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1.Biographische Andeutungen 26
ОглавлениеMichael Andreas Helmuth Ende wird am 12. November 1929 als einziges Kind des aus Hamburg stammenden surrealistischen Malers Edgar Ende und der Preziosenhändlerin Luise Ende (geb. Bartholomä) aus dem Saarland im bayerischen Garmisch-Partenkirchen geboren. Der sich abzeichnende Erfolg des Vaters erlaubt es der Familie schon 1931, in die damalige Kunsthauptstadt München zu übersiedeln. Doch Edgar Endes Aufstieg als Maler rätselhafter, visionärer und oft bedrückend intensiver Traumwelten wird 1933 von der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die sein Werk wie so vieles andere als »entartet« einstufen, jäh unterbrochen. Der Verhinderung von Ausstellungen und dem Ausbleiben jeglicher öffentlicher Aufträge folgt 1936 das endgültige Berufsverbot, das die Familie in eine ernsthafte materielle Krise stürzt. Im selben Jahr wird Michael Ende eingeschult, womit für das sensible und künstlerisch begabte Kind ein beinah zehnjähriger »Gefängnisaufenthalt«27 im autoritären Schulsystem des Dritten Reiches beginnt. 1944, als er im Zuge der sogenannten Kinderlandverschickung einige Zeit in seiner Heimatgemeinde Garmisch-Partenkirchen verbringt, erhält er als gerade 15jähriger den Stellungsbefehl. Er ignoriert ihn, schlägt sich zur Mutter nach München durch und schließt sich der Widerstandsbewegung »Freiheitsaktion Bayern« an, die ihn mit kleineren Botenaufträgen betraut.
Dem erlösenden Kriegsende folgt bald auch die Befreiung aus dem schulischen Martyrium: Ende erhält die Möglichkeit, seine letzten beiden Schuljahre in der wiedereröffneten Freien Waldorfschule bei Stuttgart zu absolvieren (die Eltern stehen der anthroposophischen Bewegung nahe), wo er zum ersten Mal nachdrückliche Förderung seiner künstlerischen Begabungen erfährt (s. u.). Mit dem festen Vorsatz, Dramatiker zu werden, kehrt er 1948 nach München zurück. Ein Literaturstudium stellt sich indes als unfinanzierbar heraus, weshalb sich Ende für den »Umweg« über die Otto-Falckenberg-Schauspielschule, die ihm ein Stipendium gewährt, entscheidet. Die Jahre an der jungen und progressiven Schule, von Heinrich Sauer für damalige Verhältnisse geradezu antiautoritär geführt, erweisen sich in mancher Hinsicht als prägend für Endes spätere Entwicklung. Hier lernt er im Kreise seiner Mitschüler, von denen viele später bemerkenswerte Laufbahnen einschlagen,28 jenes Theatermilieu kennen, zu dem er zeit seines Lebens intensive Beziehungen pflegt; hier rezipiert er begeistert die Dramen und Theorien des großen Brecht, die ihm in der Folge sowohl Segen als auch Fluch werden. Denn jene von Brecht inspirierten dramatischen Versuche, die Ende während und nach dem Abschluß seiner Ausbildung verfaßt – von der Komödie Sultan hoch zwei (1950) bis zum absurden Drama Die Häßlichen (1955) – scheitern allesamt kläglich und gelangen nie zur Aufführung. Es will und will ihm nicht gelingen, die Vorgaben seines Idols (dem er zu jener Zeit sogar in der äußeren Erscheinung nacheifert)29 in adäquate künstlerische Formen zu gießen. Als Reaktion vertieft er sich nur noch mehr in Brechts theoretische Schriften wie etwa Das kleine Organon, bis deren ideologische Last sein eigenes Schaffen praktisch zum Erliegen bringt. Endes einziger Lichtblick in jener krisenhaften Zeit ist persönlicher Natur: In der Silvesternacht 1952 lernt er seine spätere Frau Ingeborg Hoffmann kennen, eine engagierte und erfolgreiche, wenn auch bei Regisseuren und Kollegen ob ihrer Direktheit in zwischenmenschlichen und Kompromißlosigkeit in künstlerischen Belangen gefürchtete Schauspielerin. Sie ist es auch, die Ende 1954 zum Bayerischen Rundfunk vermittelt, wo er vor allem als Filmkritiker arbeitet. Leben kann er davon kaum: »Meine finanziellen Umstände waren so finster, daß ich meine Miete nicht mehr bezahlen konnte. Ich mußte von einem halben Liter Milch und ein paar Semmeln leben. Mir ging es hundsmiserabel […].«30
Künstlerische und materielle Krise lösen sich indes mit einem Schlag. Im Jahr 1956 trifft Ende einen befreundeten Grafiker, der ihn bittet, einen »kurzen Text für ein Bilderbuch«31 zu verfassen. Ohne den geringsten Handlungsentwurf beginnt er die Arbeit mit den berühmt gewordenen Worten: »Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein.«32 Durch absichtsloses Voranschreiten von Satz zu Satz, in bewußter Abkehr von jeder poetologischen Doktrin, entsteht aus diesem Anfang nach und nach die wundersame Welt von Lukas und seinem kleinen Freund Jim Knopf, der seine wahre Heimat finden muß. Als Ende das Manuskript nach zehn Monaten abschließt, ist aus dem kurzen Bilderbuchtext ein über 500seitiger Roman geworden, der schließlich in zwei Bänden (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer und Jim Knopf und die Wilde 13) 1960/62 im Stuttgarter Thienemann Verlag erscheint. Schon der erste Teil wird ein überwältigender Erfolg und noch im Jahr seines Erscheinens mit dem Deutschen Jugendbuchpreis prämiert – sehr zur Verwunderung des Autors: »Ich hatte, ehrlich gesagt, noch nicht einmal eine Ahnung, daß solche Preise überhaupt existieren […].«33 Sein Durchbruch als Künstler entledigt Ende auch aller materiellen Sorgen – bis zur Katastrophe um die Verfilmung der Unendlichen Geschichte (s. u.).
Schnell allerdings zeigen sich auch die Schattenseiten des Erfolges. In der deutschen Literaturszene tobt gerade die sogenannte Eskapismus-Debatte, in die Ende ganz gegen seinen Willen hineingezogen wird. Ausgerechnet er, der sich gerade erst von den didaktischen Fesseln der Brechtschen Kunsttheorie zu befreien beginnt und dessen gesamtes Werk in geradezu exemplarischer Weise sozialkritisch ist, sieht sich plötzlich als typischer Verfasser von »Fluchtliteratur« gebrandmarkt, die den Blick auf die ökonomischpolitisch-soziale »Realität« verstelle. 1970 hat Ende es schließlich satt, sich ständig für seine Art des Schreibens rechtfertigen zu müssen, und zieht mit seiner Frau nach Genzano bei Rom, wo er 1973 den noch in Deutschland begonnenen Märchenroman Momo vollendet. Obwohl in Aufbau und erzählerischer Brillanz dem späteren Welterfolg Die unendliche Geschichte durchaus ebenbürtig, findet Momo ursprünglich wenig Resonanz. Erst nach der Prämierung mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 1974 beginnen sich die Leser langsam für Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte (so der Untertitel) zu interessieren. Zwischen und neben seinen Romanen verfaßt Ende ungeachtet seiner Selbsteinschätzung als »schrecklich faul« (NG 299) zahlreiche Gedichte und kurze Erzählungen, vor allem aber Dramen, darunter das jahrelang kaum beachtete, später jedoch viel gespielte Gauklermärchen. 1977 ermutigt ihn sein Verleger Hansjörg Weitbrecht, sich wieder einmal an einen Roman zu wagen, und läßt sich diverse Ideen aus Endes »Zettelkasten« vortragen. Bei einer kurzen Notiz über einen Jungen, der beim Lesen eines Buches buchstäblich in die Geschichte hineingerät, horcht er auf: »Du solltest das machen« (NG 300). Zögernd willigt Ende ein, meint aber, dieser Plot reiche maximal für ein Büchlein von hundert Seiten. Er irrt sich: Aus seiner Idee entsteht Weltliteratur.
Als Die unendliche Geschichte im Herbst 1979 in einer Auflage von nur 20.000 Exemplaren erscheint, ist Ende der Stoff unter den Händen zu einem hochkomplexen Roman mit kunstvoll ineinander verschachtelter innerer und äußerer Handlung gewachsen, der gleichzeitig durch die Unmittelbarkeit und Vitalität seiner Bilder besticht. Die Vorsicht des Verlags, der eine Überforderung der Leserschaft befürchtet, erweist sich bald als völlig unbegründet: Nicht nur wird der Roman mit Preisen regelrecht überhäuft, auch die Verkaufszahlen steigen rasch in schwindelerregende Höhen. Übersetzungen in alle Weltsprachen und damit der internationale Durchbruch lassen nicht lange auf sich warten. Auch Momo wird nun in zahlreiche Sprachen übersetzt, wobei sich vor allem die Übertragung ins Japanische als folgenreich erweist: Die massiv von Phänomenen der Entwurzelung bedrohte japanische Gesellschaft saugt das kapitalismuskritische Märchen Endes geradezu auf. Auf diesem Höhepunkt des Erfolges tritt der Produzent Dieter Geissler mit dem Projekt einer Verfilmung der Unendlichen Geschichte an den Autor heran. Nach langem Zögern willigt Ende unter der Bedingung ein, daß die künstlerische Botschaft seines Romans gewahrt bleiben müsse. Geissler indes wählt – ohne Ende davon in Kenntnis zu setzen – die Neue Constantin von Bernd Eichinger (Das Boot) als Partner, der Die unendliche Geschichte rücksichtslos zu einem sinnfreien Actionspektakel Hollywoodscher Prägung pervertiert. Als der Autor dies zu spät bemerkt und die Notbremse ziehen will, droht ihm Eichinger wütend mit einer Schadenersatzklage in Millionenhöhe. Ende kann schließlich den (kommerziell sehr erfolgreichen) Film The Neverending Story, dessen Handlung aus Marketinggründen in eine amerikanischen Großstadt verlegt worden ist, nicht verhindern: Ein Prozess, den er gegen die Produktionsfirma anstrengt und der ihn an den Rand des finanziellen Ruins bringt, geht verloren. Daß das Gericht dabei sinngemäß feststellt, die erwiesenermaßen grobe Verzerrung von Endes Roman sei nicht weiter relevant, da dieser sich vorwiegend an jugendliches Publikum wende, muß Ende, der sich sein Leben lang gegen die Stigmatisierung als »Kinderbuchautor«, ja gegen die Einteilung von Literatur in »hochwertige« Erwachsenen- und »unterhaltende« Kinderliteratur als solche wehrt, als besondere Verhöhnung empfinden.34 Seine schwerste Prüfung steht ihm indes noch bevor: Seine energische Frau Ingeborg, die sich bis zuletzt mit ganzer Kraft gegen The Neverending Story gestemmt hat, stirbt, unmittelbar nachdem sie den Film in einem italienischen Kino gesehen hat, völlig unerwartet an einer Lungenembolie. Erschüttert bricht Ende die Zelte in Italien ab und kehrt nach München zurück, wo er erfährt, daß er durch betrügerische Machenschaften seines Steuerberaters vor dem endgültigen Bankrott steht. Er sieht sich gezwungen, nicht nur Möbel und Bilder seines Vaters, sondern auch die Zeichentrickfilmrechte zu Jim Knopf, Momo und Die unendliche Geschichte zu verkaufen.
Halt findet der unermüdliche Ende, der 1983 inmitten des zeit- und kraftraubenden Streits um The Neverending Story einen anspruchsvollen, bemerkenswert düsteren Erzählband mit dem Titel Der Spiegel im Spiegel vorgelegt hat, in neuen Projekten. Gemeinsam mit dem befreundeten Komponisten Wilfried Hiller verfaßt er mehrere Opern und Singspiele, wie das bis heute gern gespielte Traumfresserchen oder Der Rattenfänger, eine Auftragsarbeit des Theaters Dortmund – wobei Ende den weltbekannten Sagenstoff unvermutet zu einem »Aufschrei gegen das materialistische Denken« (Hocke/Neumahr)35 umgestaltet, was speziell bei den irritierten Einwohnern Hamelns auf wenig Begeisterung stößt. Als wichtigstes »Alterswerk« Endes gilt indes – zu Recht – sein Roman Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch (1989), sein zweifellos humorvollstes Werk, hinter dessen leichtfüßiger Ironie sich jedoch unschwer schärfste Zivilisationskritik erkennen läßt. Die Mischung aus Tierfabel und Schauerroman, die Themen wie Umweltzerstörung oder Geldgier Erwachsenen wie Kindern unmittelbar zugänglich macht, wird zu einem seiner meistgelesenen Bücher, dessen Theaterfassung unter der Intendanz von Endes Jugendfreundin Ruth Drexel mit großem Erfolg am Münchner Volkstheater aufgeführt.
In jene Zeit fällt auch die Heirat Endes mit Mariko Sato, der japanischen Übersetzerin seiner Werke, mit der ihm indes nur noch sechs Jahre seines Lebens vergönnt sind. Seit 1992 verschlechtert sich seine Gesundheit zusehends; im Juni 1994 erfährt er, daß er an Magenkrebs erkrankt ist. Operationen und Chemotherapien bleiben ohne Erfolg. Am 28. August 1995 stirbt Michael Ende in der Filderklinik bei Stuttgart und wird am 1. September im kleinen Kreis auf dem Münchener Waldfriedhof beigesetzt. Über den Trauergästen ertönt ein Chor aus Endes einzigem in bairischer Mundart verfaßtem Werk, der Oper Der Goggolori: »Unsa Lem is zkurz und gar boid kummt da Dod, und is deangaschd [dennoch] a himmlische Gnadn.«