Читать книгу DAS AJAX-PROTOKOLL (Project 7) - Alex Lukeman - Страница 11
Kapitel 6
ОглавлениеEs war beinahe 20 Uhr am nächsten Abend. Präsident James Rice nippte an einem Glas Wasser, während er auf sein Stichwort wartete, die Bühne zu betreten. Heute würde er im landesweiten Fernsehen eine wichtige Ansprache zur schwierigen Wirtschaftslage halten.
Rice machte sich aber über mehr als nur die Wirtschaft Sorgen. In Russland schien sich gerade eine potenzielle Krise zu entwickeln, und niemand wusste, was dort genau geschehen war. Die Anzeichen aber waren nicht gut. Die Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml waren auf einen Status wie zu Zeiten des Kalten Krieges zurückgefallen. Etwas früher an diesem Tag hatte ihn ein Telegramm seines Botschafters in Moskau erreicht, mit der Warnung, dass die Föderation die Vereinigten Staaten verdächtigte, in die Ereignisse in Sibirien involviert zu sein.
Rice wusste nicht, was in Sibirien geschehen war. Er fürchtete, dass es sich als einer dieser Terrorakte entpuppen könnte, die auch Amerika bedrohten. Wenn die Öffentlichkeit gewusst hätte, wie oft sie nur um Haaresbreite der völligen Vernichtung durch selbstmörderische Terroristen entgangen waren, würden sie schreiend durch die Straßen rennen, dessen war Rice sicher. Er wäre am liebsten wieder ins Weiße Haus zurückgekehrt, um dort daran zu arbeiten, die Wogen zu glätten. Stattdessen würde er eine Ansprache halten, um der amerikanischen Öffentlichkeit das Gefühl zu geben, das alles in bester Ordnung sei, während sich die Weltwirtschaft in Wirklichkeit am Rande des Zusammenbruchs befand.
In Augenblicken wie diesen musste er an seine Familie denken und wie fragil doch die Illusion von Sicherheit, die seine und jede andere amerikanische Familie umgab, in Wirklichkeit war. Manchmal war es alles andere als einfach, den Anführer der freien Welt zu spielen.
Er fühlte sich krank, etwas fiebrig. Nahm noch einen Schluck von seinem Wasser. Es hatte einen seltsamen Nachgeschmack, aber zumindest war es kalt.
Der Agent des Secret Service, der neben ihm stand, sagte: »Das war Ihr Stichwort, Mister President.«
»Danke, Sam. Ist alles bereit?«
»Ja, Sir.«
Rice rückte seine Krawatte zurecht. Es war seine Lieblingskrawatte, ein Geschenk seiner Tochter. Er besaß sie schon seit Jahren, trug sie aber immer noch gern. Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich so leicht an.
»Showtime«, sagte er.
Zu den Klängen von Hail to the Chief betrat er die Bühne, setzte sein gewohnt breites Grinsen auf und winkte der erwartungsvollen Menge zu. An seinem Podium angekommen, blickte er auf den Teleprompter. Plötzlich schoss ein Schmerz wie Feuer seinen linken Arm hinunter. Dann schien es, als hätte eine riesige Hand seine Brust gepackt und zugedrückt. Er bekam keine Luft mehr.
Rice taumelte, tastete nach dem Podium und brach dann der Länge nach auf der Bühne zusammen. Schreie ertönten aus dem Publikum. Die Mitarbeiter des Secret Service rannten zu ihm und umringten ihn.
In seinem Haus in Virginia verfolgte General Westlake die Verwirrung und das Chaos auf seinem Fernseher und lächelte. Die Berichterstattung wechselte ins Fernsehstudio zurück. Er goss sich noch einen weiteren Drink ein.
Damit wäre ein Problem erledigt. Bleibt nur noch ein weiteres.
Er musterte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas und entschied, dass es der letzte Drink für diesen Abend sein würde. Alkohol half ihm beim Nachdenken, aber in letzter Zeit ertappte er sich dabei, mehr als gewöhnlich zu trinken. Er war zu weit gekommen, um an diesem Punkt einen Fehler zu machen. Die letzten Teile des Puzzles fügten sich gerade an ihren Platz.
Westlake stammte aus einer starken Militärtradition. Sein Großvater war im Ersten Weltkrieg in Frankreich verwundet worden. Sein Vater hatte im Zweiten Weltkrieg das Verdienstkreuz und den Silver Star verliehen bekommen. Als Westlake sein Studium in West Point absolviert hatte, war er ein naiver junger Mann gewesen, der daran geglaubt hatte, dass sein Land von Menschen geführt wurde, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollten.
Stattdessen hatte er zusehen müssen, wie Amerika zunehmend von Leuten regiert wurde, die Profite und Zugeständnisse für eine erfolgreiche nationale Strategie hielten. Er hatte miterleben müssen, wie das Militär von inkompetenten Führern und fehlgeleiteter Politik handlungsunfähig gemacht worden war, obwohl eine überlegene Technologie und ein gigantisches Budget sie in die gefürchtetste Streitmacht verwandelt hatten, die die Welt je gesehen hatte.
Er war die Karriereleiter des Militärs bis fast ganz nach oben hinaufgeklettert, aber ein hoher Rang war immer auch mit einer gewissen politischen Haltung verknüpft. Als er für einen Platz unter den Joint Chiefs im Gespräch war, überging man ihn schließlich. Mit seiner offenen Kritik an Fehlern und der Notwendigkeit von Veränderungen hatte er sich im Kongress Feinde gemacht.
Aber Westlake war nicht allein mit seinen Ansichten. Er hatte die Unterstützung mächtiger Männer sowohl im Kongress als auch im Pentagon. Männer, die etwas verändern wollten und wie er an das Schicksal dieser Nation glaubten. Patrioten und Realisten wie er, die bereit waren, etwas dafür zu tun.
Vor vier Jahren war er zu einem Treffen eingeladen worden, das sein Leben veränderte. Das Treffen hatte zu weiteren Treffen geführt, mit Männern, die einen Plan entworfen hatten, Kontrolle über die Regierung zu erlangen. Einflussreiche, wohlhabende Männer. Sie wollten ihn als Führer eines neuen Amerikas, ein Amerika, welches wieder seinen Platz als Supermacht der Welt beanspruchen würde.
Und doch hatte er gezögert. Aber dann war sein Sohn in Afghanistan gefallen. Das war der letzte Schubs gewesen, den er noch gebraucht hatte, um sich ihnen endgültig anzuschließen.
Westlake sah zu dem Foto, welches er auf seinem Schreibtisch aufbewahrte, und spürte wieder diesen Kummer, der ihn nie ganz zu verlassen schien. Das Foto war an dem Tag entstanden, als sein Sohn sein Studium in West Point absolviert hatte. Alan Westlake, hochwachsen und stolz seine Uniform tragend, lächelte auf dem Foto. Er war einen sinnlosen Tod gestorben, in einem schlecht geführten Krieg, der Amerika langsam ausbluten ließ.
Wenn der Übergang vollendet war, würde es keine Kriege mehr ohne den absoluten politischen Willen zum Sieg geben.
Westlake hob sein Glas und prostete dem Foto seines Sohnes stumm zu.