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Körperliche Raumerfahrungkörperliche Raumerfahrung und Interpretation von ZeitInterpretation von Zeit

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Ein Beispiel für diese Dynamik geben Boroditsky & Ramscar (2002), deren Studie illustriert, wie unsere Raumerfahrungen in alltäglichen Situationen (z. B. auf einer Zugfahrt oder in einer Warteschlange) auch kurzfristig unser Denken über Zeit – also unseren abstrakten Begriff von Zeit – variieren lassen. Der Einfluss unserer körperlichen Erfahrungen ist dabei eng verknüpft mit dem, was wir von diesen Erfahrungen (kognitiv) reflektieren (vgl. ebd.: 185).

Boroditsky & Ramscar gehen zunächst von der Differenzierung zweier verschiedener Zeitvorstellungen aus – beide übertragen (auf einer Vorne-hinten-Achse) eine körperliche Erfahrung von Raum auf Zeit. Bei der ersten, der ‚Ego-moving Perspective’Ego-moving Perspective, erlebt man sich selbst als vorwärts bewegend durch die Zeit, bei der zweiten, der ‚Time-moving PerspectiveTime-moving Perspective’, scheint man selbst als fixer Punkt im Raum, auf den sich die Zeit (quasi wie ein heranschnellender Zug) zubewegt.

Abb. 2.9:

‚Ego-moving Perspective‘ – ‚Time-moving Perspective‘

Wir können diese beiden Perspektiven mit folgendem im Englischen und im Deutschen mehrdeutigen Szenario voneinander abgrenzen. Angenommen, man spricht über ein Meeting, das ‚nächsten Mittwoch‘ stattfinden sollte, nun aber ‚zwei Tage nach vorne geschoben‘ wurde; im Englischen: „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ (Boroditsky & Ramscar 2002: 185).

An welchem Tag findet das Meeting dann statt? Aus der ‚Ego-moving’-Perspektive, bei der man sich selbst in der Zeit nach vorne bewegt, wird man schließen, das Meeting sei auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, und dementsprechend das neu angesetzte Meeting auf Freitag datieren. Hingegen wird eine Person, die die ‚Time-moving’-Perspektive einnimmt und somit die Zeit als ihr entgegenkommend erlebt, das Meeting auf Montag vorverlegt interpretieren.

Das erstaunliche Ergebnis der Studie von Boroditsky & Ramscar ist, dass die ‚Ego-moving’- und die ‚Time-moving’-Perspektive keine fixe Vorstel­lung zu sein scheinen und dass Personen nicht entweder nur über das eine oder das andere Bedeutungskonzept verfügen. Stattdessen legt die Untersuchung nahe, dass eine Perspektive in Abhängigkeit vom jeweiligen Situationskontext gewählt und von den damit verbundenen Raumerfahrungen direkt beeinflusst wird. So zeigte das Experiment in einer Warteschlange, dass Wartende systematisch umso eher die ‚Ego-moving’-Perspektive einnahmen, je mehr bzw. weiter sie sich gerade zuvor tatsächlich im Raum nach vorne bewegt hatten.1

Noch ein abschließender und zum nächsten Abschnitt überleitender Gedanke zur Sprachverarbeitung: Den Proband:innen der Studie wurde zur Ermittlung der jeweils eingenommenen Perspektive das Meeting-Szenario vorgelegt und sie mussten den betreffenden Satz „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ interpretieren. Um die Satzbedeutung zu bestimmen, muss der jeweilige Satz (wie jede sprachliche Äußerung) kognitiv verarbeitet werden. Wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, wurde hierbei auf die eigene unmittelbare körperliche Erfahrung zurückgegriffen. Damit liefert die Studie von Boroditsky & Ramscar unterstützende Daten für die Annahme, dass Erfahrungsspuren bei der Sprachverarbeitung reaktiviert werden. Noch expliziter belegen dies die Reaktionszeitexperimente, die wir im folgenden, letzten Abschnitt des Kapitels vorstellen.

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)

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