glocke läuten. In einer ruhigen Nacht konnte man die Glocke über die ganze Stadt hören. Die Glocke des Glockenturms; der Glockenturm der Kirche, in der Godric ermordet worden war.

Unwillkürlich blieb Aaron stehen. Er war auf einer Kreuzung angekommen und stand nun genau in ihrer Mitte. Er wand den Kopf, sah in die Richtung des Klerikerviertels, wo er wohnte und seine schwangere Frau darauf wartete, dass er zurückkam. Dort stand auch der Glockenturm. Man konnte seine Spitze schwach sehen, wie sie sich schwarz vom tief stehenden Mond abzeichnete.

„Evelyn“, murmelte Aaron leise und beinahe übertönte das Heulen des Winds seine Stimme.

Plötzlich wurde ihm mit einem Schlag bewusst, dass, wenn das Treffen in der Bibliothek tatsächlich eine Falle war, er seine Frau Evelyn niemals wiedersehen würde.

Mein Kind würde ohne Vater aufwachsen, so wie ich. Ich hätte niemals die Chance gehabt, mich zu verabschieden. Das letzte Mal habe ich meine Frau gesehen, als Sirian mich aus dem Bett geholt hat …

Er verengte die Augen zu Schlitzen, ballte die Hände zu Fäusten.

Der Erzbischof ahnt mit Sicherheit etwas. Man wird nicht der mächtigste Magier der Welt, wenn man dumm ist. Ich wette, er hat Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wenn ich er wäre, hätte ich dort irgendjemanden stationiert, vielleicht Auftragsmörder oder Söldner, die diese Bücher bewachen; denn dass er von diesen 'Büchern' weiß, das steht wohl außer Frage.

Angst ließ seine Lippen beben, Zweifel fegten die Überzeugung hinweg, das Richtige zu tun.

Aaron dachte zurück an Azard und die Geschichten, die von seinen Taten und traurigen Errungenschaften zeugten.

Sollte Azard wirklich dort drinnen mit einigen Männer seiner Inquisition warten, so würden Aaron und Eric sterben; keine Macht der Welt konnte sie vor so vielen Gegnern retten.

Angenommen er starb, so hätte seine Frau und damit auch sein ungeborenes Kind jegliche Lebensgrundlage verloren. Er sorgte für den Lebensunterhalt in seiner Familie. Fiel er weg, so waren sie vollkommen alleine. Aaron musste an die mannigfachen Häuser der Slums denken, an das Hafenviertel, den Dreck, die Krankheiten, die Verbrecher. Vielleicht würde sein ungeborenes Kind genauso enden wie Sirians Schwester?

Das kann ich nicht zulassen!

Doch genauso könnte Godrics Mörder sie töten, wenn Aaron ihn nicht fing. Ein Bild schoss durch seinen Kopf, das Kreuz in der Kirche, doch nicht Godric hing dort, sondern seine Frau – und es wäre alleine seine Schuld, wenn es dazu käme. Aber der einzige Weg, dieses Szenario zu verhindern, war es, Godrics Mörder zu finden … wofür er in die Bibliothek gehen und sein Leben riskieren musste.

Wütend biss er die Zähne zusammen, wandte sich vom Anblick der Glockenturmspitze ab und ging schweren Schrittes auf die Bibliothek zu. Nicht weil er es wollte, sondern weil es sein musste. Mit einem resignierten Seufzer stapfte er durch die letzten dreckigen Pfützen, die der Schneematsch hinterlassen hatte und ging auf die Hintertür der Bibliothek zu. Innerhalb der Bibliothek selbst brannte nachts kein einziges Licht, es war stockdunkel.

Hoffentlich bringt Eric eine Fackel mit; er ist zwar der Sohn des besten Soldaten des Landes, das muss aber nicht heißen, dass er etwas im Kopf hat … eher vielleicht das Gegenteil.

Mit gerunzelter Stirn blieb Aaron vor dem Hintereingang stehen, hob zögernd eine Hand und klopfte leise drei Mal.

Zuerst geschah gar nichts, das Geräusch verklang einfach; hastig steckte Aaron seine eiskalte Hand zurück in seine Hosentasche und starrte weiterhin wartend die Holztür an. Von der anderen Seite der Tür meinte er rasche Schritte zu hören, die Klinke der Tür wurde heruntergedrückt, sie öffnete sich einen Spalt breit und im nächsten Augenblick hielt jemand Aaron eine Fackel genau vor das Gesicht.

Mit einem leisen Fluch wich Aaron einen Schritt zurück, wandte schnell das Gesicht ab. Auf der Türschwelle stand Eric.

„Du bist es?“

Es war mehr eine Feststellung, als eine wirkliche Frage.

„Nein, ich sehe Aaron nur zufällig so ähnlich! Idiot! Nimm mir die Fackel aus dem Gesicht, du hättest mich beinahe verbrannt!“, fauchte Aaron und rieb sich die tränenden Augen, blinzelte einige Male.

„Du bist es wirklich“, stellte Eric trocken fest und verkniff sich ein leises Lachen.

„Verzeihung, ich bin nur etwas aufgeregt. Du bist noch zu früh.“

Eric zuckte mit den Achseln, senkte die Fackel ein wenig und wies ins Innere der Bibliothek.

„Aber eigentlich macht es keinen großen Unterschied. Die Wachen sind auf der anderen Seite, niemand rechnet damit, dass jemand den Schlüssel hat. Wollen wir?“

Und woher hast du die Schlüssel? Bist du vielleicht gar nicht Eric, Sohn des Lord Marschall und drinnen fallen dann die Häscher des Erzbischofs über mich her, wie Hunde über ein Stück Fleisch? Bin ich vielleicht doch zu weit gegangen, indem ich Luciana mit eingebunden habe und der Orden für innere Sicherheit nimmt mich hinter der Tür in Empfang? Jeder kann zu ihnen gehören, Paladine, Bürger, Gardisten, Händler, Kaufmänner oder Staatsmänner. Jeder verdammte einzelne von ihnen …

Das war der Clou des Regimes. Niemand wusste, wem er trauen konnte und wem nicht; das System war beinahe perfekt. Niemand würde es wagen, sich gegen den Letzten Herrscher zu erheben.

Wartend stieß Eric die Tür ein wenig weiter auf und warf einen verstohlenen Blick nach innen.

Wenn er jetzt dort hineinging, konnte er nicht mehr zurück. Noch konnte er ablehnen, sich entschuldigen und einfach gehen, irgendeine neue Spur suchen. Aber er hatte weder eine neue Spur noch eine Idee, die ihn auf eine neue Idee bringen könnte. Er steckte in einem Engpass, vorwärts oder zurück, mehr Möglichkeiten gab es nicht. Sanft trug der kühle Wind das leise Schlagen einer Glocke heran, Aaron konnte es klar und deutlich hören. Mitternacht. Aaron legte eine Hand auf den Schwertgriff, warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Straße, atmete tief ein, als wäre dies sein letzter Atemzug und nickte schließlich.

„Gehen wir.“

Die Gänge der Bibliothek schienen im schwachen Licht von Erics Fackel noch enger, die Bücherregale noch größer zu sein. Der Geruch von altem Pergament vermischte sich mit dem des Feuers und ihre Schritte hallten immer wieder laut wider. Andauernd zuckte Aaron zusammen, wenn er meinte, etwas gehört zu haben, seine Hand umklammerte den Schwertgriff, bereit, die Klinge sofort zu ziehen. Das verbotene Abteil der Bibliothek lag weit im hinteren Bereich, weg vom Haupteingang und den Orten, an denen sich die meisten Studenten tummelten.

Wenn ich ehrlich bin, möchte ich gar nicht wissen, was dieser Ring denn nun genau tut, doch ich fürchte, ich werde es herausfinden müssen.

„Bist du aus Moréngard?“, fragte Aaron scheinbar beiläufig und sah Eric schief von der Seite an. Erics Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an, dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Mein Vater der Lord Marschall ist ursprünglich aus Tedarien und meine Mutter aus Moréngard. Ich bin sozusagen ein Halbling, auch wenn mein Herz hierher gehört.“

Aaron nickte.

Im Krieg gegen die Vampire war zuerst das östliche Dschungelreich Sarraka gefallen, anschließend das Kaiserreich Iridania und zu guter Letzt auch die beiden letzten Königreiche Tedarien und Westmar. Die beiden kleineren Reiche Kaphir und Noctaír, seit Jahrunderten Provinzen des Kaiserreichs, hatten sich ohne Widerstand ergeben und das Land der Mitte, die Verbindung zwischen Norden und Süden des Kontinents, Aldarien, war vom Kaiserreich militärisch abhängig gewesen. Als der Kaiser fiel, war auch Aldarien gefallen.

Ragnir – Erics Vater – war während der letzten Jahre des Vampirkriegs geboren worden, der erst vor ziemlich genau hundert Jahren endete. Es war nur verständlich, dass er nach Moréngard geflohen war, um den Vampiren nicht als Blutsklave in die Hände zu fallen.

Die Menschen leben nun schon seit 1264 Jahren hier. Knapp 500 davon haben sie Krieg gegen die Vampire geführt …

Aaron schnaubte leise und widmete sich wieder seinem Schwert, dessen Griff unter Aarons heftiger Umklammerung langsam warm wurde.

Je näher sie dem verbotenen Abteil kamen, desto kleiner und spärlicher wurden die Bücherregale um sie herum.

„Das verbotene Abteil ist verdammt groß, was suchen wir denn genau?“, fragte Aaron leise und sah sich um.

Die ganze Situation war ihm mehr als unbehaglich und er hasste es, von anderen abhängig zu sein. Eric steckte eine Hand in die rechte Manteltasche, kramte leise fluchend darin herum und holte schließlich einen winzigen Schlüssel hervor, hielt ihn in das rötliche Licht der Fackel.

„Es gibt ein Buch, in dem stehen Dinge über alle schwarzmagischen Artefakte, die es gibt. Die Prohibita der Ars negra, der schwarzen Künste. Dort müsste etwas über deinen bösen Schmuck drin stehen. Und wenn es dort nichts gibt, kannst du es vergessen.“

„Klingt ja gar nicht mal so schlecht … mal davon abgesehen, dass nur der Erzbischof das Recht hat, die Prohibita einzusehen“, nuschelte Aaron leise.

„Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, wenn sie uns doch erwischen sollten, werden wir aus dem Grund exekutiert, dass wir versucht haben, die schwarzmagischen Künste gegen das Allgemeinwohl der bürgerlichen Schicht verwenden zu wollen. Ist einmal einem Studenten passiert, der dasselbe versucht hat wie wir.“

Aaron verdrehte die Augen, stöhnte leise und hielt sich kurz die Stirn.

„Ich wusste, es gibt einen Haken. Am besten ich sage einfach gar nichts mehr, sonst erwischen sie uns am Ende doch noch.“

Eric grinste breit, steckte die Fackel in eine dafür vorgesehene Halterung neben der Tür zum verbotenen Abteil und bückte sich zu dem Schloss hinunter, es knackte leise und die dunkle Tür schwang geräuschvoll auf, weswegen sich Aaron noch einmal leise fluchend umsah, doch anscheinend hatte es keine der Wachen gehört.

Seltsam, dachte er und kratzte sich verblüfft am Kinn.

Üblicherweise wimmelt es doch hier nur so von Wachen, die nur darauf warten, dass jemand leichtfertig genug ist, einen Einbruch zu wagen. Ein weiteres Indiz darauf, dass irgendetwas nicht stimmt …

„Ist dir schon einmal aufgefallen, dass uns keine einzige Wache bemerkt hat?“, zischte Aaron leise und folgte Eric in das verbotene Abteil. Die Tür hinter ihnen schloss sich nicht, was normalerweise der Fall war, sobald jemand eintrat. Eric zog eine Augenbraue in die Höhe und eilte schnell auf ein abgelegenes Bücherregal zu, das alleine und verlassen an einer kahlen Steinwand stand.

Nur noch vereinzelt standen ab und an einige Bücherregale herum, doch der meiste Platz wurde von Schränken eingenommen, die man sorgfältig abgeschlossen hatte, so dass ein Gitter zwischen dem Leser, den Büchern und schwarzmagischen Artefakten stand. Aaron schüttelte fassungslos den Kopf. Einen richtigen Magier würden diese Gitterstäbe nicht aufhalten … oder zumindest nicht länger als einige Sekunden.

„Du tust ja gerade so, als wolltest du, dass Wachen auftauchen!“, empörte sich Eric leise und stellte sich neben das einzig große Bücherregal, fuhr mit den Fingern suchend über die Rückseiten der Bücher, las leise die Namen der Bücher vor und lächelte hämisch.

„Tagsüber darf ich mit einer schriftlichen Erlaubnis der Bibliothekarin hier rein und einmal habe ich gesehen, wo der Erzbischof die Prohibita aufbewahrt.“

„Und wieso hast du nicht einfach eine solche Erlaubnis am Tage geholt und wir sind ohne das Risiko rein, exekutiert zu werden?“, presste Aaron hervor und blickte misstrauisch über die Schulter nach hinten. Niemand folgte ihnen.

„Weil es ziemlich auffällig ist, mitten am Tage ein Bücherregal zu öffnen und dort ein verbotenes Buch zu stehlen. Man darf zwar hier hinein, aber die Prohibita ist tabu. Daraus leitet sich übrigens auch der Name ab“, lachte Eric und trat einen Schritt zurück, zog Aaron mit sich. Das Bücherregal knirschte, etwas Putz rieselte von den Wänden, bevor es schwungvoll aufschwang und einen Durchgang freigab, der in einen schwach beleuchteten Gang führte.

„Und hier bewahrt er sie auf … “, verkündete Eric, stemmte die Hände in die Hüften und legte mit einem missbilligenden Ausdruck auf dem Gesicht den Kopf schief.

„Der Stil der Magier geht wirklich den Bach runter. Früher gab es feuerspeiende Drachen, die an einer so dünnen Eisenkette befestigt waren, dass sie riss, wenn ein Mann sich daran aufhing. Heute gibt es einfach nur ein Bücherregal. Dazu gibt es übrigens eine lustige Geschichte, sie steht hier auch irgendwo. Irgendetwas von einem Mann, der im Blut des Drachen gebadet hat und dadurch unbesiegbar wurde, nur an einer Stelle nicht, ich glaube er vergaß aber, seine Unterwäsche auszuziehen. Ein Pfeil hat ihn dann dort erwischt und er ist verblutet und …“

Auf einen eisigen Blick Aarons hin, verstummte er und räusperte sich leise, dann traten sie in den Tunnel hinein.

Ein roter Teppich lag auf dem Boden, er erstickte ihre Schritte vollkommen und das flackernde Licht der Kerzen tauchte alles in ein hypnotisierendes, beruhigendes Licht.

Am Ende des Ganges stand ein einzelner Tisch zwischen zwei Regalen. Und auf dem Tisch lag, von einem Kronleuchter beleuchtet, der über dem Tisch hing, ein Buch. Es sah unauffällig aus, hatte einen schlichten schwarzen Einband und in silbernen Lettern stand darauf: 'Prohibita: Ars negra'.

Aaron trat langsam näher, sah sich dabei vorsichtig um. Er wusste, dass Magier ihre Mittel hatten, Sicherungen einzubauen, meist signalisiert durch eine Statue, die den Raum im Blick hatte oder etwas ähnliches, doch hier war nichts dergleichen.

Nur dieses Buch und … erstaunt trat er näher, stützte sich auf den Tisch und betrachtete das Bild, das hinter dem Schreibtisch an der Wand hing. Das Licht des Kronleuchters warf tanzende Schatten darauf, so dass man die Personen kaum erkennen konnte, ebenso wenig wie die Schrift unter dem Bild.

Eric sah sich leise pfeifend um, steckte die Hände in die Hosentaschen und versuchte, nichts zu berühren; man konnte ihm ansehen, dass es ihm schwer fiel. Aaron kniff die Augen zusammen und strich mit den Fingern über den schweren Goldrahmen des Bildes, kratzte etwas Schmutz davon, damit er die Schrift lesen konnte. 'Die Ritter des Tranidariums'. Das Bild war signiert von Charlet Dukaine, einer allseits berühmten Künstlerin.

„Tranidarium …“, flüsterte Aaron leise zu sich und zog nachdenklich die Stirn kraus.

Vor den Menschen hatte eine andere – den Menschen unbekannte Rasse – den Kontinent bevölkert; deren Zeugnisse waren noch über den ganzen Kontinent verstreut und zeugten von ihrem Können – die Hafenstadt war das beste Beispiel dafür. Das Einzige, was sie den Menschen hinterlassen hatten, war ihre Sprache gewesen, die die Magier vor vielen Jahrhunderten Schritt für Schritt übersetzt hatten – und dieses Wort klang, als sei es eben aus dieser alten Sprache.

Tranidarium? Tranidarium heißt doch Opfer oder Leid, je nachdem in welchem Kontext das Wort auftaucht. Ritter des Leids? Ritter des Opfers? Welchen Sinn soll das ergeben?

Nachdenklich betrachtete er das Bild. Die Farbe blätterte an einigen Stellen bereits ab, jedoch dürfte es reichen, um Details genauer zu erkennen.

In dem Licht des Kronleuchters waren die meist dunklen Farben etwas schwerer zu erkennen, aber Aaron meinte Godric auf dem Bild zu erkennen.

„Das bestätigt wohl, dass hier etwas ganz und gar nicht so ist, wie es sein sollte … “, stellte Aaron zynisch fest und besah sich der anderen Männer genauer. Neben Godric stand Ragnir, der Lord Marschall … er wirkte nicht älter, als Aaron ihn zuletzt in Erinnerung hatte. Ragnir wurde flankiert von Savaron Keaux, dem Händlerkönig Moréngards. Anschließend kam Lyras, der Statthalter der Hauptstadt und zu guter Letzt der Erzbischof selbst. Über ihnen allen thronte der Letzte Herrscher. Sein Gesicht lag in den Schatten des Bilds, nur ein wichtiges Detail stach eindeutig heraus. Sie alle trugen ausnahmslos goldene Ringe, die mit einem roten Rubin verziert waren.

Es gibt also mehr als einen! Der Letzte Herrscher ist Gott, er altert nicht. Der Erzbischof und Godric gebieten über Magie und sind daher weit weniger anfällig für das Alter, als jeder normale Sterbliche. Aber was ist mit den anderen?

Aaron strich leicht über das Bild, fuhr mit den Fingern die Konturen der Personen entlang.

Sie alle scheinen irgendwie im Bunde zu stehen … eine Verbindung, die sich bereits vor dem Vampirkrieg gebildet hat. Einige wenige davon sind bekannt, aber vieles wurde vom Orden geheim gehalten.

„Sieh dir das an!“, forderte Aaron Eric auf und zog ihn zu sich heran.

„Sie alle tragen diese Ringe und scheinen eine Verbindung in der Vergangenheit geteilt zu haben; die logische Konsequenz dieser Verbindung ist nun, dass alle hier abgebildeten Personen die führenden Köpfe unseres Landes sind. Was weißt du darüber?“

Erics Augen weiteten sich und er wandte hastig den Blick ab, atmete tief durch.

„Beim Letzten Herrscher! Vater hat mir von diesen Ringen erzählt! Er ist 141 Jahre alt und daher konnte er mir Geschichten aus dem Krieg erzählen. Der Orden hat die Legenden um die sieben Vampirringe weitestgehend eingedämmt und ich dürfte sie eigentlich auch nicht …“

„Erzähl!“, unterbrach Aaron ihn kalt und Eric nickte schnell.

„Jeder dieser Ringe steht für eine der sieben Sünden der Menschen. Sie sollen mächtige Fähigkeiten besitzen, aber auch verflucht sein. Der Mensch, der sie trägt, erlangt ewiges Leben und übermenschliche Kräfte, wird aber im Gegenzug oft grausam ermordet oder verschwindet einfach. Keiner der menschlichen Ringträger lebte lange genug, um sich an der Unsterblichkeit zu begnügen“, erzählte Eric und strich sich durch das braune Haar.

„Ich dachte damals immer, das sei alles nur eine Geschichte, die er sich für mich ausdachte!“

Offensichtlich hat es dein Vater gut mit dir gemeint, Junge. Unwissenheit ist manchmal eine Tugend, auch wenn es hilfreich gewesen wäre, das sofort zu erfahren …

In Gedanken versunken verschränkte Aaron die Arme vor der Brust und musterte erneut das Bild.

Könnte es sein, dass einer dieser Ritter des Tranidariums sich weswegen auch immer an Godric vergriffen hatte? Wenn selbst er nicht davon wusste, bezweifelte er, dass aus der Spitze des Ordens sonst noch jemand Bescheid wüsste.

Eric wich einen Schritt zurück, klopfte sich unsichtbaren Dreck von den Schultern, als wolle er sich von irgendetwas reinigen.

„In eine schöne Sache bin ich da rein geraten! Komm, lass uns gehen!“, knurrte er, packte Aaron am Arm und versuchte, diesen von dem Bild weg zu ziehen, doch Aaron blieb stehen und riss sich los, schlug das Buch auf und setzte sich an den Tisch.

„Ich bin nicht hier, um mit leeren Händen wieder zurückzukehren. Fliehe, wenn es beliebt, aber ich bleibe und finde heraus, was es mit diesen Ringen wirklich auf sich hat!“

Wir wissen aus sicherer Quelle, dass Godric und Ethgar an dem Abend vor dem Mord einen heftigen Streit hatten, jedoch weiß niemand, weshalb. Könnte dieser Streit der Grund für den Mord sein?

Es muss ein ziemlich heftiger Konflikt gewesen sein, wenn die beiden sich deswegen in die Haare gekriegt haben …

Eric verdrehte die Augen, stöhnte leise und schluckte den Fluch herunter, der ihm auf der Zunge lag. Aufgeregt blätterte Aaron in dem Buch, rümpfte bei dem starken Geruch von altem Pergament die Nase und ignorierte die ausführlichen Illustrationen, bei deren Anblick alleine einem gestandenen Mann schlecht werden konnte. Insgeheim gab Aaron den Männern Recht, die sagten, dieses Buch sollte der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Endlich fand er die Seite, die er gesucht hatte und kniff die Augen zusammen, um in dem schwachen Licht die eng geschriebenen Buchstaben lesen zu können.

Áneís caép Immortalís (Die Ringe der Unsterblichen), im Volksmund auch Ringe der Vampire genannt wurden (in der offiziellen Version), von den sieben damaligen Vampirfürsten geschaffen, um die Menschheit zu unterwerfen, da diese die einzige wiederverwendbare Nahrungsquelle des Vampirvolks darstellen. Die sieben Vampirfürsten waren die Mächtigsten ihrer Zeit und bis zum Fall der Vampire im Jahre 1164 unter ihrem Volk angesehen und wertgeschätzt.

Das genaue Datum ihrer Entstehung ist nicht bekannt, ebenso wie die magischen Mittel, mit denen man sie erschuf. Sie bestehen aus purem Gold, welches aus dem Land hinter den Bergen Sarrakas kommt und sind durch einen Rubin verziert, dessen Zweck noch nicht bekannt ist. Allerdings stellte man nach einigen Untersuchungen fest, dass sämtliche magische Energie in diesen Rubinen konzentriert wird und daher wird angenommen, dass die Wirkung der Ringe, welche auch immer das sein mag, von den Rubinen ausgeht.

Über die Wirkung und den wahren Zweck der Ringe lässt sich streiten. Während viele Magier der offiziellen Version, nämlich dass sie dazu dienen, die Menschheit zu unterwerfen, Glauben schenken (was die bis heute ungeklärte Frage aufwirft, auf welche Weise diese Ringe die Menschen beeinflussen sollen), betrachten eine Menge Magier andere Versionen als wahr.

Manche sagen, die Vampirringe, seien die Manifestation der sieben Sünden der Menschheit. Diese Version fand unter Wissenden den meisten Zuspruch und wird mittlerweile als die Sicherste der Theorien gesehen.

Die Magier im Dienste des Königs dachten derweil, dass es sich bei diesen Ringen um eine Waffe handelt, die die Vampire geschaffen haben, um die Menschheit zu vernichten. Tatsächlich fand man eine Menge destruktiver Magie in den Rubinen, die einige unvorsichtige Magier das Leben kostete, als diese versuchten, sich die Macht der Ringe anzueignen.

Dagegen spricht, dass die Vampire diese 'Waffe' niemals benutzten, solange sie sie in ihrem Besitz hatten. Stattdessen verließen sie sich auf ihre militärische Stärke, was ihnen später zum Verhängnis wurde.

Die Magier, die von vorne herein um eine friedliche Lösung des Konflikts bemüht waren, verbreiteten den Irrglauben, dass die Ringe jedoch lediglich Schmuckstücke seien, die eine dematerialisierende Wirkung auf Menschen hatten. Wer die Ringe nicht anzog, würde niemals durch sie Schaden nehmen. Die Magier, die diese Theorie veröffentlichten, wurden öffentlich verbrannt und als Verräter am menschlichen Volk begraben.

Während der Hauptzweck der Ringe also unbekannt ist, haben die Magier es geschafft, einige Wirkungen festzustellen. Jeder, der sich als Besitzer von einem der Ringe bezeichnet, wird ab diesem Moment nicht mehr physisch altern, sondern das Aussehen und die Gesundheit behalten, die man hatte, als man den Ring zu seinem Eigentum erklärte. Die Ringe haben auf die Psyche des Besitzers keine nennenswerte Wirkung, wenn man von einer gesteigerten Bereitschaft zu Gewalttaten einmal absieht, welche sich sofort legt, wenn man den Ring abnimmt.

Ebenso vergrößern die Ringe die Gabe, Magie wirken zu lassen, weshalb viele mächtige Magier versuchten, alle sieben Ringe zu bekommen. Führt man die Ringe zusammen, wirken diese eine Kraft aufeinander aus, die die Besitzer zwingt, in der Nähe des anderen Ringträgers zu bleiben. Experimente lassen darauf schließen, dass die Ringträger eine Art Seelenverwandtschaft verbindet, sobald sie sich nähern. Die Ringe ziehen sich also an. Legt man die Ringe zusammen, vibrieren sie stark und magische Kraft sammelt sich in einer Art Wirbel um die Ringe an. Unterbricht man den Kontakt nicht wird die magische Kraft absorbiert und in einer Impulswelle nach außen abgestoßen. Die Zerstörungskraft einer solchen Impulswelle hält sich in Grenzen, reicht jedoch, um ein durchschnittliches Haus zum Einsturz zu bringen. Pro Ring, der bei einer solchen Symbiose hinzukommt, quadriert sich die Wirkung der Impulswelle. Diesen Effekt kann man unterdrücken, indem man jedem Ring einen Besitzer zuschreibt, denn sobald der Ring in jemandes Besitz ist, findet dieser zerstörerische Prozess nicht statt (Für Ausnahmefälle, siehe unten unter Theorien der destruktiven Möglichkeiten der Ringe).

Im Jahre 708 nach der Landung der Menschen in Sephirath fielen die Vampire über die Ostgrenze von Sarraka, das Drachengebirge, in den Kontinent ein und versklavten einen Großteil der Menschheit, der es nicht geschafft hatte, zu entkommen. Hier tauchen die Ringe das erste Mal chronologisch festgehalten auf, da einer der Vampirfürsten detailverliebt Tagebuch führte und alle wichtigen Dinge dort notierte. So erfährt man aus dem Tagebuch, dass die Vampire die Invasion der Heimat der Menschen schon lange geplant hatten und die Ringe bereits 100 Jahre davor schon existierten. Tatsächlich waren die Vampire schon knapp 700 Jahre vor den Menschen auf dem Kontinent, doch waren sie auf dessen anderer Seite gelandet. Diese Gegend weit hinter dem östlichen Sarraka sind die 'Unbekannten Lande' (die offizielle Grenze von Sephirath liegt bei dem Gebirge östlich von Sarraka, über welches man in die Unbekannten Lande gelangen kann). Schon hier gab es Gerüchte, dass die Vampire die Ringe als Waffe benutzten, doch bis dahin errangen sie auch noch keine große Aufmerksamkeit. Das erste Mal treten sie in Verbindung mit Valazar von Arctara auf, einem ehrgeizigen Krieger und jüngster Sohn des Königs Maioran.

Valazar war einer der wenigen Menschen, der an die Grenzen der Unbekannten Lande vorstoßen konnte, um dort die sieben Ringe zu stehlen. Seitdem sind sie in den Händen der Menschen.

Als die Vampire dann im Jahre 1164 vom Angesicht der Welt verschwanden blieben die Ringe als letztes Andenken an ihre überlegene Rasse.

Aaron zog überrascht seine Brauen in die Höhen, als er in dem Buch den wahren Namen des Letzten Herrschers fand; die meisten jüngeren Menschen kannten seinen Namen gar nicht mehr. Für sie war der Herrscher des Ordens der Letzte Herrscher, der Gott, der über ihnen allen stand. Ein Name war etwas Menschliches und daher legte der Orden wert darauf, die Aussprache seines Namens weitestgehend zu vermeiden. In den Augen der Menschen war ihre Begrüßungsformel eine Erinnerung an einen großen Krieger des Ordens während der Zeit der Vampirkriege; dass Valazar in 'Vivat Valazar', der Name des Letzten Herrschers war, das wussten die Wenigsten.

Der Letzte Herrscher legte großen Wert darauf, diese beiden Personen in den Gedanken der Menschen zu differenzieren. Valazar sollte als Kriegsheld in die Geschichte eingehen und verehrt werden, doch niemand sollte den Krieger mit dem jetzigen Herrscher in Verbindung bringen. Der Letzte Herrscher war Gott und würde es im Verstand des Volkes auch immer bleiben und gewesen sein; eine bekannte menschliche Vergangenheit nähme ihm etwas von seiner unantastbaren Autorität.

Diese Ringe machen also unsterblich, nun sieh mal einer an; die Frage, wieso Lyras, Savaron und Ragnir nicht altern, dürfte damit wohl geklärt sein.

Auf einmal erstarrte er und seine Augen weiteten sich, seine Hand umklammerte die Seite des Buchs.

„Verdammt!“, stieß er leise aus.

„Was ist denn los?“, fragte Eric und sah über Aarons Schulter auf das Buch hinab.

„Kontaktgift an den Seiten? Eine Falle? Was ist los?“

Aaron schüttelte den Kopf und fuhr mit der Hand über das alte Pergament, biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen Wutschrei.

„Die Seite, auf der steht, wie man den Ring als Waffe benutzen kann …“

„Ja, was ist mit ihr?“

Aaron ballte seine Hand zur Faust, schlug damit heftig auf den Tisch und Staub wirbelte auf.

„Sie fehlt! Jemand hat sie herausgerissen!“

Aaron deutete auf das Buch und fuhr mit seinen Fingerspitzen die ausgefransten Seiten einer heraus gerissenen Seite entlang.

„Auf der Seite stand, wie man die Ringe als Waffe benutzen kann! Wenn wir davon ausgehen, dass der Mörder dieses Buch hier ebenfalls gelesen hat, müssen wir nun damit rechnen, dass er weiß wie diese Ringe zu verwenden sind. Wir allerdings haben nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung, wozu die verdammten Dinger gut sein könnten! Wie geht man gegen etwas vor, das man nicht versteht, hm? Eben! Gar nicht! Verfluchter Mist!“

Aaron hielt sich eine Hand an die Stirn, schlug sich leicht dagegen und dachte nach.

Wie viele Leute haben Zugang zu diesem Raum? Nur eine, nämlich der Erzbischof. Aber wieso sollte der Erzbischof eine Seite seines eigenen Buches stehlen? Niemand außer ihm und dem Letzten Herrscher dürfen es lesen … also muss entweder jemand eingebrochen sein, so wie wir, oder der Erzbischof hat die Seite für jemanden mitgenommen oder sie entfernt, damit niemand von den Möglichkeiten der Ringe erfährt.

„Beruhige dich erst einmal, wir wissen doch gar nicht, ob der, den du suchst, wirklich die Seite hat und selbst wenn, bräuchte er ja auch die Ringe dazu. Wir sollten erst einmal gehen, die Wachen werden sicher bald bemerken, dass etwas faul ist“, versuchte Eric ihn zu beruhigen und legte Aaron eine Hand auf die Schulter.

Aaron wollte widersprechen, er öffnete gerade den Mund, um zu antworten, doch er faltete die Hände vor dem Gesicht und nickte leicht. Eric hatte Recht, es würde nichts bringen, länger hier zu bleiben und damit das Risiko zu erhöhen, doch noch erwischt zu werden. Plötzlich drangen laute und aufgeregte Stimmen an ihre Ohren, verdrängten die eisige Stille.

Laut polternde Schritte hallten durch die Bibliothek und sie konnten es ganz leise hören, genauso wie das Klirren von Metall.

„Wachen!“, fluchte Eric leise und warf einen ängstlichen Blick auf den Eingang des Ganges. Wenn man sie hier drinnen fände, hätten sie keine Chance mehr, zu entkommen.

„Wir müssen hier weg, verdammt! Los!“, zischte Eric und packte Aaron fest am Arm, wollte diesen wegzerren, aber Aaron riss sich los und legte eine Hand auf die Seite mit den Beschreibungen der Vampirringe, die Informationen von denen alles abhing.

„Ich brauche diese Informationen!“, flüsterte Aaron.

„Das Buch ist verdammt schwer, das wirst du nicht mitnehmen können!“, presste Eric leise hervor und zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als das Geräusch von gezogenen Klingen an ihre Ohren drang, das Kratzen, wenn man sie aus der Scheide zog; jemand bellte laut Befehle.

„Ich hatte nie vor, das Buch mitzunehmen!“, erwiderte Aaron, ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus und mit einem lauten Ratschen riss er die Seite aus dem Buch, steckte sie hastig ein.

„Du hast da gerade … eine Seite aus der Prohibita herausge … gerissen …“, stammelte Eric und Aaron schnaubte leise.

„Fängst du auch schon an! Du wirst der Bibliothekarin immer ähnlicher! Und jetzt lass uns hier verschwinden! Sofort!“

Leise fluchend presste er sich an das Bücherregal, lauschte dem Geräusch sich nähernder Schritte. Eric kauerte neben ihm, die Hand fest um den Griff eines Dolchs geschlossen, den er aus seinem Mantel gezogen hatte. Schreie hallten durch die Bibliothek, erfüllten sie mit Angst.

Wenn man uns hier findet, ist das unser sicheres Todesurteil; vor allem, wenn sie herausfinden, dass wir in dem verbotenen Abteil gewesen sind.

Vorsichtig spähte Aaron um eine Ecke, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Sie waren schon in der Nähe des Hinterausgangs, aber die Wachen liefen in solch unregelmäßigen Abständen umher, dass es unmöglich war, vorherzusagen, wann man sicher entkommen konnte. Es lief wohl alles darauf hinaus, dass sie eine der Wachen würden töten müssen. Aaron legte seine Hand auf den Griff seines Schwertes, ging leicht in die Hocke, den Hinterausgang genau im Visier.

„Scheiße, ich wusste, das würde böse enden!“, zischte Eric leise und fuhr mit seinen zwei Fingern über die Klinge des Dolches, als spende ihm dies etwas Sicherheit.

„Da siehst du mal wie es mir seit meinem dreizehnten Lebensjahr geht. Es hat dich niemand gezwungen, mitzukommen“, antwortete Aaron leise, lehnte sich gegen das Bücherregal und behielt die Tür nach draußen im Auge.

Der Schein einer sich nähernden Fackel fiel auf den langen Gang, an dem das ihnen als Versteck dienende Bücherregal grenzte, die Geräusche der schnellen Schritte verstummten augenblicklich und sie hörten, wie einige Klingen gezogen wurden.

„Sie wollen uns überraschen!“, flüsterte Aaron leise und spähte erneut um die Ecke. Ein Trupp von drei Männern näherte sich ihnen langsam, die Fackel hielten sie gesenkt, damit das Licht nicht ganz so hell schien.

Wenn wir länger hier bleiben und zögern, wird mit Sicherheit ein weiterer Trupp von der Seite kommen und uns hinaustreiben; dann liefen wir den anderen direkt in die Messer!

„Kommt heraus, Bastarde!“, schrie eine der Wachen und sah sich suchend um. Aaron sah die Augen hinter dem Visier des Helms böse funkeln und schluckte den Fluch herunter, der ihm beinahe über die Lippen gerutscht wäre.

„Alle Wachen der Altstadt sind hier, wir haben sie sofort gerufen, als wir erfahren haben, dass hier jemand eingebrochen ist! Und wir haben euch absichtlich viel Zeit gelassen, damit ihr euch schön sicher fühlt! Na, wie findet ihr das?“

„Hundsfott“, grummelte Eric leise und ein schwaches Lächeln stahl sich auf Aarons Gesicht, doch es änderte nichts an ihrer scheinbar aussichtslosen Situation. Aaron wollte es um jeden Preis vermeiden, einen Mord zu begehen, doch anscheinend gab es keinen anderen Ausweg.

Gibt es einen Weg, dies hier ohne Blutvergießen zu beenden?

Rasch ging er alle möglichen Ausgänge in seinem Kopf durch und seine Mundwinkel zuckten leicht, als er die Wahrheit erkannte.

Nein, es gibt keine andere Möglichkeit. Ein Mord für die Aufklärung eines anderen Mordes. In den Augen des Letzten Herrschers und des Lord Marschalls wäre der Tod einiger Wachen sicher verkraftbar.

„Das ist eure letzte Chance! Kommt heraus, oder wir flechten euch auf's Rad, bis ihr uns sagt, was ihr hier drinnen zu suchen hattet! Ich zähle bis drei!“

Aaron wandte Eric den Blick zu, der immer noch unbeweglich an dem Bücherregal kauerte und sich fester an den Dolch klammerte.

„Gib mir den Dolch!“

Auffordernd streckte Aaron seine Hand aus und Eric sah ihn aus großen Augen an. Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe, als er zu verstehen begann.

„Eins...!“

Die Stimme des Wächters hallte durch die gesamte Bibliothek, wurde von den hohen Wänden tausendfach verstärkt.

„Nimm den mit der Fackel“, hauchte Eric, streckte die Hand aus und gab Aaron den Dolch. Seine Hand zitterte und war schweißnass. Aaron nickte schwach, umfasste den Dolch an der Klinge und senkte das Schwert.

„Zwei...!“

Langsam verlagerte Aaron sein Gewicht auf ein Bein, spannte seine Armmuskeln an und schloss für einen winzigen Augenblick die Augen, blinzelte, als ihm Schweißperlen über die Stirn in seine Kleidung liefen.

„Drei...!“

Aaron schoss hinter dem Bücherregal hervor, zielte kurz und ließ seinen Arm nach vorne schnellen.

In dem Moment, als einer der Wächter laut aufschreien und auf ihn zulaufen wollte, hörte er das Zischen des fliegenden Dolchs, wie er sich tödlich wand, die Luft zerschnitt und dann schmatzend den Wächter mit der Fackel traf. Die Fackel entglitt den plötzlich tauben Fingern des Wächters, fiel auf den Boden, gefolgt von dem Wächter, der langsam auf die Knie ging. Sein glasiger Blick war auf den Dolchgriff gerichtet, der aus seiner Brust ragte. Unendlich langsam griff er nach dem Dolch, seine Hände umfassten ihn, er schaffte es jedoch nicht, ihn herauszuziehen. Ein letztes Mal hob er den Blick, Blut lief aus seinen Mundwinkeln, dann fiel er auf die Seite, landete auf der Fackel, die zischend erlosch.

Der andere Wächter sprang entsetzt zur Seite, ließ vor Schreck sein Schwert fallen und holte tief Luft zu einem gellenden Schrei.

„Mord!“

Aaron fluchte leise und stieß Eric aus dem Schutze des Bücherregals.

„Na los, lauf!“, zischte er ihm zu und Eric sprintete auf den Hintereingang los, blendete die Schritte der anstürmenden Wächter aus und versuchte im Lauf, den Schlüssel aus seiner Tasche zu kramen.

Der Schlüssel fiel ihm klimpernd aus den Fingern, landete auf dem Boden und Eric wollte sich bücken, um ihn aufzuheben, doch Aaron packte ihn am Mantel, zerrte ihn weiter, auf die Tür zu.

„Bleibt gefälligst stehen, ihr Schweinehunde!“, gellte einer der Wächter und plötzlich kamen zwei weitere Soldaten um die Ecke, hielten ihre Fackeln direkt in die Richtung der beiden Fliehenden.

Eric brach durch die zwei Wächter, krachte mit der Schulter gegen die Tür und die Angeln barsten, Eric flog mit der Tür hinaus, landete hart auf dem Rücken und richtete sich ächzend auf.

Die Wachen machten den Fehler, sich zu ihm umzudrehen.

Aaron riss die Fackel von einem der Wächter herunter, schlug ihm mit der flachen Hand gegen die Nase und mit einem Knacken fuhr der Nasenknochen ins Hirn; lautlos klappte der Wächter zu Boden. In der selben Bewegung holte er aus, schlug mit der Handkante gegen den Hals des anderen, schnellte hinter ihn und Aarons Arme schlossen sich um den Hals des Wächters.

Es war schnell vorbei. Röchelnd fiel der letzte Gegner zu Boden und Aaron stürmte ins Freie.

Mit einem Gefühl von plötzlicher Freiheit trat er aus dem Ausgang hinaus in die Nacht der Altstadt, sah Erics Mantel gerade noch so in eine dunkle Gasse flattern. Schwerfällig setzte er ihm nach, die Schritte der anderen Wächter hinter ihm ignorierend. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte er ihm nach, gerade in dem Augenblick, da zwei weitere Wächter ihn sahen.

Verdammt! Ich habe drei Wächter getötet, die mich für einen Verbrecher halten und eigentlich nur ihre Pflicht erfüllt haben …

Aaron fühlte Schuld in sich aufkeimen, doch er kämpfte sie nieder und folgte Eric hastig in die Gasse; Sorgen und Vorwürfe konnte er sich später noch machen – wenn sein Leben nicht mehr in Gefahr war.

Schlitternd kam er vor der Gasse zum Stehen, bog in sie ab und stampfte wütend mit dem Fuß auf den Boden. Sie steckten in einer Sackgasse!

Eric versuchte gerade an der Wand hinauf zu springen, um zu entkommen. Zwecklos. Aaron ging zu Eric, fasste ihn an der Schulter uns riss ihn zu sich herum.

„Wir kommen hier nicht mehr raus! Besser wir ergeben uns, als noch einen Mord an einem Unschuldigen zu begehen!“

Wütend stieß Eric Aaron von sich und wollte eine schlagfertig Antwort geben, als die beiden Wächter nun auch in die Sackgasse rannten. Sie hatten beide ihre Waffen gezogen.

„Bleibt stehen, verdammt und du da, wirf' dein Schwert hin, na wird's bald!“

Aaron warf Eric noch einen vielsagenden Blick zu, dann hob er langsam den Schwertarm und ließ die Klinge geräuschvoll zu Boden fallen.

Sie haben uns. Wir müssen schnell entkommen, wenn wir nicht festgenommen werden wollen. Als General wird es für mich länger dauern, bis ich auf's Schafott komme und Eric ist wegen der Position seines Vaters geschützt, aber wenn der Erzbischof herausfindet, wer genau eingebrochen ist, wird er alles daran setzen, uns beide verschwinden zu lassen.

Wir müssen weg, bevor sich die anderen Wächter zusammenrotten und uns finden!

Beschwichtigend trat er mit erhobenen Händen einen Schritt auf die beiden Wächter zu.

„Wie wäre es, wenn wir uns alle mal beruhigen und …“

„Maul halten! Ich habe dir nicht erlaubt, zu sprechen!“, spuckte der Rechte aus und der andere lachte dreckig.

Aaron verstummte und trat wieder zurück, hielt die Hände jedoch oben; wenn sie entkommen wollten und die beiden nicht mit sich verhandeln ließen, so würde er sie auch ausschalten müssen.

„Was versprecht ihr euch davon, uns festzuhalten? Ihr bekommt …“

„Ein saftiges Kopfgeld“, unterbrach wieder der Rechte und Aarons Mundwinkel zuckten überrascht.

Als ich das letzte Mal eine Überprüfung gemacht habe, haben die Wächter der Bibliothek nichts dafür bekommen, einen Eindringling gefangengenommen zu haben … außer einem halbherzigem Lob.

„Der Erzbischof hat heute Nachtmittag ein Kopfgeld für jeden Eindringling versprochen. Wieso, weiß ich nicht, aber die Summe ist weit über dem, was man mit Bestechen herausholen könnte“, sagte der eine Wächter grinsend und trat einen Schritt näher, löschte die Fackel.

„Tot übrigens mehr wert als lebendig …“, fügte er hinzu und der andere hob leicht sein Schwert.

Aaron seufzte.

Der Erzbischof … natürlich. Er hat mitgedacht und vielleicht sogar von meinem Treffen mit Eric erfahren. Ich habe ihn unterschätzt.

„Die werden uns nicht gehen lassen“, raunte Eric Aaron leise zu und ließ die Hände leicht sinken, „und allem Anschein nach wollen sie auch nicht gerade warten, bis die anderen kommen, um uns kalt zu machen. Sie sind genauso von Gier zerfressen wie die andere Wache, der du den Dolch in die Brust gejagt hast!“

Die beiden Wächter wechselten einen raschen Blick, umklammerten ihre Waffen fester. Offensichtlich hatten sie Angst, Aaron könnte noch einen weiteren Dolch haben, versteckt, aber dafür umso tödlicher.

„Leert eure Taschen aus! Sofort! Und wehe einer von euch beiden macht eine zu schnelle Bewegung, den hack' ich ihn Stücke!“

Jedweder Spott war aus der Stimme des Wächters gewichen, hatte einer kalten Anspannung Platz gemacht. Aaron stülpte seine Taschen nach außen und die Seite aus dem Buch fiel in den Schnee.

Ansonsten hatte er nichts mehr in seinen Taschen, also trat er noch einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken an die kalte Steinwand hinter ihm.

„Und was ist mit dir?“, fragte einer der Wächter an Eric gerichtet und hob leicht sein Schwert.

„Du hast doch gehört was mein Freund gesagt hat! Taschen ausleeren! Wenn ihr etwas Wertvolles bei euch habt, ist es bei uns besser aufgehoben, als bei diesem Hurensohn von einem Statthalter Lyras! Dass er alles beschlagnahmt, was bei einem Überfall konfisziert wird, geht mir schon lange gegen den Strich!“

Eric nickte mehrmals, augenscheinlich vollkommen untergeben, steckte seine Hand in die Tasche und zog einen kleinen Geldsack hervor. Gier funkelte in den Augen der beiden Männer und das Grinsen in ihren Gesichtern wurde breiter, als sie sich bereits ausmalten, was sie mit dem Geld alles anstellen würden. Langsam beugte sich Eric hinab, streckte die Hand aus, um den Geldbeutel auf den Boden zu legen. Einen Moment lang siegte die Vorfreude auf das Geld über die Vorsicht der Wächter und sie ließen die Schwerter sinken, sahen sich zufrieden an.

Eric sah kurz auf, vergewisserte sich, dass die beiden sich nicht auf ihn konzentrierten, dann stieß er sich vom Boden ab, machte eine Hechtrolle, griff im Flug nach dem Schwert, rollte sich ab und sprang hinter den beiden Wächtern auf die Beine. Vollkommen überrumpelt wirbelten die beiden herum, hoben ihre Klingen, aber zu langsam. Bevor sie überhaupt die Chance hatten, irgendetwas zu tun, stieß Eric zu. Schnell, tödlich und präzise schlug er zu, begleitet von den Schreien der beiden Wächter. Aaron verzog das Gesicht. Er war schon alt und erfahren genug, dass ihn der Anblick eines ungleichen Kampfes nicht mehr anwiderte, aber er mochte das Gefühl immer noch nicht und er würde sich auch nie daran gewöhnen. Weinend fiel einer der Männer in den Schnee, hielt sich den aufgeschlitzten Bauch, während sich der Schnee unter ihm langsam dunkelrot färbte.

Er zappelte noch ein wenig, die Absätze seiner Stiefel wirbelten den Schnee auf, dann erlahmten seine Bewegungen und sein Kopf fiel zur Seite. Der andere Wächter warf sein Schwert in den Schnee, fiel auf die Knie und sah Eric flehend an.

„Bitte, verschone mich, ich flehe dich an! Ich habe drei Kindermäuler zu stopfen! Ich wollte nur das Geld, bitte, ich wusste doch nicht, dass …“

„… ihr Leute jagt, die sich zu wehren wissen?“, beendete Eric den Satz kalt und trat auf ihn zu. Das Schwert an seiner Seite zog kleine Kreise, durchschnitt zischend die Luft.

„Nein, nein, nein! So meinte ich das nicht, ich schwöre es! Bitte lass mich am Leben!“, wimmerte der Mann und Eric schnaubte verächtlich, baute sich vor dem Mann auf.

„Es tut dir also Leid, was du getan hast? Aufrichtig?“

Der Wächter nickte heftig, der flehende Ausdruck wich ein wenig aus seinem Gesicht und machte einem Funken Hoffnung Platz.

„Ja, das tue ich, aufrichtig, ich verspreche es!“

Eric nickte leicht, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kalten Lächeln.

„Gut, dann sterbe wohl!“

Die Augen des Mannes weiteten sich, sein Mund öffnete sich zu einem letzten Schrei, der nicht mehr kommen würde. Eric schwang das Schwert schnell, die Klinge zog einen Fächer roter Blutspritzer hinter sich her und Blut spritzte an die Fassaden der Häuser neben ihnen.

Mit einem Entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht griff sich der Mann an die Kehle, das Blut rann ungehindert durch seine Finger hindurch in den nun blutroten Schnee, bevor er vorn über fiel und reglos liegen blieb.

Aaron trat auf Eric zu, dem Blick der toten Augen des Wächters sorgsam ausweichend.

„Könnte ich bitte mein Schwert wieder haben, Eric?“, fragte er nur und seine Augen blitzten einen Moment auf, doch Eric bemerkte es nicht. Stattdessen nickte er nur, ließ den Kopf hängen und reichte Aaron dabei das Schwert mit der Klinge nach unten.

Langsam nahm Aaron es entgegen, schloss seine Finger fester um den Griff. Er war noch warm. Plötzlich packte er Erics Arm, verdrehte ihn und drückte Eric gegen die blutbespritzte Fassade. Erics Gesicht war an den kalten Stein der Häuser gepresst, sein Arm lag verdreht auf seinem Rücken, während Aaron sein Handgelenk festhielt. Das ganze hatte nicht länger dauert als einige Sekunden. Eric wusste, Aaron könnte ihm jetzt sofort den Arm brechen und er würde sich nicht wehren können.

„Also, vielleicht sollten wir nochmal von vorne anfangen und diesmal ehrlich sein; sonst könnte das böse enden. Wer bist du wirklich?“, presste Aaron hervor und drückte Eric die Schwertspitze in den Nacken. Dieser zuckte zusammen, als der kalte Stahl ihn streifte, machte jedoch keine Anstalten, sich zu wehren.

„Was im Namen des Letzten Herrschers tust du da? Ich bin Eric Maílty, Protegé des …“, der Rest seines Satzes ging in einem zischenden Stöhnen unter, als Aaron so fest zugriff, dass Erics Handgelenk knackte.

„Ich mag alt sein, aber ich bin nicht senil! Kein Protegé kann so kämpfen! Du wärst niemals durch die Prüfungen gefallen! Ich habe gesehen, wie du die Situation abgewogen und sorgsam geplant hast, wie du gezielt die Tür eingerannt hast.“

Aaron beugte sich so tief zu Eric hinab, dass sein Mund dicht neben Erics Ohr war.

„So kämpfen nur Nachtjäger! Adepten, die man zu Assassinen des Ordens ausgebildet hat! Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ragnir als dein Vater damit zufrieden gewesen wäre, dass du ein Protegé des Ordens bleibst! Er ist der beste Schwertkämpfer des Landes! Wie kommt es also, dass du den selben Kampfstil hast wie ein Nachtjäger, hm?“

Aarons Blick fiel auf den Ärmel von Erics Mantel und ein grimmiger Ausdruck der Zufriedenheit trat auf sein Gesicht.

Die blaue Flamme der Nachtjäger ist auf dem Schwarz kaum zu erkennen, vor allem im Dunkeln, aber wenn man weiß, wonach man Ausschau halten muss …

Die Nachtjäger waren eine geheime Einheit innerhalb des Ordens und hatten mit diesem an sich nicht viel zu tun. Nach der gewöhnlichen Ausbildung konnte man nur zum Nachtjäger werden, wenn man sich durch besondere Leistungen und Fähigkeiten hervor hob.

Diejenigen, die für diesen Pfad bestimmt wurden, trennte man sofort von den anderen Adepten und fing an, sie auszubilden, einzelne Personen zu eliminieren und Menschen zu jagen.

Die Mitglieder der Nachtjäger waren gewöhnlicherweise die besten Männer des Ordens, am beweglichsten, schnellsten und am wendigsten; es bedurfte großer körperlicher Leistungsfähigkeit, um ein Nachtjäger zu werden. Einmal ein Paladin, erfuhr man von der Existenz der Nachtjäger und arbeitete mit ihnen zusammen. Auch die Identität einzelner Nachtjäger war bekannt, wenn man sich auch meistens an eine Kontaktperson innerhalb des Ordens wandte, wenn es einen wichtigen Auftrag gab.

Man munkelte, die Nachtjäger wären die Vorstufe der Exekutoren, jener unheimlichen Wesen, die des Nachts über Moréngard hinweg flogen und jene verschwinden ließen, die dem Orden ein Dorn im Auge waren. Jedoch waren die Nachtjäger streng von den Mitgliedern des Ordens für innere Sicherheit zu unterscheiden. Der Orden für innere Sicherheit existierte – so wie die Nachtjäger – für die normale Bevölkerung nicht und selbst die Paladine des Ordens, egal wie hoch sie auch in der Hierarchie des Ordens standen, wussten nicht, wer dessen Mitglieder waren. Grundsätzlich könnte es wahrlich jeder sein … und eben deswegen, war es auch so gut wie unmöglich einen richtigen Widerstand gegen den Letzten Herrscher aufzustellen; niemand wusste, wem man trauen konnte, selbst innerhalb des Ordens. So behielt ihr Gott alle unter Kontrolle, ohne auch nur einen Finger zu rühren … mit nichts weiter als Angst.

Erics Profil würde zu dem eines Nachtjägers passen … und erklären, wieso ich ihn noch nie im Orden gesehen habe, dachte Aaron.

Eric atmete tief durch, versuchte sich leicht aus dem Griff Aarons zu winden, aber dieser drückte sofort die Klinge des Schwertes in Erics Nacken, woraufhin dieser sofort erstarrte und sich nicht mehr rührte.

„Hey, beruhige dich, verstanden?“

„Ich bin ganz ruhig“, erwiderte Aaron leise und legte leicht den Kopf schief, drückte etwas mit der Klinge zu.

„Ich warte immer noch auf eine Antwort …“, fügte er hinzu und trat Eric in die Kniekehle, woraufhin dieser ein wenig an der Wand hinabrutschte.

„Ja, ist gut! Ich gehöre zu den Nachtjägern!“, stieß Eric aus und versuchte sich wieder aufzurichten, jedoch hielt Aaron ihn weiter am Boden.

„In wessen Auftrag? Was hat ein Nachtjäger mit meinem Vorhaben zu tun?“, bohrte Aaron nach und Eric seufzte geschlagen.

„Ich bin auf Befehl meines Vaters hier! Ich soll dafür sorgen, dass dich niemand tötet und im Hintergrund Deckung geben, falls jemand sich dazu entschließen sollte, dich zu erledigen. Informationen zufolge hat es eine Explosion in der Hafenstadt gegeben und man munkelt, jemand, der Azard Ciantá verdammt ähnlich sah, sei dort gewesen. Sirian ist verschwunden und bisher nicht mehr wieder aufgetaucht; meine Spione überwachen die ganze Stadt!“

Aarons Miene versteinerte sich und er starrte ins Leere, lockerte etwas seinen Griff, jedoch könnte er Eric immer noch innerhalb von Sekundenbruchteilen den Arm brechen, also blieb dieser still an der Wand stehen.

„Sirian …“, hauchte Aaron atemlos und biss sich auf die Lippen, seufzte endgültig.

Mich kann der Erzbischof nicht einfach verschwinden lassen, dafür stehe ich im Orden zu hoch; außerdem kennt mich jeder innerhalb des Herrscherkreises Moréngards. Luciana ist ihm aus mir unerfindlichen Gründen außerordentlich wichtig, weshalb er es wohl lieber vermeiden würde, sie zu töten. Das einzig Logische scheint es daher zu sein, meinen Adepten zu töten, um mich aus der Bahn zu werfen … ein kluger Schritt, erkannte Aaron traurig und atmete tief durch.

„Wie stehen die Chancen, dass er noch am Leben ist? Was genau ist geschehen?“

Eric versuchte nach hinten zu sehen, um Aarons Gesichtsausdruck erkennen zu können, schaffte es aber nicht und ließ es wieder bleiben. Diesmal kam die Antwort nicht sofort.

„Ich … ich weiß es ehrlich nicht, General. Es könnte sein, dass er noch lebt, doch genauso gut könnte Azard ihn schon ermordet haben. Es tut mir aufrichtig Leid.“

Aaron schnaubte, dann ließ er Eric los und steckte leise fluchend das Schwert weg.

„Dein Beileid kannst du dir sparen! Ich hätte dich fast umgebracht! Seltsam, dass ich erst jetzt Ragnirs Emblem erkenne, es hätte mir sofort auffallen sollen.“

Aaron griff nach Erics Mantel und musterte die dunkelblaue Flamme, die auf den schwarzen Mantel gestickt war.

„Was jetzt?“, fragte Eric.

Aaron ließ Erics Mantel los, rieb sich die Schläfen. Er sah sichtlich angeschlagen aus, ließ es sich aber nicht anmerken – zumindest versuchte er es.

„Wir statten Ragnir einen Besuch ab“, flüsterte er schließlich, bückte sich und hob die herausgerissene Seite aus dem Buch vom Boden auf, steckte sie sich zurück in die Manteltasche und schickte sich an, zu gehen. Bevor er die Gasse verließ, drehte er sich noch einmal um und deutete drohend auf Eric.

„Ein Letztes noch, Eric …“

„Und das wäre?“

Aaron verzog seine Augen zu Schlitzen und seine Mundwinkel zuckten leicht.

„Belüge mich … nie … wieder!“

Pfad des Feuers

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