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Fanny und Yves Jean

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»Brauchst du noch lange?«, rief er in die Küche hinein, die als einziger Raum im ganzen Haus noch immer hell erleuchtet war.

»Ja, wieso?«, fragte sie von drinnen.

»Ich wollte mal die Lichter löschen, das ist doch ein ziemliches Gewitter da draußen. Will nicht, dass die Sicherungen schon wieder alle rausfliegen.«

»Jetzt sei nicht so ein Schisser«, rief Fanny lachend. »Wenn es irgendwo einschlägt, dann doch wohl im Château. Seitdem der Bürgermeister sich noch das Spitzdach hat stuckieren lassen, sind wir fein raus.«

»Hast auch wieder recht«, gab er zurück, öffnete dann aber doch die Salontür, die aus dem Gastraum in die Küche führte, und ging hinein. »Was riecht hier überhaupt so verführerisch?«

»Ich bereite für morgen Confit de Canard zu. Bei diesem Wetter werden die Gäste morgen Lust auf etwas Deftiges haben. Hier, sieh mal …«

Er blickte in den großen Schmortopf, in dem ein kräftiger Sud aus Zwiebeln, Rotwein und Knoblauch garte. Eben gab Fanny die weißen Bohnen aus Tarbes hinzu, die zusammen mit den lange geschmorten Entenkeulen serviert werden würden.

»Hm, das sieht ja köstlich aus.«

»Als Vorspeise wird es Sellerie mit Remoulade und Nüssen geben. Suchst du uns einen guten Wein dazu aus? Wir haben Reservierungen für sechs Tische.«

»Ich gehe gleich in den Keller«, sagte Yves, der von jeher in ihrem kleinen Restaurant für die Weine und den Service verantwortlich war. »Ich glaube, wir haben noch sechs Flaschen von dem herrlichen Château Gloria Saint-Julien aus 2009. Der würde perfekt zu dem Fleisch passen.«

»Abgemacht. Ich brauche sicher nur noch eine Stunde, dann komme ich herüber.«

»Kann ich dir noch bei irgendwas helfen?«, fragte Yves liebevoll, allerdings, ohne ihr zu nahe zu kommen. Er wusste, dass Fanny in der Küche hochkonzentriert war und keinerlei Berührung zuließ. Hier, zwischen dem Herd und der Arbeitsplatte, war sie die Chefin.

»Nein, vielen Dank, Liebster. Hol nur den Wein hoch und vielleicht machst du schon die Tische zurecht. Dann haben wir morgen weniger zu tun. Wer weiß, wie der Garten nach dem Sturm aussieht, vielleicht müssen wir morgen früh erst mal aufräumen.«

»Gut«, sagte er und wollte gerade gehen, da zog sie ihn zu sich und küsste ihn. Nicht nur einmal, gleich mehrfach und so heftig, dass ihm beinahe die Luft wegblieb.

»Wofür war das jetzt?«, fragte er atemlos lächelnd.

»Einfach so, weil es mir so gut geht«, sagte sie und strahlte ihn an. »Ich glaube, wir haben das Gröbste überstanden. Diese Saison wird super, endlich werden wir aus den roten Zahlen kommen, und dann können wir uns nach einem langen Sommer einen wirklich schönen Urlaub leisten. Darauf freu ich mich einfach. Wir haben so dafür gekämpft.«

Sie küsste ihn noch einmal und sie hielten sich noch eine Weile, bis er es nicht mehr aushielt, weil ihn der Schmorgeruch der Entenkeulen in der Nase kitzelte. Sie bezogen die Tiere von einem Bauern, der sie eine Stunde südlich von hier in den endlosen Wäldern des Landes aufzog – die Enten waren so schmackhaft, dass es kaum auszuhalten war.

»Ich gehe in den Keller«, sagte er und verließ die Küche, ging durch den kleinen Gastraum, sah noch, wie draußen die ersten Blitze zuckten, und hörte den Regen gegen die weite Fensterfront prasseln. Sieben Tische standen in ihrem Gastraum bereit, für zwei, vier und einer für zehn Personen. An der Eingangstür hing das umgedrehte Schild:

Fermé – Jour de repos Geschlossen – Ruhetag

Später, im Sommer, hätten sie noch mal sieben Tische auf ihrer hölzernen Terrasse mit Blick über das Bassin – wie sehr sie sich dafür ins Zeug gelegt hatten. Er nahm die Treppe hinunter in den kleinen Weinkeller, der früher ein simpler Heizungskeller gewesen war. Yves selbst hatte die roten Steine verlegt und die Lüftung eingebaut, beides gewährleistete das ideale Klima für die wenigen Schätze, die schon hier lagerten – und für die vielen Schätze, die noch folgen sollten. Er plante, den Weinkeller in den nächsten Monaten richtig aufzustocken. Nach dieser Saison, wenn sie endlich liquide waren.

Fanny hatte recht. Die ersten drei Jahre waren der pure Kampf gewesen. Sie hatten ihre Jobs in Paris nach einer jahrelangen Diskussion aufgegeben: Warum sollten sie bis zur Rente weitermalochen, sie im Krankenhaus, er in einer Werbeagentur, von morgens um neun bis abends um acht, und weiter überhaupt nichts vom Leben haben? Also hatten sie entschieden, ihr liebstes Hobby zum Beruf zu machen: Gäste zu empfangen, zu bekochen, zu bewirten. Der Fund der Immobilie war ein Glücksfund im Internet – was für eine Gelegenheit. Sie hatten in ihren lukrativen Berufen ein erkleckliches Sümmchen zusammengespart – doch natürlich hatten sie das eigene Kapital hoffnungslos über- und die Kosten unterschätzt. So war der Kauf des Restaurants noch einigermaßen glattgelaufen, dann aber begannen die Probleme: Anmeldungen, Steuervorauszahlungen, teurer Wareneinsatz – und zuerst kamen nicht mal Kunden. Erst nach und nach liefen die Geschäfte besser, doch derweil begann der Streit mit dem Nachbarn. Einem sehr mächtigen Nachbarn.

Wenn er daran dachte, wurde er schon wieder wütend. Nächtelang hatte er wegen der Terrasse wach gelegen und den Mann verflucht, der ihnen Steine in den Weg legen wollte – so kurz vorm Ziel. Fanny hatte gescherzt, sie habe sogar Mordgelüste.

Doch die letzten Monate, über den Winter, hatte sich die Lage beruhigt. Würden sie ihren Traum nun endlich genießen können? Er hoffte es sehr.

Er spürte, wie sich sein Atem beruhigte, je länger er die liegenden Flaschen in den steinernen Regalen ansah, über die Etiketten strich und den Geruch von Staub und Kork und Wein genoss.

Schließlich griff er nach einer Flasche vom 2009er Château Gloria Saint-Julien und hielt sie gegen das Licht. Der Wein war tiefrot und ganz klar. Perfekt. Über sich hörte er den Sturm am Dach des Wintergartens rütteln. Beängstigend. Er nahm die Flasche und zwei weitere des gleichen Weins und trat den Weg zurück nach oben an.

Rue de Paradis

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