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1.1 Wortverwandtschaften und Bedeutungsvarianten

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Was tun, wenn man die Bedeutung eines Begriffs nicht kennt? Man schlägt im Fremdwörterduden oder in einem etymologischen Wörterbuch (zur sprachlichen Herkunft von Wörtern) nach. Interessanterweise findet sich in Ersterem, dem großen Duden-Fremdwörterbuch, kein eigener Eintrag für Performativität. Unter dem englisch-amerikanischen Stichwort ‚Performance‘ entdeckt man aber performativ. Der Blick ins etymologische Wörterbuch von Kluge (1999) verrät, dass das Adjektiv performativ aus dem Englischen entlehnt und aus dem Verb to performperform (‚ausführen‘) abgeleitet ist.

Abb. 1.1: Duden. Das große Fremdwörterbuch (2003: 1019) Abb. 1.2: Kluge – etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (1999: 621)

Sichtet man zusätzlich ein englisches Lexikon, z. B. das Pons-Großwörterbuch, finden sich für das Verb to perfom die Übersetzungen ‚etwas vorführen‘, ‚etwas verrichten‘, ‚etwas durchführen‘ (ein Experiment, eine Operation), ‚etwas (eine Zeremonie, ein Ritual) vollziehen‘. How did she perform? wird mit ‚Wie war sie?‘ übersetzt und bezieht sich dann auf das Tun bzw. Handeln (do, act) der Person (Pons 2002: 649).

Aus dem englischen Verbstamm perform gehen neben der Adjektivbildung performativ auch die im Deutschen verwendeten Substantivierungen Performance, Performanz und Performer hervor. Wie dem Fremdwörterbuch zu entnehmen ist (Abb. 1.1), werden Performance und (die in Aussprache und Schreibung dem Deutschen angepasste Form) Performanz unterschiedlich verwendet. Performanceperformance und Performanz sind also keineswegs in allen Verwendungskontexten austauschbar.

Die folgende Abbildung 1.3 bietet ausgehend vom Verb to perform eine erste Systematisierung der miteinander verwandten Wörter. Allen gemeinsam ist der Stamm perform:

Abb. 1.3:

Wortverwandtschaften mit dem Stamm perform und Bedeutungsvarianten

Sowohl beim Verb selbst als auch bei den Ableitungen sehen wir eine Reihe von Bedeutungs­varianten. Bei dieser lexikalischen Mehrdeutigkeit (fachsprachlich auch: AmbiguitätAmbiguität) handelt es sich um PolysemiePolysemie, abzugrenzen von HomonymieHomonymie.

Lexikalische Mehrdeutigke itlexikalische Mehrdeutigkeit

Von lexikalischer Mehrdeutigkeit (Ambiguität) spricht man, wenn Ausdrücke mit derselben Laut- und/oder Schriftform mehr als eine lexikalische Bedeutung aufweisen (Löbner 2003: 58). Es gilt zwei Arten lexikalischer Mehrdeutigkeit zu unterscheiden: die eher selten anzutreffende Homonymie und die für den lexikalischen Bestand einer Sprache typische Polysemie.

Bei Homonymie handelt es sich „um Lexeme mit verschiedenen Bedeutungen, die zufällig dieselbe Form haben“ und die verschiedenen Ursprungs sind (ebd.: 58-59).

Zum Beispiel Ton der Ton als akustisch wahrnehmbare Schwingung

der Luft vs. der Ton als formbares Bodenmaterial.

Von Polysemie spricht man, „wenn ein Lexem ein Spektrum von zusammenhängenden Bedeutungsvarianten hat“ (ebd.: 58), „denen ein gemeinsamer Bedeutungskern zugrunde liegt“ (Bußmann 2002: 524).

Zum Beispiel Ton der Ton als akustisch wahrnehmbare Schwingung der Luft; als Klang; als Betonung/Akzent; als Rede-, Sprech-, Schreibweise (Tonfall); …

Welche Grundbedeutung, welcher Bedeutungskern ist nun aber in den Bedeutungsvarianten (etwas ausführen, etwas durchführen, etwas aufführen, …) des allen Ableitungen zugrundeliegenden Verbs to perform zu erkennen? Als allen Varianten gemein lässt sich die Bedeutung ‚etwas zielgerichtet tun‘ identifizieren (siehe Abb. 1.3). Damit gleicht der Bedeutungskern von perform der Definition von handeln in Abgrenzung zu tun (vgl. zum Handlungsbegriff auch Kapitel 15 in diesem Lehrbuch).

T unTun und Hande lnHandeln

In unserem alltäglichen Sprachgebrauch unterscheiden wir oft nicht zwischen tun und handeln. So wird tun häufig auch als das Ausführen einer Handlung verstanden. U. a. in der Philosophie bemüht man sich jedoch um eine genauere Definition der Begriffe handeln und HandlungHandlung (Prechtl & Burkard 2008: 230f.):

Philosophisch betrachtet, lässt sich Handeln als jedes zielgerichtete Tun des Menschen begreifen. Das Ziel muss nicht notwendig ein (aus der Handlung hervorgehendes) Produkt oder Werk sein, sondern kann auch im Vollzug selbst liegen. Aus psychologischer Perspektive zeichnet sich eine Handlung (in Abgrenzung zu anderen Tätigkeiten) zudem dadurch aus, dass die Aktivität bewusst eingesetzt wird, um das anvisierte Ziel zu erreichen (Aebli 2006: 182).

Man betrachte zum Beispiel die Handlung des Schreibens, bei der unterschiedliche Ziele im Fokus stehen können. Geht es darum, einen Text zu schreiben, z. B. einen Brief, so ist das Ziel der Schreibhandlung ein Textprodukt, das aus der Handlung des Schreibens hervorgeht. Sollen dagegen, z. B. im Anfangsunterricht der Primarstufe, die motorischen Abläufe beim Handschreiben geübt werden, so liegt das Ziel der Schreibhandlung im Vollzug selbst.

Das Beispiel des Schreibens macht auch deutlich, dass – auch wenn das Tun notwendig zielgerichtet sein muss, um als Handeln zu gelten – die Absichten der Person, die handelt, vielfältig und in sich komplex sein können. Ich kann z. B. die Handlung des Briefschreibens ausführen und mein Ziel kann der fertige Brief sein, den ich an meine Freundin schicken möchte. Gleichzeitig kann ich mit dem Briefschreiben jedoch auch die Absicht verbinden, meine Gedanken und meine Gefühle zu klären und für mich selbst genauer zu verstehen, warum mich ein bestimmtes Erlebnis, von dem ich meiner Freundin im Brief berichte, traurig oder wütend gemacht hat. Auch hier liegt das Ziel im Vollzug selbst.

Angesichts des gemeinsamen Bedeutungskerns eines zielgerichteten Tuns überrascht es, dass in allen aufgeführten Wörterbüchern bei den perform-Einträgen handeln, das Handeln und die Handlung nahezu keine Erwähnung finden. Diese Beobachtung löst noch mehr Erstaunen aus, wenn wir uns den Verwendungen von performativ in den Diskursen der Fremdsprachen- und Zweitsprachendidaktik zuwenden und dort entdecken, dass performative Methoden in der Regel als handlungsorientiert definiert werden.

Den aufmerksamen Lesenden wird jedoch auch nicht entgangen sein, dass Handlung zumindest an einer Stelle im Fremdwörterduden (Abb. 1.1) auftaucht. Dort wird performativ als ein Fachbegriff aus der Sprachwissenschaft ausgewiesen – als „eine mit einer sprachlichen Äußerung beschriebene Handlung zugleich vollziehend, z. B. ich gratuliere dir“. Was ist darunter genau zu verstehen? Und ist performativ ausschließlich ein sprachwissenschaftlicher Fachbegriff?

Eine weiterführende Recherche fördert zu Tage, dass der Handlungsbegriff für die begriffliche Bestimmung von performativ nicht nur in der Sprachwissenschaft, sondern auch in zahlreichen anderen Fachdiskursen zentral ist – und dass überdies erst in diesen anderen Fachdiskursen der Begriff Performativität thematisiert und diskutiert wird, dessen Bedeutung in unserer Systematisierung in Abb. 1.3 noch einen blinden Fleck darstellt.

In den verschiedenen Fachdiskursen werden performativ und Performativität jedoch z. T. mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet, ein übergreifend einheitliches Begriffsverständnis gibt es nicht. So gesteht u.a. auch Hudelist (2017: 9) in einem Beitrag zu „Performanz, Performativität und Performance“ bereits in seinem Beitragstitel ein, dass ihm nur eine „unvollständige Rekonstruktion“ der Begriffe gelingen kann. In seiner Darlegung weist er zudem darauf hin, dass die „Anwendungsgebiete […] sehr vielfältig [sind] und […] verschiedene Disziplinen [betreffen]. Daraus resultieren manchmal unterschiedliche Verwendungen bzw. Verständnisse der Begriffe“ (ebd.).

In einen direkten Bezug zu Performativität setzt Hudelist den Begriff der Performanz, dessen Mehrdeutigkeit ebenfalls breit gefächert ist. Nach Wirth (2002: 9) geben „auf die Frage, was der Begriff Performanz eigentlich bedeutet, […] Sprachphilosophen und Linguisten einerseits, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen oder Medienwissenschaftler andererseits sehr verschiedene Antworten“.

Herausfordernd ist diese Mehrdeutigkeit nicht zuletzt deshalb, weil u.a. in den Kulturwissenschaften die mit den Begriffen Performanz und Performativität verbundenen Denkanstöße großen Einfluss genommen haben; ja, in den 1990er Jahren gar zu einem performative turn führten (vgl. Hudelist 2017: 16).

Einzugestehen ist an dieser Stelle, dass das bis hierhin skizzierte Begriffsbild noch keineswegs zufriedenstellend ist. Einerseits erscheint es unvollständig (es fehlt trotz Konsultation der Wörterbücher die Bedeutung für Performativität) und andererseits in Anbetracht der Bedeutungsvarianten und unterschiedlicher Verwendungskontexte auch verwirrend. Wir bitten die Lesenden an dieser Stelle um etwas Geduld und versprechen in Abschnitt 1.4 mehr Transparenz zu schaffen. Zuvor laden wir dazu ein, in zwei Fachdiskurse einzutauchen, um den dortigen Verwendungsweisen der Begriffe nachzuspüren. Abschnitt 1.2 führt uns zunächst in die Sprachwissenschaft, in der das Attribut performativ in Anwendung auf sprachliche Äußerungen historisch zum ersten Mal definiert und diskutiert wurde. Dem sprachwissenschaftlichen Verständnis von Performanz und Performativität stellen wir in Abschnitt 1.3 eine kunst- bzw. theatertheoretische Perspektive auf Performance und Performativität gegenüber. Nach dem klärenden Zwischenfazit von 1.4 zur Systematisierung der Begrifflichkeiten in den beiden ausgewählten Fachdiskursen entwickeln wir darauf aufbauend in Abschnitt 1.5 eine didaktische Perspektive auf Performativität. Ziel des Kapitels ist einerseits, einen Überblick über das Spektrum möglicher Verwendungsweisen und Bedeutungsnuancen der Begriffe performativ, Performanz, Performance und Performativität zu gewinnen, um anderseits final (in Abschnitt 1.6) das Lehr- und Praxisbuch mit seinem Verständnis von Performativität im Begriffsspektrum zu verorten.

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)

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