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1.2 Performativität und Performanz in der SprachwissenschaftSprachwissenschaft

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Wir steigen ein mit der Performanz, denn die sprachwissenschaftliche Verwendung von performativ lässt sich besser nachvollziehen, wenn man die von Performanz bereits kennt. In der Sprachwissenschaft kommt der Ausdruck als Fachbegriff in der Regel nicht alleine vor, sondern wird in Opposition zu KompetenzKompetenz gebraucht. Das zweigliedrige (= dichotome) Begriffspaar Sprachkompetenz/SprachperformanzSprachkompetenz/Sprachperformanz (im Englischen linguistic competence vs. linguistic performance) stammt von dem Linguisten Noam Chomsky (*1928), der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel hin zu einer damals ‚neuen‘, vorrangig kognitiv orientierten Linguistik einläutete (vgl. Zepter 2013: 80f.).

Dabei greift Chomsky mit Sprachkompetenz/Sprachperformanz eine Unterscheidung auf bzw. führt sie weiter, die vor ihm bereits Ferdinand de Saussure (1857-1913), ebenfalls ein maßgeblicher Wegbereiter in der Sprachwissenschaft, mit seiner dichotomen Unterscheidung von languelangue (SprachsystemSprachsystem) und paroleparole (SprachgebrauchSprachgebrauch) getroffen hatte. Sprachliche Performanz (ebenso parole) bezieht sich in diesem Kontext auf den konkreten Gebrauch von Sprache, also auf jedes in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort stattfindende individuelle Sprachverwendungsereignis.

Abb. 1.4:

Performanz

Immer dann, wenn wir Sprache gebrauchen, wenn wir sprechen oder wenn wir zuhören, sind das Instanzen unserer Sprachperformanz. Chomsky ging u.a. von der Beobachtung aus, dass wir beim Gebrauch unserer Erstsprache, die wir in unseren ersten Lebensjahren in der Regel scheinbar mühelos und ohne expliziten Sprachunterricht unserer Eltern erwerben, beliebig Sätze bilden können – Sätze, die wir ggf. vorher noch nie irgendwo gehört haben. Man kann das selbst ausprobieren. Denken Sie sich aus, was Sie in zehn Jahren gerne machen möchten, und erzählen Sie das einer Freundin/einem Freund oder schreiben Sie es auf. Von Relevanz ist nicht so sehr, was Sie inhaltlich sagen; Chomskys Punkt wäre stattdessen, dass Sie sich bei Ihrer Zukunftsgeschichte nicht darauf beschränken werden, einzelne Wörter unverbunden aneinanderzureihen. Sie werden Sätze bilden, die einer bestimmten Ordnung, einer Satzstruktur, folgen; und zwar auch, wenn Sie gar nicht explizit darauf achten oder wenn ein Satz dabei ist, den Sie inhaltlich so vorher noch nicht in einem anderen Kontext gehört haben. Selbst wenn Sie im Rahmen Ihres Sprachgebrauchs Fehler machen, wissen Sie im Prinzip doch, wie Sie auf einer basalen Ebene in Ihrer Erstsprache grammatisch korrekte Sätze bilden können. Tiere, so Chomsky, können das nicht, nur Menschen sind hierzu in der Lage.

Chomskys zentrale These war, dass eine solche SprachverwendungSprachverwendung (= Sprachperformanz) nur auf der Basis unbewusster kognitiver Strukturen bzw. nur auf der Grundlage einer kognitiven Sprachkompetenz möglich ist (vgl. u.a. Chomsky 2002: 48). Im Visier hatte er eine Kompetenz, über die Menschen, aber nicht Tiere, allgemein von Geburt an verfügen und die sie befähigt, Sprache zu erwerben. Seit den 1950er Jahren konzentriert sich seine Forschung auf die Erschließung der Sprachkompetenz mit dem Ziel, eine Theorie über das damit verbundene syntaktische (= satzstrukturbezogene) Basiswissen zu entwickeln.

Die Erforschung von Sprachperformanz ist diesem Ziel untergeordnet bzw. tritt dahinter zurück. Aber man muss Chomskys Fokus nicht folgen und kann den linguistischen Performanz-Begriff im Prinzip unabhängig von dem Begriffspaar Kompetenz/Performanz und einer spezifischen Priorisierung der beiden Ebenen nutzen. Wertfrei bezieht er sich auch dann auf den Gebrauch von Sprache, also auf die konkrete Sprachverwendung.

Zum Ausgangs- und Ankerpunkt theoretischer Überlegungen avanciert diese konkrete Sprachverwendung bereits in den 1960er Jahren bei dem Sprachphilosophen John L. Austin (1911-1960), der für die Linguistik auch den Begriff der Performativität geprägt hat. Anders als Chomsky interessierte Austin sich im Besonderen für die Bedeutungsdimension von sprachlichen Äußerungen, d. h. für die Frage, was Sätze, wenn wir sie im Kontext einer konkreten Sprachverwendung äußern, bedeuten und wie sich diese Bedeutung systematisch beschreiben lässt.

Sprachphilosoph ieSprachphilosophie vs. Linguist ikLinguistik

Seit dem 19. Jahrhundert und den Arbeiten von Ferdinand de Saussure (1857–1813) wird die Sprachwissenschaft auch als Linguistik bezeichnet. Die Sprachwissenschaft ist eine wissenschaftliche Disziplin, die darauf abzielt, Sprache und Sprechen systematisch zu beschreiben und zu erklären. Die moderne Sprachwissenschaft (= Linguistik) geht grundlegend vom Zeichencharakter menschlicher Sprache aus (→ Ein Wort, z. B. Baum, ist ein sprachliches Zeichen, das als Stellvertreter für eine bestimmte Bedeutung, ein bestimmtes Objekt in der Welt steht). Sie untersucht, was sprachliche Zeichen sind und wie sie in einer Sprache miteinander kombiniert und geordnet (= strukturiert) werden. Dabei sind verschiedene Strukturebenen zentral; z. B. Phonetik/PhonologiePhonetik/Phonologie (→ Lautstruktur), MorphologieMorphologie (→ Wortstruktur), SyntaxSyntax (→ Satzstruktur), SemantikSemantik (→ Analyse der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken), PragmatikPragmatik (→ Analyse des Gebrauchs und der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in konkreten Äußerungssituationen) (vgl. Bußmann 2002: 640).

Die Sprachphilosophie ist ein Zweig der Philosophie und kann heute auch als eine Teildisziplin der Linguistik aufgefasst werden, historisch reicht sie jedoch sehr viel weiter zurück. Die Sprachphilosophie beschäftigt sich mit der Bedeutungsdimension von Sprache und deren Verhältnis zur Wirklichkeit. Ihr Untersuchungsbereich deckt sich damit zu großen Teilen mit dem der Semantik und Pragmatik. Genau betrachtet, waren Sprachphilosophen wie John L. Austin Wegbereiter für die Entwicklung von Semantik und Pragmatik in der modernen Sprachwissenschaft.

Vor Austin hatte sich die sprachphilosophische Tradition mit der Bedeutung von sprachlichen Äußerungen in erster Linie aus der Perspektive heraus beschäftigt, dass Äußerungen „wahrheitsfähige Gebilde“ (Hoffmann 2010: 155) darstellen. Ein Satz wie z. B. Mona sitzt auf dem Stuhl ist eine Aussage, die, wenn sie in einer bestimmten Situation geäußert wird, entweder wahr oder falsch sein kann. Ein möglicher Weg, die Bedeutung des Satzes zu fassen, ist zu sagen, dass wir die Bedeutung von Mona sitzt auf dem Stuhl verstehen, wenn wir genau wissen, in welchen Äußerungssituationen der Satz wahr ist und in welchen er falsch ist – wenn wir also die WahrheitsbedingungenWahrheitsbedingungen des Satzes kennen.

Austin bricht mit dieser Tradition, dass eine Aussage generell als etwas zu definieren ist, das entweder wahr oder falsch sein kann. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Bruch leistet sein Aufsatz „Performative und konstatierende Äußerungkonstatierende Äußerung“ (1962); eben hier expliziert Austin erstmals den Begriff performativ.

Der Ausgangspunkt in Austins Aufsatz ist die Unterscheidung von zwei verschiedenen Typen von Äußerungen: Konstatierende Äußerungen sind solche, die aus der sprachphilosophischen Tradition bereits bekannt sind – Aussagen, die, wenn man sie in einer spezifischen Situation äußert, entweder wahr oder falsch sein können:

Konstatierende Äußerung Eine Äußerung, die etwas aussagt (= konstatiert), das in der Äußerungssituation entweder wahr oder falsch ist: Die Katze ist auf der Matratze. Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig. Mona sitzt auf dem Stuhl. Ich sitze auf dem Stuhl. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 167)

Austins zentrale Beobachtung ist, dass sich nicht alle Äußerungen, selbst wenn sie sprachlich ähnlich oder analog gestaltet sind, unter der Definition einer konstatierenden Äußerung verorten lassen. Performative Äußerungen sind im Kontrast dazu solche, bei denen die Sprecherin mit dem Akt der Äußerung eine Handlung vollzieht. Die Äußerung beschreibt etwas und das, was sie beschreibt, wird im Zuge des Äußerungsaktes zu einer Handlung.

Performative Äußerung Eine Äußerung, mit der die Sprecherin/der Sprecher mit dem Akt der Äußerung das in der Äußerung Beschriebene als Handlung vollzieht: Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“. Ich bitte um Entschuldigung. Ich heiße Sie willkommen. Ich rate Ihnen, das zu tun. Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 163)

Geht man auf die Suche, lassen sich noch viele weitere Beispiele finden. In der Regel treten performative Äußerungen in einer bestimmten syntaktisch-morphologischen Form auf. Das Prädikat steht in der 1. Person Singular und wird durch ein performatives Verb gebildet, das an sich eine Handlung beschreibt, die sich im Äußerungsakt realisiert: Ich gratuliere dir …; ich befehle dir …; ich bezweifle, dass …; ich betone …; ich warne euch …; ich schlussfolgere, dass …; ich fordere dich dazu auf, dass …; ich verurteile dich zu … usw. Durch die Äußerung – also nur dadurch, dass etwas gesagt wird – wird jeweils die Handlung des Gratulierens, Befehlens, Bezweifelns etc. vollzogen.

Nach Austin kann die Handlung einer performativen Äußerung gelingen oder ggf. misslingen, an sich aber weder wahr noch falsch sein. In diesem Sinne könnte man bei der Analyse der Bedeutung von performativen Äußerungen eher von GelingensbedingungenGelingensbedingungen als von Wahrheitsbedingungen sprechen.

Eines der bekanntesten Beispiele von Austin für diesen Zusammenhang ist die Taufformel (vgl. das Beispiel Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“): Soll die Äußerung und damit die Handlung gelingen, muss der Kontext ‚stimmen‘: Wir brauchen eine passende Situation, ein bis dahin noch ungetauftes Schiff muss präsent sein, die Sprecherin oder der Sprecher müssen für den Taufakt autorisiert sein etc. Aber sofern die Gelingensbedingungen erfüllt sind, wird mit dem Akt der sprachlichen Äußerung die Handlung der Taufe vollzogen.

Abb. 1.5:

Beispiel einer performativen Äußerung, Illustration von Austins Taufformel

Bei näherer Betrachtung ist die Unterscheidung zwischen Gelingens- und Wahrheitsbedingungen komplexer, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. So diskutiert Austin in seinem Aufsatz, inwiefern auch konstatierende Äußerungen gelingen oder misslingen können. Wenn jemand zum Beispiel den Satz äußert Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig und Hans hat gar keine Kinder, dann ist es schwierig zu sagen, dass in diesem Kontext der Satz falsch ist; eher könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Aussage in dieser Äußerungssituation unpassend ist und „daneben geht“ (Austin ebd.: 168), also nicht gelingt. Im Übrigen ist die Frage berechtigt, ob nicht auch eine konstatierende Äußerung eine Form des Handelns darstellt: Die Äußerung in einer bestimmten Sprechsituation ist ja auch eine Handlung an sich – ein Äußerungsakt. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig ausspreche, dann tue ich etwas: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. Ich führe damit ebenfalls eine Handlung aus: die des Behauptens.

John R. Searle (*1932), ein ebenfalls für die Theoriebildung maßgebender Sprachphilosoph, der Austins Überlegungen aufgegriffen und weiterentwickelt hat, hat später in seinem Aufsatz „How Performatives Work“ (1989) aber noch einmal explizit darauf gedrungen, dass performative Äußerungen eine besondere Klasse von Akten bzw. Handlungen darstellen. Wenn ich den Satz Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig äußere, dann ist das eine sprachliche Handlung, insofern ich etwas behaupte oder etwas berichte. Die Handlung betrifft den Sprechakt, aber nicht das, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird. Bei einer explizit performativen Äußerungexplizit performative Äußerung wird dagegen nach Searle genau die Handlung vollzogen, die in dem Satz ausgedrückt wird. Searle bringt u.a. das Beispiel, dass man die Handlung des Versprechens vollziehen kann, einfach indem man sagt I promise to come and see you (= „Ich verspreche, dich zu besuchen.“); dass aber dazu im Gegensatz noch keine Eier gebraten werden, wenn man nur sprachlich äußert I fry an egg (ebd.: 535).

Abb. 1.6:

Illustration einer explizit und einer nicht explizit performativen Äußerung

Wir können diesen Unterschied wie folgt an dem Kahlkopf-Satz verdeutlichen: Nach Searle ist die einfache Äußerung Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig keine explizit performative. Anders liegt der Fall, wenn ich den Satz mit einem performativen Verb verknüpfe und z. B. den folgenden komplexen Satz (bestehend aus Haupt- und Nebensatz) äußere: Ich behaupte, dass alle Kinder von Hans kahlköpfig sind. In diesem zweiten Fall erhalten wir eine performative Äußerung. Denn inhaltlich wird nun auf den Akt des Behauptens fokussiert und mit der Äußerung die im Hauptsatz beschriebene Handlung – der Akt des Behauptens – vollzogen.

Wenn wir Searles Punkt zu Austins Analyse hinzufügen, entsteht folgendes Bild: Die Äußerungen Ich brate ein Ei oder Alle Kinder von Hans sind kahlköpfig sind keine explizit performativen Äußerungen, aber in einem weiter gefassten Verständnis von Sprachhandlung können es doch auch sprachliche Handlungen sein. Stellen Sie sich z. B. eine Situation vor, in der eine Fernsehköchin vor den Augen ihrer Zuschauer:innen ein Gericht mit Eiern zubereitet und äußert: Zuerst brate ich ein Ei. Die Äußerung ist vielleicht nicht explizit performativ, kann jedoch als eine sprachliche Handlung des Beschreibens verstanden werden. Indem die Fernsehköchin den Satz äußert, handelt sie sprachlich: Sie beschreibt, was sie am Herd tut. Das Eierbraten ist eine Kochhandlung; das Sprechen bzw. mündliche Beschreiben ist eine SprachhandlungSprachhandlung. Der einzige Unterschied zur explizit performativen Äußerung besteht darin, dass es bei Letzterer statt zwei Handlungen nur eine gibt – eine einzige Handlung, die das betrifft, was inhaltlich in dem Satz beschrieben wird: Ich äußere Ich taufe dieses Schiff „Freiheit“ und durch meine Äußerung wird die Taufhandlung vollzogen; hier gilt also: Sprachhandlung = Taufhandlung.

Noch einmal zurück zu Austin: Austin selbst weist bereits darauf hin, dass Äußerungskonstruktionen mit einem performativen Verb (wie versprechen, befehlen, gratulieren, schlussfolgern etc.) in der 1. Person Singular in erster Linie dazu dienen, „explizit und gleichzeitig deutlicher zu machen, welchen Akt man beim Aussprechen der Wendung zu vollziehen gedenkt“ (Austin 1962/2010: 166). Aber dieser explizite Weg ist nicht der einzige, um sprachlich zu handeln. So können wir z. B. die Handlung des Befehlens im Rahmen einer Äußerung mit einem performativen Verb explizit machen – oder das sprachliche Mittel des Aufforderungssatzes nutzen. Letzteres ist impliziter, die sprachliche Handlung des Befehlens wird aber immer noch strukturell markiert – z. B. im Deutschen mit dem Verb im Imperativ, positioniert am Anfang des Satzes; die Handlung ist damit zu erschließen, wenn wir mit den satzstrukturellen Merkmalen des Aufforderungssatzes vertraut sind:

Sprachhandlung des Befehlens/ der Bitte Sprachhandlungen können mit performativen Verben expliziert, aber auch durch andere sprachliche Mittel lexikalisch und/oder strukturell kenntlich gemacht werden: Ich befehle Dir, die Tür zu schließen. Schließ die Tür! Ich bitte Dich, die Tür zu schließen. Bitte schließ die Tür! Könntest du bitte die Tür schließen?! Beispiele u.a. nach Austin (1962/2010: 166)

Austin gelangte in seiner Auseinandersetzung letztlich zu der Erkenntnis, dass die Möglichkeiten, mit Sprache zu handeln, seine Definition der performativen Äußerungen weitreichend übersteigen und dass die Linguistik vor dem Desiderat steht, die Facetten sprachlichen Handelns noch sehr viel umfassender systematisch zu beschreiben (vgl. Austin 1962/2010: 171).

Das bedeutet, Austin nutzte die Gegenüberstellung konstatierend/performativ eher als „Leiter“, „um die [sprachphilosophische] Tradition zu überwinden“ (Hoffmann 2010: 156). Nach Hoffmann (ebd.) „zeigt [der Aufsatz] den Denkweg […] hin zur Handlungstheorie der Sprache“. In diesem Sinne waren Austins und auch Searles Arbeiten – ihre Darlegung der ersten Sprechakttheorien und einer erstmaligen systematischen Modellierung dessen, was Menschen ‚tun‘, wenn sie ‚sprechen‘ (Austins klassisches Werk How to do things with words, 1962) – in der Folge paradigmenbildend für eine handlungsbezogene Sprachauffassung.

Heute leben diese Ansätze weiter in handlungsorientierten Sprachtheorienhandlungsorientierte Sprachtheorien und zahlreichen sprachwissenschaftlichen und sprachdidaktischen Diskursen. Man vergleiche z. B. die Richtung der funktionalen Pragmatik und die Theorie der sprachlichen Handlungsmuster nach Konrad Ehlich (1998), die richtungsweisend ist für (fachdidaktische) Diskurse zu Bildungssprache, Fachsprache bzw. bildungssprachlichen Praktiken (vgl. u.a. Feilke 2013; Morek & Heller 2019). Nach u.a. Feilke (2013) zeichnen sich Bildungssprache und Fachsprache, die in der Schule und in allen Kontexten der Wissensaneignung und Wissensvermittlung eine zentrale Rolle spielen, gerade dadurch aus, dass in ihnen bestimmte sprachliche Handlungensprachliche Handlungen gehäuft auftreten: Handlungen des Erklärens, Beschreibens, Begründens, Argumentierens etc.

Das Konzept der sprachlichen Handlung wird hier noch weiter gefasst und bezieht sich nicht nur auf einzelne Äußerungen bzw. Sätze, sondern auch auf größere Sprech- und Texteinheiten. Dabei werden neben mündlichen vorrangig Schreibhandlungen bzw. sprachliche Handlungen in geschriebenen Texten berücksichtigt. Der Umstand, dass dabei nicht unbedingt performative Verben, sondern sehr viel weitreichender auch andere für den jeweiligen SprachhandlungstypSprachhandlungstyp charakteristische sprachliche Mittel auftreten können, macht die sprachliche Rezeption und Produktion umso anspruchsvoller. So stellt Feilke (2014) heraus, dass für die verschiedenen Sprachhandlungen je spezifische kommunikativ-sprachliche Handlungskomponenten und wiederkehrende Formulierungen – er nennt sie TextprozedurenTextprozeduren – typisch sind. Ein Beispiel: Wenn man im Rahmen einer Argumentation eine bestimmte Position vertritt und potenzielle Gegenargumente abwägt und entkräftet, dann vollzieht man die Sprachhandlung des Konzedierens. Im Deutschen nutzt man dazu typischerweise Textprozeduren wie: zwar … aber; sowohl … als auch; dennoch …; trotzdem. Generell lassen sich bildungssprachliche Kompetenzen vor diesem Hintergrund auch über den flexiblen und differenzierten Zugriff auf die je angemessenen sprachlichen Mittel bzw. Textprozeduren bemessen.

In schulischen Curricula, die heute vorrangig kompetenzorientiert, also auf die im Unterricht zu erwerbenden Fähigkeiten hin ausgerichtet sind, werden einige der betreffenden Sprachhandlungen auch als Operatoren bezeichnet.

Schulcurricular relevante Sprachhandlungen – Operator enOperatoren

In der Schule werden in fast allen Fächern zur Bearbeitung von Lernaufgaben und Prüfungsaufgaben verschiedenste Handlungen, sogenannte Operatoren, benötigt. In den meisten Fällen sind Operatoren Sprachhandlungen bzw. die betreffenden Operationen werden durch Sprachhandlungen realisiert. Bei Operatoren, die für die Schulabschlussprüfungen (z. B. Abitur) erforderlich sind und darauf zuführend bereits in der Sekundarstufe I und II geübt werden, unterscheidet man in der Regel zwischen drei verschiedenen, in ihrer Komplexität ansteigenden Anforderungsbereichen:

Ein erster Anforderungsbereich betrifft die Reproduktion, also das Wiedergeben von Sachverhalten, die in einer Aufgabe thematisiert werden. Eine Reproduktionsleistung kann auch die Verwendung von gelernten Methoden involvieren. Relevante Operatoren in diesem Anforderungsbereich sind z. B. etwas (einen Sachverhalt, einen Begriff) (be-)nennen, beschreiben, wiedergeben und zusammenfassen.

Ein zweiter Anforderungsbereich bezieht sich auf die Reorganisation und den Transfer von Gelerntem auf neue Kontexte und Sachverhalte. In diesem Zusammenhang können z. B. die Operatoren einordnen, vergleichen, erläutern, erklären, in Beziehung setzen zum Tragen kommen.

Der dritte Anforderungsbereich richtet sich schließlich auf Reflexion und Problemlösung. Hierzu gehören u.a. die Operatoren deuten, beurteilen, bewerten, begründen, kritisch Stellung nehmen, argumentieren, und im Kontext von schriftlicher Problemlösung z. B. einen eigenen Text entwerfen, planen und gestalten.

Die Aneignung von Operatoren bzw. von für die WissensaneignungWissensaneignung und WissensvermittlungWissensvermittlung relevanten sprachlichen Handlungen – und damit u.a. die Fähigkeit, Sachverhalte zu erklären, zu beschreiben, ein Urteil zu begründen, für eine bestimmte Position zu argumentieren etc. – wird als Schlüssel für schulischen Lernerfolg erachtet. Dementsprechend stehen Operatoren/Sprachhandlungen im curricularen Fokus.

Dabei übt man in der Primarstufe im Deutschunterricht insbesondere das Erzählen und die damit verbundenen Handlungskomponenten zunächst medial mündlich, dann schriftlich. Auf der Schwelle zur Sekundarstufe kommt das mündliche und schriftliche Beschreiben hinzu, später das mündliche und schriftliche Argumentieren mit allen involvierten sprachlichen Teilhandlungen. Einige der Unterrichtsvorschläge in diesem Lehr-/Praxisbuch fokussieren auf die Förderung einzelner Operatoren sowie der damit jeweils verbundenen sprachlichen Mittel: ErzählenErzählen (Kapitel 5, 6), BeschreibenBeschreiben und InterpretierenInterpretieren (Kapitel 19), ArgumentierenArgumentieren (Kapitel 7).

Abschließend lässt sich in Bezug auf die in diesem Abschnitt verhandelten Zusammenhänge festhalten, dass es bei den skizzierten sprachwissenschaftlichen und sprachphilosophischen Perspektiven auf die Begriffe Performanz und Performativität vorrangig darum geht, den allgemeinen und äußerungsspezifischen Handlungscharakter von Sprache und Sprechen an sich zu analysieren. Performativ wird als Attribut zu Sprache bzw. zu bestimmten sprachlichen Äußerungen angewandt, um auszudrücken, dass diese sprachlichen Äußerungen eine spezifische Form des Handelns darstellen. Sprache/Sprechen wird grundlegend in Bezug zu Handeln gesetzt:

Abb. 1.7:

Performanz und performativ in der sprachwissenschaftlichen Theoriebildung

Wohlgemerkt geschieht dies bei Austin und Searle noch, ohne ein ganzheitliches – kognitive und körperlich-sinnliche sowie ästhetische Dimensionenästhetische Dimension mit einbeziehendes – Verständnis von Sprache, Sprechen oder Handeln zu entwickeln. Letzteres begegnet uns erst im Rahmen von anderen fachtheoretischen Verhandlungen von Performativität, u.a. im Kontext von Ästhetik-, Kunst- und Theatertheorien, auf die wir im folgenden Abschnitt eingehen.

Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ)

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