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Kapitel 2 Der Fluch der Wissenden

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I

Dunkle Wolken verhangen den Himmel.

Luciana schlenderte mehr oder weniger ausgeruht durch die menschenleeren Promenaden der Altstadt. Heulend rauschte der Wind durch die blattlosen Äste der Bäume, welche links und rechts neben der Promenade gepflanzt worden waren. Die kahlen und von schlammigen Überresten des Schnees bedeckten Wipfel wiegten sich sanft im Wind, das Holz der Bäume knarrte laut.

Ihre Schritte waren das einzige Geräusch auf den leeren Straßen und sie wickelte sich mit einem Stöhnen enger in den dünnen Mantel, den sie sich hektisch umgeworfen hatte, um nicht zu spät zu kommen. Die Altstadt war das intellektuelle Zentrum der Stadt, das Hirn, das den Rest Moréngards am Laufen hielt; darüber hinaus war es der Mittelpunkt des Glaubens an den Letzten Herrscher als ihren Gott, denn hier residierte der Erzbischof, seine Heiligkeit, die den Letzten Herrscher in ihrer Welt vertrat. Alle anderen Häuser waren in kleinen und größeren Kreisen um die Residenz des Erzbischofs angelegt, den Eingang immer zum Anwesen hin ausgerichtet.

Hier bündelte sich die Macht des Handels, des Staats und des Klerus' und folglich gab es auch erbitterte Kämpfe um die Vorherrschaft der Altstadt, denn wer hier herrschte … der verfügte über die Möglichkeit, die Studenten und Mächtigen zu beeinflussen.

Der Erzbischof – seines Zeichens der älteste und auch mächtigste Magier mit knapp vierhundert Jahren – stritt sich seit Jahren mit den hiesigen Adeligen um die meisten Besitztümer in der Altstadt. Immer wieder hatte Luciana Berichte über Gardisten gehört, die verzweifelt versuchten, Frieden zu stiften, doch der Erzbischof schaffte es irgendwie, alle seine Feinde über Nacht verschwinden zu lassen; in den Akten der Stadtgarnison tauchte seltsamerweise kein einziger Vermisstenfall auf. Es war, als hätten die betreffenden Personen niemals existiert.

Wenn sie schon die Kontrolle über deine Existenz haben, worüber dann noch?, fragte sie sich in Gedanken, als sie die kleinen Fachwerkhäuser passierte, die nichts waren im Vergleich zu den protzigen Villen der Adeligen in anderen Bereichen des Viertels.

Sie mochte das Regime des Letzten Herrschers nicht, denn genau das war es: Ein Regime; egal, ob nun von Gott oder einem weltlichen Herrscher beherrscht, sie wurden geknechtet. Jeden Monat wurde in der Kirche ein junges Mädchen dem Letzten Herrscher geopfert, zu Ehren seiner vergangenen Taten und Errungenschaften. Beinahe alles, was sie von dem Regime kannte, war schlecht. Die Paladine sollten korrupt sein, die Gardisten sowieso und auf den Straßen herrschte das Recht des Stärkeren und nicht das Gesetz. Sehr oft hatte sie schon gedacht, dass die Idee einer absoluten Herrschaft eigentlich gar nicht so schlecht war – nur die Ausführung war geradezu erbärmlich. Auch der Statthalter der weltlichen Herrschaft, Lyras – der Stiefbruder des Letzten Herrschers – herrschte mit eiserner Hand über die Verwaltung des Landes, so dass ihr Gott keinen Finger krümmen musste. Für ihren Gott selbst war das System gar nicht einmal so übel; er hatte einmal alle seine Kontrollinstanzen des Staates in für ihn verlässliche Hände gelegt und konnte sich nun einfach zurücklehnen und die Ewigkeit genießen, dort in seiner protzigen Festung.

Sie warf einen verächtlichen Blick auf eine Villa und schüttelte enttäuscht den Kopf.

Die Priester predigen Gerechtigkeit und die Erleuchtung durch den Letzten Herrscher, doch in Wirklichkeit interessieren sie sich nicht für das entsetzliche Leid der Bürger. Stattdessen lassen sie sich zu Festen der Adeligen einladen und lachen über uns an ihren Tafeln!

Endlich erreichte sie das Ares – Plaza.

Ares war einer der wichtigsten Männer in der Geschichte der Menschheit gewesen. Nachdem die Menschen vor fast tausend und dreihundert Jahren auf dem Kontinent gelandet waren, war er es gewesen, der die Gründung des Königreichs maßgeblich vorangetrieben hatte; doch hatte er sich niemals selbst als König eingesetzt, sondern sich im Hintergrund gehalten und dafür gesorgt, dass die anderen Reiche nicht zu mächtig wurden – hätte Ares noch etwas länger gelebt, so wäre Moréngard nun die Hauptstadt des mächtigsten Reiches. Leider war er das Opfer eines Attentats geworden und noch vor Vollendung seines Werkes gestorben. Die Könige hatten alle seine Andeutungen ignoriert und nun war Iridania offiziell die mächtigste Macht im Kontinent.

Jedoch wusste jeder, dass der Kaiser der endlosen Wüste vor dem Letzten Herrscher erzitterte, ebenso wie jeder andere Herrscher der anderen Reiche. Solange der Letzte Herrscher über ihr Reich herrschte, würde es kein anderes Land wagen, sie anzugreifen. Sie wussten alle noch, wer die Menschheit vor dem Untergang gerettet hatte – niemand geringeres als ihr Gott.

Ares' Statue stand riesengroß im Zentrum des Platzes und in dessen Schatten lehnte General Aaron, leise pfeifend und unauffällig in zivil.

Bei Tageslicht wirkte er nicht halb so einschüchternd wie noch gestern Abend, doch vielleicht gehörte dies zu seiner Tarnung. Die Entschlossenheit und die Intelligenz waren aus seinem Gesicht verschwunden, seine Schultern hingen ein wenig herunter und er schlurfte mit einem ausgiebigen Gähnen auf sie zu, als sie den Platz betrat.

„Guten Morgen, meine Dame. Du bist pünktlich, das ist gut. Punkt eins ist erfüllt. Nun begleite mich bitte“, begrüßte er sie ohne Umschweife und hielt ihr einen Arm hin; zögerlich ergriff sie seinen dargebotenen Arm und umgehend machten sie sich auf den Weg. Luciana folgte Aaron einfach und versuchte so unauffällig wie möglich zu wirken.

Das wird mir niemand glauben. Ich laufe Händchen haltend mit einem General des Ordens durch die Altstadt!

„Was machen wir hier?“, zischte sie leise, als ein einzelner Passant sie misstrauisch anstarrte.

„Spazieren“, erwiderte Aaron geradeheraus und winkte fröhlich einem Studenten zu, der in diesem Augenblick müde aus seinem Haus schlurfte.

„Wozu? Ich dachte wir sollen einen Mörder suchen!“, antwortete Luciana und setzte ein gequältes Lächeln für die zunehmende Menge der Passanten auf.

Hätte ich gewusst, dass das eine so peinliche Episode werden würde, wäre ich nicht gekommen!

Aaron antwortete nicht sofort, sondern bog von der Hauptstraße ab in eine Seitengasse und lockerte ein wenig seinen Griff um ihre Hand.

„Wir sind auf dem Weg zu meinem ersten Verdächtigen. Einen Mann, den du sehr gut kennst, wie ich gehört habe und der eine Schwäche für dich hat. Ich will dich dabei haben, um möglichst viele Informationen zu sammeln“, Aaron deutete aus der Seitengasse hinaus auf die Hauptstraße und auf einen kleinen Hügel inmitten der Altstadt; dort thronte die Residenz des Erzbischofs.

„Dorthin gehen wir!“

Lucianas Kinnlade klappte ungläubig nach unten und sie beherrschte sich kurz, nicht prompt kehrt zu machen.

Er verdächtigt den Erzbischof einen seiner Priester ermordet zu haben? Und dann auch noch Godric? Er hat alle Paladine in ihren Rang erhoben und sie zu dem gemacht, was sie heute sind! Und das seit der Gründung des Ordens vor hundertsechzig Jahren! Wieso sollte der Erzbischof so etwas tun?

Dahinter muss mehr stecken!

Sie kannte den Erzbischof gut, vielleicht besser als jeder andere lebende Mensch.

Nachdem Godric sie aus den Trümmern ihres Heims gezogen hatte, hatte er sie dem Erzbischof vorgestellt und wenn er gerade nicht auf sie aufpassen konnte, war sie in der Residenz des Erzbischofs gewesen; seltsamerweise hatte Erzbischof Ethgar mit ihr Zeit verbracht und sich um sie gekümmert, als wäre er nicht der Vertreter Gottes auf Erden, sondern ein einfacher Mann.

„Tut mir Leid, General, aber das glaube ich nicht!“, widersprach sie endlich und Aarons Augenbrauen wanderten überrascht in die Höhe.

„Der Erzbischof und Godric hatten wenige Stunden vor dem Mord einen heftigen Streit, der von mehreren Dienern beobachtet wurde. Außerdem hat Ethgar etwas an sich genommen, das am Tatort gefunden wurde, als wolle er nicht, dass wir es finden“, Aaron zuckte mit den Achseln und führte sie weiter, „das ist die einzige Spur, die wir haben; sonst gibt es keinen Anhaltspunkt. Also beginnen wir hier.“

Den Rest ihres Weges schwiegen sie beide.

Luciana versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie dabei waren, einen der mächtigsten Männer des Landes des Mordes anzuklagen. Zudem fühlte sie noch eine Verbindung zum Erzbischof, die unweigerlich brechen würde, wenn er sah, auf welcher Seite sie stand.

Es war noch dunkel, als sie endlich die Residenz des Erzbischofs erreichten und plötzlich fiel Luciana ein Detail auf, das ihr bisher entgangen war.

„Wo ist eigentlich Sirian? Sollte er nicht auch da sein?“, fragte sie auf einmal und Aaron schüttelte leicht den Kopf.

„Als wir gestern Nacht bei mir ankamen, sagte meine Frau, sie habe eine Nachricht betreffend Sirians Schwester erhalten. Sie ist seit längerer Zeit krank und er bat mich, nach ihr sehen zu dürfen“, Aaron seufzte und kratzte sich in Gedanken versunken am Kinn, „also habe ich ihm erlaubt, zu ihr zu gehen. Er ist noch gestern Nacht ins Hafenviertel aufgebrochen. Ehrlich gesagt wundert es mich nicht, dass es seiner Schwester noch schlechter geht. Im Hafenviertel machen die schlimmsten Krankheiten die Runde, die meisten davon tödlich. Er hat sich in der Oberstadt mit Kräutern eingedeckt und ist umgehend aufgebrochen.“

Ich verstehe seine Bedenken … das Hafenviertel ist das dreckigste und unhygienischste Viertel der ganzen Stadt und dort haben die Menschen gar nichts. Wenn er seine Schwester dort leben lässt, muss er sich nicht wundern, wenn sie krank wird.

Luciana nickte knapp und atmete tief durch, wünschte Sirians Schwester im Stillen viel Glück und wandte der Residenz ihren Blick zu. Sie war wirklich prachtvoll, selbst in der Dunkelheit des jungen Morgens. Eine breite Marmortreppe führte zu einem Vorgarten hinauf. Dort oben angekommen führte ein Steinweg direkt vor den Eingang der Residenz. Links und rechts der Straße standen lose Säulen, auf deren Spitzen die Abbilder von diversen Helden und verschiedener Fabelwesen aus Stein saßen, ihre leeren Blicke auf die Mitte des Steinwegs gerichtet, dorthin, wo die Passanten und Besucher des Erzbischofs hinliefen. Im gespenstischen Halbdunkel des Morgens wirkten die Statuen wie Wächter, groß und furchteinflößend. Am Ende dieses Steinwegs ragte die Residenz schließlich in die Höhe. Betont lässig schlenderten sie die Marmortreppe hinauf, Stufe um Stufe, bis sie schließlich auf dem breiten Weg waren und diesen entlang liefen. Es war ein seltsames Gefühl zu wissen, dass die Statuen ihnen ihre kalten Blicke in die Rücken bohrten, als könnten sie zum Leben erwachen und sie angreifen, wenn sie etwas Falsches taten. Und tatsächlich munkelte das Volk, dass diese Statuen den Erzbischof beschützen konnten, wenn ihn jemand bedrängen sollte.

Die große Fassade der Residenz, die wie ein Wall vor ihnen aufragte, ließ sie geradezu winzig wirken, degradierte sie zu Insekten.

„Und hier wohnt er. Kein Wunder, dass er sich mit den Adeligen so um die Altstadt streitet“, knurrte Aaron und schnaubte. Luciana erwiderte nichts. Es schien ihr unangebracht und außerdem fiel ihr keine passende Antwort ein. Stattdessen schaute sie sich neugierig um, jedes Detail des Gebäudes bewundernd. Zwischen den Säulen wuchsen Pflanzen; Pflanzen, die man sonst nirgendwo in der Welt sah, selbst im Winter. Gottesrosen, die mit ihren silbernen Blütenblättern und goldenen Blattadern jede andere Rose weit in den Schatten stellten, Blutlavendel, sogar goldene Tulpen ragten hier und da zwischen dem Schnee auf.

„Eines muss man dem Erzbischof lassen …“, murmelte Luciana mehr zu sich selbst, als zu jemand anderem. Vorsichtig strich sie mit einem Finger über die Blüten einer Gottesrose. Sie waren warm und dufteten herrlich, viel intensiver als gewöhnliche Rosen.

„Er hat Stil.“

Aaron ignorierte die Exotik dieses Ortes und starrte geradewegs zu dem überdachten Holzportal, das in das Innere der Residenz führte. Selten betrat jemand dieses Gebäude. Sehr selten sogar. Es war eine große Ehre und doch fühlte sich keiner der beiden geehrt, sondern viel mehr eingeschüchtert. Ehrfürchtig traten sie vor das Eichenholzportal und Aaron klopfte drei Mal. Das Geräusch hallte noch lange wider und einen Moment passierte nichts. Sie standen beide vor dem Holzportal, zitterten in der eisigen Kälte des Winters. Dann hörten sie von der anderen Seite etwas, ein Riegel wurde zurückgeschoben, ein Schlüssel wurde in ein Schloss gesteckt und ein Flügel des großen Holztors schwang lautlos auf, nur einen winzigen Spalt breit.

Heraus schaute ein etwas älterer Mann mit kurzem grauen Haar. Er war klein, stämmig und seine grünen Augen funkelten gefährlich. Seine Kleidung beschränkte sich auf die traditionelle Kluft der Diener. Eine schwarze Hose, zusammen mit einem schwarzen Frack, worunter man ein weißes, eng anliegendes Wams trug.

„Was wünschen die Herren zu solch früher Stunde?“, fragte der Mann in formellem Ton und kniff die Augen zusammen, um sie besser zu erkennen.

„Mein Name ist Aaron, General des Ordens der Silberklinge im Dienste Eurer Göttlichkeit des Letzten Herrschers. Das hier ist eine … Freundin, Luciana. Gestern bat ich um eine Audienz bei seiner Heiligkeit dem Erzbischof. Wir sind angemeldet und uns wurde zugesagt.“

Der Diener sah sie einen Moment lang zögernd an, dann zuckten seine Mundwinkel kurz und er nickte widerwillig.

„Nun gut, tretet ein.“

Mit einem Ächzen stieß der Diener die Tür etwas weiter auf und trat einen Schritt beiseite, um sie einzulassen. Aaron wartete, um Luciana zuerst hinein zu lassen und betrat nach ihr die Residenz. Drinnen war es angenehm warm, doch nicht viel heller, als draußen.

„Es ist ziemlich dunkel“, raunte Aaron und rieb sich den Rücken. Der Diener machte eine säuerliche Miene und kräuselte die Lippen.

„Einen Augenblick, ich werde es für die werten Gäste des Erzbischofs etwas heller machen.“ Luciana konnte den Diener nur als Silhouette sehen, doch auf einmal hörte sie ein lautes Klatschen und hoch über ihnen entzündeten sich die Kerzen eines gigantischen Kronleuchters. Als Aaron das Innere der Residenz sah, pfiff er leise und anerkennend; Luciana kannte die Residenz noch in und auswendig, doch auch sie spürte immer wieder Ehrfurcht in sich schwellen, wenn sie die Eingangshalle betrat. Sie standen in einer riesigen, runden Halle, die von vier dicken Säulen gestützt wurde. Sie war so hoch, dass die Galerie, die den Zugang in den Ost-und Westflügel ermöglichte, noch halb im Dunkel lag. Ungefähr in der Mitte der Halle auf halber Höhe des Raums schwebte der Kronleuchter, von Magie dort oben gehalten. Hier unten gab es genug Licht, doch es war nicht hell genug, um die Galerie zu beleuchten. Die Decke war aus einer sehr großen runden Glasscheibe, durch die man den bewölkten Himmel sehen konnte. Die Statuen waren nicht wie diejenigen draußen vor dem Eingang rund und verziert, sondern viereckig und einfach Mittel zum Zweck, wenngleich sie aus schimmerndem roten Stein waren, von dem Luciana wusste, dass er in nur fünf Bergwerken im ganzen Kontinent abgebaut wurde. Der Boden war vertieft und die Vertiefung mit Wasser gefüllt. Der Diener trat auf die Wasseroberfläche, wurde jedoch weder nass, noch versank er in dem Wasser. Er 'stand' auf dem Wasser. Das Wasser war so klar, dass man den Boden und das Bild, das diesen zierte, sehr gut sehen konnte. Es war ein silberner Drachenkopf, das Symbol des Ordens, der eine goldene Flamme ausspie.

„Es ist immer noch so wunderschön“, hauchte Luciana beeindruckt und trat vorsichtig mit einem Fuß auf das Wasser. Es war irgendwie weich und zugleich hatte man das Gefühl einzusacken, obwohl man sicher stand. Aaron lief skeptisch um das Wasserbecken herum, auf dem dafür geschaffenen Weg.

„Das ist die Halle unseres Gottes“, erklärte der Diener mit einer sarkastischen Verbeugung.

„Hier sind alle fünf Elemente unserer Welt in je einem Wunder vertreten, allerdings sind nur die Säulen für Feuer und der Boden für das Wasser wirklich sichtbar für … das ungeschulte Auge“, fuhr er fort und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem widerlichen Lächeln. Genau gegenüber dem Eingang war ein Durchgang zu einer breiten Treppe, die zu einem großen Fenster führte. Von dem Fenster aus gab es zwei Treppen, die eine führte links zurück auf die Höhe der Galerie der Halle, die andere nach rechts zurück auf die Höhe der Galerie.

„Unpraktisch. Man muss die Halle durchqueren, eine Treppe nach vorne laufen und dann wieder nach hinten zurück laufen, je nachdem in welchen Flügel man will. Wieso die Treppen nicht gleich hier anbringen?“, fragte Aaron und sah sich misstrauisch um. Der Diener verbeugte sich erneut kurz.

„Diese Halle ist zur Verteidigung gedacht, werter General. Sollten es Eindringlinge hier hinein schaffen, müssen sie, wie Ihr ja so kess bemerkt habt, die Halle durchqueren, das kostet Zeit. Zu diesem Zeitpunkt können Bogenschützen von der Galerie aus einen Pfeilhagel nach dem anderen abschießen. Reine Taktik, durch logisches Nachdenken leicht zu erschließen, werter Paladin.“ Aaron verengte seine Augen zu Schlitzen und das widerliche Grinsen des Dieners wurde breiter, geradezu unerträglich.

Es macht ihm immer noch Spaß über in seinen Augen unwürdige Gäste herzuziehen, dachte Luciana und schüttelte mit einem Seufzen den Kopf.

„Wenn die beiden ehrenwerten Gäste mir nun folgen möchten. Ich bringe euch zu einem Ort, an dem ihr darauf warten könnt, dass ich Eure Heiligkeit wecke und davon unterrichte, dass Ihre Exzellenz Besuch hat.“

Luciana öffnete den Mund, um etwas zu antworten, doch Aaron kam ihr zuvor.

„Tut das, die Zeit drängt.“

Mit einer ausladenden Geste deutete der Diener auf die Treppe, die Aaron gerade eben als unpraktisch bezeichnet hatte und lief voran. War sie vorher beinahe unsichtbar gewesen, erkannten sie nun eine kleine Holztür neben der Treppe. Schnell öffnete der Diener die Tür, stieß sie weit auf und bedeutete den beiden Rittern, einzutreten. Der Raum war ziemlich klein, geradezu mickrig und Luciana sträubte sich einen Moment, dort hineinzugehen, aber Aaron warf dem Diener ein verständnisvolles Lächeln zu und schubste sie leicht in das Zimmer. Der Diener schüttelte den Kopf und schloss hinter ihnen krachend die Tür.

„Ich mag den Kerl nicht“, fauchte Luciana und rieb sich die Schulter, „er behandelt uns wie Dreck.“

Aarons lehnte sich gegen die kahle Holzwand.

„Er ist nicht freundlicher zu uns, als alle Priester zu Paladinen und dem normalen Volk.“

Er lachte leise.

„Wenn es nach denen ginge, gäbe es keine Armee und jeder müsste ein Keuschheitsgelübde ablegen. Ich wette mit dir, wenn sie das im Orden durchsetzen, gehen die Zahl der Mitglieder schlagartig zurück.“

Luciana konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und blickte sich in dem Raum um, auf der Suche nach etwas, das sie ablenken würde, bis der Page wieder kam. Es gab nichts. Der Raum war leer, nur ein Abstellkämmerchen.

„Ich bin mir sicher, dass andere Gäste nicht in diesem verdreckten Zimmerchen hier empfangen werden“, lachte Aaron und fuhr mit der Hand über die Holzwand. Sie war alt und ein wenig modrig.

„Aber es trifft sich ganz gut, dass wir in einem Raum sind, der nicht abgehört werden kann. Komm, setz dich.“

Luciana setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und stützte den Kopf auf die Hände, ihn neugierig anschauend. Sie konnte sich vorstellen, was er sagen würde, dennoch wagte sie es nicht, ihm zuvor zu kommen.

Was wohl jetzt kommt? Soll ich noch irgendetwas für ihn tun, um diesen seltsamen Test zu bestehen? Ich will es mir gar nicht ausmalen …

„Also“, begann Aaron und ließ sich ihr gegenüber auf den Boden sinken, „ich fürchte diese Geschichte wird weitreichender, als alles andere, was wir je gemacht haben. Alleine die Tatsache, dass so viele Parteien in diesen Mord verwickelt zu sein scheinen, gibt mir doch sehr zu denken. Es gibt ein paar Dinge, die wir daher besprechen sollten.“

Aaron holte tief Luft und wrang die Hände.

„Das vielleicht Wichtigste wäre, dass du niemandem etwas davon erzählst, dass du in diese Sache irgendwie verwickelt bist. Niemandem! Hier in der Stadt gibt es viele Auftragsmörder und Attentäter, das weißt du ja. Und keiner davon hat etwas dagegen, eine der hübschesten Frauen des Landes zu jagen. Vor allem da ich gar nicht wissen will, was sie machen, bevor sie dich endgültig umbringen.“

Luciana senkte den Blick und errötete ein wenig, wurde aber wieder ernst, als er die Sache mit den Auftragsmördern ansprach.

„Zweitens“, fuhr Aaron fort und Luciana wandte ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu, „ich möchte, dass du nachts nicht mehr dein Haus, Versteck oder Lager verlässt, ist das klar? Die Chancen einen Einbruch zu hören und zu entkommen sind allemal größer, als die, nachts einen Mörder mit einem Stilett abzuwehren. Und nun das Letzte, das allerdings nur die jetzige Situation betrifft“, Aaron hielt kurz inne und kratzte sich am Kinn, abwägend, ob er es sagen sollte.

„Hast du schon einmal etwas von einem gewissen Azard Ciantá gehört?“

Luciana legte die Stirn in Falten und dachte nach.

Ja, der Name sagt mir etwas. Ich erinnere mich an eine Akte in den Archiven der Stadtgarnison, als ich meine Aufnahmeprüfung ablegen musste. Allerdings weiß ich nicht mehr, was er getan hat.

„Der Name kommt mir bekannt vor“, erwiderte sie schließlich und nickte. Aarons Lächeln gefror, er wandte den Blick ab und rieb sich zögernd am Kinn.

„Nun dieser Azard war einmal ein Paladin des Ordens, einer der besten. Eines Tages schlug er dem Letzten Herrscher vor, Ragnir aus seiner jetzigen Position zu entlassen und dafür ihn als den Lord Marschall des Ordens unter dem Letzten Herrscher einzusetzen. Der lehnte ab, nicht zuletzt mit der Begründung Ragnir sei der beste Krieger des Landes. Das schmeckte Azard ganz und gar nicht und nachts versuchte er, Ragnir ins Totenreich zu schicken. In dieser Nacht verpasste Ragnir Azard im Schwertkampf eine Narbe übers ganze Gesicht und verhängte das Todesurteil über Azard. Er und seine Männer flohen durch die Unterstadt, das ganze heißt in den Büchern 'Der Umsturz'. “

Aaron machte eine kurze Pause und ließ seine Halswirbel knacken.

Mit einem Schlag erinnerte sich Luciana an jene Nacht, denn sie hatte die Konsequenzen der Flucht am eigenen Leibe gespürt.

Ich habe einen Mann namens Damien vor Azard und seinen Männern gerettet, als sie ihn einkesseln wollten. Ich kannte damals fast alle Geheimgänge und Schlupfwinkel in der Unterstadt und den Slums und so habe ich Damien versteckt.

„Ich erinnere mich … aber die Paladine haben Azard gefasst und getötet, oder? Ich habe es nicht weiter mitverfolgt, aber am Tag darauf gab es eine Massenhinrichtung von abtrünnigen Paladinen; Statthalter und erster Kronrichter Lyras hatte sie zum Tode verurteilt“, erzählte sie in Erinnerungen versunken und Aaron räusperte sich leise, sah beschämt zur Tür.

„Das ausgerechnet hier zu sagen, ist vielleicht nicht das Klügste, aber ich muss.“

Er beugte sich zur ihr herüber, sein Mund kam ihrem Ohr ganz nahe.

„Es gibt Gerüchte, dass Azard beim Erzbischof untergetaucht sei und ihm jetzt diene. Einige Paladine haben die Massenhinrichtung wegen des Erzbischofs überlebt und sind nun bei ihm, um für ihn zu töten. Seine Morde sind die, die wie Unfälle aussehen und die niemand aufklären kann. Azard ist kalt, grausam und er ist verdammt gut. Gib also dem Erzbischof keinen Grund, dich loswerden zu wollen.“

Luciana erwiderte lange Zeit nichts, dann verzog sie das Gesicht und brachte ein gequältes Lächeln zustande. Sie bezweifelte, dass der Erzbischof ihr Böses wollen könnte. Nicht, nachdem er sie so gut behandelt hatte.

„Ich verstehe mich ganz gut mit dem Erzbischof, mach dir keine Sorgen. Wieso kann der Orden den Erzbischof nicht einfach befragen und die Altstadt durchsuchen?“

Aaron stöhnte leise und erhob sich wieder.

„Hast du dich noch nie gefragt, wieso der Erzbischof und Ragnir sich so hassen?“

Luciana schüttelte den Kopf. Es war ihr peinlich, dass sie nicht über all diese Dinge Bescheid wusste, was auf ihre Herkunft zurückzuführen war, aber dafür konnte sie ja nun schließlich nichts. Außerdem traute sie ihrer Stimme im Moment nicht. Sie wollte Aaron nicht sehen lassen, dass er ihr Angst gemacht hatte. Azards Name war ihr vielleicht nicht mehr bekannt gewesen, doch seine Taten sprachen für sich. Sei es nun wegen ihrer Erfolge oder den Grausamkeiten.

Als sie ihren Blick hob und Aaron in die Augen sah, da erblickte sie einen tief sitzenden Schmerz in seinem Gesicht, ein Aufblitzen von Trauer.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass dahinter mehr steckt, als nur eine simple Warnung, dachte sie und rückte etwas näher an Aaron heran.

„Woher weißt du so gut darüber Bescheid?“, fragte sie flüsternd und der Ausdruck verschwand sofort aus Aarons Gesicht, so schnell, dass Luciana beinahe gedacht hätte, sie hätte es sich nur eingebildet. Aber sie hatte es gesehen, da war sie sich sicher!

„Ich … ich habe ihn gejagt in jener Nacht und in den Tagen danach. Ich war es, der ihn nicht finden konnte und ich war es, der herausfand, wo er steckt … hier! Allerdings durfte das niemals an die Öffentlichkeit geraten. Azard ist für die breite Masse tot und wenn ich mein Wissen herausposaune, werde ich es sein“, Aaron zuckte mit den Achseln und schüttelte den kalten Griff der Erinnerungen ab, „Egal. Er kommt.“

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihr mit einem Nicken, aufzustehen. Schritte näherten sich. Schnell stand Luciana auf, ordnete schnell ihre Haare und ließ kurz die Schultern kreisen. Langsam öffnete sich die Tür und ein Spalt schwachen Lichts fiel in den Raum. Der Diener baute sich auf der Schwelle auf und seine etwas ausladenden Hüften ließen ihn beinahe die ganze Tür ausfüllen.

„Eure Heiligkeit wird euch nun empfangen. Dennoch warne ich die werten Gäste vor, sollten sie Eure Heiligkeit zu sehr stören oder belästigen werde ich sie mit einem kräftigen, aber dem Letzten Herrscher wohl gefälligen Tritt in den Hintern aus dieser Residenz befördern.“

Daran zweifelte Luciana zwar sehr und sie musste sich ein Kichern verkneifen, doch wollte sie es nicht herausfordern.

„Gut, dann bringen Sie uns bitte nun zu Eurer Heiligkeit“, unterbrach Aaron den Diener in seiner Warnung.

Der Hausangestellte führte sie aus dem Zimmer hinaus, auf die große Treppe und auf die Galerie der großen Eingangshalle hinauf. Der Ausblick war wunderschön, das Bild auf dem Boden konnte man erst richtig erkennen, wenn man dort oben stand.

„Eure Heiligkeit hat sich gestern spät zu Bett begeben und entschuldigt deshalb, dass sie euch im Speisesaal während des Frühstücks empfangen muss. Die werten Gäste können sich zu Eurer Heiligkeit begeben und falls einer von ihnen Hunger hat, könnte ich dem ebenfalls etwas zu Essen bringen.“

Sein Tonfall ließ befürchten, dass er das Essen, vergiften könnte; daher antwortete keiner der beiden. Sie liefen in den Ostflügel der Residenz, durch Korridore voller Bilder der Vorgänger des Erzbischofs, Flure, die von silbernen Rüstungen flankiert wurden. Luciana pfiff leise und konnte sich gar nicht satt sehen an dem Reichtum, der hier einfach so im Haus herumstand. Reichtum, für den sich Bewohner der Slums gegenseitig abschlachten würden. Aaron widerte das alles an, er verzog das Gesicht und lief schnell an den besonders wertvollen Stücken vorbei. Vor einer großen Tür machten sie halt.

Die Tür bestand aus Wasser und die Klinke war aus feinem Glas gemacht. Es war eine Wand aus Wasser, doch das Wasser lief nicht ab, sondern blieb in der Luft schweben. Überwältigt tastete sie mit zitternden Fingerspitzen an die Oberfläche der Tür. Das Wasser verlor nicht seine Form, blieb weiterhin eine solide Tür, doch sie wurde nass.

„Mit Levitation in der Luft gehaltenes Wasser. Eine Augenweide, wenn man nichts von Magie versteht“, stichelte der Diener, legte die Hand auf die Glasklinke, die irgendwie mit dem Wasser verbunden war, und öffnete sie. Ohne ein Geräusch zu machen schwang die Tür zur Seite auf und gewährte den Blick auf den Speisesaal.

Die Bezeichnung Zimmer, oder Raum wäre nicht mehr ausreichend gewesen . Der Saal war sehr lang, jedoch nicht sehr breit und das musste er auch sein, denn der Tisch, der in der Mitte des Saals stand, erstreckte sich fast über die gesamte Länge des Saals. Aus dunklem, schwerem Holz musste der Tisch so viel wiegen wie sieben ausgewachsene Ochsen. Die linke Wand war komplett aus Glas, offenbarte eine wundervolle Aussicht auf den Garten des Erzbischofs. Über ihnen prasselte ein Feuer auf einem großen Kronleuchter und tauchte den ganzen Raum in ein gemütliches Licht, das nur von den tanzenden Schatten der Flammen an den Wänden gestört wurde. Ganz am Kopfende des Tisches saß der Erzbischof über seinem Mahl. Er sah nicht auf, als die beiden eintraten und der Diener hinter ihnen die Tür wieder schloss.

„Seid gegrüßt, Luciana. Ihr ebenfalls Aaron. Setzt euch“, befahl der Erzbischof und deutete auf die beiden Stühle neben sich. Gehorsam und mit gesenktem Kopf gingen sie zu den ihnen gezeigten Stühlen, setzten sich leise. Der Erzbischof aß unbeirrt weiter und schien gar nicht wahrzunehmen, dass sie nun neben ihm saßen. Aaron blieb ganz ruhig sitzen, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und blickte aus dem Fenster, wohingegen Luciana unruhig ihre Hände knete und immer wieder auf den Teller des Erzbischofs spähte, um sich zu vergewissern, ob er nun fertig war. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, während der Erzbischof, ohne sie eines Blickes zu würdigen, einfach weiter aß, in scheinbar absichtlich langsamer Geschwindigkeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit hob er endlich den Kopf, wischte sich mit einer Serviette den Mund ab und schnippte. Der Teller verschwand, löste sich in dunklem Nebel auf.

„Womit kann ich euch dienlich sein?“, fragte der Erzbischof auf einmal und sie zuckten kurz zusammen. Ethgar hatte die verzierten Roben gegen ein schlichtes schwarzes Gewand eingetauscht, die grauen Haare waren zurück gekämmt und dafür, dass der Diener ihn hatte wecken wollen, war er erstaunlich gut rasiert, wobei Magie hier wohl ziemlich hilfreich gewesen war.

„Wir sind hier, um über den Mord an Pater Godric zu sprechen, Eure Heiligkeit“, flüsterte Aaron und neigte sein Haupt; Luciana lächelte schwach und tat es ihm gleich.

Erzbischof Ethgar runzelte die Stirn und er schaute sie verdutzt an.

„Über Godric? Ich dachte alles sei geklärt? Die magischen Spuren wurden gemacht, die Schlüsse zu ziehen ist nicht meine Aufgabe, sondern die Eure.“

„Gewiss, Eure Heiligkeit, jedoch gibt es ein paar Fakten, die unklar sind. Ich sendete Euch gestern mit dem Boten eine Nachricht, in der ich die magischen Spuren beschrieb, die man machen konnte … nämlich gar keine. Jemand muss schwarze Magie verwendet haben, um seine Spuren verwischt zu haben; oder natürlich könnte Godric auch von einem Untoten getötet worden sein.“

Ethgar überging den Sarkasmus in Aarons Stimme und der Blick seiner toten, grauen Augen richtete sich auf Luciana.

„Seit wann paktierst du mit dem Orden, Kleine?“, fragte er sanft und Aarons Miene verfinsterte sich unmerklich.

Seit ich dazu gezwungen wurde in einem Mord zu ermitteln, mit dem ich nichts zu tun haben will!

„General Aaron machte mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Er bezahlt sozusagen die Ausbildung von Alicia und ich helfe ihm, den Mörder zu finden.“

Ethgars Augen verengten sich kurz zu funkelnden Schlitzen, dann lächelte er jedoch und schenkte sich noch etwas Wein ein.

„Schwarze Magie ist nur für gewisse Kreise der Priester zugänglich und an Glyphen und Symbole gebunden, General Aaron. Sie sind alle bekannt und keines davon wurde in der Kirche gefunden, weder an Godric selbst, noch sonst irgendwo. Diese Theorie fällt also weg … allerdings gibt es Magier, die mächtig genug sind, ihre Aura zu unterdrücken. Im Augenblick gibt es soweit ich weiß, nur mich, der dazu in der Lage ist und ich war zu eben jenen Stunden in ein Gespräch mit dem Letzten Herrscher verwickelt, in dem es um die die Ausweitung der Garnison Moréngards auf das umliegende Land ging.“

Luciana hätte aufgelacht, wenn sie in einer anderen Situation gewesen wäre. Die Gardisten hatten sich lange darüber gestritten, ob es sinnvoll war, auch vor den Toren der Stadt zu patrouillieren und es war nur allzu deutlich geworden, dass sie dafür viel zu wenige waren.

Wenn der Letzte Herrscher nicht dafür sorgt, dass Lyras bald mehr in die Garnison investiert sind jegliche Diskussionen darüber vollkommen schwachsinnig und ich wette der Letzte Herrscher weiß das ebenso wie wir alle. Anstatt alles zu beschlagnahmen was ihm unter die Finger gerät, sollte Lyras endlich dafür sorgen, dass wir richtige Ausrüstung bekommen!

Der Statthalter hatte vor einigen Jahren angefangen, alles Mögliche zu beschlagnahmen; ihm reichte der kleinste Grund, um jemanden vollkommen zu enteignen, bis auf das letzte Hemd.

Wieso er dies tat, das wusste niemand, aber seitdem er damit begonnen hatte, hütete sich jeder davor, dem Statthalter ein Dorn im Auge zu sein.

„Was ist mit dem Ring?“, fragte Luciana auf einmal und das Lächeln des Erzbichofs verblasste augenblicklich.

„Ring?“, hakte Ethgar gespielt misstrauisch nach und setzte eine ausgezeichnete Unschuldsmiene auf.

„Ich weiß nichts von einem Ring, bedaure. Die Ermittlungen laufen über General Aaron, ich erfahre davon erst etwas, wenn er mir einen Bericht zukommen lässt.“

„Luciana meinte den Ring, den Godric bei sich trug, als seine Leiche gefunden wurde, Eure Heiligkeit“, warf Aaron ein und er lächelte kalt.

„Wenn Ihr ihn nicht habt, so ist er verschwunden und ich fürchte, das wird eine Zeitverzögerung verursachen, die der Mörder nutzen könnte, um zu entkommen, … Eure Heiligkeit.“

Ethgar schwieg einen Augenblick lang und musterte Aaron und Luciana abschätzend.

Er lügt!, erkannte Luciana und spürte, wie sich in ihr Enttäuschung regte.

Sie hatte den Erzbischof immer für einen ehrbaren, ehrlichen Mann gehalten, der der Gerechtigkeit half, wo immer er konnte; dass er sich nun so offensichtlich und plump verstellte, war erbärmlich.

„Ihr dürft allerdings gerne meine Archive und die Bibliothek der Altstadt zu Rate ziehen“, platzte Ethgar plötzlich heraus und Aaron hob überrascht eine Braue.

„Das ist zu gütig, Eure Heiligkeit, zu gütig. Ich merke, wir haben schon zu viel von Eurer Zeit in Anspruch genommen und Ihr habt sicher dringendere Dinge zu erledigen. Ich verspreche Euch, den Mörder zeitig zu finden.“

Aaron erhob sich von seinem Stuhl und deutete eine Verneigung an, Luciana tat es ihm gleich.

Ich kann es nicht fassen, aber ich muss Aaron zustimmen … Ethgar benimmt sich mehr als verdächtig.

„Ihr dürft euch zurückziehen, General. Du auch, Luciana“, stimmte Ethgar endlich ein und erhob sich nun ebenfalls von seinem thronartigen Stuhl.

„Ich wünsche allerdings über jegliche Fortschritte in Kenntnis gesetzt zu werden, General. In diesen Mord sind mehr wichtige Leute involviert, als ihr ahnt.“

Als ob ich das nicht wüsste!, stieß Aaron in Gedanken aus und verließ von Luciana flankiert den Speisesaal. Draußen wartete der Diener, der sie mit einem hämischen Lächeln hinaus begleitete und mit einem kecken Lachen das Tor hinter ihnen zustieß.

Luciana sog die frische Mittagsluft in ihre Lungen, trat mit Aaron von dem Eingangstor weg und von dem Gelände der Residenz hinab.

Ich habe den Test bestimmt nicht bestanden, bangte sie und warf Aaron von der Seite einen misstrauischen Blick zu.

Der General wirkte immer noch genauso selbstsicher und gelassen wie zuvor, ließ sich nichts anmerken. Schweigend ließen sie die Residenz des Erzbischofs hinter sich und schlenderten durch die nun endlich vollkommen erwachte Altstadt. Studenten und Boten hechteten über die Straßen, wichen Kutschen aus, die Tuchhändler und die wenigen reicheren Schmiede bauten ihre Stände vor ihren Häusern auf und begannen laut, ihre Ware anzupreisen. Die Hauptstraße der Altstadt glich meistens einem Markt, jedoch unterschied er sich in vielerlei Hinsicht von dem in der Unterstadt oder im Klerikerviertel. An den vielen Kreiseln – alle markiert durch eine große, runde Säule – standen Vertreter anderer Länder und feilschten mit den hiesigen Händlern um die besseren Preise, warben für ihre Ware und machten mit Flüchen und wüsten Beleidigungen die Sachen der anderen Händler nieder. Luciana sah einen Mann aus Iridania, der mit lauter Stimme seine Teppiche vorstellte; erkennen konnte sie ihn an seiner fast schwarzen Haut und den fließenden Roben, die hier im Norden niemand trug. Sie waren mit Gold und Silber bestickt, reichhaltig verziert und der Mann trug eine kleine Krone, die ihn als ein Mitglied der größten Teppichgilde in Iridania auszeichnete.

Nicht weit von ihnen, auf einer kleinen Piazza, stellte sich ein tätowierter Sarrakaner aus dem unendlichen Dschungel im Osten des Kontinents auf eine Kiste und präsentierte voller Stolz die wilden Bestien, die er im Dschungel gefangen haben wollte.

Luciana erblickte voller Staunen einen sarrakanischen Tiger, das gefährlichste Raubtier des Kontinents. Die Bestie knurrte Luciana wütend an, fauchte laut und unter dem Grollen erbebten die Passanten. Das dunkelgrüne Fell des Sarrakanischen Tigers schien leicht zu flimmern und seine gewaltigen Pranken zitterten aufgeregt, wenn ein Passant zu nahe am Käfig vorbei lief.

„Ein sarrakanischer Tiger ist doppelt so groß, wenn er sich aufrichtet“, sagte Aaron blinzelnd und Luciana zuckte instinktiv zurück, als der Tiger sie fauchend anfunkelte.

Ein wunderschönes Tier … und doch so gefährlich. Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn der Käfig bräche.

„Es ist falsch ein solches Tier seiner Freiheit zu berauben“, flüsterte sie und wandte den Blick von dem sarrakanischen Tiger ab, sah Aaron herausfordernd an.

Der General erwiderte gelassen ihren Blick und deutete ein flüchtiges Lächeln an.

„Ich würde es anders ausdrücken. Wir sollten diese Tiere so festhalten, dass sie es nicht merken. Schließlich macht es die Regierung genauso mit uns und das funktioniert doch auch“, Aaron zwinkerte ihr zu und deutete mit einem Nicken auf eine kleine Bank, die noch nicht besetzt war.

„Komm, setzen wir uns.“

Mit einem Stöhnen ließ Luciana sich auf das Holz sinken, lehnte sich an die kühle Steinwand hinter ihr und verfolgte das Treiben auf der Hauptstraße.

Hier gibt es kaum Bettler, schoss es ihr durch den Kopf.

Nur wohl gekleidete Männer und Frauen bugsierten lachend ihre Kinder durch die Hauptstraße, applaudierten lachend den Akrobaten und Feuerspuckern oder lauschten versonnen den Werken der Studenten.

„Unser Besuch beim Erzbischof ist besser gelaufen, als ich erwartet hatte“, verkündete Aaron und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust.

Verwundert starrte Luciana ihn an und versuchte aus seiner Miene heraus zu lesen, was er genau damit meinte.

Besser als erwartet? Was hat er denn erwartet? Dass Ethgar uns mit Feuerbällen und Blitzen aus seiner Residenz wirft?

„Es lief besser als erwartet?“, lachte Luciana freudlos und schüttelte den Kopf.

„Ihr müsst ein unglaublicher Pessimist sein, General …“, fügte sie noch hinzu und Aaron grinste selbstgefällig.

„Was ich wollte, habe ich erreicht. Ich bin kein Student und darf die Archive der Universität und der Bibliothek verwenden. Außerdem war es nur wichtig, dass du nach dem Ring fragst und das hast du doch getan. Den Test dürftest du als bestanden ansehen.“

Luciana spürte kaum, wie sie erleichtert ausatmete.

„Allerdings …“´, fügte Aaron leise hinzu, „will ich nun zu dem eigentlichen Auftrag kommen, wegen dem du dabei bist.“

Zögerlich rückte Luciana etwas näher an General Aaron heran und lehnte ihren Kopf möglichst unauffällig in seine Richtung, so dass er leiser sprechen konnte.

„Ich habe den Bericht über deinen Einsatz gelesen … deinen gesamten Einsatz, einschließlich aller Dinge, die du tun musstest, um das Vertrauen der Banditen zu gewinnen. Du hast dort bestimmte Kontakte aufgebaut?“

Luciana nickte unmerklich; sie wusste noch nicht genau, worauf Aaron hinaus wollte, doch sie konnte es sich ungefähr vorstellen.

„Das ist sehr gut“, fuhr Aaron fort, holte einen kleinen Zettel heraus und schob ihn Luciana in eine Manteltasche.

„Ich will, dass du in die Unterstadt gehst und dort nach Anzeichen suchst, die beweisen, dass der Erzbischof einen Auftragsmörder engagiert hat. Versuch die Schmuggler mit ins Boot zu holen und finde alles heraus, was in deiner Macht steht.“

Wenngleich sie sich beherrschte, möglichst gefasst zu bleiben, weiteten sich ihre Augen und sie zischte leise; ein kleines Kind warf ihr einen zweifelnden Blick zu, dann wurde es von seiner Mutter fester am Handgelenk gepackt und wieder von ihnen weggezogen.

Mit dem Erzbischof zu reden ist eine Sache … aber die Schmuggler mit ins Boot zu holen, um sie betrügen zu wollen, ist Selbstmord! Bisher hat noch niemand überlebt, wenn es darum ging, sie zu hintergehen und ich werde sicher nicht damit anfangen! Das haben schon ganz andere Männer und Frauen versucht, die weit klüger waren als ich!

„Das kann ich nicht!“, platzte sie heraus und sprang von der Holzbank auf.

„Die Schmuggler sind die mächtigsten Händler nach dem Händlerkönig Savaron selbst und sie stehen nicht auf unserer Seite des Gesetzes! Jeder steckt in ihrem Handel aus Informationen irgendwie mit drin, unwissentlich oder aus freien Stücken! Ich habe eine meterdicke Akte, in denen die Versuche einiger Bürger aufgelistet sind, die Schmuggler zu überlisten und rate mal, was mit den Leuten passiert ist!“

Als Aaron nichts sagte, schnitt sie sich symbolisch die Kehle durch und ignorierte die misstrauischen Blicke der Händler.

„Die sind alle tot, General. Alle! Ich will nicht eines Morgens aufwachen und feststellen, dass ich auf dem Grund des Meeres liege!“

Aaron schaute sie lange, sehr lange an und einer der Händler trat entschlossen auf sie zu, ein Berg von einem Mann, der wohl zwei Mal so groß sein musste wie Luciana.

„Belästigt Sie dieser Herr, werte Dame?“, fragte er Luciana und funkelte Aaron wütend an.

Luciana schluckte schwer und wollte gerade etwas sagen, als der General sich mit einem leisen Seufzen erhob und dem Mann ein beschwichtigendes Lächeln schenkte.

„Ich wollte gerade gehen. Die Dame und ich hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, kein Grund, gleich handgreiflich werden zu wollen.“

Wegen seiner Zivilkleidung erkennt der Mann ihn nicht als General! Er hält ihn wirklich für einen gewöhnlichen Bürger Moréngards!

Unter anderen Umständen hätte Luciana gelacht, doch so stellte sie sich nur in die Nähe des großen Mannes und wich Aarons dunklem Blick aus.

Der große Mann knurrte noch einmal bedrohlich und Aaron wandte sich mit einem leisen Schnalzen seiner Zunge ab, als hätte er gerade einen Entschluss gefasst. Dann war er plötzlich in der Menge verschwunden.

„D … danke“, stammelte Luciana und legte den Kopf in den Nacken, um dem Mann ins Gesicht sehen zu können; der zuckte nur mit seinen gewaltigen Schultern und kehrte zu seiner Schmiede zurück, wo kurz darauf wieder das Geräusch von aufeinander treffendem Stahl erklang.

Luciana blieb verdattert in der Menge stehen, ignorierte die Stöße und Schubser, die ihr gegeben wurden und starrte in die Richtung, in der Aaron verschwunden war.

Er könnte überall sein und sie würde ihn nicht einmal mehr sehen!

Damit dürfte die Frage beantwortet sein, wieso er sich heute so gewöhnlich angezogen hat …

Zögerlich griff sie in ihre Manteltasche; ihre Finger trafen auf das Pergament und sie holte es mit zitternden Fingern heraus, faltete es auf und ihre Kiefermuskeln verhärteten sich, als sie las:

So Leid es mir auch tut, einmal angenommen, kannst du nicht mehr zurück. Ich weiß, dass du einem Mann namens Damien Keldan einmal das Leben gerettet hast. Suche ihn und finde heraus, was er weiß. Ein Freund von mir sagte, er habe gute Kontakte in der Unterstadt (bitte wenden).

Mit angehaltenem Atem drehte Luciana den Zettel um.

Ich habe niemals behauptet, es würde leicht werden.

Pfad des Feuers

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