Читать книгу Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) - Alexandra Lavinia Zepter - Страница 16
Оглавление2.1 Einblicke in Embodiment-Theorien
Der Begriff Embodiment stammt ursprünglich aus den KognitionswissenschaftenKognitionswissenschaften, wird aber inzwischen in weiteren humanwissenschaftlichen Disziplinen verwendet. Ins Deutsche lässt er sich nur schwer übersetzen, am ehesten vielleicht mit ‚Verkörperung’, obgleich dies bedeutungsbezogen nicht wirklich treffend ist. Wir favorisieren die Rede von ‚KörperverankerungKörperverankerung’ oder ‚KörpereinbettungKörpereinbettung’.
Basis und allen Embodiment-Ansätzen gemein ist die Annahme, dass bei einer In-Bezug-Setzung von PsychischemPsychisches (= GeistGeist, Seele) und PhysischemPhysisches (= Körper) nicht nur Geist und GehirnGehirn eng zusammenhängen (vgl. Tschacher 2006). Stattdessen geht man davon aus, dass sich inneres Erleben aus einem komplexen Zusammenspiel heraus gestaltet – zwischen Geist, Gehirn und Körper bzw. zwischen Denken (Kognition),Denken (Kognition) Wahrnehmen (Sinne),Wahrnehmen (Sinne) Fühlen (Emotionen)Fühlen (Emotionen) und Bewegen (Motorik)Bewegen (Motorik) (siehe Abb. 2.2).
Abb. 2.2:
EmbodimentEmbodiment
Geist vs. Gehirn
Geist wird hier als eine psychische Größe mit Kognition gleichgesetzt und Kognition als die Gesamtheit aller Prozesse und Strukturen des Geistes aufgefasst. Kognitive Prozesse umgreifen u.a. alle Formen des Denkens wie etwa Schlussfolgern, Urteilen, Planen, Entscheiden, Problemlösen, Erinnern, Vorstellen etc. Beispiele für kognitive Strukturen sind Wissen, Begriffe, Gedächtnis. Auch unsere Sprachfähigkeit kann als ein geistiges/kognitives Vermögen erachtet werden.
Das menschliche Gehirn ist (im Gegensatz zum Geist) physisch und der im Kopf des Körpers gelegene Teil des zentralen Nervensystems; das zentrale Nervensystem umfasst Gehirn und Rückenmark und ist der zentrale Ort, wo alle Informationen des Körpers über neuronale Netzwerke verarbeitet werden.
In den Wissenschaften besteht heute Konsens darüber, dass das menschliche Gehirn dafür verantwortlich ist, nicht nur die körperlichen Informationen zu verarbeiten, sondern auch alle geistigen/kognitiven Prozesse und Strukturen zu regulieren. Uneinigkeit herrscht aber nach wie vor darüber, in welchem Zusammenhang Physisches (inklusive des Gehirns) und Psychisches genau stehen. Embodiment-Theorien geben dafür eine mögliche Beschreibung.
In Embodiment-Theorien spricht man im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses des menschlichen Organismus davon, dass Geist und Körper eine funktionelle Einheit bilden. Damit ist gemeint: Menschliche Kognition benötigt, um sich im Zuge des menschlichen Daseins entwickeln und intelligent arbeiten zu können, über das Gehirn hinaus eine Umwelt, in die das Gehirn eingebettet ist und die den Menschen mit Erfahrungen versorgt.
Ausschlaggebend ist die These, dass der Körper selbst bereits ein Teil der unverzichtbaren Umwelt ist. Über die Sinne wirken nicht einfach Umweltreize auf einen Organismus ein und veranlassen ihn zu bestimmten Denkprozessen und einem Verhalten bzw. zu einer motorischen Reaktion. Kognition findet vielmehr in ständiger Wechselwirkung statt – einerseits mit dem Zustand der äußeren Umwelt, andererseits mit dem Zustand der inneren Umwelt, also mit dem Zustand des Körpers. Dabei spielen für den Ablauf der kognitiven Prozesse, für das, was wir denken, u.a. der Körperausdruck, die Körperhaltung, die Körperspannung und die Emotionen eine wesentliche Rolle. Sowohl die weitere Umwelt als auch der Körper können als Kontrollparameter auf die kognitiven Musterbildungen Einfluss nehmen (vgl. Tschacher 2006: 15, 31; Lakoff & Johnson 1999: 16ff.). Somit konstituiert der Körper also zugleich sowohl ein Medium für Umwelterfahrung als auch selbst eine Erfahrungsquelle.
Wir geben im Folgenden einige Beispiele, um den komplexen wechselseitigen Einfluss von Kognition und allen körperlich-sinnlichen Dimensionen zu illustrieren. Das erste Beispiel betrifft den Zusammenhang von Bewegung, Emotionen und Denken und stammt aus der Studie von Michalak, Rhode & Troje (2015), zitiert in Tschacher (2022).
Bewegung, Emotion und Denken
Wenn wir gehen, tun wir dies in einer bestimmten Gangart, die je nach unserer emotionalen Stimmung variieren kann. Intuitiv naheliegend ist die Auffassung, dass unsere emotionale Stimmung unsere Gangart beeinflusst. Wenn wir fröhlich sind und uns fröhlich fühlen, gehen wir mit einer aufrechteren Körperhaltung und ‚beschwingter‘, als wenn wir traurig sind. Letzteres führt eher dazu, dass wir die Schultern hängen lassen, gebeugter gehen etc. Michalak, Rohde & Troje (2015) konnten in ihrer experimentellen Studie zeigen, dass auch die andere Einflussrichtung möglich ist: Die Gangart kann unsere emotionale Stimmung und damit einhergehend unsere sprachliche Erinnerungsleistung beeinflussen.
So funktionierte das Experiment: Die gesunden, erwachsenen Proband:innen mussten zunächst eine Liste, die Wörter mit positiver und negativer Bedeutung enthielt, auswendig lernen. Anschließend sollten sie auf einem Fließband gehen und wurden durch ein Feedback über technische Hilfsmittel dazu gebracht, zwei verschiedene Gangarten umzusetzen: Die eine Gangart entsprach einem ‚fröhlichen Gehenfröhliches Gehen‘, die andere einem ‚traurigen Gehentrauriges Gehen‘. Anschließend an die Phase des Gehens wurde erneut die zuvor auswendiggelernte Wörterliste abgefragt. Die Erinnerungsleistung der Proband:innen mit der fröhlichen Gangart unterschied sich systematisch von der Gruppe mit der traurigen Gangart. Während Erstere sich besser an die Wörter mit einer positiven Bedeutung erinnerten, erinnerten die ‚traurig Gehenden‘ mehr negative Wörter.
Abb. 2.3:
Unterschiedliche GangartenGangarten („fröhlich“, „traurig“)
Ähnlich wie die Gangart scheint auch Gestik Einfluss auf kognitive Prozesse nehmen zu können. Die folgenden Beispiele stammen von der Forschergruppe um Goldin-Meadow (siehe in der Zusammenfassung auch Zepter 2013: 273ff.). Sie zeigen nicht nur, dass Gestik eine Sprecherin bei einer kognitiven Herausforderung konstruktiv unterstützt; sondern auch, dass die Ausführung von Gesten unmittelbar die Gedankenführung beeinflussen kann.
Gestik und Denken, Gedankenführung
Zuerst zum Aspekt der Unterstützung (vgl. Goldin-Meadow et al. 2001): In einem Test lösten Kinder (von im Durchschnitt knapp zehn Jahren) und junge Erwachsene (im Hochschulalter) zunächst selbstständig altersgerechte Mathematikaufgaben. In einem zweiten Schritt sollten die Testpersonen eine Reihe von vorgelegten Testeinheiten memorieren – die Kinder Wörter, die Erwachsenen Zahlen. Anschließend wurden sie gebeten, mündlich zu erklären, mit welchen Teilschritten sie die Mathematikaufgaben gelöst hatten. Letzteres geschah unter zwei Bedingungen: Einmal (a) waren bei den mündlichen Erläuterungen spontane HandgestenHandgesten erlaubt, das andere Mal (b) mussten die Hände still gehalten werden.
Nach der Erklärungsperiode konnten nun generell sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen signifikant mehr von den zuvor memorierten Testeinheiten eben dann erinnern, wenn sie bei der zwischengeschalteten Aufgabenerläuterung spontane Gesten hatten ausführen dürfen. In beiden Gruppen waren diese Resultate unabhängig von dem jeweiligen mathematischen Wissen der Testpersonen robust. Das heißt, der GestenvollzugGestenvollzug verbesserte die spätere Erinnerungsleistung unabhängig davon, wie leicht oder schwer die Testperson die Mathematikaufgabe ursprünglich hatte lösen können. Offenbar entlasten die Handgesten die Sprecherin/den Sprecher bei einer mündlichen Erklärungsaufgabe in Hinsicht auf die kognitiven Ressourcen, so dass im Anschluss mehr Ressourcen für die Erinnerungsaufgabe zur Verfügung stehen (vgl. Goldin-Meadow et al. 2001: 521).
Darüber hinaus konnten Broaders et al. (2007) nachweisen, dass die Ermutigung zur Ausführung von Handgesten bei Grundschulkindern die Wahrscheinlichkeit erhöht, zuvor ungelöste Mathematikaufgaben schlussendlich zu bewältigen. In der betreffenden Studie galt es, Mathematikaufgaben an der Tafel selbstständig zu lösen und dabei gleichzeitig die gewählte Strategie zu erläutern. Dabei zeigte sich, dass Kinder, die an den gestellten Aufgaben zuerst scheiterten, von einem zusätzlichen Gesteneinsatz durchschlagend profitierten. Offensichtlich setzte der Weg über die Gestik weitere Kreativität frei bzw. ermöglichte es, zuvor unzugängliches Wissen verfügbar zu machen und neue Problemlösungsstrategien anzuwenden.
Ein weiteres Beispiel von Beilock & Goldin-Meadow (2010) belegt, dass das Potenzial von Gesten so weit greift, dass ihre Ausführung unmittelbar den Aufbau kognitiver Repräsentationen beeinflussen kann. D. h., hier zeigte die experimentelle Untersuchung, dass nicht nur der Handlungsvollzug, sondern auch Gestik relevante Aktionsinformationen zu den kognitiven Repräsentationen, die Personen von einer betreffenden Handlungsaufgabe haben, hinzufügt. Mit anderen Worten, die Beschreibung einer Handlungsaufgabe qua Gestik verändert unser Denken über die Aufgabe. Ist die ergänzte Information kompatibel mit den für die Aufgabe erforderlichen Teilhandlungen, verbessern sich im Anschluss weitere Durchführungen der Aufgabe; ist sie es nicht, so tritt eine Verschlechterung ein.
So funktionierte die Studie: Die Teilnehmer:innen mussten in einem ersten Schritt das mathematische Geduldsspiel der ‚Türme von Hanoi’ lösen; ein Problem, bei dem es gilt, einen Turm aus nach oben hin kleiner werdenden Scheiben unter bestimmten beschränkenden Stapelbedingungen ab- und wieder aufzubauen.
Abb. 2.4:
Türme von Hanoi (plus Lösungsweg)
Anschließend sollte mittels Gestik der gefundene Lösungsweg beschrieben und abschließend das Turmspiel wiederholt werden.
In einem Teil der Fälle wurden nun die Türme für den Wiederholungsgang manipuliert. Die Gewichte der Scheiben wurden so verändert, dass die kleinste Scheibe schwer und nicht mehr gut mit einer Hand tragbar, die größte dafür leicht war usw. Das Spiel wurde also so verändert, dass die zuvor etablierten gestischen Informationen nicht mehr zu den erforderlichen Teilhandlungen der Aufgabe passten. Das Resultat: Die Ausführungsleistung verschlechterte sich signifikant.
Ein wesentlicher Punkt ist dabei: Die Ausführungsleistung litt bei entsprechend widersprüchlicher Manipulation auch bei Testpersonen, denen der Lösungsweg zuvor nur mittels Gestik demonstriert worden war; also bei Personen, die die ‚Türme von Hanoi’ noch nicht selbst gelöst hatten, jedoch durch die Ansicht einer gestischen Demonstration auf die Handlungsaufgabe vorbereitet bzw. kognitiv beeinflusst worden waren (vgl. Beilock & Goldin-Meadow 2010: 1609).
Dieser Abschnitt hat illustriert, wie eng Kognition und Körper generell verbunden sind und wie sie sich wechselseitig beeinflussen können. Das folgende Kapitel 2.2 zeigt auf, dass diese enge Verknüpfung auch unser Sprachvermögen und unseren Sprachgebrauch bzw. die sprachliche Begriffsverarbeitung betrifft.